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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-Amerikaner

Enttäuschung. Der Enttäuschung, wie wenig Positives von den vielen Worten
übrig bleibt, wie wenig wirkliches Bauwerk unter den vielen Ornamenten sich
verbirgt. Und dann, wenn wir den herausgeschälten Gedanken kritisch zu Leibe
gehen und sie auf ihren fördernden Gehalt prüfen, überkommt uus noch größere
Enttäuschung: nur allzu schnell entpuppen sich diese so reich verbrämten Gedanken
als ganz subjektive, wankende Einfälle. Einfälle, die, fo geistreiche Lichter sie
auch auf ihren Gegenstand werfen, doch eine tiefer eindringende Erkenntnis der
Dinge nicht bewirken. Woher nun diese so merkwürdige Erscheinung, die jeden,
der mit Simmel sich beschäftigt, einmal mit grausamer Helligkeit überkommt?
Simmel interessiert an den Dingen nur das "Wie" und nicht das "Was".
Es ist für ihn im wesentlichen dasselbe, ob er über ein Problem bei Schelling,
über die Mode, über die Religion, über ein Kunstwerk philosophiert. Die
Dinge sind ihm nur Anlaß, sich an ihnen zu berauschen zu einem Erlebnis,
das ihm dann zum Ausgangspunkt blendender logischer Kunststücke wird. Es
fehlt ihm jener andere philosophische Drang, der mit Weltanschauung und
Religion verwandt ist, der mit dem Willen gepaart ist, Zusammenhang und
Einheit in das bunte Chaos der irdischen Welt und ihres Ablaufs zu bringen,
und der vor allem den Zwang in sich trägt, eine innerlich erlebte sittliche
Note den Dingen aufzuprägen.




Deutsch - Amerikaner
v Robert Bürgers- on

> as sagt dieses uns geläufig gewordene Wort "Deutsch"-Amerikaner?
Stellen die Deutsch-Amerikaner ein dem eigentlichen Amerikanertum
-gegenüber geschlossen auftretendes Gebilde, einen Stamm etwa
wie die in den Vereinigten Staaten lebenden Chinesen dar?
Nein, wenn wir Kinder eines Mannes, der vor vierzig Jahren
aus Deutschland zugewandert ist. treffen, so werden wir finden, daß sie in den
meisten Fällen schlecht, in vielen gar nicht und in sehr seltenen Fällen gut
deutsch sprechen. Da die Sprache als das höchste Gut der Eigenart eines
Stammes gilt, hat man daraus den Schluß gezogen, daß die nach
Amerika ausgewanderten Deutschen recht verdammenswerte Subjekte seien,
da sie ihre Eigenart sofort über Bord geworfen und sich mit dem fremden
Volkstum vermischt hätten. Die schärfste Kritik haben sie aus ihrem
früheren Vaterlande über sich ergehen lassen müssen, und ich muß sagen,
daß ich eine Reihe von Fällen drüben erlebt habe, in denen Deutsch-Amerikaner,


Deutsch-Amerikaner

Enttäuschung. Der Enttäuschung, wie wenig Positives von den vielen Worten
übrig bleibt, wie wenig wirkliches Bauwerk unter den vielen Ornamenten sich
verbirgt. Und dann, wenn wir den herausgeschälten Gedanken kritisch zu Leibe
gehen und sie auf ihren fördernden Gehalt prüfen, überkommt uus noch größere
Enttäuschung: nur allzu schnell entpuppen sich diese so reich verbrämten Gedanken
als ganz subjektive, wankende Einfälle. Einfälle, die, fo geistreiche Lichter sie
auch auf ihren Gegenstand werfen, doch eine tiefer eindringende Erkenntnis der
Dinge nicht bewirken. Woher nun diese so merkwürdige Erscheinung, die jeden,
der mit Simmel sich beschäftigt, einmal mit grausamer Helligkeit überkommt?
Simmel interessiert an den Dingen nur das „Wie" und nicht das „Was".
Es ist für ihn im wesentlichen dasselbe, ob er über ein Problem bei Schelling,
über die Mode, über die Religion, über ein Kunstwerk philosophiert. Die
Dinge sind ihm nur Anlaß, sich an ihnen zu berauschen zu einem Erlebnis,
das ihm dann zum Ausgangspunkt blendender logischer Kunststücke wird. Es
fehlt ihm jener andere philosophische Drang, der mit Weltanschauung und
Religion verwandt ist, der mit dem Willen gepaart ist, Zusammenhang und
Einheit in das bunte Chaos der irdischen Welt und ihres Ablaufs zu bringen,
und der vor allem den Zwang in sich trägt, eine innerlich erlebte sittliche
Note den Dingen aufzuprägen.




