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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

lieben Kirchenbau, verfolgt Hnendcke die drei
Künste Architektur, Malerei und Plastik bis
in unsere Zeit, indem er aus jeder Epoche
ein charakteristisches Kunstwerk herausgreift und
analysiert. Welchem Zweck dient das Bau¬
werk? Welche Absichten hatte der bildende
Künstler, und wie weit und mit welchen Mitteln
sind diese erreicht? Diese Hauptfragen stellt
der Verfasser an jedes Kunstwerk und beant¬
wortet sie, indem er soweit wie nötig die Fäden,
die von einer Epoche zur nächsten hinüber¬
leiten, verfolgt und dadurch den kunstgeschicht-
lichen Zusammenhang wahrt.

So lernen wir, das Kunstwerk richtig zu be¬
trachten und uns zu eigen zu machen; wir leben
uns in die einzelnen Epochen der Kunst¬
geschichte ein, ohne unser Gehirn mit Namen
und Zahlen zu belasten, die dem genießende"
Laien von nebensächlicher Bedeutung sind.
Durch die ins Tiefe gehende Betrachtungsweise
HaendckeS, die jedes einzelne Kunstwerk als
Glied in der Kette fortlciufeuder Kunstent¬
wicklung ansieht und die den Leser dazu führt,
einheitliche Kunstbestrebungen auch in weit
auseinander liegenden Zeilen zu erkennen, ge¬
winnt das Buch eine hervorragende erziehe¬
rische Bedeutung. Hnendcke bewahrt uns vor
dein Spezialistentum, dus beim kunstliebenden
Laien besonders gefährlich ist, weil eS sich meist
in einer Abneigung gegen alles außerhalb der
Spezialität Liegende äußert. Hnendcke steht
der Kunst unserer Zeit mit richtigem Ver¬
ständnis gegenüber; er zeigt uns, wie Pro¬
bleme, die von Liebermnnn oder Manet auf¬
gestellt wurden, schon Lionardo da Vinci und
Grünewald beschäftigten; und wie treffend er
die moderne Plastik beurteilt, beweist seine
Analyse des Lcdcrerschen Bismarck-Denkmals
"> Hamburg, in der er zum Schlüsse sagt:
"Einem diesemFnlle angemesseneBeschräukuug
des naturwahren Details beherrscht dus Werk.
Hugo Lederers Bismarck ist kein Bismnrck
schlechthin, sondern die Verkörperung der
sich vertrauenden Kraft des Deutschen
und seines deutschen Vaterlandes. Das
Denkmal steht also derjenigen Richtung der
modernen deutschen Kunst nahe, die nicht
mehr allein dus schlicht Gesehene schildern
will, sondern die den Stoff nur als Mittel
zur künstlerischen Darstellung von allgemeinen
Ideen betrachtet."

[Spaltenumbruch]

Die "Kunstanalysen" vermitteln uns, ob¬
gleich sie kein Kunstgeschichtsbuch im Sinne
der Wissenschaft sind, den Pulsschlag in der
Kunst aller Zeiten, durch den wir ihre Lebens-
äuszerung zu erfassen lernen, ohne dessen
Kenntnis aber wir nie in ein Persönliches
Verhältnis zur Kunst treten können trotz
--M. aller Kunstgeschichte.

Volkswirtschaft
Mcrlandzentralcn.

In Ur. 47 des Jahr¬
gangs 1910 der Grenzboten hat Herr Re-
gierungs- und Gewerberat Lesser sich mit dem
in der Überschrift genannten Gegenstand be¬
schäftigt und dabei im besonderen die agra¬
rischen Überlnndzentralen berührt. Der Aussatz
ist mir mit starker Verspätung zu Gesichte
gekommen; es scheint mir aber, daß auch heute
noch zu einigen Punkten Bemerkungen an¬
gebracht sind.

