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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reformvorschläge für die deutschen Universitäten

Unter diesen Umständen wächst natürlich in den Hauptvorlesungen die
Zuhörerschaft sehr stark an. Coeten von 200 und mehr Studenten sind häufig.
Ist dies bei den eigentlichen Vorträgen unbedenklich, so stellen sich selbstverständlich
aus dieser starken Frequenz erhebliche Schwierigkeiten bei den praktischen Übungen
und beim seminaristischen Unterrichtsbetrieb heraus, die nur durch Mitwirkung
außerordentlicher Lehrkräfte gehoben werden können. Infolgedessen ist in denjenigen
Disziplinen, wo der praktische Lehrbetrieb vorwaltet, die Zahl der außerordent¬
lichen Lehrkräfte in der letzten Zeit sehr gewachsen. Nach Franz Eulenburgs
Schrift: "Der Akademische Nachwuchs" standen am 1. Juli 1907 210 ordent¬
lichen Professoren der deutschen medizinischen Fakultäten 687 außerordentliche
Lehrkräfte und 600 ordentlichen Professoren der Naturwissenschaften und Geschichte
in den deutschen philosophischen Fakultäten 846 außerordentliche Lehrkräfte
gegenüber. Da nun aber daran festzuhalten ist, daß beim Universitätsunterricht
der Schwerpunkt in den Händen der Ordinarien liegen soll, so wird man auch
schon durch die wachsende Frequenz der Universitäten auf die Notwendigkeit einer
weiteren Vermehrung der Ordinariate geführt.


II.

Wenn Professor Lamprecht in seiner Rektoratsrede an zweiter Stelle eine
Änderung der bisher rein monarchischen Verfassung der Universitäts¬
institute fordert, so haben ihm hierbei offenbar zunächst die Verhältnisse des
von ihm ins Leben gerufenen Instituts für Kultur- und Universalgeschichte bei
der Universität Leipzig vorgeschwebt. Denn seine Rektoratsrede beschäftigt sich
ja gerade sehr eingehend mit den Arbeiten dieses Instituts und mit dem Nach,
weise, daß die Aufgaben, die es sich gestellt habe, nur durch das Zusammen¬
wirken einer größeren Zahl von Gelehrten zu lösen seien. Natürlich wird, je
mehr dies geschieht, auch den einzelnen Mitarbeitern des Instituts eine immer
größere Selbständigkeit eingeräumt werden müssen, schon deshalb, weil der
oberste Leiter des Instituts nicht mehr Sachverständiger für die von ihnen
bearbeiteten Spezialgebiete sein kann. Ähnlich wie bei dem Institute für Kultur-
und Universalgeschichte können sich die Verhältnisse auch bei anderen Forschungs¬
instituten gestalten, bei denen ein durch die allgemeine wissenschaftliche Ent¬
wicklung aufgestelltes Forschungsziel nur durch das Zusammenwirken ver¬
schiedener Fachgelehrter zu erreichen ist.

Es gibt aber noch einen anderen Gesichtspunkt als denjenigen der Ver¬
bindung verschiedener Wissenschaften in einem Institut, von dem aus sich die
bisherige rein monarchische Jnstitutsverfassung als unhaltbar zeigt, und das ist
der am Schlüsse des vorigen Abschnittes hervorgehobene Zudrang zum Universitäts¬
studium, der aus der wachsenden Anziehung der gelehrten Berufe in Deutschland
hervorgeht. Die Folge davon ist die fortgesetzte Notwendigkeit, die Unterrichts¬
räume, sowohl die Hörsäle als auch die Räume für die praktischen Übungen
der Studierenden, die Seminare und Laboratorien, zu erweitern. Am stärksten


Grenzboten II 1911 32
Reformvorschläge für die deutschen Universitäten

Unter diesen Umständen wächst natürlich in den Hauptvorlesungen die
Zuhörerschaft sehr stark an. Coeten von 200 und mehr Studenten sind häufig.
Ist dies bei den eigentlichen Vorträgen unbedenklich, so stellen sich selbstverständlich
aus dieser starken Frequenz erhebliche Schwierigkeiten bei den praktischen Übungen
und beim seminaristischen Unterrichtsbetrieb heraus, die nur durch Mitwirkung
außerordentlicher Lehrkräfte gehoben werden können. Infolgedessen ist in denjenigen
Disziplinen, wo der praktische Lehrbetrieb vorwaltet, die Zahl der außerordent¬
lichen Lehrkräfte in der letzten Zeit sehr gewachsen. Nach Franz Eulenburgs
Schrift: „Der Akademische Nachwuchs" standen am 1. Juli 1907 210 ordent¬
lichen Professoren der deutschen medizinischen Fakultäten 687 außerordentliche
Lehrkräfte und 600 ordentlichen Professoren der Naturwissenschaften und Geschichte
in den deutschen philosophischen Fakultäten 846 außerordentliche Lehrkräfte
gegenüber. Da nun aber daran festzuhalten ist, daß beim Universitätsunterricht
der Schwerpunkt in den Händen der Ordinarien liegen soll, so wird man auch
schon durch die wachsende Frequenz der Universitäten auf die Notwendigkeit einer
weiteren Vermehrung der Ordinariate geführt.


II.

