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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Autorität der Türkei im Vstjordan-Lande

Die Autorität der Türkei im Ostjordan-Lande
und in Arabien
L, Fitge von

an darf die politischen Verhältnisse in den wasserarmen Weiten,
wo Steppen und gar Wüsten nur hin und wieder Oasen zu An-
siedlungen darbieten, nicht mit den europäischen vergleichen. Ehe
der Arm des Staates gebraucht werden kann, um Ordnung und
Recht zu vertreten, können persönliche und sachliche Verhältnisse
sich vollständig verändert haben. Wer der Türkei leichte Verkehrsmöglichkeiten
schafft, kräftigt sie und ihren ganzen inneren Zusammenhalt. Darum ist die
Bagdadbahn für sie eine Sache von so außerordentlicher Bedeutung. Soll sie
doch ermöglichen, daß das immer noch fruchtbare südliche Mesopotamien nicht
nur der Kultur wieder erschlossen, sondern auch dem osmanischen Staat näher
eingegliedert werde! Und diesem Zweck dient auch Meißner Paschas großes
Werk, die Hedschasbcihn, die die heiligen Stätten Arabiens mit Kleinasien und
Konstantinopel verbinden soll und die bereits seit 1907 bis El Ula, 315 Ku
nördlich von Medina, vollendet ist. Die Macht der türkischen Regierung über
Mekka und Medina beruht nur auf der Anwesenheit einer starken Truppen-
abteilung. Ohne diese würde die arabische Priesterherrschaft sie leicht umstürzen;
man weiß, daß sie auf Hilfe vou Ägypten hofft. Eine ungestörte Landverbindung
von Konstantinopel nach Mekka ist eine Lebensfrage für die Türkei.

Unglücklicherweise hat die sonstige Machtentfaltung mit dem Bahnbau nicht
Schritt gehalten. Die Araberstämme an den Oasen und Brunnen zwischen
Damaskus und Mekka haben bisher von den Pilgerkarawanen mancherlei Vorteil
gehabt. Seitdem die Eisenbahnzüge bestenfalls kurze Zeit dort halten, entgeht
ihnen solcher Gewinn. Wie vorauszusehen, lassen sie sich das nicht gutwillig
gefallen. Es ist so leicht, in der Wüste um zwei Stellen die Schienen auf¬
zureißen oder die Brücke über eine Schlucht zu zerstören. Solange das
Hindernis dauert, kann der mittleren Strecke keine Hilfe gebracht werden, und
unterdes sind die Reisenden der Willkür der Beduinen preisgegeben. Die Söhne
der Wüste verstehe,: es nur zu gut, nach ausgeführtem Raube hinter Berg¬
zügen fern am Horizont zu verschwinden, wohin ihnen keine türkische Straf-
expedition folgen kann, selbst wenn sie beritten ist, was aber meistens nur sehr
ungenügend der Fall ist. Die Erbauung der Hedschasbahn war eine Ruhmestat
der Türkei des zwanzigsten Jahrhunderts. Es gehört aber auch dazu, daß der
neue Verkehrsweg militärisch gehörig gesichert werde. Das macht wohl größere
Schwierigkeiten, als anfangs erwartet wurde.

Mit den Drusen des Haurangebirges hat die Hohe Pforte schwierigere
Arbeit, und dennoch liegt das Problem dort viel einfacher, weil die Örtlichkeit
des Widerstandes eine ganz bestimmte und beschränkte ist. Der Hauran oder


Die Autorität der Türkei im Vstjordan-Lande

Die Autorität der Türkei im Ostjordan-Lande
und in Arabien
L, Fitge von

an darf die politischen Verhältnisse in den wasserarmen Weiten,
wo Steppen und gar Wüsten nur hin und wieder Oasen zu An-
siedlungen darbieten, nicht mit den europäischen vergleichen. Ehe
der Arm des Staates gebraucht werden kann, um Ordnung und
Recht zu vertreten, können persönliche und sachliche Verhältnisse
sich vollständig verändert haben. Wer der Türkei leichte Verkehrsmöglichkeiten
schafft, kräftigt sie und ihren ganzen inneren Zusammenhalt. Darum ist die
Bagdadbahn für sie eine Sache von so außerordentlicher Bedeutung. Soll sie
doch ermöglichen, daß das immer noch fruchtbare südliche Mesopotamien nicht
nur der Kultur wieder erschlossen, sondern auch dem osmanischen Staat näher
eingegliedert werde! Und diesem Zweck dient auch Meißner Paschas großes
Werk, die Hedschasbcihn, die die heiligen Stätten Arabiens mit Kleinasien und
Konstantinopel verbinden soll und die bereits seit 1907 bis El Ula, 315 Ku
nördlich von Medina, vollendet ist. Die Macht der türkischen Regierung über
Mekka und Medina beruht nur auf der Anwesenheit einer starken Truppen-
abteilung. Ohne diese würde die arabische Priesterherrschaft sie leicht umstürzen;
man weiß, daß sie auf Hilfe vou Ägypten hofft. Eine ungestörte Landverbindung
von Konstantinopel nach Mekka ist eine Lebensfrage für die Türkei.

