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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Bücher vom tieferen Leben

Von ein paar Zahlen, denn um diese paar Zahlen hat es sich im Grunde auch
bei euch gehandelt: 45 statt 5, eine Formel, die Schicksale bedeutet!"

"Kommen Sie!" rief Marcellin.

Im Winzerland winkte die Hand Gottes von den Bergen und rief die
Menschen, den Schatz zu heben.

Die Arbeitsfreude war gewichen, die Seelen waren mit Hoffnungslosigkeit
beladen, der Segen, der von den Hügeln niederströmte, schien zum Fluch geworden --
und trotzdem grub man aufs neue die Weinberge um und stöhnte und schwitzte
im Joch einer mühseligen Arbeit, obschon der Glaube und die Zuversicht fehlten.

Deun der Mensch hat keine Wahl---

Noch waren in den Straßen die Spuren der letzten furchtbaren Weinlese des
Todes nicht getilgt, die Erinnerungen waren noch mit Grausen erfüllt, als die
Straßen, die Bäche und Brunnen überzufließen begannen von dem roten Blut,
das achtlos dahinlief, wie damals, als die Fässer verbluteten, oder damals, als
der Most der Freude von den Bergen niederrann und das Herz der Stadt erfüllte.

Dieses heilige Blut der Erde!

Es strömte von den fruchtschweren Bergen nieder, es strömte aus den über¬
vollen Keltern und Fässern, und es strömte aus dem mit zahllosen Wundmalen
bedeckten Herzen dieser Stadt.

So schwer lastete der Segen auf dem Weingarten des Herrn!

Denn es war die Zeit, von der die Propheten verkündeten, daß der Wein
von den Bergen triefen und die Hügel in Most schwimmen werden.

Das rote Blut der Erde!




Bücher vom tieferen Leben
Von Dr, Heinrich Spiero

5^."
^^S^K.^',>is der erste Kanzler aus seinen Ämtern geschieden war, soll, nach
einer glaubhaften Erzählung, Papst Leo der Dreizehnte gelegentlich
gesagt haben: ,M numoa VismarLk l" Nicht viel anders hat Deutsch¬
land an manchem Tage seit dem 15. Februar 1909 sprechen können:
"Mir fehlt Wildenbruch, mir fehlt eine dichterische Persönlichkeit,
die ohne Scheu nach unten und oben in einer schweren Minute das ausspricht,
was nottut." Wenn irgend etwas diesen besonderen Beruf des zu früh dahin¬
geschiedenen Dichters uns noch einmal lebhaft und leibhaft vor Augen führen
konnte, so war es die Sammlung "Blätter vom Lebensbaum", die Berthold
Litzmann aus Wildenbruchs Nachlaß (bei G. Grote in Berlin) herausgegeben hat.
Der Name des Buches stammt uoch von seinem Schöpfer, und er deckt alles, was
Wildenbruch an kürzeren Aufsätzen und Kundgebungen in Prosa in den Jahren
seines Schriftstellertums, von 1878 bis 1908, geschrieben und veröffentlicht hat.
Von Politik und Literatur, von deutschen und ausländischen Dichtern, von Berlin
und Weimar und von vielem anderen noch ist da die Rede, alles aber quillt aus


Grenzboten II 1911 29
Bücher vom tieferen Leben

Von ein paar Zahlen, denn um diese paar Zahlen hat es sich im Grunde auch
bei euch gehandelt: 45 statt 5, eine Formel, die Schicksale bedeutet!"

„Kommen Sie!" rief Marcellin.

Im Winzerland winkte die Hand Gottes von den Bergen und rief die
Menschen, den Schatz zu heben.

Die Arbeitsfreude war gewichen, die Seelen waren mit Hoffnungslosigkeit
beladen, der Segen, der von den Hügeln niederströmte, schien zum Fluch geworden —
und trotzdem grub man aufs neue die Weinberge um und stöhnte und schwitzte
im Joch einer mühseligen Arbeit, obschon der Glaube und die Zuversicht fehlten.

Deun der Mensch hat keine Wahl---

Noch waren in den Straßen die Spuren der letzten furchtbaren Weinlese des
Todes nicht getilgt, die Erinnerungen waren noch mit Grausen erfüllt, als die
Straßen, die Bäche und Brunnen überzufließen begannen von dem roten Blut,
das achtlos dahinlief, wie damals, als die Fässer verbluteten, oder damals, als
der Most der Freude von den Bergen niederrann und das Herz der Stadt erfüllte.

Dieses heilige Blut der Erde!

Es strömte von den fruchtschweren Bergen nieder, es strömte aus den über¬
vollen Keltern und Fässern, und es strömte aus dem mit zahllosen Wundmalen
bedeckten Herzen dieser Stadt.

So schwer lastete der Segen auf dem Weingarten des Herrn!

