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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Ge'org Simmel

Georg Bimmel
O Friedrich Alafbevg on

^M.
Meorg Simmel kam? sich wie keiner der heute lebenden Philosophen
rühmen, daß er den stärksten Einfluß auf die Zeitgenossen übt.
Es gibt fast keinen unter den jüngeren, in unseren Tagen geistig
Interessierten oder Tätigen, der nicht irgend einmal dnrch Simmel
^ hindurchgegangen wäre. Es ist nicht allein die akademische Jugend,
die so gewaltig auf Simmel reagiert. Nein, die verschiedensten Elenrente,
Männer und Frauen aus allen Schichten geistiger Bildung, geistiger Interessen
und vor allein von der verschiedensten nationalen Herkunft, lassen einmal ein
Wort fallen, das auf ihr Verhältnis zu dem Philosophen deutet. Und daß es
ganz besonders die heranwachsenden jungen Literaten sind, die sich an Simmel
vollgesogen, ist nur symptomatisch. Ich nenne den noch nicht lange verstorbenen
Walter Cato statt vieler.

Woher nun diese merkwürdige Erscheinung? Worauf gründet sich der ganz
ungewöhnliche Einfluß dieses Mannes? (Ich sehe natürlich hierbei ganz ab von
seiner Wirksamkeit auf die viel zu vielen Männlein und Weiblein östlicher Her¬
kunft, die, kaum der deutschen Sprache mächtig, aus allen anderen, nur keinen
wissenschaftlichen Gründen in die Kollegs Simmels strömen. Ich sehe auch ab von
den vielen törichten Jünglingen und Jungfrauen deutscher Nation, die aus
Sensationslust zu dem "Modephilosophen" laufen.) Mir scheint, es ist zunächst
der so stark auf die Gegenwart gerichtete Blick Simmels, der seine Wirkung
ausmacht, seine Vorliebe für die sozialen und ethischen Fragen unserer Zeit,
denen die Fachgenossen nur allzu gern aus dem Wege gehen, seine differenzierte,
feinnervige Art, mit der er diese komplizierten Probleme aufschürft. Dazu kommt
die ans Unwissenschaftliche grenzende Selbständigkeit seines Urteils. Ohne Rück¬
sicht auf andere Meinung legt er seine Auffassung dar, er weiß den Dingen
stets eine Seite abzugewinnen, die abseits liegt von der Heeresstraße der geltenden
Anschauungen.

Dann ist es aber noch die merkwürdige Verknüpfung ästhetischer und
philosophischer Begabung, die ihm eignet und ihn aus der Masse hervorhebt.
Simmel ist weder reiner Künstler noch reiner Philosoph, aber er ist eine Mischung
dichterischer und denkerischer Fähigkeiten von seltenster Prägung. Er ist von
leidenschaftlicher Reizbarkeit für die Dinge der Kunst, nach dem künstlerischen
Erlebnis aber von überlegenster Kälte, durchdringendster Schärfe des Intellektes --
und dadurch besiegt er die Jugend! Um so merkwürdiger freilich ist diese
Wirksamkeit, wenn man an Simmels Schreibweise und Vortrag denkt. Mit
den Gesten des Rabbiners, schwer arbeitend und unendlich mühsam wälzt er
lcmgscnn die Gedanken heraus. Und doch liegt ein mystischer Zauber in der


Ge'org Simmel

Georg Bimmel
O Friedrich Alafbevg on

^M.
Meorg Simmel kam? sich wie keiner der heute lebenden Philosophen
rühmen, daß er den stärksten Einfluß auf die Zeitgenossen übt.
Es gibt fast keinen unter den jüngeren, in unseren Tagen geistig
Interessierten oder Tätigen, der nicht irgend einmal dnrch Simmel
^ hindurchgegangen wäre. Es ist nicht allein die akademische Jugend,
die so gewaltig auf Simmel reagiert. Nein, die verschiedensten Elenrente,
Männer und Frauen aus allen Schichten geistiger Bildung, geistiger Interessen
und vor allein von der verschiedensten nationalen Herkunft, lassen einmal ein
Wort fallen, das auf ihr Verhältnis zu dem Philosophen deutet. Und daß es
ganz besonders die heranwachsenden jungen Literaten sind, die sich an Simmel
vollgesogen, ist nur symptomatisch. Ich nenne den noch nicht lange verstorbenen
Walter Cato statt vieler.

Woher nun diese merkwürdige Erscheinung? Worauf gründet sich der ganz
ungewöhnliche Einfluß dieses Mannes? (Ich sehe natürlich hierbei ganz ab von
seiner Wirksamkeit auf die viel zu vielen Männlein und Weiblein östlicher Her¬
kunft, die, kaum der deutschen Sprache mächtig, aus allen anderen, nur keinen
wissenschaftlichen Gründen in die Kollegs Simmels strömen. Ich sehe auch ab von
den vielen törichten Jünglingen und Jungfrauen deutscher Nation, die aus
Sensationslust zu dem „Modephilosophen" laufen.) Mir scheint, es ist zunächst
der so stark auf die Gegenwart gerichtete Blick Simmels, der seine Wirkung
ausmacht, seine Vorliebe für die sozialen und ethischen Fragen unserer Zeit,
denen die Fachgenossen nur allzu gern aus dem Wege gehen, seine differenzierte,
feinnervige Art, mit der er diese komplizierten Probleme aufschürft. Dazu kommt
die ans Unwissenschaftliche grenzende Selbständigkeit seines Urteils. Ohne Rück¬
sicht auf andere Meinung legt er seine Auffassung dar, er weiß den Dingen
stets eine Seite abzugewinnen, die abseits liegt von der Heeresstraße der geltenden
Anschauungen.

Dann ist es aber noch die merkwürdige Verknüpfung ästhetischer und
philosophischer Begabung, die ihm eignet und ihn aus der Masse hervorhebt.
Simmel ist weder reiner Künstler noch reiner Philosoph, aber er ist eine Mischung
dichterischer und denkerischer Fähigkeiten von seltenster Prägung. Er ist von
leidenschaftlicher Reizbarkeit für die Dinge der Kunst, nach dem künstlerischen
Erlebnis aber von überlegenster Kälte, durchdringendster Schärfe des Intellektes —
und dadurch besiegt er die Jugend! Um so merkwürdiger freilich ist diese
Wirksamkeit, wenn man an Simmels Schreibweise und Vortrag denkt. Mit
den Gesten des Rabbiners, schwer arbeitend und unendlich mühsam wälzt er
lcmgscnn die Gedanken heraus. Und doch liegt ein mystischer Zauber in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/201>, abgerufen am 03.05.2024.