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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Zivilversorgung zu erhalten. Unter den
Lebensverhältnissen der heutigen Zeit darf
man es einem strebsamen Unteroffizier nicht
verübeln, wenn er nach zwölfjähriger Dienst¬
zeit sich nach einer Lebensstellung umsieht,
die ihn: die Ernährung einer Familie erlaubt
und ihn: mehr Freiheit gewährt als der
militärische Dienst. Daran würde auch die
Schaffung einer neuen Stufe, der Fcldwebel-
G. leutncmts, nichts ändern.

Gewesene Leute.

Die Militärische Rund¬
schau im Tag brachte kürzlich einen Aufsatz:
"Zur Liste verabschiedeter Offiziere und Arzte."
Man liest:

"In der angeregten Liste kann es sich zu¬
nächst nur um aktiv gewesene Offiziere usw.
handeln. Man müßte sich aber über die grund¬
sätzliche Frage entscheiden, ob auch die ohne
Uniform Verabschiedeten Aufnahme zu finden
hätten. Ich möchte diese Frage im Interesse
der Vollständigkeit und des Wertes der Liste
als eines Auskunftswerkes bejahen und glaube,
daß der Satz in der Anregung ,Wie oft taucht
die Frage auf: Was mag aus dem und jenem
geworden sein?' sich nicht nur auf die mit
Uniform Verabschiedeten beziehen soll. Denn
auch unter denen, bei deren Abgang irgendein
Mißklang entstand, befinden sich viele, denen
man für ihr ferneres Leben ein warmes
Interesse bewahrt.

Verhehlen wir uns doch nicht, daß eine
große Anzahl -- auch uniformberechtigter --
Offiziere z. D. und a. D. sich in teilweise sehr
untergeordneten Stellungen, oft vielleicht, we¬
nigstens vorübergehend, in gar keinen Stellun¬
gen befindet, daß es manchem von ihnen kaum
erwünscht sein kann, diese vielfach gleichzeitig
eine materielle Notlage kennzeichnende Tat¬
sache noch durch eine der Allgemeinheit zu¬
gängliche Liste veröffentlicht zu sehen." --

"Wie oft taucht die Frage auf: Was mag
aus dem oder jenem geworden sein?" -- Was
ist der Zweck der Übung: ein exklusives Adre߬
buch als Unterlage für Einladungen zu "Alte
Herren-Essen"?! Welche Betrachtungen lassen
die Scheidung erwägen zwischen "Uniform-
trägern" und "anderen"? Den:nachzuspüren,
scheint zu lohnen. -- Die Erlaubnis zum
Tragen der Uniform ist ein Guatemale, der von
der Länge der Dienstzeit abhängt. Kommen

[Spaltenumbruch]

die ehrengerichtlichen Fälle, wo die Zeit¬
bedingung erfüllt ist, Gewährung versagt
bleiben muß. Dn gibt es schwere und minder
schwere Fälle; die Spannung ist groß. Aus
dem Anspruch, als erster Stand im Staate
zu gelten, erwachsen unabweisbar die schärfsten
sittlichen Folgerungen. DieTcndenz der Ehren¬
gerichte kann nicht hoch genug gehalten werden.
Soll aber das "Schuldig" unwandelbare soziale
Vcrfemung nach sich ziehen? Die Begnadi¬
gungen nach Jahr und Tag im Wiederauf¬
nahmeverfahren sprechen dagegen.

Natürliche Verirrungen im Rahmen des
gesellschaftlichen Verkehrs der Geschlechter for¬
dern manches Opfer. Die Stnndesmoral deckt
sich mit dem Empfinden jedes Staatsbürgers,
der Mutter, Frau und Töchter lieb hat. "Ein
Augenblick, gelebt im Paradiese, ist nicht zu
teuer mit dem Tod erkauft." -- So sagt
der Dichter. -- Wer aber als Realist vor der
Aufgabe steht, gebrochene Existenzen sozial
wieder einzurenken, darf sich dem: ,MI Iru-
memi a ins alienum puto" nicht verschließen,
selbst nicht auf die Gefahr hin, laxer, um¬
stürzlerischer Moral geziehen zu werden. Der
Vorwurf der Ketzerrichterei muß ihn empfind¬
licher treffen. Über notorisch räudige Schafe
ist kein Wort zu verlieren; hinaus mit ihnen,
aus der kleinen und großen Herde!

