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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

sogar Kainz ein ablehnendes Dittum erhält,
hat er den gerade für den Dramaturgen not¬
wendigen Sinn für dos Drama der Gegen¬
wart; was er über Ibsen sagt, klingt schon
gezwungen, seine deutsche Schule wird in ein
"literarisches Massengrab" bestattet. Der
Dramaturg hat sich zum Worte gemeldet, der
Ästhetiker hat es erhalten -- wieder ein Zwie¬
spalt, über den der Verfasser ebensowenig
hinwegkommt wie der Leser. Vom Drama¬
turgen erklärte ich die Frage, ob man in
hundert Jahren den Gedenktag irgendeines
unserer modernen Stücke feiern werde, weder
aufgeworfen noch beantwortet. Dafür mag
man seine reine Freude an den Beobachtungen
über den Dekorationsunfug, an den kurzen Be¬
merkungen über schauspielerische Schöpfungen
des Burgtheaters habe". Wenn er aber mit
verklausulierter Dialektik die Darstellung des
Clavigv durch Treßler rechtfertigt und in ein¬
schränkenden Sätzen wieder preisgibt, fühlt
man sich an den ebenso bedenklichen Shylock-
Aufsatz gemahnt. Genug Fesselndes bleibt
über für den Theoretiker wie den Praktiker;
der letztere allerdings wird geneigt sein, das
öfter wiederholte Wort: "Kunst ist Tat" nach¬
denklich nachzusprechen.

Prof. Dr. Alexander v. Meilen
Bildende Aunst

Kunst und Kaufmann. Die Entwicklung
der Industrie brachte es mit sich, daß das
geschmackliche Nibeau nicht gleichen Schritt
halten konnte. Früher, als Handwerker und
Künstler noch eins waren, war es selbst¬
verständlich, daß der Verfertiger einer Ware
ihr auch eine Form, eine Erscheinung gab,
die mit der künstlerischen Anschauung, dem
Geschmack seiner Zeit übereinstimmte. Dann
aber wurden diese beiden Kräfte so weit von¬
einander getrennt, das; ein gedeihliches Zu¬
sammenwirken unmöglich war. Glücklicher¬
weise setzte bor nicht langer Zeit eine große,
nachhaltige Bewegung ein, die darauf abzielte,
mit der Industrie wieder das künstlerische
Element zu verbinden, ihre Erzeugnisse sowohl
sachlich gediegen als auch geschmacklich ein¬
wandfrei zu machen und somit, indem alle
Dinge des Alltags eine neue, ausdrucksvolle
Form erhalten sollten, Schönheit in das Leben
der Gegenwart zu tragen.

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Die Industrie merkte bald, daß ihr in
den Künstlern ein starker Beistand erwachsen
war, die Qualität ihrer Produkte zu steigern
und somit im Wetteifer mit der Konkurrenz
sich erfolgreich zu behaupten. Es würde hier
zu weit führen, alle die Beispiele aufzuzählen,
die als Beweis dafür dienen könnten, daß
ganze Erwerbszweige sich aus ungünstiger
Lage wieder emporgeschwungen haben, als
sie im Sinne dieser neuzeitlichen Bewegung
unter künstlerischer Mitarbeit mit Hilfe eines
künstlerischen Beirath zu arbeiten begannen.

Die einwandfreie Ware ist für sich die
beste Reklame. Die Qualitätssteigerung, die
Geschmackserneuernng haben so durchgreifend
gewirkt, daß wir den Einfluß überall spüren;
bis zu den kleinsten Dingen macht sich diese
Reform bemerkbar, sei es in den Druck¬
erzeugnissen, in der Reklame, in Plataeer und
Prospekten, oder auch in der Art, wie die
Waren zur Darstellung, zur Auslage gebracht
werden. Industrie und Kunst sind aufeinander
angewiesen. Der Künstler schafft im tiefsten
Sinne Einzelwerte, der Sinn der Industrie
ist, Allgemeinwerte zu schaffen. Die Industrie
bedient sich des Künstlers, um dieser Aufgabe
zu genügen, dafür gibt sie ihm neue Möglich¬
keiten der Technik, neue Wege der Gestaltung.
Sie ist die große Durchgcmgsstation, durch
die moderne Anschauungen, in künstlerische
Form gebracht, weiten Kreisen bekannt und
zugänglich gemacht werden, die dadurch oft
erst Kenntnis erhalten von dem neuen Wollen
und Wirken.

