Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Im Flecken
Erzählung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-v, Reyher von
Sechstes Kapitel: Der Überfall,

"Endlich, Boris!" sagte vorwurfsvoll Frau Okolitsch, indem sie dem Sohne
und dein Hunde die Tür öffnete. "Ich war schon unruhig. Die Dunkelheit,
und der Regen!"

"Verzeihe, Mannchen," versetzte er, indem er ihre Hand an die Lippen führte.
"Die Dunkelheit tritt in diesem Jahre ganz eigentümlich rasch ein. Es sind doch
nur die ersten Tage des August, aber es ist wie sonst im September. Nun ja,
es ist dick bewölkt. Zu morgen wird sich wohl ein tüchtiger Regen einstellen."

"Du warst sehr weit?"

"Ach, nein. Bot stöberte ein Volk schon ausgewachsener Feldhühner auf.
Ich glaubte genau zu bemerken, wohin sie flogen, aber ich suchte, suchte -- sie
waren wie in die Erde versunken. Ich fand sie erst wieder, als es schon zu
dunkeln begann. Kannst du dir denken, wo sie saßen? An dem Platze, wo sie
zuerst gewesen waren. Statt geradeaus zu fliegen, hatten sie zwischen den Hügeln
einen richtigen Kreis beschrieben. Solche schlaue Kanaillen! Bei Feldhühnern ist
mir so etwas noch nie vorgekommen."

"So daß deine Jagd unglücklich war?"

"N--nein, nicht ganz. Ein halbes Dutzend konnte ich doch noch zusammen¬
schießen. Sieh, Mannchen, was für runde Dinger. Wie gemästet!"

Er zog die Hühner aus der Jagdtasche und legte sie in einer Reihe auf den
Küchentisch.

"Ah!" freute sich die Frau. "Die sind wirklich schön. Dazu die ersten in
diesem Jahre. Ich muß dir gestehen, Boris, daß ich mich schon nach Feldhühnern
gesehnt habe. Die Enten und Bekassinen und jungen Birkhühner waren mir
bereits etwas zum Überdruß."

"Ich wußte das, Mamchen. Darum war ich auch so erpicht darauf, sie
wiederzufinden."

"Mein guter Junge!" sagte sie zärtlich und streichelte ihm liebkosend die
Wange. "Wenn es nur immer glücklich abgeht! Ich bin so unruhig, wenn du
im Dunkeln allein draußen bist."


Grenzvoten IV 1910 48


Im Flecken
Erzählung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-v, Reyher von
Sechstes Kapitel: Der Überfall,

„Endlich, Boris!" sagte vorwurfsvoll Frau Okolitsch, indem sie dem Sohne
und dein Hunde die Tür öffnete. „Ich war schon unruhig. Die Dunkelheit,
und der Regen!"

„Verzeihe, Mannchen," versetzte er, indem er ihre Hand an die Lippen führte.
„Die Dunkelheit tritt in diesem Jahre ganz eigentümlich rasch ein. Es sind doch
nur die ersten Tage des August, aber es ist wie sonst im September. Nun ja,
es ist dick bewölkt. Zu morgen wird sich wohl ein tüchtiger Regen einstellen."

„Du warst sehr weit?"

„Ach, nein. Bot stöberte ein Volk schon ausgewachsener Feldhühner auf.
Ich glaubte genau zu bemerken, wohin sie flogen, aber ich suchte, suchte — sie
waren wie in die Erde versunken. Ich fand sie erst wieder, als es schon zu
dunkeln begann. Kannst du dir denken, wo sie saßen? An dem Platze, wo sie
zuerst gewesen waren. Statt geradeaus zu fliegen, hatten sie zwischen den Hügeln
einen richtigen Kreis beschrieben. Solche schlaue Kanaillen! Bei Feldhühnern ist
mir so etwas noch nie vorgekommen."

„So daß deine Jagd unglücklich war?"

„N—nein, nicht ganz. Ein halbes Dutzend konnte ich doch noch zusammen¬
schießen. Sieh, Mannchen, was für runde Dinger. Wie gemästet!"

Er zog die Hühner aus der Jagdtasche und legte sie in einer Reihe auf den
Küchentisch.

„Ah!" freute sich die Frau. „Die sind wirklich schön. Dazu die ersten in
diesem Jahre. Ich muß dir gestehen, Boris, daß ich mich schon nach Feldhühnern
gesehnt habe. Die Enten und Bekassinen und jungen Birkhühner waren mir
bereits etwas zum Überdruß."

„Ich wußte das, Mamchen. Darum war ich auch so erpicht darauf, sie
wiederzufinden."

„Mein guter Junge!" sagte sie zärtlich und streichelte ihm liebkosend die
Wange. „Wenn es nur immer glücklich abgeht! Ich bin so unruhig, wenn du
im Dunkeln allein draußen bist."