Deutsch - Amerikaner
v Robert Bürgers- on

> as sagt dieses uns geläufig gewordene Wort „Deutsch"-Amerikaner?
Stellen die Deutsch-Amerikaner ein dem eigentlichen Amerikanertum
-gegenüber geschlossen auftretendes Gebilde, einen Stamm etwa
wie die in den Vereinigten Staaten lebenden Chinesen dar?
Nein, wenn wir Kinder eines Mannes, der vor vierzig Jahren
aus Deutschland zugewandert ist. treffen, so werden wir finden, daß sie in den
meisten Fällen schlecht, in vielen gar nicht und in sehr seltenen Fällen gut
deutsch sprechen. Da die Sprache als das höchste Gut der Eigenart eines
Stammes gilt, hat man daraus den Schluß gezogen, daß die nach
Amerika ausgewanderten Deutschen recht verdammenswerte Subjekte seien,
da sie ihre Eigenart sofort über Bord geworfen und sich mit dem fremden
Volkstum vermischt hätten. Die schärfste Kritik haben sie aus ihrem
früheren Vaterlande über sich ergehen lassen müssen, und ich muß sagen,
daß ich eine Reihe von Fällen drüben erlebt habe, in denen Deutsch-Amerikaner,


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[0204] Deutsch-Amerikaner Enttäuschung. Der Enttäuschung, wie wenig Positives von den vielen Worten übrig bleibt, wie wenig wirkliches Bauwerk unter den vielen Ornamenten sich verbirgt. Und dann, wenn wir den herausgeschälten Gedanken kritisch zu Leibe gehen und sie auf ihren fördernden Gehalt prüfen, überkommt uus noch größere Enttäuschung: nur allzu schnell entpuppen sich diese so reich verbrämten Gedanken als ganz subjektive, wankende Einfälle. Einfälle, die, fo geistreiche Lichter sie auch auf ihren Gegenstand werfen, doch eine tiefer eindringende Erkenntnis der Dinge nicht bewirken. Woher nun diese so merkwürdige Erscheinung, die jeden, der mit Simmel sich beschäftigt, einmal mit grausamer Helligkeit überkommt? Simmel interessiert an den Dingen nur das „Wie" und nicht das „Was". Es ist für ihn im wesentlichen dasselbe, ob er über ein Problem bei Schelling, über die Mode, über die Religion, über ein Kunstwerk philosophiert. Die Dinge sind ihm nur Anlaß, sich an ihnen zu berauschen zu einem Erlebnis, das ihm dann zum Ausgangspunkt blendender logischer Kunststücke wird. Es fehlt ihm jener andere philosophische Drang, der mit Weltanschauung und Religion verwandt ist, der mit dem Willen gepaart ist, Zusammenhang und Einheit in das bunte Chaos der irdischen Welt und ihres Ablaufs zu bringen, und der vor allem den Zwang in sich trägt, eine innerlich erlebte sittliche Note den Dingen aufzuprägen. Deutsch - Amerikaner v Robert Bürgers- on > as sagt dieses uns geläufig gewordene Wort „Deutsch"-Amerikaner? Stellen die Deutsch-Amerikaner ein dem eigentlichen Amerikanertum -gegenüber geschlossen auftretendes Gebilde, einen Stamm etwa wie die in den Vereinigten Staaten lebenden Chinesen dar? Nein, wenn wir Kinder eines Mannes, der vor vierzig Jahren aus Deutschland zugewandert ist. treffen, so werden wir finden, daß sie in den meisten Fällen schlecht, in vielen gar nicht und in sehr seltenen Fällen gut deutsch sprechen. Da die Sprache als das höchste Gut der Eigenart eines Stammes gilt, hat man daraus den Schluß gezogen, daß die nach Amerika ausgewanderten Deutschen recht verdammenswerte Subjekte seien, da sie ihre Eigenart sofort über Bord geworfen und sich mit dem fremden Volkstum vermischt hätten. Die schärfste Kritik haben sie aus ihrem früheren Vaterlande über sich ergehen lassen müssen, und ich muß sagen, daß ich eine Reihe von Fällen drüben erlebt habe, in denen Deutsch-Amerikaner,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/204>, abgerufen am 04.05.2024.