Nicht nur der Künstler ist über diese Kultur-
tendenz, die die Industrie zur Qualitätsarbeit
drängt, unterrichtet, auch das Publikum weiß
jetzt besser als in früherer Zeit Bescheid, es
hat kennen gelernt, was gute und schlechte
Arbeit, was guter und schlechter Geschmack ist,
so daß nicht mehr die Entschuldigung gilt:
"Das Publikum will es so, das Publikum
verlangt eS so." Das Publikum hat den
Instinkt für die gute Ware, und die Indu¬
strien, die diesen Regungen entgegenkommen,
haben vollbegründete Aussicht, sich ihren Ab¬
nehmerkreis zu sichern, ihn zu vergrößern, da
In Zeitungen und Zeitschriften für diese Ideen
eingetreten wird und auch die offizielle Unter¬
stützung ihnen jetzt in immer größerem Ma߬
stabe zuteil wird.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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sogar Kainz ein ablehnendes Dittum erhält,
hat er den gerade für den Dramaturgen not¬
wendigen Sinn für dos Drama der Gegen¬
wart; was er über Ibsen sagt, klingt schon
gezwungen, seine deutsche Schule wird in ein
„literarisches Massengrab" bestattet. Der
Dramaturg hat sich zum Worte gemeldet, der
Ästhetiker hat es erhalten — wieder ein Zwie¬
spalt, über den der Verfasser ebensowenig
hinwegkommt wie der Leser. Vom Drama¬
turgen erklärte ich die Frage, ob man in
hundert Jahren den Gedenktag irgendeines
unserer modernen Stücke feiern werde, weder
aufgeworfen noch beantwortet. Dafür mag
man seine reine Freude an den Beobachtungen
über den Dekorationsunfug, an den kurzen Be¬
merkungen über schauspielerische Schöpfungen
des Burgtheaters habe». Wenn er aber mit
verklausulierter Dialektik die Darstellung des
Clavigv durch Treßler rechtfertigt und in ein¬
schränkenden Sätzen wieder preisgibt, fühlt
man sich an den ebenso bedenklichen Shylock-
Aufsatz gemahnt. Genug Fesselndes bleibt
über für den Theoretiker wie den Praktiker;
der letztere allerdings wird geneigt sein, das
öfter wiederholte Wort: „Kunst ist Tat" nach¬
denklich nachzusprechen.

Prof. Dr. Alexander v. Meilen
Bildende Aunst

Kunst und Kaufmann. Die Entwicklung
der Industrie brachte es mit sich, daß das
geschmackliche Nibeau nicht gleichen Schritt
halten konnte. Früher, als Handwerker und
Künstler noch eins waren, war es selbst¬
verständlich, daß der Verfertiger einer Ware
ihr auch eine Form, eine Erscheinung gab,
die mit der künstlerischen Anschauung, dem
Geschmack seiner Zeit übereinstimmte. Dann
aber wurden diese beiden Kräfte so weit von¬
einander getrennt, das; ein gedeihliches Zu¬
sammenwirken unmöglich war. Glücklicher¬
weise setzte bor nicht langer Zeit eine große,
nachhaltige Bewegung ein, die darauf abzielte,
mit der Industrie wieder das künstlerische
Element zu verbinden, ihre Erzeugnisse sowohl
sachlich gediegen als auch geschmacklich ein¬
wandfrei zu machen und somit, indem alle
Dinge des Alltags eine neue, ausdrucksvolle
Form erhalten sollten, Schönheit in das Leben
der Gegenwart zu tragen.

