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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Gin Beitrag zur Erforschung der Romantik

Verhältnisse nicht den ersehnten Anstoß zur Reichseinigung abgeben werden.
Man steht also genau an demselben Punkt wie vorher. Das verfassungs¬
politische Problem des Imperialismus bleibt unverändert und ungelöst, und
auch die jetzige Konferenz wird schwerlich den Stein der Weisen finden.

Die Zeit für einen engeren Zusammenschluß des Empire ist offenbar noch
nicht gekommen. Wenn aber die englische Regierung jetzt ein neues Staats¬
sekretariat für "Imperml attairs" einrichtet und dadurch den geschäftlichen
Verkehr mit den Dominions auf eine neue Grundlage stellt und ihn vielleicht
auch in neue Bahnen lenkt -- denn etwas derartiges erhofft man von dein
neuen Amt, das seine ganze Arbeitskraft den Angelegenheiten der Dominions
und den Reichsinteressen widmen kann --. so ist das eine Reform, die die
Lösung des Problems vielleicht sehr erleichtern wird, wenn die Zeit dafür reif
geworden ist.




Gin Veitrag zur Erforschung der Romantik
von Dr. Eduard Havenstein

er die literarhistorischen Schriften und Neuausgaben der letzten Jahre
verfolgt, wird die Beobachtung machen, daß die Romantik immer
mehr in den Vordergrund des Interesses gerückt ist, sowohl bei
Forschern als auch bei den gebildeten Lesern. Von dieser Epoche
des deutschen Geisteslebens will heutzutage jeder etwas verstehen;
allerdings hat jeder seine eigene Definition des Begriffes Romantik, und viele
vermögen überhaupt nicht zu sagen, was sie eigentlich darunter verstehen. Teils
haben sie von diesem Trank nur genippt, so daß ihnen eine ordentliche Kenntnis
der Sache fehlt, teils haben sie sich an der Süßigkeit und dem Feuer des Weins
berauscht, so daß sie nicht nüchtern urteilen können, teils halten sie ihn für giftig
""d schädlich und weisen ihn ganz zurück. Jedenfalls aber beschäftigt man sich
heute mit der Romantik und sucht in irgendeiner Weise mit ihr fertig zu werden.

Das war nicht immer so, denn die Zeit, in der die Romantik lebte, war
eine Epoche der starken Tendenzen und starken Persönlichkeiten, es war Sturmzeit,
der sich nur tief gewurzelte Bäume mit starken Stämmen und kräftigen Zweigen
unversehrt erhalten konnten, während manche liebliche Blume übersehen oder
unbarmherzig geknickt wurde. Im politisch-sozialen Leben waren es die fran-
stsche Revolution und die Unternehmungen Napoleons, die das ganze Europa auf
lange Zeit hin in Atem hielten; im geistigen Leben Deutschlands waren es vor
allein die alten und ewig neuen Fragen der Weltanschauung und Lebensführung,
welche die Gemüter beschäftigten. Männer wie Goethe, Schiller, Kant, Fichte,
Schelling, Stein und Hardenberg waren die führenden und herrschenden Geister,
sämtlich großzügige und in sich geschlossene Persönlichkeiten, für die Wirken und


Gin Beitrag zur Erforschung der Romantik

Verhältnisse nicht den ersehnten Anstoß zur Reichseinigung abgeben werden.
Man steht also genau an demselben Punkt wie vorher. Das verfassungs¬
politische Problem des Imperialismus bleibt unverändert und ungelöst, und
auch die jetzige Konferenz wird schwerlich den Stein der Weisen finden.

Die Zeit für einen engeren Zusammenschluß des Empire ist offenbar noch
nicht gekommen. Wenn aber die englische Regierung jetzt ein neues Staats¬
sekretariat für „Imperml attairs" einrichtet und dadurch den geschäftlichen
Verkehr mit den Dominions auf eine neue Grundlage stellt und ihn vielleicht
auch in neue Bahnen lenkt — denn etwas derartiges erhofft man von dein
neuen Amt, das seine ganze Arbeitskraft den Angelegenheiten der Dominions
und den Reichsinteressen widmen kann —. so ist das eine Reform, die die
Lösung des Problems vielleicht sehr erleichtern wird, wenn die Zeit dafür reif
geworden ist.




