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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

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Innere Politik

Der Hansaünnd -- Seine Ziele und seine Gegner -- Die erste Heerschau

Der Hansabund hat seine Getreuen auf den Tag, an dem vor zwei Jahren
in jener eindrucksvoller Versammlung deutscher Kaufleute seine Gründung erfolgte,
zu einer Heerschau nach Berlin entboten. Mit nicht abzuleugnender Begeisterung
ist damals der Zusammenschluß der Vertreter von Handel und Industrie zu einer
Kampforganisation erfolgt; besonders imponierend war die Einmütigkeit, mit der
sich alle Kreise, die hohe Finanz und die Großindustrie nicht minder wie der Klein¬
handel, der Mittelstand und die Scharen der Angestellten in die neue Phalanz
einreihten. Es galt den Kampf gegen die einseitig agrarische Richtung auf¬
zunehmen, in welche die Gesetzgebung durch die Parteiverhältnisse und die domi¬
nierende Stellung des Bundes der Landwirte allmählich gedrängt worden war
und die zuletzt bei der Reichsfinanzreform einen so schmerzlich empfundenen
Ausdruck gefunden hatte. Der Gedanke, dem Bunde der Landwirte eine gleich
starke, wenn nicht stärkere Organisation des Handels entgegenzusetzen, war ein
glücklicher. Nur auf dem Wege des Zusammenschlusses, und zwar eines möglichst
umfassenden Zusammenschlusses, war es möglich, für Handel und Industrie die
Berücksichtigung durchzusetzen, auf welche sie angesichts ihrer Bedeutung für das
heutige Deutschland Anspruch haben und welche sie oft genng nicht haben erzwingen
können, nicht nur weil die Parteiverhältnisse in den Parlamenten an sich ungünstig
lagen, sondern vor allem auch weil geeignete Wortführer, Männer der Praxis aus
Handel und Industrie, in viel zu geringer Zahl sich dort vertreten fanden. Die
Ziele des Hansabundes sind also solche, die jedermann, auch die Regierung und
die Gegner, billigen müßte. Denn es kann keine Forderung geben, die einfacher,
logischer und berechtigter wäre als die, daß die Stände, auf denen vornehmlich
der wachsende Wohlstand und die Wohlfahrt des neuen Deutschland beruhen, ihrer
Bedeutung entsprechend im Parlament vertreten sein müssen. Man kann vielleicht
bedauern, daß im Reichs- wie im Landtag eine so scharfe Scheidung der Geister
nach Sonderinteressen Platz gegriffen hat. Diese Entwicklung läßt sich aber nicht
aufhalten, denn sie ist ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Kämpfe, welche der
Übergang vom Agrar- zum Industriestaat heraufbeschworen hat. Der Hansabund
hat denn auch von vornherein geflissentlich betont, daß seine Tendenz keine der
Landwirtschaft feindliche sei, daß er das Bestreben der Landwirte, ihre Interessen
da zu schützen, wo sie bedroht erschienen, anerkenne und nur für Handel und
Industrie das gleiche verlange. Wie nun aber die Dinge bei uns liegen, wo die
konservativen Parteien, als privilegierte Hüter der landwirtschaftlichen Interessen,
einen weit größeren Einfluß auf Verwaltungspraxis und Gesetzgebung haben
als irgendeine andere Partei, konnte die Gründung des Hansabundes von
konservativer Seite nicht anders, als ein Einbruch in die eigene Machtsphäre,
das heißt also mit äußerster Feindschaft aufgefaßt werden. Das ist denn auch,
wie die Haltung der Presse und namentlich die Angriffe von feiten des Bundes
der Landwirte bezeugen, in einem Maße geschehen, das wohl sogar den Führern


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Der Hansaünnd — Seine Ziele und seine Gegner — Die erste Heerschau