Eine neben allem gesunden Materialismus
ethisch durchdachte Wohlfahrtseinrichtung darf
gegenüber so heiklen Fragen nicht Vogel-Strauß-
Politik treiben, wenn auch die Geister auf¬
einander Platzen. Für Wiederherstellung des
guten Rufs sich mannhaft einzusetzen, wo es
angebracht ist, kann vom Arbeitsprogrmnm
nicht gestrichen werden. BcrabschiedeteOffiziere
leiden eben nicht nur unter materiellen Sorgen.

Wem das Ärgste erspart blieb, wer schlecht
und recht, mit oder ohne Uniform, abging und
im bürgerlichen Erwerbsleben nur dürftigen
Unterschlupf fand, gar sich glücklich schätzte,
Wenn er ihn überhaupt fände, wer zu stolz
ist, eine Doppelexistenz zu führen, gemeinhin
zu darben, den ehemaligen Kameraden aber
den "verfluchten Kerl" herauszukehren, den
lockt als Ultimi rstio, unterzutauchen.

Wie wenig hat allgemein die Erweiterung
des sozialen Horizonts im Offizierkorps mit
der Ausgestaltung unseres Wirtschaftslebens
Schritt gehalten? In Ostasien hat sich das

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Zivilversorgung zu erhalten. Unter den
Lebensverhältnissen der heutigen Zeit darf
man es einem strebsamen Unteroffizier nicht
verübeln, wenn er nach zwölfjähriger Dienst¬
zeit sich nach einer Lebensstellung umsieht,
die ihn: die Ernährung einer Familie erlaubt
und ihn: mehr Freiheit gewährt als der
militärische Dienst. Daran würde auch die
Schaffung einer neuen Stufe, der Fcldwebel-
G. leutncmts, nichts ändern.

Gewesene Leute.

Die Militärische Rund¬
schau im Tag brachte kürzlich einen Aufsatz:
„Zur Liste verabschiedeter Offiziere und Arzte."
Man liest:

„In der angeregten Liste kann es sich zu¬
nächst nur um aktiv gewesene Offiziere usw.
handeln. Man müßte sich aber über die grund¬
sätzliche Frage entscheiden, ob auch die ohne
Uniform Verabschiedeten Aufnahme zu finden
hätten. Ich möchte diese Frage im Interesse
der Vollständigkeit und des Wertes der Liste
als eines Auskunftswerkes bejahen und glaube,
daß der Satz in der Anregung ,Wie oft taucht
die Frage auf: Was mag aus dem und jenem
geworden sein?' sich nicht nur auf die mit
Uniform Verabschiedeten beziehen soll. Denn
auch unter denen, bei deren Abgang irgendein
Mißklang entstand, befinden sich viele, denen
man für ihr ferneres Leben ein warmes
Interesse bewahrt.

Verhehlen wir uns doch nicht, daß eine
große Anzahl — auch uniformberechtigter —
Offiziere z. D. und a. D. sich in teilweise sehr
untergeordneten Stellungen, oft vielleicht, we¬
nigstens vorübergehend, in gar keinen Stellun¬
gen befindet, daß es manchem von ihnen kaum
erwünscht sein kann, diese vielfach gleichzeitig
eine materielle Notlage kennzeichnende Tat¬
sache noch durch eine der Allgemeinheit zu¬
gängliche Liste veröffentlicht zu sehen." —

„Wie oft taucht die Frage auf: Was mag
aus dem oder jenem geworden sein?" — Was
ist der Zweck der Übung: ein exklusives Adre߬
buch als Unterlage für Einladungen zu „Alte
Herren-Essen"?! Welche Betrachtungen lassen
die Scheidung erwägen zwischen „Uniform-
trägern" und „anderen"? Den:nachzuspüren,
scheint zu lohnen. — Die Erlaubnis zum
Tragen der Uniform ist ein Guatemale, der von
der Länge der Dienstzeit abhängt. Kommen

