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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Homer und Äschylus in moderner Bearbeitung

und hoffe in kurzem die Bewilligung zu bekommen. Daher frage ich an,
ob ich wieder bei Ihnen Verpflegung und Logis bekommen kann, denn auch
bei Ihnen hat es mir gut gefallen. Für den Tag möchte ich dann wieder
2 Mark 50 Pfg. bezahlen, und wenn die Versicherung wie früher 3,50
bezahlt, so können wir den Überschuß ja teilen; denn etwas Taschengeld
möchte ich doch auch gern haben."

Leider ist Frau S. nicht diskret gewesen, und aus der Kur wurde nichts.

Verfasser dieser Zeilen ist Optimist. Er glaubt noch an die Zukunft seines
Volkes, an eine günstige Entwicklung des jungen Reiches und will sich nicht
zur Furcht vor Degeneration verstehen. Er glaubt noch, daß der Schatz an
Treu und Glauben, an Pflichtgefühl und Ehrlichkeit, den jede nutzbringende
Arbeit, jeder gesunde Verkehr in Familie. Gemeinde und Staat zur not¬
wendigen Voraussetzung hat, dem Volke noch im wesentlichen erhalten ist.
Auf der andern Seite hält er es aber für notwendig, diesen Schatz gegen alle
Angriffe, sie mögen kommen woher sie wollen, mit aller Macht zu verteidigen.
Angegriffen wird er aber nicht allein durch sozialdemokratische Versetzungen und
jesuitische Wenn und Aber, nicht allein durch so manche bedenkliche neuere Vor¬
gänge in allen Gesellschaftsschichten, sondern auch durch die jetzige Überspannung
der sozialen Fürsorge, die sich nicht mehr auf die Beseitigung von Notlagen
und den Schutz der schwächeren, unselbständigen Elemente beschränkt, sondern
weit darüber hinaus bis in genügend gesicherte Schichten greifen will. Die
jetzt schon vorhandenen üblen Folgen, von denen hier nur ein Teil erörtert
ist. werden dadurch ins Ungemessene gesteigert werden, der soziale Gedanke, an
sich gesund und menschenfreundlich, wird in sein Gegenteil verkehrt, und das
Reich gerät auf diesem Wege mehr und mehr in die Bahnen der Sozial¬
demokratie. Es scheint, daß die soziale Gesetzgebung an einem Scheidewege steht.




Homer und Äschylus in moderner Bearbeitung
öl-. Kurt Hildebrandt- von

ird die Frage nach einer Ur-Ilias jemals gelöst werden? Wer
die verschiedenen Versuche von Wolf, Hermann, Lachmann, H. Grimm
und Wilamowitz betrachtet, wird zweifeln. Aber nach vielen Einzel¬
arbeiten und -erfolgen scheint eine Aufgabe vor allem zeitgemäß
und fruchtbar: ins geistige Zentrum des Gedichtes zu dringen und
von da die Ur-Ilias zu rekonstruieren. Dieser Aufgabe hat sich Stephan Gruß unter¬
sogen ("Ilias". Rekonstruiert und übersetzt. Straßburg, Ed. Heitz. 1910), und das
Resultat ist erstaunlich: Das Lied vom Zorn des Achill liegt in sechs fast gleich-
langen Gesängen (wobei allerdings mehrere Lücken in Gedanken zu ergänzen sind)


Homer und Äschylus in moderner Bearbeitung

und hoffe in kurzem die Bewilligung zu bekommen. Daher frage ich an,
ob ich wieder bei Ihnen Verpflegung und Logis bekommen kann, denn auch
bei Ihnen hat es mir gut gefallen. Für den Tag möchte ich dann wieder
2 Mark 50 Pfg. bezahlen, und wenn die Versicherung wie früher 3,50
bezahlt, so können wir den Überschuß ja teilen; denn etwas Taschengeld
möchte ich doch auch gern haben."

Leider ist Frau S. nicht diskret gewesen, und aus der Kur wurde nichts.

Verfasser dieser Zeilen ist Optimist. Er glaubt noch an die Zukunft seines
Volkes, an eine günstige Entwicklung des jungen Reiches und will sich nicht
zur Furcht vor Degeneration verstehen. Er glaubt noch, daß der Schatz an
Treu und Glauben, an Pflichtgefühl und Ehrlichkeit, den jede nutzbringende
Arbeit, jeder gesunde Verkehr in Familie. Gemeinde und Staat zur not¬
wendigen Voraussetzung hat, dem Volke noch im wesentlichen erhalten ist.
Auf der andern Seite hält er es aber für notwendig, diesen Schatz gegen alle
Angriffe, sie mögen kommen woher sie wollen, mit aller Macht zu verteidigen.
Angegriffen wird er aber nicht allein durch sozialdemokratische Versetzungen und
jesuitische Wenn und Aber, nicht allein durch so manche bedenkliche neuere Vor¬
gänge in allen Gesellschaftsschichten, sondern auch durch die jetzige Überspannung
der sozialen Fürsorge, die sich nicht mehr auf die Beseitigung von Notlagen
und den Schutz der schwächeren, unselbständigen Elemente beschränkt, sondern
weit darüber hinaus bis in genügend gesicherte Schichten greifen will. Die
jetzt schon vorhandenen üblen Folgen, von denen hier nur ein Teil erörtert
ist. werden dadurch ins Ungemessene gesteigert werden, der soziale Gedanke, an
sich gesund und menschenfreundlich, wird in sein Gegenteil verkehrt, und das
Reich gerät auf diesem Wege mehr und mehr in die Bahnen der Sozial¬
demokratie. Es scheint, daß die soziale Gesetzgebung an einem Scheidewege steht.




