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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

Im Kecken
Lrzählung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-v, Reyhev von (Fortsetzung)

Olga hatte die ganze Verhandlung mit der größten Spannung angehört.
Sie fand, was Okolitsch sagte, scharfsinnig und unwiderleglich richtig. Sie schaute
bei dem trüben Licht der Laterne des Soldaten mit einer Art von Bewunderung
auf den jungen Jäger. Seine stramme, kräftige Figur, sein ernstes und kühnes
Gesicht, seine ruhige Art -- alles an ihm gefiel ihr ausnehmend. Wie war es
möglich gewesen, daß er ihrer Aufmerksamkeit bis jetzt eigentlich ganz entgangen
wart Und doch hatte sie ihn seit Jahren während der Sommerferien häufig genug
gesehen -- freilich immer nur auf Augenblicke. Wie fade, wie nichtssagend und
unnatürlich erschien Wvlski neben ihm! Und derselbe Wolski unterstand sich schon
wieder, ins Lächerliche ziehen zu wollen, was Okolitsch gesagt hatte. Der widerliche
Wolski! Und Okolitsch schwieg. Sollte er nicht wissen, wie er den Einwand,
den dummen Einwand -- sie fühlte, daß Wolski eine Dummheit vorgebracht
hatte -- entkräften mußte?

"Ich muß Ihnen gewissermaßen recht geben," sprach er lächelnd und eben¬
falls mit spöttischem Anflug. "Wer schnell vorwärts kommen will, sorgt gewiß
für gutes Gespann. Eben deshalb wählt er aber kein Dreigespann. Das Drei¬
gespann ist in finstrer Nacht und namentlich, wenn man Feld- oder Waldwege
befahren muß, ein ganz unbrauchbares, Hindernisse und Aufenthalt hervorrufendes
Gespann. Schon aus diesem Grunde muß ich annehmen, daß die Räuber nur
zwei Pferde vorgespannt hatten, und zudem, Herr Aufseher, versichere ich Ihnen
nochmals, ich habe deutlich die Tritte zweier Pferde unterschieden. Was aber die
Zahl der Menschen anbelangt, so kann ich Ihnen wieder versichern, daß man zu
solchen Unternehmungen keine unnützen Leute ansammelt, die bei schneller Tat
auch wieder einander hinderlich sein könnten. Ein solches Versehen dürften sich
etwa Neulinge zuschulden kommen lassen, gewiß aber nicht verwegene und geübte
Einbrecher, und die vier Mann, die hier gearbeitet haben, sind eine verwegene
und geübte Bande, die nicht ihren ersten Einbruch vollführte. Wahrscheinlich sind
es dieselben Bösewichte, die die bisherigen frechen Taten im Kreise ins Werk
gesetzt haben."

Olga triumphierte. Es war doch ein goldener Mensch, dieser Boris Stepano-
witsch! Sie hätte ihn trotz allem heutigen Kummer küssen mögen für die Antwort.
Sie errötete bei dem Gedanken und zog sich aus dem Laternenschein zur Haus¬
tür zurück.

"Gehen wir ins Haus, Andrej Fomitsch, wenn es Ihnen recht ist," sagte der
Bezirksaufseher. "Es fängt wieder an zu regnen, und wir haben hier draußen
nichts mehr zu tun. Ich werde Sie nur noch wenige Augenblicke mit meiner
Gegenwart belästigen. Bitte auch Sie noch einzutreten, Herr Okolitsch."

Der Soldat wurde entlassen. Der Sohn blieb mit dem Wagen, um die
Herren der Polizei fortzuschaffen. Olga ging, um nach der Magd zu sehen.


Im Flecken

Im Kecken
Lrzählung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-v, Reyhev von (Fortsetzung)

Olga hatte die ganze Verhandlung mit der größten Spannung angehört.
Sie fand, was Okolitsch sagte, scharfsinnig und unwiderleglich richtig. Sie schaute
bei dem trüben Licht der Laterne des Soldaten mit einer Art von Bewunderung
auf den jungen Jäger. Seine stramme, kräftige Figur, sein ernstes und kühnes
Gesicht, seine ruhige Art — alles an ihm gefiel ihr ausnehmend. Wie war es
möglich gewesen, daß er ihrer Aufmerksamkeit bis jetzt eigentlich ganz entgangen
wart Und doch hatte sie ihn seit Jahren während der Sommerferien häufig genug
gesehen — freilich immer nur auf Augenblicke. Wie fade, wie nichtssagend und
unnatürlich erschien Wvlski neben ihm! Und derselbe Wolski unterstand sich schon
wieder, ins Lächerliche ziehen zu wollen, was Okolitsch gesagt hatte. Der widerliche
Wolski! Und Okolitsch schwieg. Sollte er nicht wissen, wie er den Einwand,
den dummen Einwand — sie fühlte, daß Wolski eine Dummheit vorgebracht
hatte — entkräften mußte?