Gin Veitrag zur Erforschung der Romantik
von Dr. Eduard Havenstein

er die literarhistorischen Schriften und Neuausgaben der letzten Jahre
verfolgt, wird die Beobachtung machen, daß die Romantik immer
mehr in den Vordergrund des Interesses gerückt ist, sowohl bei
Forschern als auch bei den gebildeten Lesern. Von dieser Epoche
des deutschen Geisteslebens will heutzutage jeder etwas verstehen;
allerdings hat jeder seine eigene Definition des Begriffes Romantik, und viele
vermögen überhaupt nicht zu sagen, was sie eigentlich darunter verstehen. Teils
haben sie von diesem Trank nur genippt, so daß ihnen eine ordentliche Kenntnis
der Sache fehlt, teils haben sie sich an der Süßigkeit und dem Feuer des Weins
berauscht, so daß sie nicht nüchtern urteilen können, teils halten sie ihn für giftig
""d schädlich und weisen ihn ganz zurück. Jedenfalls aber beschäftigt man sich
heute mit der Romantik und sucht in irgendeiner Weise mit ihr fertig zu werden.

Das war nicht immer so, denn die Zeit, in der die Romantik lebte, war
eine Epoche der starken Tendenzen und starken Persönlichkeiten, es war Sturmzeit,
der sich nur tief gewurzelte Bäume mit starken Stämmen und kräftigen Zweigen
unversehrt erhalten konnten, während manche liebliche Blume übersehen oder
unbarmherzig geknickt wurde. Im politisch-sozialen Leben waren es die fran-
stsche Revolution und die Unternehmungen Napoleons, die das ganze Europa auf
lange Zeit hin in Atem hielten; im geistigen Leben Deutschlands waren es vor
allein die alten und ewig neuen Fragen der Weltanschauung und Lebensführung,
welche die Gemüter beschäftigten. Männer wie Goethe, Schiller, Kant, Fichte,
Schelling, Stein und Hardenberg waren die führenden und herrschenden Geister,
sämtlich großzügige und in sich geschlossene Persönlichkeiten, für die Wirken und


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[0369] Gin Beitrag zur Erforschung der Romantik Verhältnisse nicht den ersehnten Anstoß zur Reichseinigung abgeben werden. Man steht also genau an demselben Punkt wie vorher. Das verfassungs¬ politische Problem des Imperialismus bleibt unverändert und ungelöst, und auch die jetzige Konferenz wird schwerlich den Stein der Weisen finden. Die Zeit für einen engeren Zusammenschluß des Empire ist offenbar noch nicht gekommen. Wenn aber die englische Regierung jetzt ein neues Staats¬ sekretariat für „Imperml attairs" einrichtet und dadurch den geschäftlichen Verkehr mit den Dominions auf eine neue Grundlage stellt und ihn vielleicht auch in neue Bahnen lenkt — denn etwas derartiges erhofft man von dein neuen Amt, das seine ganze Arbeitskraft den Angelegenheiten der Dominions und den Reichsinteressen widmen kann —. so ist das eine Reform, die die Lösung des Problems vielleicht sehr erleichtern wird, wenn die Zeit dafür reif geworden ist. Gin Veitrag zur Erforschung der Romantik von Dr. Eduard Havenstein er die literarhistorischen Schriften und Neuausgaben der letzten Jahre verfolgt, wird die Beobachtung machen, daß die Romantik immer mehr in den Vordergrund des Interesses gerückt ist, sowohl bei Forschern als auch bei den gebildeten Lesern. Von dieser Epoche des deutschen Geisteslebens will heutzutage jeder etwas verstehen; allerdings hat jeder seine eigene Definition des Begriffes Romantik, und viele vermögen überhaupt nicht zu sagen, was sie eigentlich darunter verstehen. Teils haben sie von diesem Trank nur genippt, so daß ihnen eine ordentliche Kenntnis der Sache fehlt, teils haben sie sich an der Süßigkeit und dem Feuer des Weins berauscht, so daß sie nicht nüchtern urteilen können, teils halten sie ihn für giftig ""d schädlich und weisen ihn ganz zurück. Jedenfalls aber beschäftigt man sich heute mit der Romantik und sucht in irgendeiner Weise mit ihr fertig zu werden. Das war nicht immer so, denn die Zeit, in der die Romantik lebte, war eine Epoche der starken Tendenzen und starken Persönlichkeiten, es war Sturmzeit, der sich nur tief gewurzelte Bäume mit starken Stämmen und kräftigen Zweigen unversehrt erhalten konnten, während manche liebliche Blume übersehen oder unbarmherzig geknickt wurde. Im politisch-sozialen Leben waren es die fran- stsche Revolution und die Unternehmungen Napoleons, die das ganze Europa auf lange Zeit hin in Atem hielten; im geistigen Leben Deutschlands waren es vor allein die alten und ewig neuen Fragen der Weltanschauung und Lebensführung, welche die Gemüter beschäftigten. Männer wie Goethe, Schiller, Kant, Fichte, Schelling, Stein und Hardenberg waren die führenden und herrschenden Geister, sämtlich großzügige und in sich geschlossene Persönlichkeiten, für die Wirken und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/369>, abgerufen am 19.05.2024.