Homer und Äschylus in moderner Bearbeitung
öl-. Kurt Hildebrandt- von

ird die Frage nach einer Ur-Ilias jemals gelöst werden? Wer
die verschiedenen Versuche von Wolf, Hermann, Lachmann, H. Grimm
und Wilamowitz betrachtet, wird zweifeln. Aber nach vielen Einzel¬
arbeiten und -erfolgen scheint eine Aufgabe vor allem zeitgemäß
und fruchtbar: ins geistige Zentrum des Gedichtes zu dringen und
von da die Ur-Ilias zu rekonstruieren. Dieser Aufgabe hat sich Stephan Gruß unter¬
sogen („Ilias". Rekonstruiert und übersetzt. Straßburg, Ed. Heitz. 1910), und das
Resultat ist erstaunlich: Das Lied vom Zorn des Achill liegt in sechs fast gleich-
langen Gesängen (wobei allerdings mehrere Lücken in Gedanken zu ergänzen sind)


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[0627] Homer und Äschylus in moderner Bearbeitung und hoffe in kurzem die Bewilligung zu bekommen. Daher frage ich an, ob ich wieder bei Ihnen Verpflegung und Logis bekommen kann, denn auch bei Ihnen hat es mir gut gefallen. Für den Tag möchte ich dann wieder 2 Mark 50 Pfg. bezahlen, und wenn die Versicherung wie früher 3,50 bezahlt, so können wir den Überschuß ja teilen; denn etwas Taschengeld möchte ich doch auch gern haben." Leider ist Frau S. nicht diskret gewesen, und aus der Kur wurde nichts. Verfasser dieser Zeilen ist Optimist. Er glaubt noch an die Zukunft seines Volkes, an eine günstige Entwicklung des jungen Reiches und will sich nicht zur Furcht vor Degeneration verstehen. Er glaubt noch, daß der Schatz an Treu und Glauben, an Pflichtgefühl und Ehrlichkeit, den jede nutzbringende Arbeit, jeder gesunde Verkehr in Familie. Gemeinde und Staat zur not¬ wendigen Voraussetzung hat, dem Volke noch im wesentlichen erhalten ist. Auf der andern Seite hält er es aber für notwendig, diesen Schatz gegen alle Angriffe, sie mögen kommen woher sie wollen, mit aller Macht zu verteidigen. Angegriffen wird er aber nicht allein durch sozialdemokratische Versetzungen und jesuitische Wenn und Aber, nicht allein durch so manche bedenkliche neuere Vor¬ gänge in allen Gesellschaftsschichten, sondern auch durch die jetzige Überspannung der sozialen Fürsorge, die sich nicht mehr auf die Beseitigung von Notlagen und den Schutz der schwächeren, unselbständigen Elemente beschränkt, sondern weit darüber hinaus bis in genügend gesicherte Schichten greifen will. Die jetzt schon vorhandenen üblen Folgen, von denen hier nur ein Teil erörtert ist. werden dadurch ins Ungemessene gesteigert werden, der soziale Gedanke, an sich gesund und menschenfreundlich, wird in sein Gegenteil verkehrt, und das Reich gerät auf diesem Wege mehr und mehr in die Bahnen der Sozial¬ demokratie. Es scheint, daß die soziale Gesetzgebung an einem Scheidewege steht. Homer und Äschylus in moderner Bearbeitung öl-. Kurt Hildebrandt- von ird die Frage nach einer Ur-Ilias jemals gelöst werden? Wer die verschiedenen Versuche von Wolf, Hermann, Lachmann, H. Grimm und Wilamowitz betrachtet, wird zweifeln. Aber nach vielen Einzel¬ arbeiten und -erfolgen scheint eine Aufgabe vor allem zeitgemäß und fruchtbar: ins geistige Zentrum des Gedichtes zu dringen und von da die Ur-Ilias zu rekonstruieren. Dieser Aufgabe hat sich Stephan Gruß unter¬ sogen („Ilias". Rekonstruiert und übersetzt. Straßburg, Ed. Heitz. 1910), und das Resultat ist erstaunlich: Das Lied vom Zorn des Achill liegt in sechs fast gleich- langen Gesängen (wobei allerdings mehrere Lücken in Gedanken zu ergänzen sind)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/627>, abgerufen am 29.04.2024.