Unglücklicherweise hat die sonstige Machtentfaltung mit dem Bahnbau nicht
Schritt gehalten. Die Araberstämme an den Oasen und Brunnen zwischen
Damaskus und Mekka haben bisher von den Pilgerkarawanen mancherlei Vorteil
gehabt. Seitdem die Eisenbahnzüge bestenfalls kurze Zeit dort halten, entgeht
ihnen solcher Gewinn. Wie vorauszusehen, lassen sie sich das nicht gutwillig
gefallen. Es ist so leicht, in der Wüste um zwei Stellen die Schienen auf¬
zureißen oder die Brücke über eine Schlucht zu zerstören. Solange das
Hindernis dauert, kann der mittleren Strecke keine Hilfe gebracht werden, und
unterdes sind die Reisenden der Willkür der Beduinen preisgegeben. Die Söhne
der Wüste verstehe,: es nur zu gut, nach ausgeführtem Raube hinter Berg¬
zügen fern am Horizont zu verschwinden, wohin ihnen keine türkische Straf-
expedition folgen kann, selbst wenn sie beritten ist, was aber meistens nur sehr
ungenügend der Fall ist. Die Erbauung der Hedschasbahn war eine Ruhmestat
der Türkei des zwanzigsten Jahrhunderts. Es gehört aber auch dazu, daß der
neue Verkehrsweg militärisch gehörig gesichert werde. Das macht wohl größere
Schwierigkeiten, als anfangs erwartet wurde.

Mit den Drusen des Haurangebirges hat die Hohe Pforte schwierigere
Arbeit, und dennoch liegt das Problem dort viel einfacher, weil die Örtlichkeit
des Widerstandes eine ganz bestimmte und beschränkte ist. Der Hauran oder


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[0293] Die Autorität der Türkei im Vstjordan-Lande Die Autorität der Türkei im Ostjordan-Lande und in Arabien L, Fitge von an darf die politischen Verhältnisse in den wasserarmen Weiten, wo Steppen und gar Wüsten nur hin und wieder Oasen zu An- siedlungen darbieten, nicht mit den europäischen vergleichen. Ehe der Arm des Staates gebraucht werden kann, um Ordnung und Recht zu vertreten, können persönliche und sachliche Verhältnisse sich vollständig verändert haben. Wer der Türkei leichte Verkehrsmöglichkeiten schafft, kräftigt sie und ihren ganzen inneren Zusammenhalt. Darum ist die Bagdadbahn für sie eine Sache von so außerordentlicher Bedeutung. Soll sie doch ermöglichen, daß das immer noch fruchtbare südliche Mesopotamien nicht nur der Kultur wieder erschlossen, sondern auch dem osmanischen Staat näher eingegliedert werde! Und diesem Zweck dient auch Meißner Paschas großes Werk, die Hedschasbcihn, die die heiligen Stätten Arabiens mit Kleinasien und Konstantinopel verbinden soll und die bereits seit 1907 bis El Ula, 315 Ku nördlich von Medina, vollendet ist. Die Macht der türkischen Regierung über Mekka und Medina beruht nur auf der Anwesenheit einer starken Truppen- abteilung. Ohne diese würde die arabische Priesterherrschaft sie leicht umstürzen; man weiß, daß sie auf Hilfe vou Ägypten hofft. Eine ungestörte Landverbindung von Konstantinopel nach Mekka ist eine Lebensfrage für die Türkei. Unglücklicherweise hat die sonstige Machtentfaltung mit dem Bahnbau nicht Schritt gehalten. Die Araberstämme an den Oasen und Brunnen zwischen Damaskus und Mekka haben bisher von den Pilgerkarawanen mancherlei Vorteil gehabt. Seitdem die Eisenbahnzüge bestenfalls kurze Zeit dort halten, entgeht ihnen solcher Gewinn. Wie vorauszusehen, lassen sie sich das nicht gutwillig gefallen. Es ist so leicht, in der Wüste um zwei Stellen die Schienen auf¬ zureißen oder die Brücke über eine Schlucht zu zerstören. Solange das Hindernis dauert, kann der mittleren Strecke keine Hilfe gebracht werden, und unterdes sind die Reisenden der Willkür der Beduinen preisgegeben. Die Söhne der Wüste verstehe,: es nur zu gut, nach ausgeführtem Raube hinter Berg¬ zügen fern am Horizont zu verschwinden, wohin ihnen keine türkische Straf- expedition folgen kann, selbst wenn sie beritten ist, was aber meistens nur sehr ungenügend der Fall ist. Die Erbauung der Hedschasbahn war eine Ruhmestat der Türkei des zwanzigsten Jahrhunderts. Es gehört aber auch dazu, daß der neue Verkehrsweg militärisch gehörig gesichert werde. Das macht wohl größere Schwierigkeiten, als anfangs erwartet wurde. Mit den Drusen des Haurangebirges hat die Hohe Pforte schwierigere Arbeit, und dennoch liegt das Problem dort viel einfacher, weil die Örtlichkeit des Widerstandes eine ganz bestimmte und beschränkte ist. Der Hauran oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/293>, abgerufen am 03.05.2024.