Denn es war die Zeit, von der die Propheten verkündeten, daß der Wein
von den Bergen triefen und die Hügel in Most schwimmen werden.

Das rote Blut der Erde!




Bücher vom tieferen Leben
Von Dr, Heinrich Spiero

5^."
^^S^K.^',>is der erste Kanzler aus seinen Ämtern geschieden war, soll, nach
einer glaubhaften Erzählung, Papst Leo der Dreizehnte gelegentlich
gesagt haben: ,M numoa VismarLk l" Nicht viel anders hat Deutsch¬
land an manchem Tage seit dem 15. Februar 1909 sprechen können:
„Mir fehlt Wildenbruch, mir fehlt eine dichterische Persönlichkeit,
die ohne Scheu nach unten und oben in einer schweren Minute das ausspricht,
was nottut." Wenn irgend etwas diesen besonderen Beruf des zu früh dahin¬
geschiedenen Dichters uns noch einmal lebhaft und leibhaft vor Augen führen
konnte, so war es die Sammlung „Blätter vom Lebensbaum", die Berthold
Litzmann aus Wildenbruchs Nachlaß (bei G. Grote in Berlin) herausgegeben hat.
Der Name des Buches stammt uoch von seinem Schöpfer, und er deckt alles, was
Wildenbruch an kürzeren Aufsätzen und Kundgebungen in Prosa in den Jahren
seines Schriftstellertums, von 1878 bis 1908, geschrieben und veröffentlicht hat.
Von Politik und Literatur, von deutschen und ausländischen Dichtern, von Berlin
und Weimar und von vielem anderen noch ist da die Rede, alles aber quillt aus


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[0237] Bücher vom tieferen Leben Von ein paar Zahlen, denn um diese paar Zahlen hat es sich im Grunde auch bei euch gehandelt: 45 statt 5, eine Formel, die Schicksale bedeutet!" „Kommen Sie!" rief Marcellin. Im Winzerland winkte die Hand Gottes von den Bergen und rief die Menschen, den Schatz zu heben. Die Arbeitsfreude war gewichen, die Seelen waren mit Hoffnungslosigkeit beladen, der Segen, der von den Hügeln niederströmte, schien zum Fluch geworden — und trotzdem grub man aufs neue die Weinberge um und stöhnte und schwitzte im Joch einer mühseligen Arbeit, obschon der Glaube und die Zuversicht fehlten. Deun der Mensch hat keine Wahl--- Noch waren in den Straßen die Spuren der letzten furchtbaren Weinlese des Todes nicht getilgt, die Erinnerungen waren noch mit Grausen erfüllt, als die Straßen, die Bäche und Brunnen überzufließen begannen von dem roten Blut, das achtlos dahinlief, wie damals, als die Fässer verbluteten, oder damals, als der Most der Freude von den Bergen niederrann und das Herz der Stadt erfüllte. Dieses heilige Blut der Erde! Es strömte von den fruchtschweren Bergen nieder, es strömte aus den über¬ vollen Keltern und Fässern, und es strömte aus dem mit zahllosen Wundmalen bedeckten Herzen dieser Stadt. So schwer lastete der Segen auf dem Weingarten des Herrn! Denn es war die Zeit, von der die Propheten verkündeten, daß der Wein von den Bergen triefen und die Hügel in Most schwimmen werden. Das rote Blut der Erde! Bücher vom tieferen Leben Von Dr, Heinrich Spiero 5^." ^^S^K.^',>is der erste Kanzler aus seinen Ämtern geschieden war, soll, nach einer glaubhaften Erzählung, Papst Leo der Dreizehnte gelegentlich gesagt haben: ,M numoa VismarLk l" Nicht viel anders hat Deutsch¬ land an manchem Tage seit dem 15. Februar 1909 sprechen können: „Mir fehlt Wildenbruch, mir fehlt eine dichterische Persönlichkeit, die ohne Scheu nach unten und oben in einer schweren Minute das ausspricht, was nottut." Wenn irgend etwas diesen besonderen Beruf des zu früh dahin¬ geschiedenen Dichters uns noch einmal lebhaft und leibhaft vor Augen führen konnte, so war es die Sammlung „Blätter vom Lebensbaum", die Berthold Litzmann aus Wildenbruchs Nachlaß (bei G. Grote in Berlin) herausgegeben hat. Der Name des Buches stammt uoch von seinem Schöpfer, und er deckt alles, was Wildenbruch an kürzeren Aufsätzen und Kundgebungen in Prosa in den Jahren seines Schriftstellertums, von 1878 bis 1908, geschrieben und veröffentlicht hat. Von Politik und Literatur, von deutschen und ausländischen Dichtern, von Berlin und Weimar und von vielem anderen noch ist da die Rede, alles aber quillt aus Grenzboten II 1911 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/237>, abgerufen am 19.05.2024.