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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

und das Maul unter ist, damit sie im Fassen
sich nicht tief bücken, sondern bequem und
geschwinde ihre Nahrung nehmen mögen," --
Dein menschlichen Körper ging es nicht viel
anders; von jedem Organ Pries man die
"vorzügliche Vollkommenheit" seines Baues
und zog neue Beweise für die Weisheit Gottes
aus ihnen; so besingt Herr Anton Michelitz,
der Arzneygelnhrtheit Professor zu Prag, im
Jahre 1783 den Unterleib: "Der Rumpf liegt
in der Mitte; die gelindesten Bewegungen
gehen daher in ihm vor; er dient zum schick¬
lichsten Behältnis der Eingeweide und zum ge¬
meinschaftlichen Vereinigungspunkt aller Teile;
da er in der Mitte aller übrigen liegt, so ist
auch der Weg für das Blut, welches ans dein
in ihm liegenden Herzen hervorströmt, auf
keinem Teile zu viel geworden." Hierher gehört
auch jene Bemerkung, die ein Herausgeber von
Leibniz' Schriften im Vorwort machen zu müssen
glaubt: Leibniz habe keineswegs als ein
müßiger Zuschauer die Naturerscheinungen be¬
trachtet, sondern nach dem löblichen Beispiele
anderer gelehrter Männer in diesem Studium
Gottund seine hoheVollkommenheitbewundert,

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auftrat und daß bei einer enthirnten Taube
bestimmte psychische Funktionen ausfielen und
andere bestehen blieben.

Von so kleinen und begrenzten und, wenn
man will, unbedeutenden Dingen gingen die
modernen Naturwissenschaften aus, um dann
hundert Jahre lang hart wie im Krieg zu
arbeiten und eine Unsumme von Erfahrungen
undWissensta tsachen zu schaffen, vor der wirheute
staunen, um dann in unseren Tagen sich zurück¬
zuwenden auf die allgemeinen und letztenFragen,
oder vielmehr.um sie neu zu fassen und zu erfüllen.

Macaulah sagte, es würde schwer gewesen
sein, Seneca davon zu überzeugen, daß die
Erfindung einer Sicherheitslampe keine eines
Philosophen unwürdige Beschäftigung sei.
Ebenso würde Thomas von Aquino schwer¬
lich dazu zu bewegen gewesen sein, das Er¬
sinner von Syllogismen aufzugeben, um sich
mit der Erfindung des Schießpulvers zu be¬
fassen. Denn: "Seneca würde nicht einen
Augenblick gezweifelt haben, daß die Sicher¬
heitslampe nur durch eine Reihe von Ver¬
suchen erfunden werden könnte."

Nun liegt der Zufall vor, daß an der
Berliner Universität ein ordentlicher Professor
der Naturwissenschaften lehrt, der neben seinen
anderen hochbedeutsamen fachwissenschaftlichen
Arbeiten eine berühmte Lampe konstruiert hat.
Der liest seit einigen Jahren ein Kolleg über
"Neuere Atomistik". Seneca und Thomas
würden es Wohl hören müssen, wenn sie jetzt hier
studierten. Es handelt sich nicht allein um die
Erklärung aller chemisch-Physikalischen Prozesse
durch ein großes und einigendes Prinzip, es
handelt sich vielmehr um die Zurückführung
aller kosmischen Vorgänge überhaupt auf ein
Letztes und schließliches, um eine Zusammen¬
fassung und um einen Abschluß mit allerhand
Fernblicken -- also ein kosmologisches, ein
philosophisches Kolleg. Und es ist jedenfalls
erwähnenswert als Ausdruck des veränderten
wissenschaftlichen Forschungsprinzips und als
Gegensatz zu der Denkweise nahe an uns
grenzender Jahrhunderte.

Dr. mecZ. Gottfried Bern
Philosophie

Eine neue Zeitschrift mit neuen Zielen ist
ins Leben getreten. Ihr erster aus drei
Heften bestehender Band liegt abgeschlossen

[Ende Spaltensatz]

Bon dieser Bewunderung nun allerdings
sah die neue Ära von Naturforschern, die im
neunzehnten Jahrhundert auftrat, völlig ab.
Die machten tsbuls rasa und fegten den
Tempel rein, Zweck- und Zielvorstellungen
beherrschten sie durchaus nicht mehr. Sie
verfeinerten dafür das erperimentelle Instru¬
mentarium und drangen auf Exaktheit der Arbeit.
Sie anerkannten nur die Beobachtung und erst
nach Sammlung von sehr vielen und unter den
verschiedensten Bedingungen gewonnenen Er¬
fahrungen zogen sie vorsichtig einen Schluß. Sie
prüften nicht mehr die Organe als Träger von
Substanzen, sondern sie experimentierten an Ge¬
weben hinsichtlich ihrer Funktion. Jedes Erhitzen
in religiöser oder ethischer Beziehung siel fort.
Wenn Flechsig und Fritsch mit der Elektrode
die Großhirnrinde abtasteten und Bewegungen
auslösten, die als der Ausdruck seelischer
Regungen galten, so war das für sie absolut
nicht gefühlsbetonter, als wenn Pawlow seinem
Hund eine Magenfistel anlegte, um das Drüfen¬
sekret zu untersuchen. Es interessierte am Ge¬
hirn gar nicht mehr der Sitz und das Ergehen
der Seele; es war viel wichtiger, daß beim
Stich in den vierten Ventrikel Zucker im Harn


