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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu "Lichendoiff

Die Soldaten waren schon schwankend geworden. Ihre Herzen waren wie
Wachs. Der General hatte sie in seiner Gewalt. Er versprach ihnen Straffreiheit.

"O, Straffreiheit! Kameraden, welch ein TagI Welch ein GlückI Hoch der
General! Er führe uns! Wir folgen bis in den Tod! Laßt uns die Fahne küssen!"

Vater Marcellin, wirst auch du siegen? (Fortsetzung folgt.)




Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu Eichendorff
von Prof. Dr. Wilhelm Kosch

MZle Joseph Maria v. Radowitz gehört auch Theodor v. Schön zu den
Vorläufern Bismarcks, zu denjenigen, die Preußen erneuern und
das Deutsche Reich ini Keim begründen halfen. Weder dem katho¬
lischen General, noch dem protestantischen Staatsminister gelang das
labschließende Werk, und so mußten es sich beide gefallen lassen,
nicht nur im Schatten ihrer Zeit, sondern auch in dem der Nachwelt lange zu
stehen. Aber während der Günstling Friedrich Wilhelms des Vierten seit Paul
Hassels allerdings unvollendeter Darstellung allmählich von Freund und Feind
jenes Zeitalters in gerechter Weise gewürdigt wird, scheint in der Beurteilung
Schöns noch immer der Parteistandpunkt zur Geltung zu kommen, persönliche
Befangenheit über deu objektiven Sinn der Geschichte zu siegen. M. Baumanns
verdienstvolles Werk über Theodor v. Schön, seine Geschichtsschreibung und seine
Glaubwürdigkeit, erwägt zum erstenmal alle Licht- und Schattenseiten dieses eigen¬
artigen Mannes, ohne in Triumphgeschrei oder Ausbrüche des Hasses zu verfallen.
Diesem neuen Bild seien nun einige weitere Züge hinzugefügt, die sich aus den
bisher vielfach unbekannten Beziehungen Schöns zu seinem Freund, dem Dichter
Eichendorff, ergeben.

Sehr mangelhaft geordnet und willkürlich zusammengestellt sind nach Schöns
Tod selbstbiographische Aufzeichnungen und Briefe erschienen, die vor allem in Max
Lehmann ihren schärfsten Kritiker fanden. Schön hatte in seinen Papieren behauptet.
Stein sei nicht der Urheber der großen Reformen von 1807 und 1808, im Gegen¬
teil, das Edikt über die Bauernbefreiung, sowie die in dem sogenannten politischen
Testament Steins enthaltene Zusammenstellung der vollzogenen und noch zu voll¬
ziehenden Reformmaßregeln seien auf ihn (Schön) zurückzuführen, er habe dieses
in der Handschrift entworfen. Ferner habe nicht Scharnhorst die preußische Land-
wehr geschaffen, sondern Alexander Graf Dohna. Die blinden Bewunderer Steins
und Schcirnhorsts beschuldigten Schön maßloser, ja herostratischer Eitelkeit, bewußter
Geschichtsfälschung, bestenfalls entschuldigten sie ihn mit der Gedächtnisschwäche
des Alters. Lokalpatriotischer Furor in der Heimat des also Verdächtigten, in
Ostpreußen selbst, erhob leidenschaftlichen Einspruch, ohne zu klären oder gar zu
widerlegen. Erst jetzt haben sich die Staubwolken des Kampfes so weit gelichtet,
daß wir mit M. Baumann erkennen, Schön habe in allen wesentlichen Partien
seiner Aufzeichnungen die Wahrheit gesagt und das Richtige getroffen. Stein, der


Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu «Lichendoiff

Die Soldaten waren schon schwankend geworden. Ihre Herzen waren wie
Wachs. Der General hatte sie in seiner Gewalt. Er versprach ihnen Straffreiheit.

„O, Straffreiheit! Kameraden, welch ein TagI Welch ein GlückI Hoch der
General! Er führe uns! Wir folgen bis in den Tod! Laßt uns die Fahne küssen!"

Vater Marcellin, wirst auch du siegen? (Fortsetzung folgt.)




Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu Eichendorff
von Prof. Dr. Wilhelm Kosch

MZle Joseph Maria v. Radowitz gehört auch Theodor v. Schön zu den
Vorläufern Bismarcks, zu denjenigen, die Preußen erneuern und
das Deutsche Reich ini Keim begründen halfen. Weder dem katho¬
lischen General, noch dem protestantischen Staatsminister gelang das
labschließende Werk, und so mußten es sich beide gefallen lassen,
nicht nur im Schatten ihrer Zeit, sondern auch in dem der Nachwelt lange zu
stehen. Aber während der Günstling Friedrich Wilhelms des Vierten seit Paul
Hassels allerdings unvollendeter Darstellung allmählich von Freund und Feind
jenes Zeitalters in gerechter Weise gewürdigt wird, scheint in der Beurteilung
Schöns noch immer der Parteistandpunkt zur Geltung zu kommen, persönliche
Befangenheit über deu objektiven Sinn der Geschichte zu siegen. M. Baumanns
verdienstvolles Werk über Theodor v. Schön, seine Geschichtsschreibung und seine
Glaubwürdigkeit, erwägt zum erstenmal alle Licht- und Schattenseiten dieses eigen¬
artigen Mannes, ohne in Triumphgeschrei oder Ausbrüche des Hasses zu verfallen.
Diesem neuen Bild seien nun einige weitere Züge hinzugefügt, die sich aus den
bisher vielfach unbekannten Beziehungen Schöns zu seinem Freund, dem Dichter
Eichendorff, ergeben.

