Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Marwitz

welche sie allen getreuen Katholiken und mit besonderem Wohlwollen der
berühmten und frommen spanischen Nation zuwendet, zu sorgen" -- d. h.
Frankreich wird in Spanien nicht allzubald einen geistesverwandten Nachahmer
des Experiments der "Trennung von Staat und Kirche" finden.

Kenner der spanischen Gegenwartsverhältnisse und der spanischen Geschichte
sehen dem Beginnen Canalejas auch mit Ruhe entgegen. Der deutsche Geschichts¬
schreiber Spaniens, Gustav Diercks, konnte daher in seinen Essays "Das
moderne Spanien" (Berlin 1908) vorahnend von der kirchenpolitischen Krise
von heute sagen: "Die hohen Prälaten lächeln nur überlegen, wenn ängstliche
Glaubensgenossen die Befürchtung aussprechen, die Kirche könnte unter dem
Andrängen der Liberalen, der Republikaner und der extremen sozialen und
politischen Elemente an Macht einbüßen. Solange die katholische Kirche die
Staatskirche bleibt, wie sie es seit 587 ist, solange sie die weibliche" Welt
Spaniens unumschränkt beherrscht, wie sie es tut, wird sie auch von ihrer Macht
und ihrem Ansehen nichts verlieren." (S. ^,48.) Danach würde die "Trennung
von Staat und Kirche" in Spanien die Trennung der Geistlichkeit von den
glutäugigen Spanierinnen und dieser von den weltlichen Kavalieren zur Voraus¬
setzung haben. Ob die Männer Spaniens um diesen Preis die Trennung noch
erstreben würden?




Marwitz
Kurt Mariens Novelle von

urch das Biwak schmetterte ein muntres Trompetensignal. Aber die
Krieger, die es wecken sollte, blieben taub dagegen, zu Tode ermattet
von den furchtbaren Eilmärschen der letzten Tage. Unter zerfetzten
Zelten, in ihren von Schlamm verkrustetem Monturen lagen sie
übereinander wie Reptilien im Sumpf und suchten Hunger, Frost
und Elend mit lethargischen Schlaf zu betäuben.

Mehrere Offiziere vom Husarenregiment Bredow hatten für die Nacht wenigstens
eine Bauernhütte als Quartier gewonnen und die steifen Knochen auf einem Fuder
Stroh gebettet. Nun erwachten sie langsam einer nach dem andern, dehnten sich
und riefen fluchend nach der Ordonnanz.

"Stoßen Sie doch den Fensterladen auf, KornetI" brummte eine Baßstimme
an der Wand. "Der Teufel findet sich in diesem dunklen Loch zurecht!" Es gab
keinen Laden, die Luke stand ohnehin für Wind und Wetter offen, nur Licht gerade
war von draußen nicht viel zu holen-, denn obwohl der Vormittag schon herein-


Marwitz

welche sie allen getreuen Katholiken und mit besonderem Wohlwollen der
berühmten und frommen spanischen Nation zuwendet, zu sorgen" — d. h.
Frankreich wird in Spanien nicht allzubald einen geistesverwandten Nachahmer
des Experiments der „Trennung von Staat und Kirche" finden.

Kenner der spanischen Gegenwartsverhältnisse und der spanischen Geschichte
sehen dem Beginnen Canalejas auch mit Ruhe entgegen. Der deutsche Geschichts¬
schreiber Spaniens, Gustav Diercks, konnte daher in seinen Essays „Das
moderne Spanien" (Berlin 1908) vorahnend von der kirchenpolitischen Krise
von heute sagen: „Die hohen Prälaten lächeln nur überlegen, wenn ängstliche
Glaubensgenossen die Befürchtung aussprechen, die Kirche könnte unter dem
Andrängen der Liberalen, der Republikaner und der extremen sozialen und
politischen Elemente an Macht einbüßen. Solange die katholische Kirche die
Staatskirche bleibt, wie sie es seit 587 ist, solange sie die weibliche" Welt
Spaniens unumschränkt beherrscht, wie sie es tut, wird sie auch von ihrer Macht
und ihrem Ansehen nichts verlieren." (S. ^,48.) Danach würde die „Trennung
von Staat und Kirche" in Spanien die Trennung der Geistlichkeit von den
glutäugigen Spanierinnen und dieser von den weltlichen Kavalieren zur Voraus¬
setzung haben. Ob die Männer Spaniens um diesen Preis die Trennung noch
erstreben würden?