Herr Lesser sagt: "Die Bewegung für die
Uberlandzentralen geht von den Elektrizitäts-
firmen ans, die Beschäftigung suchen." lind
an einer anderen Stelle: "In irgendeiner
Gegend taucht der Wunsch auf, elektrischen
Strom zur Verfügung zu haben. Geht man
den Spuren nach, so findet man regelmäßig
den Akquisitionsingenieur einer Elektrizitäts¬
firma." Das ist nach meiner Erfahrung nicht
allgemein richtig. Die erste agrarische Nber-
laudzentrale, von der überhaupt die Rede
war, wurde im Jahre 1896 von einem Guts¬
besitzer des Werrntales angeregt; die Anregung
kam um mich, als Direktor von Siemers ".
Hälfte, und ich habe schon damals darauf
hingewiesen, daß ein derartiges Unternehmen
nur nach sorgfältigster Prüfung aller Einzel¬
heiten in die Wege geleitet werden könne.
Die Anregung kam nicht zur Ausführung,
übrigens weniger meiner Kritik wegen, als
weil der Betreffende bei seinen benachbarten
Standesgenossen nicht genügende Sympathie
fand. Der Zug, daß manche Landwirte
glaubten, durch Einführung der Elektrizität
in^ihre Betriebe seien goldene Berge zu ge¬
winnen, machte sich schon damals bemerklich.
Auch jetzt existiert dieser Glaube noch an einer
nicht geringen Zahl von Stellen, und die Elek-
trizitütsfirmen haben sich verschiedentlich ver¬
anlaßt gesehen, ihn zu bekämpfen. Jchselbsthabe
öffentlich in ders7.Versammlung desDeutschen'

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Grenzboten II 1911 47
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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lieben Kirchenbau, verfolgt Hnendcke die drei
Künste Architektur, Malerei und Plastik bis
in unsere Zeit, indem er aus jeder Epoche
ein charakteristisches Kunstwerk herausgreift und
analysiert. Welchem Zweck dient das Bau¬
werk? Welche Absichten hatte der bildende
Künstler, und wie weit und mit welchen Mitteln
sind diese erreicht? Diese Hauptfragen stellt
der Verfasser an jedes Kunstwerk und beant¬
wortet sie, indem er soweit wie nötig die Fäden,
die von einer Epoche zur nächsten hinüber¬
leiten, verfolgt und dadurch den kunstgeschicht-
lichen Zusammenhang wahrt.

So lernen wir, das Kunstwerk richtig zu be¬
trachten und uns zu eigen zu machen; wir leben
uns in die einzelnen Epochen der Kunst¬
geschichte ein, ohne unser Gehirn mit Namen
und Zahlen zu belasten, die dem genießende»
Laien von nebensächlicher Bedeutung sind.
Durch die ins Tiefe gehende Betrachtungsweise
HaendckeS, die jedes einzelne Kunstwerk als
Glied in der Kette fortlciufeuder Kunstent¬
wicklung ansieht und die den Leser dazu führt,
einheitliche Kunstbestrebungen auch in weit
auseinander liegenden Zeilen zu erkennen, ge¬
winnt das Buch eine hervorragende erziehe¬
rische Bedeutung. Hnendcke bewahrt uns vor
dein Spezialistentum, dus beim kunstliebenden
Laien besonders gefährlich ist, weil eS sich meist
in einer Abneigung gegen alles außerhalb der
Spezialität Liegende äußert. Hnendcke steht
der Kunst unserer Zeit mit richtigem Ver¬
ständnis gegenüber; er zeigt uns, wie Pro¬
bleme, die von Liebermnnn oder Manet auf¬
gestellt wurden, schon Lionardo da Vinci und
Grünewald beschäftigten; und wie treffend er
die moderne Plastik beurteilt, beweist seine
Analyse des Lcdcrerschen Bismarck-Denkmals
"> Hamburg, in der er zum Schlüsse sagt:
»Einem diesemFnlle angemesseneBeschräukuug
des naturwahren Details beherrscht dus Werk.
Hugo Lederers Bismarck ist kein Bismnrck
schlechthin, sondern die Verkörperung der
sich vertrauenden Kraft des Deutschen
und seines deutschen Vaterlandes. Das
Denkmal steht also derjenigen Richtung der
modernen deutschen Kunst nahe, die nicht
mehr allein dus schlicht Gesehene schildern
will, sondern die den Stoff nur als Mittel
zur künstlerischen Darstellung von allgemeinen
Ideen betrachtet."

