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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

zwischen Lehrer und Schüler den: rein sozialen,
nach Meßmers eigenem Aussprucho, über¬
geordnet ist. Der Lehrer steigt nicht auf das
soziale Niveau herab, wenn er straft, sondern die
Unterwerfung des Schuldigen unter die Macht
des Rechts nach Maßgabe seiner Schuld beugt
sich dem individualisierenden Wohlioollen des
Erziehers. Nicht durch die Strafe, sondern
durch die strafbare Handlung wird der Zög¬
ling entwürdigt und in der Hilfeleistung zur
Beseitigung bestehender Hemmungen, sowie
im Schutz vor künftigen Entgleisungen ist der
pädagogische Charakter der Strafe begründet.
Auch die Tätigkeit des Wertens kann beim
Kinde nur entwickelt werden, wenn es die
Urformen der Wertgefühle, nämlich einfache
Lust und Unlust im Zusammenhang mit ge¬
wissen Handlungen, in mannigfachen Stürke-
graden erlebt; deshalb muß sich geradem der von
bestimmten Absichten geleiteten Beherrschung
seines Gefühlslebens die Weisheit des Erziehers
Dr. M. Aelchne offenbaren.

Tagesfragen

Durch die neueren Erlasse des Papstes,
die Borromäus - Enzyklika und den Anti-
mvdernisteneid, ist das Interesse für den Ultra¬
montanismus im ganzen Dentschen Reiche
wesentlich gewachsen. Viele, die sich früher
nicht um diesen Gegenstand gekümmert haben,
die den Unterschied zwischen Ultramontanismus
und katholischer Religion nicht kannten, die,
weil sie in evangelischen Landen leben, die
Gefahren des Ultramontanismus übersahen,
fangen an, diese Gefahren zu verstehen.
Der handgreifliche Ausdruck dafür zeigt sich
in dem außerordentlichen Zulauf, den in
neuester Zeit Verbände und Vereine haben,
die sich gegen den Ultramontanismus richten,
z. B. der Evangelische Bund, der Antiultra-
montane Reichsverband, die Deutsche Ver¬
einigung. Neuerdings hat sich auch in der
Provinz Posen ein Wahlverband deutscher
Katholiken gegen das Zentrum und dessen
Zusammengehen mit den Polen gebildet, der
ebenfalls gegen den Ultramontanismus gerichtet
ist. Denn das Zentrum ist diejenige Partei,
die in Deutschland den Ultramontanismus ver¬
körpert, Propagiert und die Religion zu Poli¬
tischen Zwecken mißbraucht.

[Spaltenumbruch]

Trotzdem nun in dieser Weise an dem Ge¬
wissen der Nation vernehmlich gerüttelt worden
ist, gibt es doch immer noch zahlreiche Deutsche,
die Von dein Wesen des Ultramontanismus
und seinen Gefahren eine ungenügende Vor¬
stellung haben. Deswegen ist es sehr dankens¬
wert, daß ein Sachverständiger auf diesem
Gebiete, früher selbst katholischer Priester und
in der ultramontanen Preßpropagnnda tätig,
Herr Josef Leute, ein umfangreiches Werk
herausgegeben hat, betitelt "Der Nltra-
montlmis"ins in Theorie und Praxis".
Verlag bei Hugo Bermühlcr, Berli n. Das Werk
beleuchtet in übersichtlicher und leicht faßlicher
Weise alle Seiten des Ultramontanismus, und
zwar an derHand eines aktenmäßigenMaterials,
über allait dein Nachweis der Quellen, die der
Schriftsteller benutzt but. Besonders wichtig sind
in dem Buche alle diejenigen Hinweise auf die
Verquickung des Ultramontanismus mit der
katholischen Religion und auf die Übergriffe
des Ultramontanismus von der Religion auf
die staatlichen Einrichtungen. Die Stellung
des Ultramontanismus zu den Nichtkatholiken,
den Evangelischen, den Juden und den Frei¬
religiösen, die Stellung zu den Antimodernisten
und sonstigen religiösen Richtungen sind in
klarer Weise dargestellt. Von besonderer Be¬
deutung erscheint auch die Gesetzgebungsgewalt
der Kirche, aus der aufs deutlichste hervor¬
geht, daß die ultramontane Hierarchie sich
nicht auf religiöses Gebiet beschränkt, sondern
überall in die staatliche Gesetzgebung eingreift
oder einzugreifen versucht, ihre Anhänger von
der Befolgung dieser staatlichen Gesetze abhält
oder Übertretungen der staatlichen Gesetze zu
vertuschen, zu rechtfertigen und zu schützen
sucht. Ganz besonders lesenswert sind auch
die Abschnitte über das ultramontane Vereins¬
wesen, die sogenannten katholischen Vereine
und Katholikentage, die nichts anderes als
politische Versammlungen sind, über die Störung
des konfessionellen Friedens von feiten des
Ultramontanismus und über die Übergriffe
desselben gegen freies Geistesleben, gegen die
freie Wissenschaft in Forschung und Lehre.
Dieses Buch ist ganz besonders für den Laien
auf diesem Gebiete geschrieben und erfüllt
seinen Zweck in vollkommener Weise.