[Spaltenumbruch]

Die Industrie merkte bald, daß ihr in
den Künstlern ein starker Beistand erwachsen
war, die Qualität ihrer Produkte zu steigern
und somit im Wetteifer mit der Konkurrenz
sich erfolgreich zu behaupten. Es würde hier
zu weit führen, alle die Beispiele aufzuzählen,
die als Beweis dafür dienen könnten, daß
ganze Erwerbszweige sich aus ungünstiger
Lage wieder emporgeschwungen haben, als
sie im Sinne dieser neuzeitlichen Bewegung
unter künstlerischer Mitarbeit mit Hilfe eines
künstlerischen Beirath zu arbeiten begannen.

Die einwandfreie Ware ist für sich die
beste Reklame. Die Qualitätssteigerung, die
Geschmackserneuernng haben so durchgreifend
gewirkt, daß wir den Einfluß überall spüren;
bis zu den kleinsten Dingen macht sich diese
Reform bemerkbar, sei es in den Druck¬
erzeugnissen, in der Reklame, in Plataeer und
Prospekten, oder auch in der Art, wie die
Waren zur Darstellung, zur Auslage gebracht
werden. Industrie und Kunst sind aufeinander
angewiesen. Der Künstler schafft im tiefsten
Sinne Einzelwerte, der Sinn der Industrie
ist, Allgemeinwerte zu schaffen. Die Industrie
bedient sich des Künstlers, um dieser Aufgabe
zu genügen, dafür gibt sie ihm neue Möglich¬
keiten der Technik, neue Wege der Gestaltung.
Sie ist die große Durchgcmgsstation, durch
die moderne Anschauungen, in künstlerische
Form gebracht, weiten Kreisen bekannt und
zugänglich gemacht werden, die dadurch oft
erst Kenntnis erhalten von dem neuen Wollen
und Wirken.

Nicht nur der Künstler ist über diese Kultur-
tendenz, die die Industrie zur Qualitätsarbeit
drängt, unterrichtet, auch das Publikum weiß
jetzt besser als in früherer Zeit Bescheid, es
hat kennen gelernt, was gute und schlechte
Arbeit, was guter und schlechter Geschmack ist,
so daß nicht mehr die Entschuldigung gilt:
„Das Publikum will es so, das Publikum
verlangt eS so." Das Publikum hat den
Instinkt für die gute Ware, und die Indu¬
strien, die diesen Regungen entgegenkommen,
haben vollbegründete Aussicht, sich ihren Ab¬
nehmerkreis zu sichern, ihn zu vergrößern, da
In Zeitungen und Zeitschriften für diese Ideen
eingetreten wird und auch die offizielle Unter¬
stützung ihnen jetzt in immer größerem Ma߬
stabe zuteil wird.

