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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Muse Dentschamerikas

Die Muse Deutschamerikas
Friedrich Hussong von

^ s ist keine reine Freude, amerikanisches Hochdeutsch zu hören oder
^zu lesen. Es herrscht eine greuliche Neigung, es mit englischer
! Lautverwischung zu sprechen und es mit englischen Brocken ver¬
mischt zu schreiben. Die Deutschamerikaner hören das freilich
äußerst ungern sagen und verübet" einem die gelegentliche Fest¬
stellung ihrer Sprachsünden und Sprachgreuel sehr. Sie sind überhaupt gegen
jede Kritik, namentlich gegen solche aus der alten Heimat, höchst empfindlich.
Wahr bleibt deswegen doch, daß ihre nationalen und kulturellen Qualitäten
keineswegs einen so empfindlichen Stolz -rechtfertigen.

Wenn man eine Weile deutschamerikanische Zeitungen mit ihrer Fülle
unerträglichen Klatsches und geschmackloser Schmockereien über die "prominentesten"
Persönlichkeiten der Stadt gelesen hat, wenn man aus glaubwürdiger Quelle
weiß, daß das in Deutschamerika meistgelesene und meistgekaufte Buch das
"Ägyptische Traumbuch" ist, wenn man beobachtet hat, wie die deutschamerikanische
Politik sich gern erschöpft in dem entrüsteten Kampf um die Freiheit des Bier-
trinkens, dann wird einem trotz der wackeren Bemühungen des Deutschamerikanischen
Nationalbundes um die Zukunft dieses Deutschtums bange, dann wird einem
selbstverständlich, daß auf einem solchen völkischen und kulturellen Boden nur
eine zweifelhafte nationale Kultur gedeihen und aus dieser nur eine minder¬
wertige Literatur sich entwickeln kann.

Null ist man drüben gerade auf diese Literatur nicht wenig stolz, und aus
völkischen Rücksichten wird für sie auch bei uns eine reichliche wohlmeinende
Stimmungsmache betrieben mit Blütenlesen deutschamerikanischer Musen¬
klänge. Aber es ist und bleibt ein recht dünnliches Plätschern aus diesem
kastalischen Quell. Selbst die besten und bekanntesten Stücke unter den hoch¬
deutschen Gedichten Deutschamerikas tummeln sich bei aller vortrefflichen Meinung
und bei aller Wohllöblichkeit auf dem breiten Plan der Platitüden. Rührend
redet manchmal die Heimatliebe der Entfremdeten aus diesen Liedern. Dennoch
wiegen sie auch dann nach künstlerischer Wertung sehr leicht. So selbst die
meistgepriesenen Verse eines Konrad Nies, der dem noch ungeeinten Deutschland
einst zusang:

Das ist aus der vielleicht besten Zeit, aus dem besten Geist des Deutsch-
amerikamrtums. Jüngeren Ursprungs und noch mehr gekannt und gepriesen,
in Wahrheit weit banaler ist Castelhuns "An meine Kinder":


Die Muse Dentschamerikas

Die Muse Deutschamerikas
Friedrich Hussong von

^ s ist keine reine Freude, amerikanisches Hochdeutsch zu hören oder
^zu lesen. Es herrscht eine greuliche Neigung, es mit englischer
! Lautverwischung zu sprechen und es mit englischen Brocken ver¬
mischt zu schreiben. Die Deutschamerikaner hören das freilich
äußerst ungern sagen und verübet« einem die gelegentliche Fest¬
stellung ihrer Sprachsünden und Sprachgreuel sehr. Sie sind überhaupt gegen
jede Kritik, namentlich gegen solche aus der alten Heimat, höchst empfindlich.
Wahr bleibt deswegen doch, daß ihre nationalen und kulturellen Qualitäten
keineswegs einen so empfindlichen Stolz -rechtfertigen.

Wenn man eine Weile deutschamerikanische Zeitungen mit ihrer Fülle
unerträglichen Klatsches und geschmackloser Schmockereien über die „prominentesten"
Persönlichkeiten der Stadt gelesen hat, wenn man aus glaubwürdiger Quelle
weiß, daß das in Deutschamerika meistgelesene und meistgekaufte Buch das
„Ägyptische Traumbuch" ist, wenn man beobachtet hat, wie die deutschamerikanische
Politik sich gern erschöpft in dem entrüsteten Kampf um die Freiheit des Bier-
trinkens, dann wird einem trotz der wackeren Bemühungen des Deutschamerikanischen
Nationalbundes um die Zukunft dieses Deutschtums bange, dann wird einem
selbstverständlich, daß auf einem solchen völkischen und kulturellen Boden nur
eine zweifelhafte nationale Kultur gedeihen und aus dieser nur eine minder¬
wertige Literatur sich entwickeln kann.

