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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Beziehungen von Minne und christlichem Spiri¬
tualismus, Im folgenden Kapitel vergleicht
er die christliche Mystik -- indem er die Unter¬
suchung von Emile Boutrour zugrunde legt --
in ihrer ganzen Erscheinungsweise mit der
Minne, In "Frnucnverehrung "ut Heiligen-
kult" schildert er den Fraucnkult, diese Ver¬
göttlichung, die dein Menschenkult der Re¬
naissance vorausgeht. An die Tiefen des einigen
Problems rührt das Kapitel "Minne und
Chnritas", fleischliche Lust und göttliche Liebe.
Die frühen Troubadoure setzen um Stelle der
christlichen Askese den "zoi e amor", die derbe
Sinnlichkeit des Maitanz- und Ritterliedes,
oder ovidische Lüsternheit, Dann gestaltet sich
aber gleiche Rechte neben der Charitns fordernd
immer edler eine weltliche "hohe Minne".
(Italien,) Weiter wird "Minne und Eros"
verglichen und der Platonismus in Parallele
mit dem Minnesang gesetzt. Was Wechszler
über den Platonischen Eros sagt, ist nicht ganz
treffend i er sieht im Symposion mehr die
einzelnen Meiningen als den Gesamtorga-
nismus des Werkes, Von großem, aber
spezielleren Interesse ist das Kapitel: "Minne
und Scholastik", -- Von dem Satz aus: "Der
Frauendienst war eine Religion geworden",
ist die Ähnlichkeit und zugleich der Gegensatz
von Frauenminne und Gottesminne zu be¬
greifen. Die hohe weltliche Minne steigt zu
immer kühnerer Selbstherrlichkeit, die in dem
Gedanken: "Lieber mit der Geliebten in Ver¬
dammnis als ohne sie in der ewigen Selig¬
keit" ihren Ausdruck findet. Es findet ein
Ausgleich zwischen Frnuemniune und Gvttes-
minne statt, und zwar in gewaltsamer Weise
in Südfrankreich: nach Beendung der Albi-
genscrtnege wird durch die Jnguisition be¬
sonders der Marienkult eingeführt. Mit Be¬
rufung uns Anton Schönbach weist Wechszler
nach, das; kaum -- wie meist angenommen --
der Minnesang von der Marienverehruug be¬
einflußt wurde, sondern umgekehrt, Nachdem
die Form des Minnesangs ausgebildet war,
wurde in die neue fertige Kuiistform an Stelle
der Frauenminne die Mai iemninne übertragen.
Auch in Deutschland weicht die Frauenminne
immer mehr der GotteSininne, Im Grunde
bedeutet das nur eine Berweltlichuug der Re¬
ligion; Wechszler läßt offen, ob das aus Naivität
oder Frivolität geschieht. Die klassische Ver¬

[Spaltenumbruch]

einigung der Frauen- und Gottesminne im
dichterischen Erlebnis liegt in Italien: Dante.

"Was jede neue Kultur und Kunst trägt
und belebt, waS ihren Vertretern Mut und
Kraft und Überzeugung gibt, ohne die much
das höchste Kunstwerk bloße Technik bliebe:
diese lebendige Seele ist immer und
überall eine neue Weltanschauung." Dieser
Satz der Einleitung ist für das Werk
bezeichnend. Damit soll nicht gesagt sein,
das; der Verfasser seiner eigenen "Welt¬
anschauung" in diesem historischen Werke Aus¬
druck gibt; im Gegenteil hat er diese Art
Subjektivität glücklicherweise unterdrückt. Es
soll mir gesagt sein, daß er mehr sucht als
die zufällige Einzelform, nämlich den großen,
den meisten Angen verborgenen lebendigen
Prozeß, die geistige Flutwelle, Aus diesen.
Verlangen heraus beginnt er mit Recht das
Werk mit der Gegenüberstellung der beiden
Weltanschauungen, im Zeitalter der Kreuz-
züge, der kirchlichen und der höfischen.