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die ehrengerichtlichen Fälle, wo die Zeit¬
bedingung erfüllt ist, Gewährung versagt
bleiben muß. Dn gibt es schwere und minder
schwere Fälle; die Spannung ist groß. Aus
dem Anspruch, als erster Stand im Staate
zu gelten, erwachsen unabweisbar die schärfsten
sittlichen Folgerungen. DieTcndenz der Ehren¬
gerichte kann nicht hoch genug gehalten werden.
Soll aber das „Schuldig" unwandelbare soziale
Vcrfemung nach sich ziehen? Die Begnadi¬
gungen nach Jahr und Tag im Wiederauf¬
nahmeverfahren sprechen dagegen.

Natürliche Verirrungen im Rahmen des
gesellschaftlichen Verkehrs der Geschlechter for¬
dern manches Opfer. Die Stnndesmoral deckt
sich mit dem Empfinden jedes Staatsbürgers,
der Mutter, Frau und Töchter lieb hat. „Ein
Augenblick, gelebt im Paradiese, ist nicht zu
teuer mit dem Tod erkauft." — So sagt
der Dichter. — Wer aber als Realist vor der
Aufgabe steht, gebrochene Existenzen sozial
wieder einzurenken, darf sich dem: ,MI Iru-
memi a ins alienum puto" nicht verschließen,
selbst nicht auf die Gefahr hin, laxer, um¬
stürzlerischer Moral geziehen zu werden. Der
Vorwurf der Ketzerrichterei muß ihn empfind¬
licher treffen. Über notorisch räudige Schafe
ist kein Wort zu verlieren; hinaus mit ihnen,
aus der kleinen und großen Herde!

Eine neben allem gesunden Materialismus
ethisch durchdachte Wohlfahrtseinrichtung darf
gegenüber so heiklen Fragen nicht Vogel-Strauß-
Politik treiben, wenn auch die Geister auf¬
einander Platzen. Für Wiederherstellung des
guten Rufs sich mannhaft einzusetzen, wo es
angebracht ist, kann vom Arbeitsprogrmnm
nicht gestrichen werden. BcrabschiedeteOffiziere
leiden eben nicht nur unter materiellen Sorgen.

Wem das Ärgste erspart blieb, wer schlecht
und recht, mit oder ohne Uniform, abging und
im bürgerlichen Erwerbsleben nur dürftigen
Unterschlupf fand, gar sich glücklich schätzte,
Wenn er ihn überhaupt fände, wer zu stolz
ist, eine Doppelexistenz zu führen, gemeinhin
zu darben, den ehemaligen Kameraden aber
den „verfluchten Kerl" herauszukehren, den
lockt als Ultimi rstio, unterzutauchen.

Wie wenig hat allgemein die Erweiterung
des sozialen Horizonts im Offizierkorps mit
der Ausgestaltung unseres Wirtschaftslebens
Schritt gehalten? In Ostasien hat sich das

