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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Innren, die auch dort, wo, wie in Babylon,
der Staat sich auf städtischer Grundlage erhob,
willig einem Despoten gehorchte, beweist die
Tatsache, das; allüberall, wo immer auf ger¬
manischem oder germano-ladinischen Boden
eine Stadt entstand oder eine Bauernschaft
von dem Prozeß der Feudalisierung verschont
blieb, die rss publi^a als selbstverständlich
galt und meistens auch die Verfassung an¬
nahm, die wir heute republikanisch nennen,
auf die aber für größere Staaten weislich
verzichtet wird, weil sie da technisch schwer
durchführbar ist und entweder in Anarchie
oder in verkappten Zäsarismus ausartet,
wenn nicht, wie in Rom, bis zum letzten
Punischen Kriege und in England bis in die
neueste Zeit, eine übermächtige und staats-
iluge Aristokratie regiert.

Wichtige Partien des Buches sind die, in
denen gezeigt wird, daß die wirtschaftliche
und politische Erneuerung des Weltreichs ein
dem heutigen ähnlicher Verstädterungsprozeß
war, der den Keim des Verderbens in sich
barg, und zugleich ein Prozeß der Jntellektucili-
sierung und Sittenfäulnis, ein Volksselbstmord
durch Indolenz, Genußsucht und Intellek¬
tualismus, den Ovid verkörpert und durch
seine Dichtungen, besonders durch seinen
"Führer für Ehebrecher und solche, die es
werden wollen", nach Kräften fördert. Als
das Haupt der Puritaner, die erfolglose An¬
strengungen machten, dem Verderben zu
steuern, wird uns Tiberius vorgestellt, dem
nichts fehlte als die Liebenswürdigkeit seines
ebenfalls sittenreinen Bruders Drusus, Schade,
daß das Werk vor seinem Regierungsantritt
abbricht; bekämen wir eine vollständige Bio¬
graphie, so würden wir Wohl eine glänzende
Rettung erleben. Oder haben wir doch noch
eine Fortsetzung zu hoffen? Seite 336 schreibt
Ferrero: "Wir werden sehen, wie die Zäsaren
hierin sin der Hätschelung des Pöbels durch
psnem et cirLensess vorangehen." Aber ein
ausdrückliches Versprechen fehlt, und das
Sachregister zu den sechs Bänden, das diesen?
letzten beigegeben ist, scheint den Abschluß zu
verkünden. Als besonders interessant seien
noch hervorgehoben: die Darstellung der Be¬
mühungen des Augustus um eine Finanz¬
reform (so oft die Staatsfinanzen oder Pro¬
vinzen Not litten, spendete Augustus ein Paar

[Spaltenumbruch]

Dutzend Millionen aus seinem Privatvermögen;
die lex esäucaris, die eine gesetzliche Pro¬
skription gescholten wurde, war das vom
Justizrat Bamberger in den Grenzboten
empfohlene Erbrecht des Reiches, an dem ich
nur das eine nicht begreifen kann, daß die
Verbündeten Regierungen und die Parteien
nicht mit beiden Händen danach greifen); die
Einzelheiten aus der Geschichte Palästinas
und Herodes des Großen; endlich was über
die Schlacht im Teutoburger Walde, die vor
zwei Jahren eine ganze Literatur hervor¬
gerufen hat, -- nicht gesagt wird. Während
Ferrero die übrigen Feldzüge in Germanien
sehr ausführlich erzählt, fertigt er den un¬
glücklichen des Varus ganz kurz ab; er hält
die Schlacht im Teutoburger Walde nicht für
eine jener Entscheidungsschlachten, die dem
Lauf der Weltgeschichte eine andere Wendung
gegeben haben. Lark Jentsch-Reiße

Aulturgeschichte (Selbstanzeige)

R. Frhr. ". Lichtenberg. Einflüsse der
iigiiischen Kultur auf Ägypten und Palästina.
Mit S4 Abbildungen. Mitteilungen derVorder-
asiatischen Gesellschaft. 16. Jahrgang. Heft 2.
Leipzig. Hinrichs. 1911. Preis M. 4,--.