Es wäre zu wünschen gewesen, das;Wechszler
dem Beispiel des von ihm verehrten roman¬
tischen Forschers Diez gefolgt wäre und die
provenzalischen und italienischen Belegstellen
mit Übersetzung begleitet hätte. Wer seine
Aufgabe so allgemein und weit faßt, kann
auf einen weiteren Kreis rechnen als den
engen der Fachgelehrten und hat die über¬
triebene Reserve des Gelehrten nicht nötig.
Es gibt heute nicht wenige Laien, die eine
sachliche Darstellung solcher Frühlingsepoche
geistigen Lebens mehr lieben als für Ivclt-
anschanende Gebildete zubereitete Halbwissen¬
Kurt Mdebrandt- schaft.

Schöne Literatur

Ein kerniges, sturmerprobtes Geschlecht sind
die Fischer von Finkenwiirder, wie sie uns
Wilhelm Pocal in seinem Roman "Simon
KülperS Kinder" (Leipzig, Fr. Wilh. Gruuvw.
M. 4,--) schildert. Im heulenden Sturm, bei
tobender See und im glänzenden Sonnenschein
begleiten wir die Männer uns ihren flinken
Ewern und Kuttern beim Fischfang. Die
Zeiten sind gut, die See ist freigebig, und die
Dampfer machen noch keine Konkurrenz. Wohl
fordert die Nordsee jedes Jahr ihre Opfer,
aber zu Hause ist junger, starker Nachwuchs,
und die Lücken sind bald wieder ausgefüllt.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Beziehungen von Minne und christlichem Spiri¬
tualismus, Im folgenden Kapitel vergleicht
er die christliche Mystik — indem er die Unter¬
suchung von Emile Boutrour zugrunde legt —
in ihrer ganzen Erscheinungsweise mit der
Minne, In „Frnucnverehrung »ut Heiligen-
kult" schildert er den Fraucnkult, diese Ver¬
göttlichung, die dein Menschenkult der Re¬
naissance vorausgeht. An die Tiefen des einigen
Problems rührt das Kapitel „Minne und
Chnritas", fleischliche Lust und göttliche Liebe.
Die frühen Troubadoure setzen um Stelle der
christlichen Askese den „zoi e amor", die derbe
Sinnlichkeit des Maitanz- und Ritterliedes,
oder ovidische Lüsternheit, Dann gestaltet sich
aber gleiche Rechte neben der Charitns fordernd
immer edler eine weltliche „hohe Minne".
(Italien,) Weiter wird „Minne und Eros"
verglichen und der Platonismus in Parallele
mit dem Minnesang gesetzt. Was Wechszler
über den Platonischen Eros sagt, ist nicht ganz
treffend i er sieht im Symposion mehr die
einzelnen Meiningen als den Gesamtorga-
nismus des Werkes, Von großem, aber
spezielleren Interesse ist das Kapitel: „Minne
und Scholastik", — Von dem Satz aus: „Der
Frauendienst war eine Religion geworden",
ist die Ähnlichkeit und zugleich der Gegensatz
von Frauenminne und Gottesminne zu be¬
greifen. Die hohe weltliche Minne steigt zu
immer kühnerer Selbstherrlichkeit, die in dem
Gedanken: „Lieber mit der Geliebten in Ver¬
dammnis als ohne sie in der ewigen Selig¬
keit" ihren Ausdruck findet. Es findet ein
Ausgleich zwischen Frnuemniune und Gvttes-
minne statt, und zwar in gewaltsamer Weise
in Südfrankreich: nach Beendung der Albi-
genscrtnege wird durch die Jnguisition be¬
sonders der Marienkult eingeführt. Mit Be¬
rufung uns Anton Schönbach weist Wechszler
nach, das; kaum — wie meist angenommen —
der Minnesang von der Marienverehruug be¬
einflußt wurde, sondern umgekehrt, Nachdem
die Form des Minnesangs ausgebildet war,
wurde in die neue fertige Kuiistform an Stelle
der Frauenminne die Mai iemninne übertragen.
Auch in Deutschland weicht die Frauenminne
immer mehr der GotteSininne, Im Grunde
bedeutet das nur eine Berweltlichuug der Re¬
ligion; Wechszler läßt offen, ob das aus Naivität
oder Frivolität geschieht. Die klassische Ver¬

[Spaltenumbruch]

einigung der Frauen- und Gottesminne im
dichterischen Erlebnis liegt in Italien: Dante.