[Spaltenumbruch]

Die „Kunstanalysen" vermitteln uns, ob¬
gleich sie kein Kunstgeschichtsbuch im Sinne
der Wissenschaft sind, den Pulsschlag in der
Kunst aller Zeiten, durch den wir ihre Lebens-
äuszerung zu erfassen lernen, ohne dessen
Kenntnis aber wir nie in ein Persönliches
Verhältnis zur Kunst treten können trotz
—M. aller Kunstgeschichte.

Volkswirtschaft
Mcrlandzentralcn.

In Ur. 47 des Jahr¬
gangs 1910 der Grenzboten hat Herr Re-
gierungs- und Gewerberat Lesser sich mit dem
in der Überschrift genannten Gegenstand be¬
schäftigt und dabei im besonderen die agra¬
rischen Überlnndzentralen berührt. Der Aussatz
ist mir mit starker Verspätung zu Gesichte
gekommen; es scheint mir aber, daß auch heute
noch zu einigen Punkten Bemerkungen an¬
gebracht sind.

Herr Lesser sagt: „Die Bewegung für die
Uberlandzentralen geht von den Elektrizitäts-
firmen ans, die Beschäftigung suchen." lind
an einer anderen Stelle: „In irgendeiner
Gegend taucht der Wunsch auf, elektrischen
Strom zur Verfügung zu haben. Geht man
den Spuren nach, so findet man regelmäßig
den Akquisitionsingenieur einer Elektrizitäts¬
firma." Das ist nach meiner Erfahrung nicht
allgemein richtig. Die erste agrarische Nber-
laudzentrale, von der überhaupt die Rede
war, wurde im Jahre 1896 von einem Guts¬
besitzer des Werrntales angeregt; die Anregung
kam um mich, als Direktor von Siemers ».
Hälfte, und ich habe schon damals darauf
hingewiesen, daß ein derartiges Unternehmen
nur nach sorgfältigster Prüfung aller Einzel¬
heiten in die Wege geleitet werden könne.
Die Anregung kam nicht zur Ausführung,
übrigens weniger meiner Kritik wegen, als
weil der Betreffende bei seinen benachbarten
Standesgenossen nicht genügende Sympathie
fand. Der Zug, daß manche Landwirte
glaubten, durch Einführung der Elektrizität
in^ihre Betriebe seien goldene Berge zu ge¬
winnen, machte sich schon damals bemerklich.
Auch jetzt existiert dieser Glaube noch an einer
nicht geringen Zahl von Stellen, und die Elek-
trizitütsfirmen haben sich verschiedentlich ver¬
anlaßt gesehen, ihn zu bekämpfen. Jchselbsthabe
öffentlich in ders7.Versammlung desDeutschen'