Ein alter Spruch lautet: IZx orienw lux.
Wer hätte aber gedacht, daß dieser Spruch
wahr bleiben und dennoch sich inhaltlich in
sein gerades Gegenteil verdrehen könnte?
Während man nämlich früher der Ansicht
war, daß alle Kultur bei den alten Völkern
des Orients entstanden und von dort aus
den europäischen Stämmen mitgeteilt worden
sei, ergeben die neuesten Forschungen immer
deutlicher, daß die europäischen Arier seit
unvordenklichen Zeiten die eigentlichen Kultur¬
bildner waren, und von ihnen aus die Kultur
in den Orient und weiterhin ausstrahlte. Ein
gut Teil dieser Erkenntnis wurde durch die
orientalistischen Forschungen geboten, so daß der
Spruch auch in diesen: Sinne Geltung behält.

Derartige arisch-europäische Kultureinflüsse
auf orientalische Gebiete suchte ich in dem
genannten Buche nachzuweisen. Schon früh
im dritten vorchristlichen Jahrtausend drangen
mitteleuropäische Völker in die Balkanhalbinsel
ein und brachten europäisches Kulturgut mit.
Hier entwickelten sie nicht nur ihre Kultur zu
hoher Blüte, sondern Adler bald auch starke

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Innren, die auch dort, wo, wie in Babylon,
der Staat sich auf städtischer Grundlage erhob,
willig einem Despoten gehorchte, beweist die
Tatsache, das; allüberall, wo immer auf ger¬
manischem oder germano-ladinischen Boden
eine Stadt entstand oder eine Bauernschaft
von dem Prozeß der Feudalisierung verschont
blieb, die rss publi^a als selbstverständlich
galt und meistens auch die Verfassung an¬
nahm, die wir heute republikanisch nennen,
auf die aber für größere Staaten weislich
verzichtet wird, weil sie da technisch schwer
durchführbar ist und entweder in Anarchie
oder in verkappten Zäsarismus ausartet,
wenn nicht, wie in Rom, bis zum letzten
Punischen Kriege und in England bis in die
neueste Zeit, eine übermächtige und staats-
iluge Aristokratie regiert.

Wichtige Partien des Buches sind die, in
denen gezeigt wird, daß die wirtschaftliche
und politische Erneuerung des Weltreichs ein
dem heutigen ähnlicher Verstädterungsprozeß
war, der den Keim des Verderbens in sich
barg, und zugleich ein Prozeß der Jntellektucili-
sierung und Sittenfäulnis, ein Volksselbstmord
durch Indolenz, Genußsucht und Intellek¬
tualismus, den Ovid verkörpert und durch
seine Dichtungen, besonders durch seinen
„Führer für Ehebrecher und solche, die es
werden wollen", nach Kräften fördert. Als
das Haupt der Puritaner, die erfolglose An¬
strengungen machten, dem Verderben zu
steuern, wird uns Tiberius vorgestellt, dem
nichts fehlte als die Liebenswürdigkeit seines
ebenfalls sittenreinen Bruders Drusus, Schade,
daß das Werk vor seinem Regierungsantritt
abbricht; bekämen wir eine vollständige Bio¬
graphie, so würden wir Wohl eine glänzende
Rettung erleben. Oder haben wir doch noch
eine Fortsetzung zu hoffen? Seite 336 schreibt
Ferrero: „Wir werden sehen, wie die Zäsaren
hierin sin der Hätschelung des Pöbels durch
psnem et cirLensess vorangehen." Aber ein
ausdrückliches Versprechen fehlt, und das
Sachregister zu den sechs Bänden, das diesen?
letzten beigegeben ist, scheint den Abschluß zu
verkünden. Als besonders interessant seien
noch hervorgehoben: die Darstellung der Be¬
mühungen des Augustus um eine Finanz¬
reform (so oft die Staatsfinanzen oder Pro¬
vinzen Not litten, spendete Augustus ein Paar

