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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Legende vom Wacholderhügel

Möge dieses Werk von neuem die Überzeugung bekräftigen, daß das dem
Wohle der Menschheit dienende Note Kreuz im weißen Felde das Wahrzeichen
einer sittlichen Idee, das Banner einer moralischen Macht ist, welches da, wo
es erscheint, die heilige Flamme der Menschenliebe entfacht und so gleichzeitig
zu einem Träger und Verbreiter einer auf Veredlung der Menschen gerichteten
Kultur wird.

Dies alles ist durch die Genfer Konvention als allgemeine, ein für allemal
geltende Rechtsregel aufgerichtet worden, so daß seine Beachtung im Kriege nicht
mehr von dem guten Willen der Kriegführenden abhängt und demnach nicht
unbeachtet gelassen werden kann. Sie ist deshalb, namentlich mit den Ver¬
besserungen und Ergänzungen, die sie in neuerer Zeit erfahren, ein völkerrecht¬
liches Gesetz, durch das ein wichtiger Fortschritt des internationalen Völkerrechts
und damit der Kultur überhaupt errungen worden ist, und bildet ein alle
gesitteten Völker umschlingendes Band humanitärer Weltanschauung.




Legende vom Wacholderhügel
von Bernhard Flemes

le Kriegsfurie raste im Lande, lange Jahre schon. Aus Städten
und Dörfern machte sie Fackeln, die ihre Greueltaten beleuchteten.
! Die Pest fraß an den Leibern, die Wüstheit an den Seelen der
Menschen. Ihr aber war das Geheul der mißhandelten und ent¬
arteten Menschheit ein lieblicher Gesang. Und wo sie noch ein
Wesen fand, das in den großen Notschrei der Welt nicht einstimmte, da zwickte
sie es so lange, bis seine Schmerzschreie erschollen oder es sich wie ein Hund an
ihre blutigen Sohlen heftete und mitraste.

Als der große Krieg begann, dachte der Bischof an sein Filialklösterlein, das
oben auf der Hochebene lag, sechs Stunden durch dicken Wald und immer bergauf,
bergab. Er schickte einen Boten hin: wer lieber in die schirmenden Arme des
Mutterklosters zurückkehren möge, der sei willkommen, denn bis da oben hin reiche
des Bischofs Hand nimmer, und keiner solle hernach klagen, daß er, der den
Seinen immer ein gütiger Vater gewesen sei, sie nicht nach Kräften geschützt habe.
Da brachen sie alle um Mitternacht auf. Vier Stunden wanderten sie, bis es vor
ihnen über den weichen Moosboden schwappte und durch die düsteren Fichten von
Helmen und Harnischen blitzte. Ein Reiterzug brach durch den Wald, voran ein
großer, bärtiger Mann auf einem mächtigen schwarzen Roß. Der hatte ein
nacktes Mägdelein vor sich auf dem Pferde. Ihr Blondhaar flammte über die
Eisenrüstung des Reiters. Die frommen Brüder kannten sie wohl, denn sie war
die Tochter von Klosterleuten. Zwei andere schleppten Frauen vor sich auf den


Legende vom Wacholderhügel

Möge dieses Werk von neuem die Überzeugung bekräftigen, daß das dem
Wohle der Menschheit dienende Note Kreuz im weißen Felde das Wahrzeichen
einer sittlichen Idee, das Banner einer moralischen Macht ist, welches da, wo
es erscheint, die heilige Flamme der Menschenliebe entfacht und so gleichzeitig
zu einem Träger und Verbreiter einer auf Veredlung der Menschen gerichteten
Kultur wird.

Dies alles ist durch die Genfer Konvention als allgemeine, ein für allemal
geltende Rechtsregel aufgerichtet worden, so daß seine Beachtung im Kriege nicht
mehr von dem guten Willen der Kriegführenden abhängt und demnach nicht
unbeachtet gelassen werden kann. Sie ist deshalb, namentlich mit den Ver¬
besserungen und Ergänzungen, die sie in neuerer Zeit erfahren, ein völkerrecht¬
liches Gesetz, durch das ein wichtiger Fortschritt des internationalen Völkerrechts
und damit der Kultur überhaupt errungen worden ist, und bildet ein alle
gesitteten Völker umschlingendes Band humanitärer Weltanschauung.