Grenzvoten IV 1910 48
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317340"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341891_316950/figures/grenzboten_341891_316950_317340_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Im Flecken<lb/>
Erzählung aus der russischen Provinz<lb/><note type="byline"> Alexander Andreas-v, Reyher</note> von<lb/>
Sechstes Kapitel: Der Überfall,</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1745"> &#x201E;Endlich, Boris!" sagte vorwurfsvoll Frau Okolitsch, indem sie dem Sohne<lb/>
und dein Hunde die Tür öffnete. &#x201E;Ich war schon unruhig. Die Dunkelheit,<lb/>
und der Regen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1746"> &#x201E;Verzeihe, Mannchen," versetzte er, indem er ihre Hand an die Lippen führte.<lb/>
&#x201E;Die Dunkelheit tritt in diesem Jahre ganz eigentümlich rasch ein. Es sind doch<lb/>
nur die ersten Tage des August, aber es ist wie sonst im September. Nun ja,<lb/>
es ist dick bewölkt. Zu morgen wird sich wohl ein tüchtiger Regen einstellen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1747"> &#x201E;Du warst sehr weit?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1748"> &#x201E;Ach, nein. Bot stöberte ein Volk schon ausgewachsener Feldhühner auf.<lb/>
Ich glaubte genau zu bemerken, wohin sie flogen, aber ich suchte, suchte &#x2014; sie<lb/>
waren wie in die Erde versunken. Ich fand sie erst wieder, als es schon zu<lb/>
dunkeln begann. Kannst du dir denken, wo sie saßen? An dem Platze, wo sie<lb/>
zuerst gewesen waren. Statt geradeaus zu fliegen, hatten sie zwischen den Hügeln<lb/>
einen richtigen Kreis beschrieben. Solche schlaue Kanaillen! Bei Feldhühnern ist<lb/>
mir so etwas noch nie vorgekommen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1749"> &#x201E;So daß deine Jagd unglücklich war?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1750"> &#x201E;N&#x2014;nein, nicht ganz. Ein halbes Dutzend konnte ich doch noch zusammen¬<lb/>
schießen. Sieh, Mannchen, was für runde Dinger. Wie gemästet!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1751"> Er zog die Hühner aus der Jagdtasche und legte sie in einer Reihe auf den<lb/>
Küchentisch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1752"> &#x201E;Ah!" freute sich die Frau. &#x201E;Die sind wirklich schön. Dazu die ersten in<lb/>
diesem Jahre. Ich muß dir gestehen, Boris, daß ich mich schon nach Feldhühnern<lb/>
gesehnt habe. Die Enten und Bekassinen und jungen Birkhühner waren mir<lb/>
bereits etwas zum Überdruß."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1753"> &#x201E;Ich wußte das, Mamchen. Darum war ich auch so erpicht darauf, sie<lb/>
wiederzufinden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1754"> &#x201E;Mein guter Junge!" sagte sie zärtlich und streichelte ihm liebkosend die<lb/>
Wange. &#x201E;Wenn es nur immer glücklich abgeht! Ich bin so unruhig, wenn du<lb/>
im Dunkeln allein draußen bist."</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzvoten IV 1910 48</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0389] [Abbildung] Im Flecken Erzählung aus der russischen Provinz Alexander Andreas-v, Reyher von Sechstes Kapitel: Der Überfall, „Endlich, Boris!" sagte vorwurfsvoll Frau Okolitsch, indem sie dem Sohne und dein Hunde die Tür öffnete. „Ich war schon unruhig. Die Dunkelheit, und der Regen!" „Verzeihe, Mannchen," versetzte er, indem er ihre Hand an die Lippen führte. „Die Dunkelheit tritt in diesem Jahre ganz eigentümlich rasch ein. Es sind doch nur die ersten Tage des August, aber es ist wie sonst im September. Nun ja, es ist dick bewölkt. Zu morgen wird sich wohl ein tüchtiger Regen einstellen." „Du warst sehr weit?" „Ach, nein. Bot stöberte ein Volk schon ausgewachsener Feldhühner auf. Ich glaubte genau zu bemerken, wohin sie flogen, aber ich suchte, suchte — sie waren wie in die Erde versunken. Ich fand sie erst wieder, als es schon zu dunkeln begann. Kannst du dir denken, wo sie saßen? An dem Platze, wo sie zuerst gewesen waren. Statt geradeaus zu fliegen, hatten sie zwischen den Hügeln einen richtigen Kreis beschrieben. Solche schlaue Kanaillen! Bei Feldhühnern ist mir so etwas noch nie vorgekommen." „So daß deine Jagd unglücklich war?" „N—nein, nicht ganz. Ein halbes Dutzend konnte ich doch noch zusammen¬ schießen. Sieh, Mannchen, was für runde Dinger. Wie gemästet!" Er zog die Hühner aus der Jagdtasche und legte sie in einer Reihe auf den Küchentisch. „Ah!" freute sich die Frau. „Die sind wirklich schön. Dazu die ersten in diesem Jahre. Ich muß dir gestehen, Boris, daß ich mich schon nach Feldhühnern gesehnt habe. Die Enten und Bekassinen und jungen Birkhühner waren mir bereits etwas zum Überdruß." „Ich wußte das, Mamchen. Darum war ich auch so erpicht darauf, sie wiederzufinden." „Mein guter Junge!" sagte sie zärtlich und streichelte ihm liebkosend die Wange. „Wenn es nur immer glücklich abgeht! Ich bin so unruhig, wenn du im Dunkeln allein draußen bist." Grenzvoten IV 1910 48

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/389
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/389>, abgerufen am 29.04.2024.