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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspicgel

Nepotismus und Cliquenwirtschaft Eingang in die Armee finden und daß tat¬
sächlich die Auslese nicht nach der Tüchtigkeit, sondern nach Familienbeziehungen
erfolgt. Wenn auch die Klagen im Reichstag über Bevorzugung des Adels in
der Armee für jeden mit den Verhältnissen näher Vertrauten übertrieben erscheinen,
so muß doch der Wahrheit gemäß festgestellt werden, daß Äußerungen im Munde
von Offizieren häufiger gehört werden, die in der Behauptung gipfeln: "Der
und der ist vorpatentiert, weil er mit dem und dem verwandt ist". Es lassen
sich auch hier und da schon Beispiele feststellen, wo es außerordentlich schwer
fällt, einen sachlichen Grund für die Vorpatentieruug zu finden. Damit aber
kommen wir wieder zu der im vorigen Artikel aufgestellten These, daß das
Offizierkorps tatsächlich im Zusammenhang mit seiner Überalterung durch fehler¬
hafte Ausnutzung vorhandener Mittel der automatischen Zweiteilung
verfällt, wenn nicht rechtzeitig reformatorisch eingegriffen wird.

Angesichts der zahlreichen Klagen hat sich der Herr Kriegsminister
entschlossen, neue Wege zur Abschaffung der zutage getretenen Mißstände zu
suchen. Es ist die Einberufung einer Kommission in Aussicht genommen,
die eine Neuregelung des Offiziersersatzes ins Auge fassen soll. Wie verlautet,
soll die Kommission ausschließlich aus aktiven Offizieren zusammengesetzt werden.


W. v, R,
Verkehrspolitik

Kabelpolitik -- Der deutsch-atlantische Verkehr -- Deutsch-Atlantische Tclegraphen-
gcsellschaft -- Die deutsch-niederländische Telegraphengesellschaft -- Osteuropäische
Telegraphengesellschast -- Kolonialfragen -- Drahtlose Telegraphie

Deutschland war bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts fast für seine
ganzen internationalen Telegraphenbeziehungen auf englische Linien angewiesen.
Nur die russische und transsibirische Linie und die in Wladiwostock anschließenden,
an der Ostküste Ostasiens entlang laufenden Kabel der russisch-dänischen "Großen
Nordischen Telegraphengesellschaft" stellten einen von englischen Linien freien
Weg nach Ostasien her. Dagegen mußten für den wichtigen deutsch-atlan¬
tischen Verkehr fast nur englische Kabel benutzt werden. Hier besaß die
"Vereinigte Deutsche Telegraphengesellschaft" Unterseeverbindungen nach Valentia
(Irland), dem Ausgangspunkt der "Ungko American Telegraph Company" in
London, die vertraglich bis zum Ablauf des Jahres 1899 die Weiterbeförderung
der deutsch-amerikanische,: Telegramme übernommen hatte. Da Deutschland
demnach bis zu diesen: Zeitpunkt an die englische Gesellschaft gebunden war,
wurde als Vorbereitung 1896 ein Kabel von Emden nach Vigo an der spanischen
Westküste gelegt. Es sollte nach Erlangung der Landungserlaubnis auf den
Azoren von der portugiesischen Regierung bis dorthin und dann bis New Jork
verlängert werden. Hiervon kam man jedoch ab, weil die portugiesische Negierung
die Landungserlaubnis nur für ein direktes Kabel nach den Azoren gewähren
wollte. Das Vigo-Kabel wurde nun ausschließlich für den übrigens zu seiner
vollen Ausnutzung hinreichend starken Verkehr mit der Iberischen Halbinsel,


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Nepotismus und Cliquenwirtschaft Eingang in die Armee finden und daß tat¬
sächlich die Auslese nicht nach der Tüchtigkeit, sondern nach Familienbeziehungen
erfolgt. Wenn auch die Klagen im Reichstag über Bevorzugung des Adels in
der Armee für jeden mit den Verhältnissen näher Vertrauten übertrieben erscheinen,
so muß doch der Wahrheit gemäß festgestellt werden, daß Äußerungen im Munde
von Offizieren häufiger gehört werden, die in der Behauptung gipfeln: „Der
und der ist vorpatentiert, weil er mit dem und dem verwandt ist". Es lassen
sich auch hier und da schon Beispiele feststellen, wo es außerordentlich schwer
fällt, einen sachlichen Grund für die Vorpatentieruug zu finden. Damit aber
kommen wir wieder zu der im vorigen Artikel aufgestellten These, daß das
Offizierkorps tatsächlich im Zusammenhang mit seiner Überalterung durch fehler¬
hafte Ausnutzung vorhandener Mittel der automatischen Zweiteilung
verfällt, wenn nicht rechtzeitig reformatorisch eingegriffen wird.

Angesichts der zahlreichen Klagen hat sich der Herr Kriegsminister
entschlossen, neue Wege zur Abschaffung der zutage getretenen Mißstände zu
suchen. Es ist die Einberufung einer Kommission in Aussicht genommen,
die eine Neuregelung des Offiziersersatzes ins Auge fassen soll. Wie verlautet,
soll die Kommission ausschließlich aus aktiven Offizieren zusammengesetzt werden.


W. v, R,
Verkehrspolitik

Kabelpolitik — Der deutsch-atlantische Verkehr — Deutsch-Atlantische Tclegraphen-
gcsellschaft — Die deutsch-niederländische Telegraphengesellschaft — Osteuropäische
Telegraphengesellschast — Kolonialfragen — Drahtlose Telegraphie

Deutschland war bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts fast für seine
ganzen internationalen Telegraphenbeziehungen auf englische Linien angewiesen.
Nur die russische und transsibirische Linie und die in Wladiwostock anschließenden,
an der Ostküste Ostasiens entlang laufenden Kabel der russisch-dänischen „Großen
Nordischen Telegraphengesellschaft" stellten einen von englischen Linien freien
Weg nach Ostasien her. Dagegen mußten für den wichtigen deutsch-atlan¬
tischen Verkehr fast nur englische Kabel benutzt werden. Hier besaß die
„Vereinigte Deutsche Telegraphengesellschaft" Unterseeverbindungen nach Valentia
(Irland), dem Ausgangspunkt der „Ungko American Telegraph Company" in
London, die vertraglich bis zum Ablauf des Jahres 1899 die Weiterbeförderung
der deutsch-amerikanische,: Telegramme übernommen hatte. Da Deutschland
demnach bis zu diesen: Zeitpunkt an die englische Gesellschaft gebunden war,
wurde als Vorbereitung 1896 ein Kabel von Emden nach Vigo an der spanischen
Westküste gelegt. Es sollte nach Erlangung der Landungserlaubnis auf den
Azoren von der portugiesischen Regierung bis dorthin und dann bis New Jork
verlängert werden. Hiervon kam man jedoch ab, weil die portugiesische Negierung
die Landungserlaubnis nur für ein direktes Kabel nach den Azoren gewähren
wollte. Das Vigo-Kabel wurde nun ausschließlich für den übrigens zu seiner
vollen Ausnutzung hinreichend starken Verkehr mit der Iberischen Halbinsel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/199>, abgerufen am 19.05.2024.