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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters
Erich Schlaikj er von

ritz Reuter wurde an 7. November 1810 in Stavenhagen geboren.
In seine frühe Kindheit spielt die Franzosenzeit noch hinein, ohne
daß ihre Tragik aber seiner kleinen Seele zum Bewußtsein gekommen
sein kann. Wohl werden sich die unruhigen Zeiten, die manchen
aufgeregten Tag im Elternhaus brachten, seinem Gedächtnis ein¬
geprägt haben; im übrigen aber hat sich das Bild jener Tage aus frühen
Erinnerungen und aus den Erzählungen anderer zusammengewoben. Die
Atmosphäre dieser Zeit blieb ja noch lange lebendig, und nicht zum wenigsten
in solch einem kleinen traulichen Nest wie Stavenhagen, wo das Leben sich nur
um wenige und um die immer gleichen Angeln dreht. Von der Atmosphäre
der Zeit, die er in der "Franzosentid" schildert, kann er darum viel auf¬
genommen haben, ohne auf die ersten schwachen Erinnerungen der Kindheit
angewiesen zu sein.

Wenn man von der Fremdherrschaft absieht, die Reuter nur wie das
ferne Brausen eines Meeres im Ohr gehabt haben kann, ließ sich sein Lebens¬
morgen freundlich genug an. Als Sohn des Herrn Bürgermeisters lernte er
in dem stillen Nestchen all die kleinen Freuden der weltverlorenen Winkel kennen,
und tüchtige Leute, unter denen sein Vater und sein Onkel Amtshauptmann in
erster Linie genannt werden müssen, nahmen sich seines kindlichen Wachstums
an. Die Art, wie der kleine Fritz Reuter im Alter von zwölf Jahren seine
Reise nach Braunschweig schildert, beweist, daß er in guten Händen war. Der
Vater und auch der Ehrfurcht gebietende Herr Amtshauptmann werden an dem
bemerkenswerten Talent des Knaben ihre heimliche Freude gehabt haben. Im
besonderen der Vater wird ihn, wie Reuter sich später ausdrückte, in seiner
Zukunftsrechnung an erster Stelle eingetragen haben. Indessen folgte diesem
freundlichen Morgen ein langer trüber, dunkler Tag, an dem der Jüngling und
der Mann durch kalten Nebel und kalte Verzweiflung schreiten mußte. Wie
grade die erste Jugend das Haupt des Studenten umsonnte, wurde er als
Burschenschaftler von den Zahnrädern der politischen Kämpfe ergriffen, und
wenn sie ihn auch nicht selber zermalmten, so haben sie doch in sieben langen




Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters
Erich Schlaikj er von

ritz Reuter wurde an 7. November 1810 in Stavenhagen geboren.
In seine frühe Kindheit spielt die Franzosenzeit noch hinein, ohne
daß ihre Tragik aber seiner kleinen Seele zum Bewußtsein gekommen
sein kann. Wohl werden sich die unruhigen Zeiten, die manchen
aufgeregten Tag im Elternhaus brachten, seinem Gedächtnis ein¬
geprägt haben; im übrigen aber hat sich das Bild jener Tage aus frühen
Erinnerungen und aus den Erzählungen anderer zusammengewoben. Die
Atmosphäre dieser Zeit blieb ja noch lange lebendig, und nicht zum wenigsten
in solch einem kleinen traulichen Nest wie Stavenhagen, wo das Leben sich nur
um wenige und um die immer gleichen Angeln dreht. Von der Atmosphäre
der Zeit, die er in der „Franzosentid" schildert, kann er darum viel auf¬
genommen haben, ohne auf die ersten schwachen Erinnerungen der Kindheit
angewiesen zu sein.