„Ich muß Ihnen gewissermaßen recht geben," sprach er lächelnd und eben¬
falls mit spöttischem Anflug. „Wer schnell vorwärts kommen will, sorgt gewiß
für gutes Gespann. Eben deshalb wählt er aber kein Dreigespann. Das Drei¬
gespann ist in finstrer Nacht und namentlich, wenn man Feld- oder Waldwege
befahren muß, ein ganz unbrauchbares, Hindernisse und Aufenthalt hervorrufendes
Gespann. Schon aus diesem Grunde muß ich annehmen, daß die Räuber nur
zwei Pferde vorgespannt hatten, und zudem, Herr Aufseher, versichere ich Ihnen
nochmals, ich habe deutlich die Tritte zweier Pferde unterschieden. Was aber die
Zahl der Menschen anbelangt, so kann ich Ihnen wieder versichern, daß man zu
solchen Unternehmungen keine unnützen Leute ansammelt, die bei schneller Tat
auch wieder einander hinderlich sein könnten. Ein solches Versehen dürften sich
etwa Neulinge zuschulden kommen lassen, gewiß aber nicht verwegene und geübte
Einbrecher, und die vier Mann, die hier gearbeitet haben, sind eine verwegene
und geübte Bande, die nicht ihren ersten Einbruch vollführte. Wahrscheinlich sind
es dieselben Bösewichte, die die bisherigen frechen Taten im Kreise ins Werk
gesetzt haben."

Olga triumphierte. Es war doch ein goldener Mensch, dieser Boris Stepano-
witsch! Sie hätte ihn trotz allem heutigen Kummer küssen mögen für die Antwort.
Sie errötete bei dem Gedanken und zog sich aus dem Laternenschein zur Haus¬
tür zurück.

„Gehen wir ins Haus, Andrej Fomitsch, wenn es Ihnen recht ist," sagte der
Bezirksaufseher. „Es fängt wieder an zu regnen, und wir haben hier draußen
nichts mehr zu tun. Ich werde Sie nur noch wenige Augenblicke mit meiner
Gegenwart belästigen. Bitte auch Sie noch einzutreten, Herr Okolitsch."

Der Soldat wurde entlassen. Der Sohn blieb mit dem Wagen, um die
Herren der Polizei fortzuschaffen. Olga ging, um nach der Magd zu sehen.


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[0490] Im Flecken Im Kecken Lrzählung aus der russischen Provinz Alexander Andreas-v, Reyhev von (Fortsetzung) Olga hatte die ganze Verhandlung mit der größten Spannung angehört. Sie fand, was Okolitsch sagte, scharfsinnig und unwiderleglich richtig. Sie schaute bei dem trüben Licht der Laterne des Soldaten mit einer Art von Bewunderung auf den jungen Jäger. Seine stramme, kräftige Figur, sein ernstes und kühnes Gesicht, seine ruhige Art — alles an ihm gefiel ihr ausnehmend. Wie war es möglich gewesen, daß er ihrer Aufmerksamkeit bis jetzt eigentlich ganz entgangen wart Und doch hatte sie ihn seit Jahren während der Sommerferien häufig genug gesehen — freilich immer nur auf Augenblicke. Wie fade, wie nichtssagend und unnatürlich erschien Wvlski neben ihm! Und derselbe Wolski unterstand sich schon wieder, ins Lächerliche ziehen zu wollen, was Okolitsch gesagt hatte. Der widerliche Wolski! Und Okolitsch schwieg. Sollte er nicht wissen, wie er den Einwand, den dummen Einwand — sie fühlte, daß Wolski eine Dummheit vorgebracht hatte — entkräften mußte? „Ich muß Ihnen gewissermaßen recht geben," sprach er lächelnd und eben¬ falls mit spöttischem Anflug. „Wer schnell vorwärts kommen will, sorgt gewiß für gutes Gespann. Eben deshalb wählt er aber kein Dreigespann. Das Drei¬ gespann ist in finstrer Nacht und namentlich, wenn man Feld- oder Waldwege befahren muß, ein ganz unbrauchbares, Hindernisse und Aufenthalt hervorrufendes Gespann. Schon aus diesem Grunde muß ich annehmen, daß die Räuber nur zwei Pferde vorgespannt hatten, und zudem, Herr Aufseher, versichere ich Ihnen nochmals, ich habe deutlich die Tritte zweier Pferde unterschieden. Was aber die Zahl der Menschen anbelangt, so kann ich Ihnen wieder versichern, daß man zu solchen Unternehmungen keine unnützen Leute ansammelt, die bei schneller Tat auch wieder einander hinderlich sein könnten. Ein solches Versehen dürften sich etwa Neulinge zuschulden kommen lassen, gewiß aber nicht verwegene und geübte Einbrecher, und die vier Mann, die hier gearbeitet haben, sind eine verwegene und geübte Bande, die nicht ihren ersten Einbruch vollführte. Wahrscheinlich sind es dieselben Bösewichte, die die bisherigen frechen Taten im Kreise ins Werk gesetzt haben." Olga triumphierte. Es war doch ein goldener Mensch, dieser Boris Stepano- witsch! Sie hätte ihn trotz allem heutigen Kummer küssen mögen für die Antwort. Sie errötete bei dem Gedanken und zog sich aus dem Laternenschein zur Haus¬ tür zurück. „Gehen wir ins Haus, Andrej Fomitsch, wenn es Ihnen recht ist," sagte der Bezirksaufseher. „Es fängt wieder an zu regnen, und wir haben hier draußen nichts mehr zu tun. Ich werde Sie nur noch wenige Augenblicke mit meiner Gegenwart belästigen. Bitte auch Sie noch einzutreten, Herr Okolitsch." Der Soldat wurde entlassen. Der Sohn blieb mit dem Wagen, um die Herren der Polizei fortzuschaffen. Olga ging, um nach der Magd zu sehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/490>, abgerufen am 29.04.2024.