Marwitz
Kurt Mariens Novelle von

urch das Biwak schmetterte ein muntres Trompetensignal. Aber die
Krieger, die es wecken sollte, blieben taub dagegen, zu Tode ermattet
von den furchtbaren Eilmärschen der letzten Tage. Unter zerfetzten
Zelten, in ihren von Schlamm verkrustetem Monturen lagen sie
übereinander wie Reptilien im Sumpf und suchten Hunger, Frost
und Elend mit lethargischen Schlaf zu betäuben.

Mehrere Offiziere vom Husarenregiment Bredow hatten für die Nacht wenigstens
eine Bauernhütte als Quartier gewonnen und die steifen Knochen auf einem Fuder
Stroh gebettet. Nun erwachten sie langsam einer nach dem andern, dehnten sich
und riefen fluchend nach der Ordonnanz.

„Stoßen Sie doch den Fensterladen auf, KornetI" brummte eine Baßstimme
an der Wand. „Der Teufel findet sich in diesem dunklen Loch zurecht!" Es gab
keinen Laden, die Luke stand ohnehin für Wind und Wetter offen, nur Licht gerade
war von draußen nicht viel zu holen-, denn obwohl der Vormittag schon herein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0636" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316921"/>
          <fw type="header" place="top"> Marwitz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2615" prev="#ID_2614"> welche sie allen getreuen Katholiken und mit besonderem Wohlwollen der<lb/>
berühmten und frommen spanischen Nation zuwendet, zu sorgen" &#x2014; d. h.<lb/>
Frankreich wird in Spanien nicht allzubald einen geistesverwandten Nachahmer<lb/>
des Experiments der &#x201E;Trennung von Staat und Kirche" finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2616"> Kenner der spanischen Gegenwartsverhältnisse und der spanischen Geschichte<lb/>
sehen dem Beginnen Canalejas auch mit Ruhe entgegen. Der deutsche Geschichts¬<lb/>
schreiber Spaniens, Gustav Diercks, konnte daher in seinen Essays &#x201E;Das<lb/>
moderne Spanien" (Berlin 1908) vorahnend von der kirchenpolitischen Krise<lb/>
von heute sagen: &#x201E;Die hohen Prälaten lächeln nur überlegen, wenn ängstliche<lb/>
Glaubensgenossen die Befürchtung aussprechen, die Kirche könnte unter dem<lb/>
Andrängen der Liberalen, der Republikaner und der extremen sozialen und<lb/>
politischen Elemente an Macht einbüßen. Solange die katholische Kirche die<lb/>
Staatskirche bleibt, wie sie es seit 587 ist, solange sie die weibliche" Welt<lb/>
Spaniens unumschränkt beherrscht, wie sie es tut, wird sie auch von ihrer Macht<lb/>
und ihrem Ansehen nichts verlieren." (S. ^,48.) Danach würde die &#x201E;Trennung<lb/>
von Staat und Kirche" in Spanien die Trennung der Geistlichkeit von den<lb/>
glutäugigen Spanierinnen und dieser von den weltlichen Kavalieren zur Voraus¬<lb/>
setzung haben. Ob die Männer Spaniens um diesen Preis die Trennung noch<lb/>
erstreben würden?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Marwitz<lb/><note type="byline"> Kurt Mariens</note> Novelle von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2617"> urch das Biwak schmetterte ein muntres Trompetensignal. Aber die<lb/>
Krieger, die es wecken sollte, blieben taub dagegen, zu Tode ermattet<lb/>
von den furchtbaren Eilmärschen der letzten Tage. Unter zerfetzten<lb/>
Zelten, in ihren von Schlamm verkrustetem Monturen lagen sie<lb/>
übereinander wie Reptilien im Sumpf und suchten Hunger, Frost<lb/>