Sehr mangelhaft geordnet und willkürlich zusammengestellt sind nach Schöns
Tod selbstbiographische Aufzeichnungen und Briefe erschienen, die vor allem in Max
Lehmann ihren schärfsten Kritiker fanden. Schön hatte in seinen Papieren behauptet.
Stein sei nicht der Urheber der großen Reformen von 1807 und 1808, im Gegen¬
teil, das Edikt über die Bauernbefreiung, sowie die in dem sogenannten politischen
Testament Steins enthaltene Zusammenstellung der vollzogenen und noch zu voll¬
ziehenden Reformmaßregeln seien auf ihn (Schön) zurückzuführen, er habe dieses
in der Handschrift entworfen. Ferner habe nicht Scharnhorst die preußische Land-
wehr geschaffen, sondern Alexander Graf Dohna. Die blinden Bewunderer Steins
und Schcirnhorsts beschuldigten Schön maßloser, ja herostratischer Eitelkeit, bewußter
Geschichtsfälschung, bestenfalls entschuldigten sie ihn mit der Gedächtnisschwäche
des Alters. Lokalpatriotischer Furor in der Heimat des also Verdächtigten, in
Ostpreußen selbst, erhob leidenschaftlichen Einspruch, ohne zu klären oder gar zu
widerlegen. Erst jetzt haben sich die Staubwolken des Kampfes so weit gelichtet,
daß wir mit M. Baumann erkennen, Schön habe in allen wesentlichen Partien
seiner Aufzeichnungen die Wahrheit gesagt und das Richtige getroffen. Stein, der


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[0184] Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu «Lichendoiff Die Soldaten waren schon schwankend geworden. Ihre Herzen waren wie Wachs. Der General hatte sie in seiner Gewalt. Er versprach ihnen Straffreiheit. „O, Straffreiheit! Kameraden, welch ein TagI Welch ein GlückI Hoch der General! Er führe uns! Wir folgen bis in den Tod! Laßt uns die Fahne küssen!" Vater Marcellin, wirst auch du siegen? (Fortsetzung folgt.) Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu Eichendorff von Prof. Dr. Wilhelm Kosch MZle Joseph Maria v. Radowitz gehört auch Theodor v. Schön zu den Vorläufern Bismarcks, zu denjenigen, die Preußen erneuern und das Deutsche Reich ini Keim begründen halfen. Weder dem katho¬ lischen General, noch dem protestantischen Staatsminister gelang das labschließende Werk, und so mußten es sich beide gefallen lassen, nicht nur im Schatten ihrer Zeit, sondern auch in dem der Nachwelt lange zu stehen. Aber während der Günstling Friedrich Wilhelms des Vierten seit Paul Hassels allerdings unvollendeter Darstellung allmählich von Freund und Feind jenes Zeitalters in gerechter Weise gewürdigt wird, scheint in der Beurteilung Schöns noch immer der Parteistandpunkt zur Geltung zu kommen, persönliche Befangenheit über deu objektiven Sinn der Geschichte zu siegen. M. Baumanns verdienstvolles Werk über Theodor v. Schön, seine Geschichtsschreibung und seine Glaubwürdigkeit, erwägt zum erstenmal alle Licht- und Schattenseiten dieses eigen¬ artigen Mannes, ohne in Triumphgeschrei oder Ausbrüche des Hasses zu verfallen. Diesem neuen Bild seien nun einige weitere Züge hinzugefügt, die sich aus den bisher vielfach unbekannten Beziehungen Schöns zu seinem Freund, dem Dichter Eichendorff, ergeben. Sehr mangelhaft geordnet und willkürlich zusammengestellt sind nach Schöns Tod selbstbiographische Aufzeichnungen und Briefe erschienen, die vor allem in Max Lehmann ihren schärfsten Kritiker fanden. Schön hatte in seinen Papieren behauptet. Stein sei nicht der Urheber der großen Reformen von 1807 und 1808, im Gegen¬ teil, das Edikt über die Bauernbefreiung, sowie die in dem sogenannten politischen Testament Steins enthaltene Zusammenstellung der vollzogenen und noch zu voll¬ ziehenden Reformmaßregeln seien auf ihn (Schön) zurückzuführen, er habe dieses in der Handschrift entworfen. Ferner habe nicht Scharnhorst die preußische Land- wehr geschaffen, sondern Alexander Graf Dohna. Die blinden Bewunderer Steins und Schcirnhorsts beschuldigten Schön maßloser, ja herostratischer Eitelkeit, bewußter Geschichtsfälschung, bestenfalls entschuldigten sie ihn mit der Gedächtnisschwäche des Alters. Lokalpatriotischer Furor in der Heimat des also Verdächtigten, in Ostpreußen selbst, erhob leidenschaftlichen Einspruch, ohne zu klären oder gar zu widerlegen. Erst jetzt haben sich die Staubwolken des Kampfes so weit gelichtet, daß wir mit M. Baumann erkennen, Schön habe in allen wesentlichen Partien seiner Aufzeichnungen die Wahrheit gesagt und das Richtige getroffen. Stein, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/184>, abgerufen am 19.05.2024.