„Was jede neue Kultur und Kunst trägt
und belebt, waS ihren Vertretern Mut und
Kraft und Überzeugung gibt, ohne die much
das höchste Kunstwerk bloße Technik bliebe:
diese lebendige Seele ist immer und
überall eine neue Weltanschauung." Dieser
Satz der Einleitung ist für das Werk
bezeichnend. Damit soll nicht gesagt sein,
das; der Verfasser seiner eigenen „Welt¬
anschauung" in diesem historischen Werke Aus¬
druck gibt; im Gegenteil hat er diese Art
Subjektivität glücklicherweise unterdrückt. Es
soll mir gesagt sein, daß er mehr sucht als
die zufällige Einzelform, nämlich den großen,
den meisten Angen verborgenen lebendigen
Prozeß, die geistige Flutwelle, Aus diesen.
Verlangen heraus beginnt er mit Recht das
Werk mit der Gegenüberstellung der beiden
Weltanschauungen, im Zeitalter der Kreuz-
züge, der kirchlichen und der höfischen.

Es wäre zu wünschen gewesen, das;Wechszler
dem Beispiel des von ihm verehrten roman¬
tischen Forschers Diez gefolgt wäre und die
provenzalischen und italienischen Belegstellen
mit Übersetzung begleitet hätte. Wer seine
Aufgabe so allgemein und weit faßt, kann
auf einen weiteren Kreis rechnen als den
engen der Fachgelehrten und hat die über¬
triebene Reserve des Gelehrten nicht nötig.
Es gibt heute nicht wenige Laien, die eine
sachliche Darstellung solcher Frühlingsepoche
geistigen Lebens mehr lieben als für Ivclt-
anschanende Gebildete zubereitete Halbwissen¬
Kurt Mdebrandt- schaft.

Schöne Literatur

Ein kerniges, sturmerprobtes Geschlecht sind
die Fischer von Finkenwiirder, wie sie uns
Wilhelm Pocal in seinem Roman „Simon
KülperS Kinder" (Leipzig, Fr. Wilh. Gruuvw.
M. 4,—) schildert. Im heulenden Sturm, bei
tobender See und im glänzenden Sonnenschein
begleiten wir die Männer uns ihren flinken
Ewern und Kuttern beim Fischfang. Die
Zeiten sind gut, die See ist freigebig, und die
Dampfer machen noch keine Konkurrenz. Wohl
fordert die Nordsee jedes Jahr ihre Opfer,
aber zu Hause ist junger, starker Nachwuchs,
und die Lücken sind bald wieder ausgefüllt.