Legende vom Wacholderhügel
von Bernhard Flemes

le Kriegsfurie raste im Lande, lange Jahre schon. Aus Städten
und Dörfern machte sie Fackeln, die ihre Greueltaten beleuchteten.
! Die Pest fraß an den Leibern, die Wüstheit an den Seelen der
Menschen. Ihr aber war das Geheul der mißhandelten und ent¬
arteten Menschheit ein lieblicher Gesang. Und wo sie noch ein
Wesen fand, das in den großen Notschrei der Welt nicht einstimmte, da zwickte
sie es so lange, bis seine Schmerzschreie erschollen oder es sich wie ein Hund an
ihre blutigen Sohlen heftete und mitraste.

Als der große Krieg begann, dachte der Bischof an sein Filialklösterlein, das
oben auf der Hochebene lag, sechs Stunden durch dicken Wald und immer bergauf,
bergab. Er schickte einen Boten hin: wer lieber in die schirmenden Arme des
Mutterklosters zurückkehren möge, der sei willkommen, denn bis da oben hin reiche
des Bischofs Hand nimmer, und keiner solle hernach klagen, daß er, der den
Seinen immer ein gütiger Vater gewesen sei, sie nicht nach Kräften geschützt habe.
Da brachen sie alle um Mitternacht auf. Vier Stunden wanderten sie, bis es vor
ihnen über den weichen Moosboden schwappte und durch die düsteren Fichten von
Helmen und Harnischen blitzte. Ein Reiterzug brach durch den Wald, voran ein
großer, bärtiger Mann auf einem mächtigen schwarzen Roß. Der hatte ein
nacktes Mägdelein vor sich auf dem Pferde. Ihr Blondhaar flammte über die
Eisenrüstung des Reiters. Die frommen Brüder kannten sie wohl, denn sie war
die Tochter von Klosterleuten. Zwei andere schleppten Frauen vor sich auf den


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[0420] Legende vom Wacholderhügel Möge dieses Werk von neuem die Überzeugung bekräftigen, daß das dem Wohle der Menschheit dienende Note Kreuz im weißen Felde das Wahrzeichen einer sittlichen Idee, das Banner einer moralischen Macht ist, welches da, wo es erscheint, die heilige Flamme der Menschenliebe entfacht und so gleichzeitig zu einem Träger und Verbreiter einer auf Veredlung der Menschen gerichteten Kultur wird. Dies alles ist durch die Genfer Konvention als allgemeine, ein für allemal geltende Rechtsregel aufgerichtet worden, so daß seine Beachtung im Kriege nicht mehr von dem guten Willen der Kriegführenden abhängt und demnach nicht unbeachtet gelassen werden kann. Sie ist deshalb, namentlich mit den Ver¬ besserungen und Ergänzungen, die sie in neuerer Zeit erfahren, ein völkerrecht¬ liches Gesetz, durch das ein wichtiger Fortschritt des internationalen Völkerrechts und damit der Kultur überhaupt errungen worden ist, und bildet ein alle gesitteten Völker umschlingendes Band humanitärer Weltanschauung. Legende vom Wacholderhügel von Bernhard Flemes le Kriegsfurie raste im Lande, lange Jahre schon. Aus Städten und Dörfern machte sie Fackeln, die ihre Greueltaten beleuchteten. ! Die Pest fraß an den Leibern, die Wüstheit an den Seelen der Menschen. Ihr aber war das Geheul der mißhandelten und ent¬ arteten Menschheit ein lieblicher Gesang. Und wo sie noch ein Wesen fand, das in den großen Notschrei der Welt nicht einstimmte, da zwickte sie es so lange, bis seine Schmerzschreie erschollen oder es sich wie ein Hund an ihre blutigen Sohlen heftete und mitraste. Als der große Krieg begann, dachte der Bischof an sein Filialklösterlein, das oben auf der Hochebene lag, sechs Stunden durch dicken Wald und immer bergauf, bergab. Er schickte einen Boten hin: wer lieber in die schirmenden Arme des Mutterklosters zurückkehren möge, der sei willkommen, denn bis da oben hin reiche des Bischofs Hand nimmer, und keiner solle hernach klagen, daß er, der den Seinen immer ein gütiger Vater gewesen sei, sie nicht nach Kräften geschützt habe. Da brachen sie alle um Mitternacht auf. Vier Stunden wanderten sie, bis es vor ihnen über den weichen Moosboden schwappte und durch die düsteren Fichten von Helmen und Harnischen blitzte. Ein Reiterzug brach durch den Wald, voran ein großer, bärtiger Mann auf einem mächtigen schwarzen Roß. Der hatte ein nacktes Mägdelein vor sich auf dem Pferde. Ihr Blondhaar flammte über die Eisenrüstung des Reiters. Die frommen Brüder kannten sie wohl, denn sie war die Tochter von Klosterleuten. Zwei andere schleppten Frauen vor sich auf den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/420>, abgerufen am 19.05.2024.