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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Biographien und Briefwechsel

Klaus Groth war schon fast ein Vierziger,
als er im Hause seines "Kieler Badefreundes",
des "Odins" Louis Küster, Doris Finke, seine
spätere Frau, kennen lernte. Sieben Wochen
lebten sie in Düsternbrook bei Kiel unter einem
Dach und waren den ganzen Tag zusammen,
wie Groth selbst mit wenigen, zurückhaltender
Worten in seinen "Lebenserinnerungen" er¬
zählt. Wie innig und tief die Liebe des
Dichters war, zeigten die Gedichte an seine
Frau, die der Zögernde erst 1893 im vierten
Band der Gesamtausgabe seiner Werke ver¬
öffentlichte; die Briefe Klaus Groths an
seine Braut, die wir der Sorgfalt Hermann
Krumms nun auch in Buchform verdanken
(Braunschweig, George Westermann. Preis
M. 4.--), bestätigen, wieviel dem schon Er¬
grauenden diese Liebe bedeutete, die ihn mit
neuen: Lebensmut beseelte und trotz aller
Schwierigkeiten wieder froh in die Zukunft
blicken ließ. Aufgeregt setzen die Briefe ein,
sie zeigen die tiefe Erschütterung des Dichters,
die auch der Wechsel der Anrede verrät; er
nennt die Geliebte bald Du, bald Sie. Der
ernste Mann wird weich, vor Tränen in den
Augen kann er kaum schreiben. Er glaubte
nicht mehr ans Glück. "Nun hat Deine Liebe
mich beschlichen, wie der Frühling die Erde."
Auch später, nachdem er ruhiger geworden,
klingt immer wieder durch, wie sehr ihn seine
Liebe beseligt. In diesen lyrischen Bekennt¬
nissen, die Wärme, Innigkeit und Wahrheit
in seltenem Maß aufzeigen, liegt ein nicht
geringer Reiz des Buches. Mit schrankenloser
Offenheit und staunenswerter Ausführlichkeit
teilt er sich der Geliebten mit, wir lernen sein
ganzes Wesen kennen, wir werden mit seiner
Umgebung vertraut, mit den Menschen, die
uni ihn leben. Er spricht von seinen Aus¬
sichten für die Zukunft, erzählt von seinen
Erfolgen als Dozent und von seinen hoff¬
nungsvollen Bemühungen, Müllenhoffs Nach¬
folger an der Universität zu werden. In
dieser Erwartung sah er sich schließlich doch
getäuscht. Er schlägt Lektüre vor, Nibelungen¬
lied und Walter von der Vogelweide, Schillers
Philosophische Schriften und dann wieder Cha-

[Spaltenumbruch]

lybaeus' Geschichte der spekulativen Philo¬
sophie oder auch AdolfStahrsLessingbiograPhic.
Man sieht, seine Frau sollte ihm auch geistig
Gefährtin sein. Häufig legt er innige Ge¬
dichte bei. Gern gedenkt er der Liebe und
Anerkennung, die ihm von allen Seiten zuteil
wird, von hoch und niedrig. Auch von seinen
dichterischen Plänen für die Zukunft spricht er,
allerdings nur in unbestimmten Andeutungen.
Denn als Dichter fühlt er sich, nicht als Pro¬
fessor; bei allem Eifer, den er auf seine aka¬
demische Tätigkeit wendet, fühlt man stets,
daß ihm das Lehramt doch nur eine an¬
gesehene bürgerliche Stellung gewährleisten
soll. Auf die Ausnahmestellung, die er unter
Deutschlands Dichtern einnimmt, ist er stolz;
er empfindet sich als einen Markstein in der
Geschichte der Dichtung, was sich vielleicht am
deutlichsten in der Schilderung zeigt, die er
der Braut von seiner Auffassung des Dichter¬
berufs gibt. Die naive Dichtungsweise er¬
scheint ihm trotz Schiller als die einzig richtige.
Doch auch Goethe sei noch nicht naiv im Sinne
der Naturdichtung, auch er wolle sich, seine
Welt, seine Weltanschauung realisiert wissen,
er erstrebe etwas und wolle nicht bloß dar¬
stellen. Seitdem sei unsere Poesie nur Kon¬
fession im weiteren Sinn. "Und da steht
mein Standpunkt, dort ist mein Schritt, den
ich vorwärts thue, den man später als Fort¬
schritt erkennen wird: so weit es jetzt möglich
ist, lasse ich nur Objekte und Gefühle für sich
reden, ich bin nicht dabei, mich erkennt man
nicht, wer ich bin, sieht man nicht an meinen
Gedichten, nicht ob ich jung oder alt, gelehrt
oder naiv bin, nicht wie mir zu Muthe ist, als
etwa im Ganzen, Großen." Das Sentimen¬
talische sei im Hochdeutschen der Sprache als
Charakter aufgeprägt, "daher eben dichtete ich
Plattdeutsch, hier spricht das Volk, nicht ich".
Man wird die Einseitigkeit dieses Stand-
Punktes, den Groth auch in den "Briefen über
Hochdeutsch und Plattdeutsch" vertritt, nicht
übersehen, aber man wird auch zugeben
müssen, daß in dieser Einseitigkeit ein gut Teil
der Größe des Qnickborndichters liegt. So
zeigen uns diese Briefe den Dichter in seiner
Größe wie in seiner Grenze, vor allen Dingen
aber zeigen sie uns ihn als echten und wahren

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Biographien und Briefwechsel