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[0313] Maßgebliches und Unmaßgebliches Beziehungen von Minne und christlichem Spiri¬ tualismus, Im folgenden Kapitel vergleicht er die christliche Mystik — indem er die Unter¬ suchung von Emile Boutrour zugrunde legt — in ihrer ganzen Erscheinungsweise mit der Minne, In „Frnucnverehrung »ut Heiligen- kult" schildert er den Fraucnkult, diese Ver¬ göttlichung, die dein Menschenkult der Re¬ naissance vorausgeht. An die Tiefen des einigen Problems rührt das Kapitel „Minne und Chnritas", fleischliche Lust und göttliche Liebe. Die frühen Troubadoure setzen um Stelle der christlichen Askese den „zoi e amor", die derbe Sinnlichkeit des Maitanz- und Ritterliedes, oder ovidische Lüsternheit, Dann gestaltet sich aber gleiche Rechte neben der Charitns fordernd immer edler eine weltliche „hohe Minne". (Italien,) Weiter wird „Minne und Eros" verglichen und der Platonismus in Parallele mit dem Minnesang gesetzt. Was Wechszler über den Platonischen Eros sagt, ist nicht ganz treffend i er sieht im Symposion mehr die einzelnen Meiningen als den Gesamtorga- nismus des Werkes, Von großem, aber spezielleren Interesse ist das Kapitel: „Minne und Scholastik", — Von dem Satz aus: „Der Frauendienst war eine Religion geworden", ist die Ähnlichkeit und zugleich der Gegensatz von Frauenminne und Gottesminne zu be¬ greifen. Die hohe weltliche Minne steigt zu immer kühnerer Selbstherrlichkeit, die in dem Gedanken: „Lieber mit der Geliebten in Ver¬ dammnis als ohne sie in der ewigen Selig¬ keit" ihren Ausdruck findet. Es findet ein Ausgleich zwischen Frnuemniune und Gvttes- minne statt, und zwar in gewaltsamer Weise in Südfrankreich: nach Beendung der Albi- genscrtnege wird durch die Jnguisition be¬ sonders der Marienkult eingeführt. Mit Be¬ rufung uns Anton Schönbach weist Wechszler nach, das; kaum — wie meist angenommen — der Minnesang von der Marienverehruug be¬ einflußt wurde, sondern umgekehrt, Nachdem die Form des Minnesangs ausgebildet war, wurde in die neue fertige Kuiistform an Stelle der Frauenminne die Mai iemninne übertragen. Auch in Deutschland weicht die Frauenminne immer mehr der GotteSininne, Im Grunde bedeutet das nur eine Berweltlichuug der Re¬ ligion; Wechszler läßt offen, ob das aus Naivität oder Frivolität geschieht. Die klassische Ver¬ einigung der Frauen- und Gottesminne im dichterischen Erlebnis liegt in Italien: Dante. „Was jede neue Kultur und Kunst trägt und belebt, waS ihren Vertretern Mut und Kraft und Überzeugung gibt, ohne die much das höchste Kunstwerk bloße Technik bliebe: diese lebendige Seele ist immer und überall eine neue Weltanschauung." Dieser Satz der Einleitung ist für das Werk bezeichnend. Damit soll nicht gesagt sein, das; der Verfasser seiner eigenen „Welt¬ anschauung" in diesem historischen Werke Aus¬ druck gibt; im Gegenteil hat er diese Art Subjektivität glücklicherweise unterdrückt. Es soll mir gesagt sein, daß er mehr sucht als die zufällige Einzelform, nämlich den großen, den meisten Angen verborgenen lebendigen Prozeß, die geistige Flutwelle, Aus diesen. Verlangen heraus beginnt er mit Recht das Werk mit der Gegenüberstellung der beiden Weltanschauungen, im Zeitalter der Kreuz- züge, der kirchlichen und der höfischen. Es wäre zu wünschen gewesen, das;Wechszler dem Beispiel des von ihm verehrten roman¬ tischen Forschers Diez gefolgt wäre und die provenzalischen und italienischen Belegstellen mit Übersetzung begleitet hätte. Wer seine Aufgabe so allgemein und weit faßt, kann auf einen weiteren Kreis rechnen als den engen der Fachgelehrten und hat die über¬ triebene Reserve des Gelehrten nicht nötig. Es gibt heute nicht wenige Laien, die eine sachliche Darstellung solcher Frühlingsepoche geistigen Lebens mehr lieben als für Ivclt- anschanende Gebildete zubereitete Halbwissen¬ Kurt Mdebrandt- schaft. Schöne Literatur Ein kerniges, sturmerprobtes Geschlecht sind die Fischer von Finkenwiirder, wie sie uns Wilhelm Pocal in seinem Roman „Simon KülperS Kinder" (Leipzig, Fr. Wilh. Gruuvw. M. 4,—) schildert. Im heulenden Sturm, bei tobender See und im glänzenden Sonnenschein begleiten wir die Männer uns ihren flinken Ewern und Kuttern beim Fischfang. Die Zeiten sind gut, die See ist freigebig, und die Dampfer machen noch keine Konkurrenz. Wohl fordert die Nordsee jedes Jahr ihre Opfer, aber zu Hause ist junger, starker Nachwuchs, und die Lücken sind bald wieder ausgefüllt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/313>, abgerufen am 04.05.2024.