p v. [Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

zwischen Lehrer und Schüler den: rein sozialen,
nach Meßmers eigenem Aussprucho, über¬
geordnet ist. Der Lehrer steigt nicht auf das
soziale Niveau herab, wenn er straft, sondern die
Unterwerfung des Schuldigen unter die Macht
des Rechts nach Maßgabe seiner Schuld beugt
sich dem individualisierenden Wohlioollen des
Erziehers. Nicht durch die Strafe, sondern
durch die strafbare Handlung wird der Zög¬
ling entwürdigt und in der Hilfeleistung zur
Beseitigung bestehender Hemmungen, sowie
im Schutz vor künftigen Entgleisungen ist der
pädagogische Charakter der Strafe begründet.
Auch die Tätigkeit des Wertens kann beim
Kinde nur entwickelt werden, wenn es die
Urformen der Wertgefühle, nämlich einfache
Lust und Unlust im Zusammenhang mit ge¬
wissen Handlungen, in mannigfachen Stürke-
graden erlebt; deshalb muß sich geradem der von
bestimmten Absichten geleiteten Beherrschung
seines Gefühlslebens die Weisheit des Erziehers
Dr. M. Aelchne offenbaren.

Tagesfragen

Durch die neueren Erlasse des Papstes,
die Borromäus - Enzyklika und den Anti-
mvdernisteneid, ist das Interesse für den Ultra¬
montanismus im ganzen Dentschen Reiche
wesentlich gewachsen. Viele, die sich früher
nicht um diesen Gegenstand gekümmert haben,
die den Unterschied zwischen Ultramontanismus
und katholischer Religion nicht kannten, die,
weil sie in evangelischen Landen leben, die
Gefahren des Ultramontanismus übersahen,
fangen an, diese Gefahren zu verstehen.
Der handgreifliche Ausdruck dafür zeigt sich
in dem außerordentlichen Zulauf, den in
neuester Zeit Verbände und Vereine haben,
die sich gegen den Ultramontanismus richten,
z. B. der Evangelische Bund, der Antiultra-
montane Reichsverband, die Deutsche Ver¬
einigung. Neuerdings hat sich auch in der
Provinz Posen ein Wahlverband deutscher
Katholiken gegen das Zentrum und dessen
Zusammengehen mit den Polen gebildet, der
ebenfalls gegen den Ultramontanismus gerichtet
ist. Denn das Zentrum ist diejenige Partei,
die in Deutschland den Ultramontanismus ver¬
körpert, Propagiert und die Religion zu Poli¬
tischen Zwecken mißbraucht.

[Spaltenumbruch]

Trotzdem nun in dieser Weise an dem Ge¬
wissen der Nation vernehmlich gerüttelt worden
ist, gibt es doch immer noch zahlreiche Deutsche,
die Von dein Wesen des Ultramontanismus
und seinen Gefahren eine ungenügende Vor¬
stellung haben. Deswegen ist es sehr dankens¬
wert, daß ein Sachverständiger auf diesem
Gebiete, früher selbst katholischer Priester und
in der ultramontanen Preßpropagnnda tätig,
Herr Josef Leute, ein umfangreiches Werk
herausgegeben hat, betitelt „Der Nltra-
montlmis»ins in Theorie und Praxis".
Verlag bei Hugo Bermühlcr, Berli n. Das Werk
beleuchtet in übersichtlicher und leicht faßlicher
Weise alle Seiten des Ultramontanismus, und
zwar an derHand eines aktenmäßigenMaterials,
über allait dein Nachweis der Quellen, die der
Schriftsteller benutzt but. Besonders wichtig sind
in dem Buche alle diejenigen Hinweise auf die
Verquickung des Ultramontanismus mit der
katholischen Religion und auf die Übergriffe
des Ultramontanismus von der Religion auf
die staatlichen Einrichtungen. Die Stellung
des Ultramontanismus zu den Nichtkatholiken,
den Evangelischen, den Juden und den Frei¬
religiösen, die Stellung zu den Antimodernisten
und sonstigen religiösen Richtungen sind in
klarer Weise dargestellt. Von besonderer Be¬
deutung erscheint auch die Gesetzgebungsgewalt
der Kirche, aus der aufs deutlichste hervor¬
geht, daß die ultramontane Hierarchie sich
nicht auf religiöses Gebiet beschränkt, sondern
überall in die staatliche Gesetzgebung eingreift
oder einzugreifen versucht, ihre Anhänger von
der Befolgung dieser staatlichen Gesetze abhält
oder Übertretungen der staatlichen Gesetze zu
vertuschen, zu rechtfertigen und zu schützen
sucht. Ganz besonders lesenswert sind auch
die Abschnitte über das ultramontane Vereins¬
wesen, die sogenannten katholischen Vereine
und Katholikentage, die nichts anderes als
politische Versammlungen sind, über die Störung
des konfessionellen Friedens von feiten des
Ultramontanismus und über die Übergriffe
desselben gegen freies Geistesleben, gegen die
freie Wissenschaft in Forschung und Lehre.
Dieses Buch ist ganz besonders für den Laien
auf diesem Gebiete geschrieben und erfüllt
seinen Zweck in vollkommener Weise.