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Grenzboten II 1911 47
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[0381] Maßgebliches und Unmaßgebliches lieben Kirchenbau, verfolgt Hnendcke die drei Künste Architektur, Malerei und Plastik bis in unsere Zeit, indem er aus jeder Epoche ein charakteristisches Kunstwerk herausgreift und analysiert. Welchem Zweck dient das Bau¬ werk? Welche Absichten hatte der bildende Künstler, und wie weit und mit welchen Mitteln sind diese erreicht? Diese Hauptfragen stellt der Verfasser an jedes Kunstwerk und beant¬ wortet sie, indem er soweit wie nötig die Fäden, die von einer Epoche zur nächsten hinüber¬ leiten, verfolgt und dadurch den kunstgeschicht- lichen Zusammenhang wahrt. So lernen wir, das Kunstwerk richtig zu be¬ trachten und uns zu eigen zu machen; wir leben uns in die einzelnen Epochen der Kunst¬ geschichte ein, ohne unser Gehirn mit Namen und Zahlen zu belasten, die dem genießende» Laien von nebensächlicher Bedeutung sind. Durch die ins Tiefe gehende Betrachtungsweise HaendckeS, die jedes einzelne Kunstwerk als Glied in der Kette fortlciufeuder Kunstent¬ wicklung ansieht und die den Leser dazu führt, einheitliche Kunstbestrebungen auch in weit auseinander liegenden Zeilen zu erkennen, ge¬ winnt das Buch eine hervorragende erziehe¬ rische Bedeutung. Hnendcke bewahrt uns vor dein Spezialistentum, dus beim kunstliebenden Laien besonders gefährlich ist, weil eS sich meist in einer Abneigung gegen alles außerhalb der Spezialität Liegende äußert. Hnendcke steht der Kunst unserer Zeit mit richtigem Ver¬ ständnis gegenüber; er zeigt uns, wie Pro¬ bleme, die von Liebermnnn oder Manet auf¬ gestellt wurden, schon Lionardo da Vinci und Grünewald beschäftigten; und wie treffend er die moderne Plastik beurteilt, beweist seine Analyse des Lcdcrerschen Bismarck-Denkmals "> Hamburg, in der er zum Schlüsse sagt: »Einem diesemFnlle angemesseneBeschräukuug des naturwahren Details beherrscht dus Werk. Hugo Lederers Bismarck ist kein Bismnrck schlechthin, sondern die Verkörperung der sich vertrauenden Kraft des Deutschen und seines deutschen Vaterlandes. Das Denkmal steht also derjenigen Richtung der modernen deutschen Kunst nahe, die nicht mehr allein dus schlicht Gesehene schildern will, sondern die den Stoff nur als Mittel zur künstlerischen Darstellung von allgemeinen Ideen betrachtet." Die „Kunstanalysen" vermitteln uns, ob¬ gleich sie kein Kunstgeschichtsbuch im Sinne der Wissenschaft sind, den Pulsschlag in der Kunst aller Zeiten, durch den wir ihre Lebens- äuszerung zu erfassen lernen, ohne dessen Kenntnis aber wir nie in ein Persönliches Verhältnis zur Kunst treten können trotz —M. aller Kunstgeschichte. Volkswirtschaft Mcrlandzentralcn. In Ur. 47 des Jahr¬ gangs 1910 der Grenzboten hat Herr Re- gierungs- und Gewerberat Lesser sich mit dem in der Überschrift genannten Gegenstand be¬ schäftigt und dabei im besonderen die agra¬ rischen Überlnndzentralen berührt. Der Aussatz ist mir mit starker Verspätung zu Gesichte gekommen; es scheint mir aber, daß auch heute noch zu einigen Punkten Bemerkungen an¬ gebracht sind. Herr Lesser sagt: „Die Bewegung für die Uberlandzentralen geht von den Elektrizitäts- firmen ans, die Beschäftigung suchen." lind an einer anderen Stelle: „In irgendeiner Gegend taucht der Wunsch auf, elektrischen Strom zur Verfügung zu haben. Geht man den Spuren nach, so findet man regelmäßig den Akquisitionsingenieur einer Elektrizitäts¬ firma." Das ist nach meiner Erfahrung nicht allgemein richtig. Die erste agrarische Nber- laudzentrale, von der überhaupt die Rede war, wurde im Jahre 1896 von einem Guts¬ besitzer des Werrntales angeregt; die Anregung kam um mich, als Direktor von Siemers ». Hälfte, und ich habe schon damals darauf hingewiesen, daß ein derartiges Unternehmen nur nach sorgfältigster Prüfung aller Einzel¬ heiten in die Wege geleitet werden könne. Die Anregung kam nicht zur Ausführung, übrigens weniger meiner Kritik wegen, als weil der Betreffende bei seinen benachbarten Standesgenossen nicht genügende Sympathie fand. Der Zug, daß manche Landwirte glaubten, durch Einführung der Elektrizität in^ihre Betriebe seien goldene Berge zu ge¬ winnen, machte sich schon damals bemerklich. Auch jetzt existiert dieser Glaube noch an einer nicht geringen Zahl von Stellen, und die Elek- trizitütsfirmen haben sich verschiedentlich ver¬ anlaßt gesehen, ihn zu bekämpfen. Jchselbsthabe öffentlich in ders7.Versammlung desDeutschen' Grenzboten II 1911 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/381>, abgerufen am 19.05.2024.