Wenn man von der Fremdherrschaft absieht, die Reuter nur wie das
ferne Brausen eines Meeres im Ohr gehabt haben kann, ließ sich sein Lebens¬
morgen freundlich genug an. Als Sohn des Herrn Bürgermeisters lernte er
in dem stillen Nestchen all die kleinen Freuden der weltverlorenen Winkel kennen,
und tüchtige Leute, unter denen sein Vater und sein Onkel Amtshauptmann in
erster Linie genannt werden müssen, nahmen sich seines kindlichen Wachstums
an. Die Art, wie der kleine Fritz Reuter im Alter von zwölf Jahren seine
Reise nach Braunschweig schildert, beweist, daß er in guten Händen war. Der
Vater und auch der Ehrfurcht gebietende Herr Amtshauptmann werden an dem
bemerkenswerten Talent des Knaben ihre heimliche Freude gehabt haben. Im
besonderen der Vater wird ihn, wie Reuter sich später ausdrückte, in seiner
Zukunftsrechnung an erster Stelle eingetragen haben. Indessen folgte diesem
freundlichen Morgen ein langer trüber, dunkler Tag, an dem der Jüngling und
der Mann durch kalten Nebel und kalte Verzweiflung schreiten mußte. Wie
grade die erste Jugend das Haupt des Studenten umsonnte, wurde er als
Burschenschaftler von den Zahnrädern der politischen Kämpfe ergriffen, und
wenn sie ihn auch nicht selber zermalmten, so haben sie doch in sieben langen


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[0275] [Abbildung] Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters Erich Schlaikj er von ritz Reuter wurde an 7. November 1810 in Stavenhagen geboren. In seine frühe Kindheit spielt die Franzosenzeit noch hinein, ohne daß ihre Tragik aber seiner kleinen Seele zum Bewußtsein gekommen sein kann. Wohl werden sich die unruhigen Zeiten, die manchen aufgeregten Tag im Elternhaus brachten, seinem Gedächtnis ein¬ geprägt haben; im übrigen aber hat sich das Bild jener Tage aus frühen Erinnerungen und aus den Erzählungen anderer zusammengewoben. Die Atmosphäre dieser Zeit blieb ja noch lange lebendig, und nicht zum wenigsten in solch einem kleinen traulichen Nest wie Stavenhagen, wo das Leben sich nur um wenige und um die immer gleichen Angeln dreht. Von der Atmosphäre der Zeit, die er in der „Franzosentid" schildert, kann er darum viel auf¬ genommen haben, ohne auf die ersten schwachen Erinnerungen der Kindheit angewiesen zu sein. Wenn man von der Fremdherrschaft absieht, die Reuter nur wie das ferne Brausen eines Meeres im Ohr gehabt haben kann, ließ sich sein Lebens¬ morgen freundlich genug an. Als Sohn des Herrn Bürgermeisters lernte er in dem stillen Nestchen all die kleinen Freuden der weltverlorenen Winkel kennen, und tüchtige Leute, unter denen sein Vater und sein Onkel Amtshauptmann in erster Linie genannt werden müssen, nahmen sich seines kindlichen Wachstums an. Die Art, wie der kleine Fritz Reuter im Alter von zwölf Jahren seine Reise nach Braunschweig schildert, beweist, daß er in guten Händen war. Der Vater und auch der Ehrfurcht gebietende Herr Amtshauptmann werden an dem bemerkenswerten Talent des Knaben ihre heimliche Freude gehabt haben. Im besonderen der Vater wird ihn, wie Reuter sich später ausdrückte, in seiner Zukunftsrechnung an erster Stelle eingetragen haben. Indessen folgte diesem freundlichen Morgen ein langer trüber, dunkler Tag, an dem der Jüngling und der Mann durch kalten Nebel und kalte Verzweiflung schreiten mußte. Wie grade die erste Jugend das Haupt des Studenten umsonnte, wurde er als Burschenschaftler von den Zahnrädern der politischen Kämpfe ergriffen, und wenn sie ihn auch nicht selber zermalmten, so haben sie doch in sieben langen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/275>, abgerufen am 29.04.2024.