Klaus Groth war schon fast ein Vierziger,
als er im Hause seines „Kieler Badefreundes",
des „Odins" Louis Küster, Doris Finke, seine
spätere Frau, kennen lernte. Sieben Wochen
lebten sie in Düsternbrook bei Kiel unter einem
Dach und waren den ganzen Tag zusammen,
wie Groth selbst mit wenigen, zurückhaltender
Worten in seinen „Lebenserinnerungen" er¬
zählt. Wie innig und tief die Liebe des
Dichters war, zeigten die Gedichte an seine
Frau, die der Zögernde erst 1893 im vierten
Band der Gesamtausgabe seiner Werke ver¬
öffentlichte; die Briefe Klaus Groths an
seine Braut, die wir der Sorgfalt Hermann
Krumms nun auch in Buchform verdanken
(Braunschweig, George Westermann. Preis
M. 4.—), bestätigen, wieviel dem schon Er¬
grauenden diese Liebe bedeutete, die ihn mit
neuen: Lebensmut beseelte und trotz aller
Schwierigkeiten wieder froh in die Zukunft
blicken ließ. Aufgeregt setzen die Briefe ein,
sie zeigen die tiefe Erschütterung des Dichters,
die auch der Wechsel der Anrede verrät; er
nennt die Geliebte bald Du, bald Sie. Der
ernste Mann wird weich, vor Tränen in den
Augen kann er kaum schreiben. Er glaubte
nicht mehr ans Glück. „Nun hat Deine Liebe
mich beschlichen, wie der Frühling die Erde."
Auch später, nachdem er ruhiger geworden,
klingt immer wieder durch, wie sehr ihn seine
Liebe beseligt. In diesen lyrischen Bekennt¬
nissen, die Wärme, Innigkeit und Wahrheit
in seltenem Maß aufzeigen, liegt ein nicht
geringer Reiz des Buches. Mit schrankenloser
Offenheit und staunenswerter Ausführlichkeit
teilt er sich der Geliebten mit, wir lernen sein
ganzes Wesen kennen, wir werden mit seiner
Umgebung vertraut, mit den Menschen, die
uni ihn leben. Er spricht von seinen Aus¬
sichten für die Zukunft, erzählt von seinen
Erfolgen als Dozent und von seinen hoff¬
nungsvollen Bemühungen, Müllenhoffs Nach¬
folger an der Universität zu werden. In
dieser Erwartung sah er sich schließlich doch
getäuscht. Er schlägt Lektüre vor, Nibelungen¬
lied und Walter von der Vogelweide, Schillers
Philosophische Schriften und dann wieder Cha-

[Spaltenumbruch]

lybaeus' Geschichte der spekulativen Philo¬
sophie oder auch AdolfStahrsLessingbiograPhic.
Man sieht, seine Frau sollte ihm auch geistig
Gefährtin sein. Häufig legt er innige Ge¬
dichte bei. Gern gedenkt er der Liebe und
Anerkennung, die ihm von allen Seiten zuteil
wird, von hoch und niedrig. Auch von seinen
dichterischen Plänen für die Zukunft spricht er,
allerdings nur in unbestimmten Andeutungen.
Denn als Dichter fühlt er sich, nicht als Pro¬
fessor; bei allem Eifer, den er auf seine aka¬
demische Tätigkeit wendet, fühlt man stets,
daß ihm das Lehramt doch nur eine an¬
gesehene bürgerliche Stellung gewährleisten
soll. Auf die Ausnahmestellung, die er unter
Deutschlands Dichtern einnimmt, ist er stolz;
er empfindet sich als einen Markstein in der
Geschichte der Dichtung, was sich vielleicht am
deutlichsten in der Schilderung zeigt, die er
der Braut von seiner Auffassung des Dichter¬
berufs gibt. Die naive Dichtungsweise er¬
scheint ihm trotz Schiller als die einzig richtige.
Doch auch Goethe sei noch nicht naiv im Sinne
der Naturdichtung, auch er wolle sich, seine
Welt, seine Weltanschauung realisiert wissen,
er erstrebe etwas und wolle nicht bloß dar¬
stellen. Seitdem sei unsere Poesie nur Kon¬
fession im weiteren Sinn. „Und da steht
mein Standpunkt, dort ist mein Schritt, den
ich vorwärts thue, den man später als Fort¬
schritt erkennen wird: so weit es jetzt möglich
ist, lasse ich nur Objekte und Gefühle für sich
reden, ich bin nicht dabei, mich erkennt man
nicht, wer ich bin, sieht man nicht an meinen
Gedichten, nicht ob ich jung oder alt, gelehrt
oder naiv bin, nicht wie mir zu Muthe ist, als
etwa im Ganzen, Großen." Das Sentimen¬
talische sei im Hochdeutschen der Sprache als
Charakter aufgeprägt, „daher eben dichtete ich
Plattdeutsch, hier spricht das Volk, nicht ich".
Man wird die Einseitigkeit dieses Stand-
Punktes, den Groth auch in den „Briefen über
Hochdeutsch und Plattdeutsch" vertritt, nicht
übersehen, aber man wird auch zugeben
müssen, daß in dieser Einseitigkeit ein gut Teil
der Größe des Qnickborndichters liegt. So
zeigen uns diese Briefe den Dichter in seiner
Größe wie in seiner Grenze, vor allen Dingen
aber zeigen sie uns ihn als echten und wahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/432>, abgerufen am 19.05.2024.