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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Okolitsch hatte sich umgekleidet, hatte das Gewehr abgetrocknet, saß um mit
der Mutter bei der brodelnden Teemaschine im Zimmer und erzählte von seinem
Mißgeschick. Von seinen in der Küche aufgehängten Kleidern stieg Dampf auf und
Bol wälzte sich wohlgefällig zu den Füßen seines Herrn aus dem Rücken.

"Ich glaubte schon, daß der Abend schlecht werden und du nichts schießen
würdest," sagte die Mutter. "Und zuletzt noch das Wandern durch den Wald in
der Dunkelheit I Mir wird ganz unheimlich dabei, Vorenka."

"Tut nichts, Muttchen," versetzte er lustig. "Schön war es doch. Siehst
du, das ist Leben. Dabei fühlt sich der Mensch. Das ist etwas anderes als
das Sitzen in dumpfen Stuben beim Kartenspiel oder gar bei inhaltlosein
Gesellschaftsgeschwätz."

"Ja, ja, das ist richtig," meinte sie, "aber gefährlich sind diese Wanderungen doch."

(Fortsetzung folgt.)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspicgcl

Revolution in Portugal -- Ratschläge der "Kreuzzeitung" -- Antisemitismus
und Konservative -- Waffenstillstand in der Metallindustrie -- Aehrenthal in
Turin -- Jswolskis Fiasko.

Die recht laut geführten Erörterungen über die innerpolitischen Fragen sind
am Anfang unsrer Berichtswoche plötzlich verstummt vor der kurzen Meldung aus
Lissabon, daß die Portugiesen ihr Königshaus verjagt und die Republik aus¬
gerufen haben. Wohl ist man in den unterrichteten politischen Kreisen schon seit
Jahren auf den Eintritt des Ereignisses gefaßt; aber man hat die so oft angekündigte
und wieder abgesagte Revolution doch nicht in diesem Augenblick erwartet.
Überdies hat man bei uns in Deutschland der Möglichkeit des Gelingens einer
Revolution in romanischen Staaten überhaupt mit einer gewissen Skepsis gegen¬
übergestanden. Man hält die romanische Rasse sür degeneriert und unfähig, sich
aus dem tatsächlich eingetretnen wirtschaftlichen und staatlichen Verfall empor¬
zuheben. Diese Auffassung gilt in Deutschland wohl auch noch heute besonders
in konservativen Kreisen, die die verächtlichen Urteile über fremde Nationen
26 abZurcium geführt haben. Es sei an das erinnert, was in der rechtsstehenden
Presse über Russen und Türken berichtet wurde und wird. Mit welcher nationalen
Selbstüberhebung wurde bei uns über die beiden Völker geurteilt, wie wurde es
versucht, ihre Erhebungen lächerlich zu machen. Dennoch haben beide Völker es
verstanden, Wege zu betreten, die nach aller menschlichen Berechnung zur Wieder¬
geburt führen müssen. Über den Verlauf der Revolution in Portugal liegen ein-
wandfreie Berichte noch nicht vor. Die Veröffentlichungen der neuen Regierung
scheinen uns vor allen Dingen von der Absicht getragen, das Ausland zu beruhigen
und mit Vertrauen in die neuen Verhältnisse zu erfüllen. Infolgedessen treten
in ihnen auch die wahrscheinlich vorhandenen inneren Schwierigkeiten nicht genügend
hervor. Aber das läßt sich schon heute erkennen, daß ähnlich den Jungtürken die


Grenzboten IV 1910 >t
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Okolitsch hatte sich umgekleidet, hatte das Gewehr abgetrocknet, saß um mit
der Mutter bei der brodelnden Teemaschine im Zimmer und erzählte von seinem
Mißgeschick. Von seinen in der Küche aufgehängten Kleidern stieg Dampf auf und
Bol wälzte sich wohlgefällig zu den Füßen seines Herrn aus dem Rücken.

„Ich glaubte schon, daß der Abend schlecht werden und du nichts schießen
würdest," sagte die Mutter. „Und zuletzt noch das Wandern durch den Wald in
der Dunkelheit I Mir wird ganz unheimlich dabei, Vorenka."

„Tut nichts, Muttchen," versetzte er lustig. „Schön war es doch. Siehst
du, das ist Leben. Dabei fühlt sich der Mensch. Das ist etwas anderes als
das Sitzen in dumpfen Stuben beim Kartenspiel oder gar bei inhaltlosein
Gesellschaftsgeschwätz."

„Ja, ja, das ist richtig," meinte sie, „aber gefährlich sind diese Wanderungen doch."

(Fortsetzung folgt.)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspicgcl

Revolution in Portugal — Ratschläge der „Kreuzzeitung" — Antisemitismus
und Konservative — Waffenstillstand in der Metallindustrie — Aehrenthal in
Turin — Jswolskis Fiasko.

Die recht laut geführten Erörterungen über die innerpolitischen Fragen sind
am Anfang unsrer Berichtswoche plötzlich verstummt vor der kurzen Meldung aus
Lissabon, daß die Portugiesen ihr Königshaus verjagt und die Republik aus¬
gerufen haben. Wohl ist man in den unterrichteten politischen Kreisen schon seit
Jahren auf den Eintritt des Ereignisses gefaßt; aber man hat die so oft angekündigte
und wieder abgesagte Revolution doch nicht in diesem Augenblick erwartet.
Überdies hat man bei uns in Deutschland der Möglichkeit des Gelingens einer
Revolution in romanischen Staaten überhaupt mit einer gewissen Skepsis gegen¬
übergestanden. Man hält die romanische Rasse sür degeneriert und unfähig, sich
aus dem tatsächlich eingetretnen wirtschaftlichen und staatlichen Verfall empor¬
zuheben. Diese Auffassung gilt in Deutschland wohl auch noch heute besonders
in konservativen Kreisen, die die verächtlichen Urteile über fremde Nationen
26 abZurcium geführt haben. Es sei an das erinnert, was in der rechtsstehenden
Presse über Russen und Türken berichtet wurde und wird. Mit welcher nationalen
Selbstüberhebung wurde bei uns über die beiden Völker geurteilt, wie wurde es
versucht, ihre Erhebungen lächerlich zu machen. Dennoch haben beide Völker es
verstanden, Wege zu betreten, die nach aller menschlichen Berechnung zur Wieder¬
geburt führen müssen. Über den Verlauf der Revolution in Portugal liegen ein-
wandfreie Berichte noch nicht vor. Die Veröffentlichungen der neuen Regierung
scheinen uns vor allen Dingen von der Absicht getragen, das Ausland zu beruhigen
und mit Vertrauen in die neuen Verhältnisse zu erfüllen. Infolgedessen treten
in ihnen auch die wahrscheinlich vorhandenen inneren Schwierigkeiten nicht genügend
hervor. Aber das läßt sich schon heute erkennen, daß ähnlich den Jungtürken die


Grenzboten IV 1910 >t
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/93>, abgerufen am 29.04.2024.