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Dutzend Millionen aus seinem Privatvermögen;
die lex esäucaris, die eine gesetzliche Pro¬
skription gescholten wurde, war das vom
Justizrat Bamberger in den Grenzboten
empfohlene Erbrecht des Reiches, an dem ich
nur das eine nicht begreifen kann, daß die
Verbündeten Regierungen und die Parteien
nicht mit beiden Händen danach greifen); die
Einzelheiten aus der Geschichte Palästinas
und Herodes des Großen; endlich was über
die Schlacht im Teutoburger Walde, die vor
zwei Jahren eine ganze Literatur hervor¬
gerufen hat, — nicht gesagt wird. Während
Ferrero die übrigen Feldzüge in Germanien
sehr ausführlich erzählt, fertigt er den un¬
glücklichen des Varus ganz kurz ab; er hält
die Schlacht im Teutoburger Walde nicht für
eine jener Entscheidungsschlachten, die dem
Lauf der Weltgeschichte eine andere Wendung
gegeben haben. Lark Jentsch-Reiße

Aulturgeschichte (Selbstanzeige)

R. Frhr. ». Lichtenberg. Einflüsse der
iigiiischen Kultur auf Ägypten und Palästina.
Mit S4 Abbildungen. Mitteilungen derVorder-
asiatischen Gesellschaft. 16. Jahrgang. Heft 2.
Leipzig. Hinrichs. 1911. Preis M. 4,—.

Ein alter Spruch lautet: IZx orienw lux.
Wer hätte aber gedacht, daß dieser Spruch
wahr bleiben und dennoch sich inhaltlich in
sein gerades Gegenteil verdrehen könnte?
Während man nämlich früher der Ansicht
war, daß alle Kultur bei den alten Völkern
des Orients entstanden und von dort aus
den europäischen Stämmen mitgeteilt worden
sei, ergeben die neuesten Forschungen immer
deutlicher, daß die europäischen Arier seit
unvordenklichen Zeiten die eigentlichen Kultur¬
bildner waren, und von ihnen aus die Kultur
in den Orient und weiterhin ausstrahlte. Ein
gut Teil dieser Erkenntnis wurde durch die
orientalistischen Forschungen geboten, so daß der
Spruch auch in diesen: Sinne Geltung behält.

Derartige arisch-europäische Kultureinflüsse
auf orientalische Gebiete suchte ich in dem
genannten Buche nachzuweisen. Schon früh
im dritten vorchristlichen Jahrtausend drangen
mitteleuropäische Völker in die Balkanhalbinsel
ein und brachten europäisches Kulturgut mit.
Hier entwickelten sie nicht nur ihre Kultur zu
hoher Blüte, sondern Adler bald auch starke