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

und das Maul unter ist, damit sie im Fassen
sich nicht tief bücken, sondern bequem und
geschwinde ihre Nahrung nehmen mögen," —
Dein menschlichen Körper ging es nicht viel
anders; von jedem Organ Pries man die
„vorzügliche Vollkommenheit" seines Baues
und zog neue Beweise für die Weisheit Gottes
aus ihnen; so besingt Herr Anton Michelitz,
der Arzneygelnhrtheit Professor zu Prag, im
Jahre 1783 den Unterleib: „Der Rumpf liegt
in der Mitte; die gelindesten Bewegungen
gehen daher in ihm vor; er dient zum schick¬
lichsten Behältnis der Eingeweide und zum ge¬
meinschaftlichen Vereinigungspunkt aller Teile;
da er in der Mitte aller übrigen liegt, so ist
auch der Weg für das Blut, welches ans dein
in ihm liegenden Herzen hervorströmt, auf
keinem Teile zu viel geworden." Hierher gehört
auch jene Bemerkung, die ein Herausgeber von
Leibniz' Schriften im Vorwort machen zu müssen
glaubt: Leibniz habe keineswegs als ein
müßiger Zuschauer die Naturerscheinungen be¬
trachtet, sondern nach dem löblichen Beispiele
anderer gelehrter Männer in diesem Studium
Gottund seine hoheVollkommenheitbewundert,

[Spaltenumbruch]

auftrat und daß bei einer enthirnten Taube
bestimmte psychische Funktionen ausfielen und
andere bestehen blieben.

Von so kleinen und begrenzten und, wenn
man will, unbedeutenden Dingen gingen die
modernen Naturwissenschaften aus, um dann
hundert Jahre lang hart wie im Krieg zu
arbeiten und eine Unsumme von Erfahrungen
undWissensta tsachen zu schaffen, vor der wirheute
staunen, um dann in unseren Tagen sich zurück¬
zuwenden auf die allgemeinen und letztenFragen,
oder vielmehr.um sie neu zu fassen und zu erfüllen.

Macaulah sagte, es würde schwer gewesen
sein, Seneca davon zu überzeugen, daß die
Erfindung einer Sicherheitslampe keine eines
Philosophen unwürdige Beschäftigung sei.
Ebenso würde Thomas von Aquino schwer¬
lich dazu zu bewegen gewesen sein, das Er¬
sinner von Syllogismen aufzugeben, um sich
mit der Erfindung des Schießpulvers zu be¬
fassen. Denn: „Seneca würde nicht einen
Augenblick gezweifelt haben, daß die Sicher¬
heitslampe nur durch eine Reihe von Ver¬
suchen erfunden werden könnte."

Nun liegt der Zufall vor, daß an der
Berliner Universität ein ordentlicher Professor
der Naturwissenschaften lehrt, der neben seinen
anderen hochbedeutsamen fachwissenschaftlichen
Arbeiten eine berühmte Lampe konstruiert hat.
Der liest seit einigen Jahren ein Kolleg über
„Neuere Atomistik". Seneca und Thomas
würden es Wohl hören müssen, wenn sie jetzt hier
studierten. Es handelt sich nicht allein um die
Erklärung aller chemisch-Physikalischen Prozesse
durch ein großes und einigendes Prinzip, es
handelt sich vielmehr um die Zurückführung
aller kosmischen Vorgänge überhaupt auf ein
Letztes und schließliches, um eine Zusammen¬
fassung und um einen Abschluß mit allerhand
Fernblicken — also ein kosmologisches, ein
philosophisches Kolleg. Und es ist jedenfalls
erwähnenswert als Ausdruck des veränderten
wissenschaftlichen Forschungsprinzips und als
Gegensatz zu der Denkweise nahe an uns
grenzender Jahrhunderte.

Dr. mecZ. Gottfried Bern
Philosophie

Eine neue Zeitschrift mit neuen Zielen ist
ins Leben getreten. Ihr erster aus drei
Heften bestehender Band liegt abgeschlossen

[Ende Spaltensatz]

Bon dieser Bewunderung nun allerdings
sah die neue Ära von Naturforschern, die im
neunzehnten Jahrhundert auftrat, völlig ab.
Die machten tsbuls rasa und fegten den
Tempel rein, Zweck- und Zielvorstellungen
beherrschten sie durchaus nicht mehr. Sie
verfeinerten dafür das erperimentelle Instru¬
mentarium und drangen auf Exaktheit der Arbeit.
Sie anerkannten nur die Beobachtung und erst
nach Sammlung von sehr vielen und unter den
verschiedensten Bedingungen gewonnenen Er¬
fahrungen zogen sie vorsichtig einen Schluß. Sie
prüften nicht mehr die Organe als Träger von
Substanzen, sondern sie experimentierten an Ge¬
weben hinsichtlich ihrer Funktion. Jedes Erhitzen
in religiöser oder ethischer Beziehung siel fort.
Wenn Flechsig und Fritsch mit der Elektrode
die Großhirnrinde abtasteten und Bewegungen
auslösten, die als der Ausdruck seelischer
Regungen galten, so war das für sie absolut
nicht gefühlsbetonter, als wenn Pawlow seinem
Hund eine Magenfistel anlegte, um das Drüfen¬
sekret zu untersuchen. Es interessierte am Ge¬
hirn gar nicht mehr der Sitz und das Ergehen
der Seele; es war viel wichtiger, daß beim
Stich in den vierten Ventrikel Zucker im Harn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/194>, abgerufen am 18.05.2024.