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[0196] Maßgebliches und Unmaßgebliches zwischen Lehrer und Schüler den: rein sozialen, nach Meßmers eigenem Aussprucho, über¬ geordnet ist. Der Lehrer steigt nicht auf das soziale Niveau herab, wenn er straft, sondern die Unterwerfung des Schuldigen unter die Macht des Rechts nach Maßgabe seiner Schuld beugt sich dem individualisierenden Wohlioollen des Erziehers. Nicht durch die Strafe, sondern durch die strafbare Handlung wird der Zög¬ ling entwürdigt und in der Hilfeleistung zur Beseitigung bestehender Hemmungen, sowie im Schutz vor künftigen Entgleisungen ist der pädagogische Charakter der Strafe begründet. Auch die Tätigkeit des Wertens kann beim Kinde nur entwickelt werden, wenn es die Urformen der Wertgefühle, nämlich einfache Lust und Unlust im Zusammenhang mit ge¬ wissen Handlungen, in mannigfachen Stürke- graden erlebt; deshalb muß sich geradem der von bestimmten Absichten geleiteten Beherrschung seines Gefühlslebens die Weisheit des Erziehers Dr. M. Aelchne offenbaren. Tagesfragen Durch die neueren Erlasse des Papstes, die Borromäus - Enzyklika und den Anti- mvdernisteneid, ist das Interesse für den Ultra¬ montanismus im ganzen Dentschen Reiche wesentlich gewachsen. Viele, die sich früher nicht um diesen Gegenstand gekümmert haben, die den Unterschied zwischen Ultramontanismus und katholischer Religion nicht kannten, die, weil sie in evangelischen Landen leben, die Gefahren des Ultramontanismus übersahen, fangen an, diese Gefahren zu verstehen. Der handgreifliche Ausdruck dafür zeigt sich in dem außerordentlichen Zulauf, den in neuester Zeit Verbände und Vereine haben, die sich gegen den Ultramontanismus richten, z. B. der Evangelische Bund, der Antiultra- montane Reichsverband, die Deutsche Ver¬ einigung. Neuerdings hat sich auch in der Provinz Posen ein Wahlverband deutscher Katholiken gegen das Zentrum und dessen Zusammengehen mit den Polen gebildet, der ebenfalls gegen den Ultramontanismus gerichtet ist. Denn das Zentrum ist diejenige Partei, die in Deutschland den Ultramontanismus ver¬ körpert, Propagiert und die Religion zu Poli¬ tischen Zwecken mißbraucht. Trotzdem nun in dieser Weise an dem Ge¬ wissen der Nation vernehmlich gerüttelt worden ist, gibt es doch immer noch zahlreiche Deutsche, die Von dein Wesen des Ultramontanismus und seinen Gefahren eine ungenügende Vor¬ stellung haben. Deswegen ist es sehr dankens¬ wert, daß ein Sachverständiger auf diesem Gebiete, früher selbst katholischer Priester und in der ultramontanen Preßpropagnnda tätig, Herr Josef Leute, ein umfangreiches Werk herausgegeben hat, betitelt „Der Nltra- montlmis»ins in Theorie und Praxis". Verlag bei Hugo Bermühlcr, Berli n. Das Werk beleuchtet in übersichtlicher und leicht faßlicher Weise alle Seiten des Ultramontanismus, und zwar an derHand eines aktenmäßigenMaterials, über allait dein Nachweis der Quellen, die der Schriftsteller benutzt but. Besonders wichtig sind in dem Buche alle diejenigen Hinweise auf die Verquickung des Ultramontanismus mit der katholischen Religion und auf die Übergriffe des Ultramontanismus von der Religion auf die staatlichen Einrichtungen. Die Stellung des Ultramontanismus zu den Nichtkatholiken, den Evangelischen, den Juden und den Frei¬ religiösen, die Stellung zu den Antimodernisten und sonstigen religiösen Richtungen sind in klarer Weise dargestellt. Von besonderer Be¬ deutung erscheint auch die Gesetzgebungsgewalt der Kirche, aus der aufs deutlichste hervor¬ geht, daß die ultramontane Hierarchie sich nicht auf religiöses Gebiet beschränkt, sondern überall in die staatliche Gesetzgebung eingreift oder einzugreifen versucht, ihre Anhänger von der Befolgung dieser staatlichen Gesetze abhält oder Übertretungen der staatlichen Gesetze zu vertuschen, zu rechtfertigen und zu schützen sucht. Ganz besonders lesenswert sind auch die Abschnitte über das ultramontane Vereins¬ wesen, die sogenannten katholischen Vereine und Katholikentage, die nichts anderes als politische Versammlungen sind, über die Störung des konfessionellen Friedens von feiten des Ultramontanismus und über die Übergriffe desselben gegen freies Geistesleben, gegen die freie Wissenschaft in Forschung und Lehre. Dieses Buch ist ganz besonders für den Laien auf diesem Gebiete geschrieben und erfüllt seinen Zweck in vollkommener Weise. p v.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/196>, abgerufen am 26.05.2024.