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[0378] Maßgebliches und Unmaßgebliches Innren, die auch dort, wo, wie in Babylon, der Staat sich auf städtischer Grundlage erhob, willig einem Despoten gehorchte, beweist die Tatsache, das; allüberall, wo immer auf ger¬ manischem oder germano-ladinischen Boden eine Stadt entstand oder eine Bauernschaft von dem Prozeß der Feudalisierung verschont blieb, die rss publi^a als selbstverständlich galt und meistens auch die Verfassung an¬ nahm, die wir heute republikanisch nennen, auf die aber für größere Staaten weislich verzichtet wird, weil sie da technisch schwer durchführbar ist und entweder in Anarchie oder in verkappten Zäsarismus ausartet, wenn nicht, wie in Rom, bis zum letzten Punischen Kriege und in England bis in die neueste Zeit, eine übermächtige und staats- iluge Aristokratie regiert. Wichtige Partien des Buches sind die, in denen gezeigt wird, daß die wirtschaftliche und politische Erneuerung des Weltreichs ein dem heutigen ähnlicher Verstädterungsprozeß war, der den Keim des Verderbens in sich barg, und zugleich ein Prozeß der Jntellektucili- sierung und Sittenfäulnis, ein Volksselbstmord durch Indolenz, Genußsucht und Intellek¬ tualismus, den Ovid verkörpert und durch seine Dichtungen, besonders durch seinen „Führer für Ehebrecher und solche, die es werden wollen", nach Kräften fördert. Als das Haupt der Puritaner, die erfolglose An¬ strengungen machten, dem Verderben zu steuern, wird uns Tiberius vorgestellt, dem nichts fehlte als die Liebenswürdigkeit seines ebenfalls sittenreinen Bruders Drusus, Schade, daß das Werk vor seinem Regierungsantritt abbricht; bekämen wir eine vollständige Bio¬ graphie, so würden wir Wohl eine glänzende Rettung erleben. Oder haben wir doch noch eine Fortsetzung zu hoffen? Seite 336 schreibt Ferrero: „Wir werden sehen, wie die Zäsaren hierin sin der Hätschelung des Pöbels durch psnem et cirLensess vorangehen." Aber ein ausdrückliches Versprechen fehlt, und das Sachregister zu den sechs Bänden, das diesen? letzten beigegeben ist, scheint den Abschluß zu verkünden. Als besonders interessant seien noch hervorgehoben: die Darstellung der Be¬ mühungen des Augustus um eine Finanz¬ reform (so oft die Staatsfinanzen oder Pro¬ vinzen Not litten, spendete Augustus ein Paar Dutzend Millionen aus seinem Privatvermögen; die lex esäucaris, die eine gesetzliche Pro¬ skription gescholten wurde, war das vom Justizrat Bamberger in den Grenzboten empfohlene Erbrecht des Reiches, an dem ich nur das eine nicht begreifen kann, daß die Verbündeten Regierungen und die Parteien nicht mit beiden Händen danach greifen); die Einzelheiten aus der Geschichte Palästinas und Herodes des Großen; endlich was über die Schlacht im Teutoburger Walde, die vor zwei Jahren eine ganze Literatur hervor¬ gerufen hat, — nicht gesagt wird. Während Ferrero die übrigen Feldzüge in Germanien sehr ausführlich erzählt, fertigt er den un¬ glücklichen des Varus ganz kurz ab; er hält die Schlacht im Teutoburger Walde nicht für eine jener Entscheidungsschlachten, die dem Lauf der Weltgeschichte eine andere Wendung gegeben haben. Lark Jentsch-Reiße Aulturgeschichte (Selbstanzeige) R. Frhr. ». Lichtenberg. Einflüsse der iigiiischen Kultur auf Ägypten und Palästina. Mit S4 Abbildungen. Mitteilungen derVorder- asiatischen Gesellschaft. 16. Jahrgang. Heft 2. Leipzig. Hinrichs. 1911. Preis M. 4,—. Ein alter Spruch lautet: IZx orienw lux. Wer hätte aber gedacht, daß dieser Spruch wahr bleiben und dennoch sich inhaltlich in sein gerades Gegenteil verdrehen könnte? Während man nämlich früher der Ansicht war, daß alle Kultur bei den alten Völkern des Orients entstanden und von dort aus den europäischen Stämmen mitgeteilt worden sei, ergeben die neuesten Forschungen immer deutlicher, daß die europäischen Arier seit unvordenklichen Zeiten die eigentlichen Kultur¬ bildner waren, und von ihnen aus die Kultur in den Orient und weiterhin ausstrahlte. Ein gut Teil dieser Erkenntnis wurde durch die orientalistischen Forschungen geboten, so daß der Spruch auch in diesen: Sinne Geltung behält. Derartige arisch-europäische Kultureinflüsse auf orientalische Gebiete suchte ich in dem genannten Buche nachzuweisen. Schon früh im dritten vorchristlichen Jahrtausend drangen mitteleuropäische Völker in die Balkanhalbinsel ein und brachten europäisches Kulturgut mit. Hier entwickelten sie nicht nur ihre Kultur zu hoher Blüte, sondern Adler bald auch starke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/378>, abgerufen am 19.05.2024.