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[0546] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zivilversorgung zu erhalten. Unter den Lebensverhältnissen der heutigen Zeit darf man es einem strebsamen Unteroffizier nicht verübeln, wenn er nach zwölfjähriger Dienst¬ zeit sich nach einer Lebensstellung umsieht, die ihn: die Ernährung einer Familie erlaubt und ihn: mehr Freiheit gewährt als der militärische Dienst. Daran würde auch die Schaffung einer neuen Stufe, der Fcldwebel- G. leutncmts, nichts ändern. Gewesene Leute. Die Militärische Rund¬ schau im Tag brachte kürzlich einen Aufsatz: „Zur Liste verabschiedeter Offiziere und Arzte." Man liest: „In der angeregten Liste kann es sich zu¬ nächst nur um aktiv gewesene Offiziere usw. handeln. Man müßte sich aber über die grund¬ sätzliche Frage entscheiden, ob auch die ohne Uniform Verabschiedeten Aufnahme zu finden hätten. Ich möchte diese Frage im Interesse der Vollständigkeit und des Wertes der Liste als eines Auskunftswerkes bejahen und glaube, daß der Satz in der Anregung ,Wie oft taucht die Frage auf: Was mag aus dem und jenem geworden sein?' sich nicht nur auf die mit Uniform Verabschiedeten beziehen soll. Denn auch unter denen, bei deren Abgang irgendein Mißklang entstand, befinden sich viele, denen man für ihr ferneres Leben ein warmes Interesse bewahrt. Verhehlen wir uns doch nicht, daß eine große Anzahl — auch uniformberechtigter — Offiziere z. D. und a. D. sich in teilweise sehr untergeordneten Stellungen, oft vielleicht, we¬ nigstens vorübergehend, in gar keinen Stellun¬ gen befindet, daß es manchem von ihnen kaum erwünscht sein kann, diese vielfach gleichzeitig eine materielle Notlage kennzeichnende Tat¬ sache noch durch eine der Allgemeinheit zu¬ gängliche Liste veröffentlicht zu sehen." — „Wie oft taucht die Frage auf: Was mag aus dem oder jenem geworden sein?" — Was ist der Zweck der Übung: ein exklusives Adre߬ buch als Unterlage für Einladungen zu „Alte Herren-Essen"?! Welche Betrachtungen lassen die Scheidung erwägen zwischen „Uniform- trägern" und „anderen"? Den:nachzuspüren, scheint zu lohnen. — Die Erlaubnis zum Tragen der Uniform ist ein Guatemale, der von der Länge der Dienstzeit abhängt. Kommen die ehrengerichtlichen Fälle, wo die Zeit¬ bedingung erfüllt ist, Gewährung versagt bleiben muß. Dn gibt es schwere und minder schwere Fälle; die Spannung ist groß. Aus dem Anspruch, als erster Stand im Staate zu gelten, erwachsen unabweisbar die schärfsten sittlichen Folgerungen. DieTcndenz der Ehren¬ gerichte kann nicht hoch genug gehalten werden. Soll aber das „Schuldig" unwandelbare soziale Vcrfemung nach sich ziehen? Die Begnadi¬ gungen nach Jahr und Tag im Wiederauf¬ nahmeverfahren sprechen dagegen. Natürliche Verirrungen im Rahmen des gesellschaftlichen Verkehrs der Geschlechter for¬ dern manches Opfer. Die Stnndesmoral deckt sich mit dem Empfinden jedes Staatsbürgers, der Mutter, Frau und Töchter lieb hat. „Ein Augenblick, gelebt im Paradiese, ist nicht zu teuer mit dem Tod erkauft." — So sagt der Dichter. — Wer aber als Realist vor der Aufgabe steht, gebrochene Existenzen sozial wieder einzurenken, darf sich dem: ,MI Iru- memi a ins alienum puto" nicht verschließen, selbst nicht auf die Gefahr hin, laxer, um¬ stürzlerischer Moral geziehen zu werden. Der Vorwurf der Ketzerrichterei muß ihn empfind¬ licher treffen. Über notorisch räudige Schafe ist kein Wort zu verlieren; hinaus mit ihnen, aus der kleinen und großen Herde! Eine neben allem gesunden Materialismus ethisch durchdachte Wohlfahrtseinrichtung darf gegenüber so heiklen Fragen nicht Vogel-Strauß- Politik treiben, wenn auch die Geister auf¬ einander Platzen. Für Wiederherstellung des guten Rufs sich mannhaft einzusetzen, wo es angebracht ist, kann vom Arbeitsprogrmnm nicht gestrichen werden. BcrabschiedeteOffiziere leiden eben nicht nur unter materiellen Sorgen. Wem das Ärgste erspart blieb, wer schlecht und recht, mit oder ohne Uniform, abging und im bürgerlichen Erwerbsleben nur dürftigen Unterschlupf fand, gar sich glücklich schätzte, Wenn er ihn überhaupt fände, wer zu stolz ist, eine Doppelexistenz zu führen, gemeinhin zu darben, den ehemaligen Kameraden aber den „verfluchten Kerl" herauszukehren, den lockt als Ultimi rstio, unterzutauchen. Wie wenig hat allgemein die Erweiterung des sozialen Horizonts im Offizierkorps mit der Ausgestaltung unseres Wirtschaftslebens Schritt gehalten? In Ostasien hat sich das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/546>, abgerufen am 19.05.2024.