Null ist man drüben gerade auf diese Literatur nicht wenig stolz, und aus
völkischen Rücksichten wird für sie auch bei uns eine reichliche wohlmeinende
Stimmungsmache betrieben mit Blütenlesen deutschamerikanischer Musen¬
klänge. Aber es ist und bleibt ein recht dünnliches Plätschern aus diesem
kastalischen Quell. Selbst die besten und bekanntesten Stücke unter den hoch¬
deutschen Gedichten Deutschamerikas tummeln sich bei aller vortrefflichen Meinung
und bei aller Wohllöblichkeit auf dem breiten Plan der Platitüden. Rührend
redet manchmal die Heimatliebe der Entfremdeten aus diesen Liedern. Dennoch
wiegen sie auch dann nach künstlerischer Wertung sehr leicht. So selbst die
meistgepriesenen Verse eines Konrad Nies, der dem noch ungeeinten Deutschland
einst zusang:

Das ist aus der vielleicht besten Zeit, aus dem besten Geist des Deutsch-
amerikamrtums. Jüngeren Ursprungs und noch mehr gekannt und gepriesen,
in Wahrheit weit banaler ist Castelhuns „An meine Kinder":


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[0383] Die Muse Dentschamerikas Die Muse Deutschamerikas Friedrich Hussong von ^ s ist keine reine Freude, amerikanisches Hochdeutsch zu hören oder ^zu lesen. Es herrscht eine greuliche Neigung, es mit englischer ! Lautverwischung zu sprechen und es mit englischen Brocken ver¬ mischt zu schreiben. Die Deutschamerikaner hören das freilich äußerst ungern sagen und verübet« einem die gelegentliche Fest¬ stellung ihrer Sprachsünden und Sprachgreuel sehr. Sie sind überhaupt gegen jede Kritik, namentlich gegen solche aus der alten Heimat, höchst empfindlich. Wahr bleibt deswegen doch, daß ihre nationalen und kulturellen Qualitäten keineswegs einen so empfindlichen Stolz -rechtfertigen. Wenn man eine Weile deutschamerikanische Zeitungen mit ihrer Fülle unerträglichen Klatsches und geschmackloser Schmockereien über die „prominentesten" Persönlichkeiten der Stadt gelesen hat, wenn man aus glaubwürdiger Quelle weiß, daß das in Deutschamerika meistgelesene und meistgekaufte Buch das „Ägyptische Traumbuch" ist, wenn man beobachtet hat, wie die deutschamerikanische Politik sich gern erschöpft in dem entrüsteten Kampf um die Freiheit des Bier- trinkens, dann wird einem trotz der wackeren Bemühungen des Deutschamerikanischen Nationalbundes um die Zukunft dieses Deutschtums bange, dann wird einem selbstverständlich, daß auf einem solchen völkischen und kulturellen Boden nur eine zweifelhafte nationale Kultur gedeihen und aus dieser nur eine minder¬ wertige Literatur sich entwickeln kann. Null ist man drüben gerade auf diese Literatur nicht wenig stolz, und aus völkischen Rücksichten wird für sie auch bei uns eine reichliche wohlmeinende Stimmungsmache betrieben mit Blütenlesen deutschamerikanischer Musen¬ klänge. Aber es ist und bleibt ein recht dünnliches Plätschern aus diesem kastalischen Quell. Selbst die besten und bekanntesten Stücke unter den hoch¬ deutschen Gedichten Deutschamerikas tummeln sich bei aller vortrefflichen Meinung und bei aller Wohllöblichkeit auf dem breiten Plan der Platitüden. Rührend redet manchmal die Heimatliebe der Entfremdeten aus diesen Liedern. Dennoch wiegen sie auch dann nach künstlerischer Wertung sehr leicht. So selbst die meistgepriesenen Verse eines Konrad Nies, der dem noch ungeeinten Deutschland einst zusang: Das ist aus der vielleicht besten Zeit, aus dem besten Geist des Deutsch- amerikamrtums. Jüngeren Ursprungs und noch mehr gekannt und gepriesen, in Wahrheit weit banaler ist Castelhuns „An meine Kinder":

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/383>, abgerufen am 29.04.2024.