Wenn Professor Lamprecht in seiner Rektoratsrede an zweiter Stelle eine
Änderung der bisher rein monarchischen Verfassung der Universitäts¬
institute fordert, so haben ihm hierbei offenbar zunächst die Verhältnisse des
von ihm ins Leben gerufenen Instituts für Kultur- und Universalgeschichte bei
der Universität Leipzig vorgeschwebt. Denn seine Rektoratsrede beschäftigt sich
ja gerade sehr eingehend mit den Arbeiten dieses Instituts und mit dem Nach,
weise, daß die Aufgaben, die es sich gestellt habe, nur durch das Zusammen¬
wirken einer größeren Zahl von Gelehrten zu lösen seien. Natürlich wird, je
mehr dies geschieht, auch den einzelnen Mitarbeitern des Instituts eine immer
größere Selbständigkeit eingeräumt werden müssen, schon deshalb, weil der
oberste Leiter des Instituts nicht mehr Sachverständiger für die von ihnen
bearbeiteten Spezialgebiete sein kann. Ähnlich wie bei dem Institute für Kultur-
und Universalgeschichte können sich die Verhältnisse auch bei anderen Forschungs¬
instituten gestalten, bei denen ein durch die allgemeine wissenschaftliche Ent¬
wicklung aufgestelltes Forschungsziel nur durch das Zusammenwirken ver¬
schiedener Fachgelehrter zu erreichen ist.

Es gibt aber noch einen anderen Gesichtspunkt als denjenigen der Ver¬
bindung verschiedener Wissenschaften in einem Institut, von dem aus sich die
bisherige rein monarchische Jnstitutsverfassung als unhaltbar zeigt, und das ist
der am Schlüsse des vorigen Abschnittes hervorgehobene Zudrang zum Universitäts¬
studium, der aus der wachsenden Anziehung der gelehrten Berufe in Deutschland
hervorgeht. Die Folge davon ist die fortgesetzte Notwendigkeit, die Unterrichts¬
räume, sowohl die Hörsäle als auch die Räume für die praktischen Übungen
der Studierenden, die Seminare und Laboratorien, zu erweitern. Am stärksten


Grenzboten II 1911 32
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[0261] Reformvorschläge für die deutschen Universitäten Unter diesen Umständen wächst natürlich in den Hauptvorlesungen die Zuhörerschaft sehr stark an. Coeten von 200 und mehr Studenten sind häufig. Ist dies bei den eigentlichen Vorträgen unbedenklich, so stellen sich selbstverständlich aus dieser starken Frequenz erhebliche Schwierigkeiten bei den praktischen Übungen und beim seminaristischen Unterrichtsbetrieb heraus, die nur durch Mitwirkung außerordentlicher Lehrkräfte gehoben werden können. Infolgedessen ist in denjenigen Disziplinen, wo der praktische Lehrbetrieb vorwaltet, die Zahl der außerordent¬ lichen Lehrkräfte in der letzten Zeit sehr gewachsen. Nach Franz Eulenburgs Schrift: „Der Akademische Nachwuchs" standen am 1. Juli 1907 210 ordent¬ lichen Professoren der deutschen medizinischen Fakultäten 687 außerordentliche Lehrkräfte und 600 ordentlichen Professoren der Naturwissenschaften und Geschichte in den deutschen philosophischen Fakultäten 846 außerordentliche Lehrkräfte gegenüber. Da nun aber daran festzuhalten ist, daß beim Universitätsunterricht der Schwerpunkt in den Händen der Ordinarien liegen soll, so wird man auch schon durch die wachsende Frequenz der Universitäten auf die Notwendigkeit einer weiteren Vermehrung der Ordinariate geführt. II. Wenn Professor Lamprecht in seiner Rektoratsrede an zweiter Stelle eine Änderung der bisher rein monarchischen Verfassung der Universitäts¬ institute fordert, so haben ihm hierbei offenbar zunächst die Verhältnisse des von ihm ins Leben gerufenen Instituts für Kultur- und Universalgeschichte bei der Universität Leipzig vorgeschwebt. Denn seine Rektoratsrede beschäftigt sich ja gerade sehr eingehend mit den Arbeiten dieses Instituts und mit dem Nach, weise, daß die Aufgaben, die es sich gestellt habe, nur durch das Zusammen¬ wirken einer größeren Zahl von Gelehrten zu lösen seien. Natürlich wird, je mehr dies geschieht, auch den einzelnen Mitarbeitern des Instituts eine immer größere Selbständigkeit eingeräumt werden müssen, schon deshalb, weil der oberste Leiter des Instituts nicht mehr Sachverständiger für die von ihnen bearbeiteten Spezialgebiete sein kann. Ähnlich wie bei dem Institute für Kultur- und Universalgeschichte können sich die Verhältnisse auch bei anderen Forschungs¬ instituten gestalten, bei denen ein durch die allgemeine wissenschaftliche Ent¬ wicklung aufgestelltes Forschungsziel nur durch das Zusammenwirken ver¬ schiedener Fachgelehrter zu erreichen ist. Es gibt aber noch einen anderen Gesichtspunkt als denjenigen der Ver¬ bindung verschiedener Wissenschaften in einem Institut, von dem aus sich die bisherige rein monarchische Jnstitutsverfassung als unhaltbar zeigt, und das ist der am Schlüsse des vorigen Abschnittes hervorgehobene Zudrang zum Universitäts¬ studium, der aus der wachsenden Anziehung der gelehrten Berufe in Deutschland hervorgeht. Die Folge davon ist die fortgesetzte Notwendigkeit, die Unterrichts¬ räume, sowohl die Hörsäle als auch die Räume für die praktischen Übungen der Studierenden, die Seminare und Laboratorien, zu erweitern. Am stärksten Grenzboten II 1911 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/261>, abgerufen am 19.05.2024.