und Elend mit lethargischen Schlaf zu betäuben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2618"> Mehrere Offiziere vom Husarenregiment Bredow hatten für die Nacht wenigstens<lb/>
eine Bauernhütte als Quartier gewonnen und die steifen Knochen auf einem Fuder<lb/>
Stroh gebettet. Nun erwachten sie langsam einer nach dem andern, dehnten sich<lb/>
und riefen fluchend nach der Ordonnanz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2619" next="#ID_2620"> &#x201E;Stoßen Sie doch den Fensterladen auf, KornetI" brummte eine Baßstimme<lb/>
an der Wand. &#x201E;Der Teufel findet sich in diesem dunklen Loch zurecht!" Es gab<lb/>
keinen Laden, die Luke stand ohnehin für Wind und Wetter offen, nur Licht gerade<lb/>
war von draußen nicht viel zu holen-, denn obwohl der Vormittag schon herein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0636] Marwitz welche sie allen getreuen Katholiken und mit besonderem Wohlwollen der berühmten und frommen spanischen Nation zuwendet, zu sorgen" — d. h. Frankreich wird in Spanien nicht allzubald einen geistesverwandten Nachahmer des Experiments der „Trennung von Staat und Kirche" finden. Kenner der spanischen Gegenwartsverhältnisse und der spanischen Geschichte sehen dem Beginnen Canalejas auch mit Ruhe entgegen. Der deutsche Geschichts¬ schreiber Spaniens, Gustav Diercks, konnte daher in seinen Essays „Das moderne Spanien" (Berlin 1908) vorahnend von der kirchenpolitischen Krise von heute sagen: „Die hohen Prälaten lächeln nur überlegen, wenn ängstliche Glaubensgenossen die Befürchtung aussprechen, die Kirche könnte unter dem Andrängen der Liberalen, der Republikaner und der extremen sozialen und politischen Elemente an Macht einbüßen. Solange die katholische Kirche die Staatskirche bleibt, wie sie es seit 587 ist, solange sie die weibliche" Welt Spaniens unumschränkt beherrscht, wie sie es tut, wird sie auch von ihrer Macht und ihrem Ansehen nichts verlieren." (S. ^,48.) Danach würde die „Trennung von Staat und Kirche" in Spanien die Trennung der Geistlichkeit von den glutäugigen Spanierinnen und dieser von den weltlichen Kavalieren zur Voraus¬ setzung haben. Ob die Männer Spaniens um diesen Preis die Trennung noch erstreben würden? Marwitz Kurt Mariens Novelle von urch das Biwak schmetterte ein muntres Trompetensignal. Aber die Krieger, die es wecken sollte, blieben taub dagegen, zu Tode ermattet von den furchtbaren Eilmärschen der letzten Tage. Unter zerfetzten Zelten, in ihren von Schlamm verkrustetem Monturen lagen sie übereinander wie Reptilien im Sumpf und suchten Hunger, Frost und Elend mit lethargischen Schlaf zu betäuben. Mehrere Offiziere vom Husarenregiment Bredow hatten für die Nacht wenigstens eine Bauernhütte als Quartier gewonnen und die steifen Knochen auf einem Fuder Stroh gebettet. Nun erwachten sie langsam einer nach dem andern, dehnten sich und riefen fluchend nach der Ordonnanz. „Stoßen Sie doch den Fensterladen auf, KornetI" brummte eine Baßstimme an der Wand. „Der Teufel findet sich in diesem dunklen Loch zurecht!" Es gab keinen Laden, die Luke stand ohnehin für Wind und Wetter offen, nur Licht gerade war von draußen nicht viel zu holen-, denn obwohl der Vormittag schon herein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/636
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/636>, abgerufen am 06.05.2024.