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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Aecker
LrzAhlung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-Reyher Von
Erstes Kapitel: Auf der Landstraße.

^er kennt nicht den Schnepfenanstcmd! Wer hat von diesen: herr¬
lichsten, poesievollsten Vergnügen des Jägers nicht wenigstens gehört
oder gelesen, von diesem Vollgenutz der milden Frühlingsluft und
des frischen Waldesduftes, diesem Schwelgen in dem Erwachen der
jihre Winterfesseln abwerfenden Natur! Viele Schriftsteller malen
den Schnepfenstrich und Schnepfenanstand. (Und wie malen sie ihn!) Da gibt
es gemütliches Fahren zu Schollen Lichtungen, auf welchen in angenehmer Gesell¬
schaft der Tee serviert wird. Da haucht die untergegangene Sonne in zartem
Schimmer an die Wipfel der Bäume die letzten goldigen Farbentöne, und wenn
diese schwinden, lassen sich sanft gurgelnde Laute über dem Waldrande vernehmen --
eine Schnepfe zieht majestätisch über die Lichtung und den Teetisch hin. Ein
Griff nach dem Gewehr, ein Knall, ein unwillkürliches leises "Nest" der Damen,
und sich gewandt verneigend, überreicht der Meisterschütze die langgeschnäbelte
Beute der Schönen seines Herzens.

Die in milder Luft und zarter Gesellschaft geschossenen Schnepfen mögen ja
wohl ihre Berechtigung haben; gar zu viele von der Sorte wird es jedoch kaum
geben, denn es kommt schlechtes Wetter und der Schnepfenanstand wird zu einer
Arbeit, die nicht jedem behagt. Nur wer sich mit Leib und Seele dem Jägerwerk
verschrieben hat, nimmt mit gutem Mut Unwetter und Mißgeschick hin. Nicht ohne
Grund heißt es in der Volksweisheit: Jagd ist ärger als Sklaverei.

So dachte auch die ärmlich, aber sauber gekleidete Frau, die in die Tür des
letzten Häuschens des Fleckens trat; sie schaute einem jungen Manne nach, der
mit der Flinte auf der Schulter in Begleitung eines ungewöhnlich starken lang¬
haarigen Hühnerhundes im Begriff war, sich zu entfernen. Der Hund sprang
freudig voraus, der Mann aber blickte nach wenigen Schritten zurück und drohte
mit dem Finger.

"Mutter," rief er, "schon wieder im leichten Kleide draußen?"

"Ich gehe hinein, Borenka," sagte die Frau und nickte beschwichtigend mit
dem Kopfe. "Wäre es aber nicht besser, du bliebest zu Hause? Die Luft ist so
sehr feucht, als ob es noch regnen wollte."




Im Aecker
LrzAhlung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-Reyher Von
Erstes Kapitel: Auf der Landstraße.

^er kennt nicht den Schnepfenanstcmd! Wer hat von diesen: herr¬
lichsten, poesievollsten Vergnügen des Jägers nicht wenigstens gehört
oder gelesen, von diesem Vollgenutz der milden Frühlingsluft und
des frischen Waldesduftes, diesem Schwelgen in dem Erwachen der
jihre Winterfesseln abwerfenden Natur! Viele Schriftsteller malen
den Schnepfenstrich und Schnepfenanstand. (Und wie malen sie ihn!) Da gibt
es gemütliches Fahren zu Schollen Lichtungen, auf welchen in angenehmer Gesell¬
schaft der Tee serviert wird. Da haucht die untergegangene Sonne in zartem
Schimmer an die Wipfel der Bäume die letzten goldigen Farbentöne, und wenn
diese schwinden, lassen sich sanft gurgelnde Laute über dem Waldrande vernehmen —
eine Schnepfe zieht majestätisch über die Lichtung und den Teetisch hin. Ein
Griff nach dem Gewehr, ein Knall, ein unwillkürliches leises „Nest" der Damen,
und sich gewandt verneigend, überreicht der Meisterschütze die langgeschnäbelte
Beute der Schönen seines Herzens.

Die in milder Luft und zarter Gesellschaft geschossenen Schnepfen mögen ja
wohl ihre Berechtigung haben; gar zu viele von der Sorte wird es jedoch kaum
geben, denn es kommt schlechtes Wetter und der Schnepfenanstand wird zu einer
Arbeit, die nicht jedem behagt. Nur wer sich mit Leib und Seele dem Jägerwerk
verschrieben hat, nimmt mit gutem Mut Unwetter und Mißgeschick hin. Nicht ohne
Grund heißt es in der Volksweisheit: Jagd ist ärger als Sklaverei.

So dachte auch die ärmlich, aber sauber gekleidete Frau, die in die Tür des
letzten Häuschens des Fleckens trat; sie schaute einem jungen Manne nach, der
mit der Flinte auf der Schulter in Begleitung eines ungewöhnlich starken lang¬
haarigen Hühnerhundes im Begriff war, sich zu entfernen. Der Hund sprang
freudig voraus, der Mann aber blickte nach wenigen Schritten zurück und drohte
mit dem Finger.

„Mutter," rief er, „schon wieder im leichten Kleide draußen?"

„Ich gehe hinein, Borenka," sagte die Frau und nickte beschwichtigend mit
dem Kopfe. „Wäre es aber nicht besser, du bliebest zu Hause? Die Luft ist so
sehr feucht, als ob es noch regnen wollte."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/83>, abgerufen am 29.04.2024.