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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Zvirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

als Ziel vor Augen steht, Weltanschauungsfragen gegenüber dauernd gleichgültig
bleibt, ein großer Teil aber einer unverdauten mechanistischen Weltanschauung
huldigt. Wenn auch viele später, durch das Leben belehrt, ihre Anschauungen
einer Revision unterziehen werden, so halte ich es doch für die Pflicht der Schule,
sich dieses, vielleicht wertvollsten Teils der Schüler anzunehmen und sie nicht
noch durch die falsche Art des Naturgeschichtsunterrichts in der Überzeugung
bestärken, daß sie auf dem richtigen Wege sind.

Ich schließe mit den beherzigenswerten Worten des Oberrealschuldirektors
Bode in der Versammlung preußischer Oberrealschuldirektoren zu Berlin 1909:
"Daß nicht natürliche Zuchtwahl, nicht die physikalischen und chemischen Vorgänge,
die zur Bildung sogenannter künstlicher Zellen führen, das Rätsel des Lebens
lösen, das ist die sich immer weiter verbreitende Erkenntnis biologischer Forschung,
eine Erkenntnis, die den Weg zu einem wieder erwachenden philosophischen
Idealismus ebnet, in dem unsere Jugend -- wie wir hoffen -- heran¬
wachsen wird."




Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung
ii").

s würde ein verdienstvolles Unternehmen sein, einmal genauer
zu untersuchen, wie, begünstigt durch die geschilderten Verände¬
rungen der Personalienverwaltung, allmählich der Geist des
Stümpertums und die Günstlingswirtschaft unsre Verwaltung
ergriffen haben. Man müßte allerdings in der Lage sein,
tief in die Entwicklung unsrer innern Verhältnisse seit der Neueinrichtung des
Staats einzudringen. Ich muß mich hier darauf beschränken, noch einmal kurz
zu zeigen, in welchen Formen jene beiden Gebrechen im Lauf der Jahrzehnte
äußerlich hervorgetreten sind.

Ein Ausdruck des Stümpertums ist es vor allem, daß man Laien oder Männer,
die überhaupt nicht aus der Bureaukratie hervorgegangen oder für eine Stelle
im Staatsdienst berufsmäßig vorgebildet waren, und anderseits Juristen, denen
jedenfalls die besondre Verwaltungsansbildung fehlte, bis in unsre Zeit hinein
in großer Zahl in die Verwaltung übernahm. Laien befanden sich von jeher
zahlreich in den Landratsämtern, da man auch nach der Wiederherstellung des
Staats fortfuhr, diese Ämter in großen: Umfang, im Osten der Monarchie fast
ausnahmslos, mit Rittergutsbesitzern zu besetze", die nur in den seltensten Fällen



") Vgl. Heft 45.
Zvirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

als Ziel vor Augen steht, Weltanschauungsfragen gegenüber dauernd gleichgültig
bleibt, ein großer Teil aber einer unverdauten mechanistischen Weltanschauung
huldigt. Wenn auch viele später, durch das Leben belehrt, ihre Anschauungen
einer Revision unterziehen werden, so halte ich es doch für die Pflicht der Schule,
sich dieses, vielleicht wertvollsten Teils der Schüler anzunehmen und sie nicht
noch durch die falsche Art des Naturgeschichtsunterrichts in der Überzeugung
bestärken, daß sie auf dem richtigen Wege sind.

Ich schließe mit den beherzigenswerten Worten des Oberrealschuldirektors
Bode in der Versammlung preußischer Oberrealschuldirektoren zu Berlin 1909:
„Daß nicht natürliche Zuchtwahl, nicht die physikalischen und chemischen Vorgänge,
die zur Bildung sogenannter künstlicher Zellen führen, das Rätsel des Lebens
lösen, das ist die sich immer weiter verbreitende Erkenntnis biologischer Forschung,
eine Erkenntnis, die den Weg zu einem wieder erwachenden philosophischen
Idealismus ebnet, in dem unsere Jugend — wie wir hoffen — heran¬
wachsen wird."




Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung
ii").

s würde ein verdienstvolles Unternehmen sein, einmal genauer
zu untersuchen, wie, begünstigt durch die geschilderten Verände¬
rungen der Personalienverwaltung, allmählich der Geist des
Stümpertums und die Günstlingswirtschaft unsre Verwaltung
ergriffen haben. Man müßte allerdings in der Lage sein,
tief in die Entwicklung unsrer innern Verhältnisse seit der Neueinrichtung des
Staats einzudringen. Ich muß mich hier darauf beschränken, noch einmal kurz
zu zeigen, in welchen Formen jene beiden Gebrechen im Lauf der Jahrzehnte
äußerlich hervorgetreten sind.

Ein Ausdruck des Stümpertums ist es vor allem, daß man Laien oder Männer,
die überhaupt nicht aus der Bureaukratie hervorgegangen oder für eine Stelle
im Staatsdienst berufsmäßig vorgebildet waren, und anderseits Juristen, denen
jedenfalls die besondre Verwaltungsansbildung fehlte, bis in unsre Zeit hinein
in großer Zahl in die Verwaltung übernahm. Laien befanden sich von jeher
zahlreich in den Landratsämtern, da man auch nach der Wiederherstellung des
Staats fortfuhr, diese Ämter in großen: Umfang, im Osten der Monarchie fast
ausnahmslos, mit Rittergutsbesitzern zu besetze«, die nur in den seltensten Fällen



") Vgl. Heft 45.
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[0316] Zvirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung als Ziel vor Augen steht, Weltanschauungsfragen gegenüber dauernd gleichgültig bleibt, ein großer Teil aber einer unverdauten mechanistischen Weltanschauung huldigt. Wenn auch viele später, durch das Leben belehrt, ihre Anschauungen einer Revision unterziehen werden, so halte ich es doch für die Pflicht der Schule, sich dieses, vielleicht wertvollsten Teils der Schüler anzunehmen und sie nicht noch durch die falsche Art des Naturgeschichtsunterrichts in der Überzeugung bestärken, daß sie auf dem richtigen Wege sind. Ich schließe mit den beherzigenswerten Worten des Oberrealschuldirektors Bode in der Versammlung preußischer Oberrealschuldirektoren zu Berlin 1909: „Daß nicht natürliche Zuchtwahl, nicht die physikalischen und chemischen Vorgänge, die zur Bildung sogenannter künstlicher Zellen führen, das Rätsel des Lebens lösen, das ist die sich immer weiter verbreitende Erkenntnis biologischer Forschung, eine Erkenntnis, die den Weg zu einem wieder erwachenden philosophischen Idealismus ebnet, in dem unsere Jugend — wie wir hoffen — heran¬ wachsen wird." Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung ii"). s würde ein verdienstvolles Unternehmen sein, einmal genauer zu untersuchen, wie, begünstigt durch die geschilderten Verände¬ rungen der Personalienverwaltung, allmählich der Geist des Stümpertums und die Günstlingswirtschaft unsre Verwaltung ergriffen haben. Man müßte allerdings in der Lage sein, tief in die Entwicklung unsrer innern Verhältnisse seit der Neueinrichtung des Staats einzudringen. Ich muß mich hier darauf beschränken, noch einmal kurz zu zeigen, in welchen Formen jene beiden Gebrechen im Lauf der Jahrzehnte äußerlich hervorgetreten sind. Ein Ausdruck des Stümpertums ist es vor allem, daß man Laien oder Männer, die überhaupt nicht aus der Bureaukratie hervorgegangen oder für eine Stelle im Staatsdienst berufsmäßig vorgebildet waren, und anderseits Juristen, denen jedenfalls die besondre Verwaltungsansbildung fehlte, bis in unsre Zeit hinein in großer Zahl in die Verwaltung übernahm. Laien befanden sich von jeher zahlreich in den Landratsämtern, da man auch nach der Wiederherstellung des Staats fortfuhr, diese Ämter in großen: Umfang, im Osten der Monarchie fast ausnahmslos, mit Rittergutsbesitzern zu besetze«, die nur in den seltensten Fällen ") Vgl. Heft 45.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/316>, abgerufen am 29.04.2024.