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[0052] Maßgebliches und Unmaßgebliches sogar Kainz ein ablehnendes Dittum erhält, hat er den gerade für den Dramaturgen not¬ wendigen Sinn für dos Drama der Gegen¬ wart; was er über Ibsen sagt, klingt schon gezwungen, seine deutsche Schule wird in ein „literarisches Massengrab" bestattet. Der Dramaturg hat sich zum Worte gemeldet, der Ästhetiker hat es erhalten — wieder ein Zwie¬ spalt, über den der Verfasser ebensowenig hinwegkommt wie der Leser. Vom Drama¬ turgen erklärte ich die Frage, ob man in hundert Jahren den Gedenktag irgendeines unserer modernen Stücke feiern werde, weder aufgeworfen noch beantwortet. Dafür mag man seine reine Freude an den Beobachtungen über den Dekorationsunfug, an den kurzen Be¬ merkungen über schauspielerische Schöpfungen des Burgtheaters habe». Wenn er aber mit verklausulierter Dialektik die Darstellung des Clavigv durch Treßler rechtfertigt und in ein¬ schränkenden Sätzen wieder preisgibt, fühlt man sich an den ebenso bedenklichen Shylock- Aufsatz gemahnt. Genug Fesselndes bleibt über für den Theoretiker wie den Praktiker; der letztere allerdings wird geneigt sein, das öfter wiederholte Wort: „Kunst ist Tat" nach¬ denklich nachzusprechen. Prof. Dr. Alexander v. Meilen Bildende Aunst Kunst und Kaufmann. Die Entwicklung der Industrie brachte es mit sich, daß das geschmackliche Nibeau nicht gleichen Schritt halten konnte. Früher, als Handwerker und Künstler noch eins waren, war es selbst¬ verständlich, daß der Verfertiger einer Ware ihr auch eine Form, eine Erscheinung gab, die mit der künstlerischen Anschauung, dem Geschmack seiner Zeit übereinstimmte. Dann aber wurden diese beiden Kräfte so weit von¬ einander getrennt, das; ein gedeihliches Zu¬ sammenwirken unmöglich war. Glücklicher¬ weise setzte bor nicht langer Zeit eine große, nachhaltige Bewegung ein, die darauf abzielte, mit der Industrie wieder das künstlerische Element zu verbinden, ihre Erzeugnisse sowohl sachlich gediegen als auch geschmacklich ein¬ wandfrei zu machen und somit, indem alle Dinge des Alltags eine neue, ausdrucksvolle Form erhalten sollten, Schönheit in das Leben der Gegenwart zu tragen. Die Industrie merkte bald, daß ihr in den Künstlern ein starker Beistand erwachsen war, die Qualität ihrer Produkte zu steigern und somit im Wetteifer mit der Konkurrenz sich erfolgreich zu behaupten. Es würde hier zu weit führen, alle die Beispiele aufzuzählen, die als Beweis dafür dienen könnten, daß ganze Erwerbszweige sich aus ungünstiger Lage wieder emporgeschwungen haben, als sie im Sinne dieser neuzeitlichen Bewegung unter künstlerischer Mitarbeit mit Hilfe eines künstlerischen Beirath zu arbeiten begannen. Die einwandfreie Ware ist für sich die beste Reklame. Die Qualitätssteigerung, die Geschmackserneuernng haben so durchgreifend gewirkt, daß wir den Einfluß überall spüren; bis zu den kleinsten Dingen macht sich diese Reform bemerkbar, sei es in den Druck¬ erzeugnissen, in der Reklame, in Plataeer und Prospekten, oder auch in der Art, wie die Waren zur Darstellung, zur Auslage gebracht werden. Industrie und Kunst sind aufeinander angewiesen. Der Künstler schafft im tiefsten Sinne Einzelwerte, der Sinn der Industrie ist, Allgemeinwerte zu schaffen. Die Industrie bedient sich des Künstlers, um dieser Aufgabe zu genügen, dafür gibt sie ihm neue Möglich¬ keiten der Technik, neue Wege der Gestaltung. Sie ist die große Durchgcmgsstation, durch die moderne Anschauungen, in künstlerische Form gebracht, weiten Kreisen bekannt und zugänglich gemacht werden, die dadurch oft erst Kenntnis erhalten von dem neuen Wollen und Wirken. Nicht nur der Künstler ist über diese Kultur- tendenz, die die Industrie zur Qualitätsarbeit drängt, unterrichtet, auch das Publikum weiß jetzt besser als in früherer Zeit Bescheid, es hat kennen gelernt, was gute und schlechte Arbeit, was guter und schlechter Geschmack ist, so daß nicht mehr die Entschuldigung gilt: „Das Publikum will es so, das Publikum verlangt eS so." Das Publikum hat den Instinkt für die gute Ware, und die Indu¬ strien, die diesen Regungen entgegenkommen, haben vollbegründete Aussicht, sich ihren Ab¬ nehmerkreis zu sichern, ihn zu vergrößern, da In Zeitungen und Zeitschriften für diese Ideen eingetreten wird und auch die offizielle Unter¬ stützung ihnen jetzt in immer größerem Ma߬ stabe zuteil wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/52>, abgerufen am 19.05.2024.