Der Hansabund hat seine Getreuen auf den Tag, an dem vor zwei Jahren
in jener eindrucksvoller Versammlung deutscher Kaufleute seine Gründung erfolgte,
zu einer Heerschau nach Berlin entboten. Mit nicht abzuleugnender Begeisterung
ist damals der Zusammenschluß der Vertreter von Handel und Industrie zu einer
Kampforganisation erfolgt; besonders imponierend war die Einmütigkeit, mit der
sich alle Kreise, die hohe Finanz und die Großindustrie nicht minder wie der Klein¬
handel, der Mittelstand und die Scharen der Angestellten in die neue Phalanz
einreihten. Es galt den Kampf gegen die einseitig agrarische Richtung auf¬
zunehmen, in welche die Gesetzgebung durch die Parteiverhältnisse und die domi¬
nierende Stellung des Bundes der Landwirte allmählich gedrängt worden war
und die zuletzt bei der Reichsfinanzreform einen so schmerzlich empfundenen
Ausdruck gefunden hatte. Der Gedanke, dem Bunde der Landwirte eine gleich
starke, wenn nicht stärkere Organisation des Handels entgegenzusetzen, war ein
glücklicher. Nur auf dem Wege des Zusammenschlusses, und zwar eines möglichst
umfassenden Zusammenschlusses, war es möglich, für Handel und Industrie die
Berücksichtigung durchzusetzen, auf welche sie angesichts ihrer Bedeutung für das
heutige Deutschland Anspruch haben und welche sie oft genng nicht haben erzwingen
können, nicht nur weil die Parteiverhältnisse in den Parlamenten an sich ungünstig
lagen, sondern vor allem auch weil geeignete Wortführer, Männer der Praxis aus
Handel und Industrie, in viel zu geringer Zahl sich dort vertreten fanden. Die
Ziele des Hansabundes sind also solche, die jedermann, auch die Regierung und
die Gegner, billigen müßte. Denn es kann keine Forderung geben, die einfacher,
logischer und berechtigter wäre als die, daß die Stände, auf denen vornehmlich
der wachsende Wohlstand und die Wohlfahrt des neuen Deutschland beruhen, ihrer
Bedeutung entsprechend im Parlament vertreten sein müssen. Man kann vielleicht
bedauern, daß im Reichs- wie im Landtag eine so scharfe Scheidung der Geister
nach Sonderinteressen Platz gegriffen hat. Diese Entwicklung läßt sich aber nicht
aufhalten, denn sie ist ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Kämpfe, welche der
Übergang vom Agrar- zum Industriestaat heraufbeschworen hat. Der Hansabund
hat denn auch von vornherein geflissentlich betont, daß seine Tendenz keine der
Landwirtschaft feindliche sei, daß er das Bestreben der Landwirte, ihre Interessen
da zu schützen, wo sie bedroht erschienen, anerkenne und nur für Handel und
Industrie das gleiche verlange. Wie nun aber die Dinge bei uns liegen, wo die
konservativen Parteien, als privilegierte Hüter der landwirtschaftlichen Interessen,
einen weit größeren Einfluß auf Verwaltungspraxis und Gesetzgebung haben
als irgendeine andere Partei, konnte die Gründung des Hansabundes von
konservativer Seite nicht anders, als ein Einbruch in die eigene Machtsphäre,
das heißt also mit äußerster Feindschaft aufgefaßt werden. Das ist denn auch,
wie die Haltung der Presse und namentlich die Angriffe von feiten des Bundes
der Landwirte bezeugen, in einem Maße geschehen, das wohl sogar den Führern


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[0550] Reichsspiegel Reichsspiegel Innere Politik Der Hansaünnd — Seine Ziele und seine Gegner — Die erste Heerschau Der Hansabund hat seine Getreuen auf den Tag, an dem vor zwei Jahren in jener eindrucksvoller Versammlung deutscher Kaufleute seine Gründung erfolgte, zu einer Heerschau nach Berlin entboten. Mit nicht abzuleugnender Begeisterung ist damals der Zusammenschluß der Vertreter von Handel und Industrie zu einer Kampforganisation erfolgt; besonders imponierend war die Einmütigkeit, mit der sich alle Kreise, die hohe Finanz und die Großindustrie nicht minder wie der Klein¬ handel, der Mittelstand und die Scharen der Angestellten in die neue Phalanz einreihten. Es galt den Kampf gegen die einseitig agrarische Richtung auf¬ zunehmen, in welche die Gesetzgebung durch die Parteiverhältnisse und die domi¬ nierende Stellung des Bundes der Landwirte allmählich gedrängt worden war und die zuletzt bei der Reichsfinanzreform einen so schmerzlich empfundenen Ausdruck gefunden hatte. Der Gedanke, dem Bunde der Landwirte eine gleich starke, wenn nicht stärkere Organisation des Handels entgegenzusetzen, war ein glücklicher. Nur auf dem Wege des Zusammenschlusses, und zwar eines möglichst umfassenden Zusammenschlusses, war es möglich, für Handel und Industrie die Berücksichtigung durchzusetzen, auf welche sie angesichts ihrer Bedeutung für das heutige Deutschland Anspruch haben und welche sie oft genng nicht haben erzwingen können, nicht nur weil die Parteiverhältnisse in den Parlamenten an sich ungünstig lagen, sondern vor allem auch weil geeignete Wortführer, Männer der Praxis aus Handel und Industrie, in viel zu geringer Zahl sich dort vertreten fanden. Die Ziele des Hansabundes sind also solche, die jedermann, auch die Regierung und die Gegner, billigen müßte. Denn es kann keine Forderung geben, die einfacher, logischer und berechtigter wäre als die, daß die Stände, auf denen vornehmlich der wachsende Wohlstand und die Wohlfahrt des neuen Deutschland beruhen, ihrer Bedeutung entsprechend im Parlament vertreten sein müssen. Man kann vielleicht bedauern, daß im Reichs- wie im Landtag eine so scharfe Scheidung der Geister nach Sonderinteressen Platz gegriffen hat. Diese Entwicklung läßt sich aber nicht aufhalten, denn sie ist ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Kämpfe, welche der Übergang vom Agrar- zum Industriestaat heraufbeschworen hat. Der Hansabund hat denn auch von vornherein geflissentlich betont, daß seine Tendenz keine der Landwirtschaft feindliche sei, daß er das Bestreben der Landwirte, ihre Interessen da zu schützen, wo sie bedroht erschienen, anerkenne und nur für Handel und Industrie das gleiche verlange. Wie nun aber die Dinge bei uns liegen, wo die konservativen Parteien, als privilegierte Hüter der landwirtschaftlichen Interessen, einen weit größeren Einfluß auf Verwaltungspraxis und Gesetzgebung haben als irgendeine andere Partei, konnte die Gründung des Hansabundes von konservativer Seite nicht anders, als ein Einbruch in die eigene Machtsphäre, das heißt also mit äußerster Feindschaft aufgefaßt werden. Das ist denn auch, wie die Haltung der Presse und namentlich die Angriffe von feiten des Bundes der Landwirte bezeugen, in einem Maße geschehen, das wohl sogar den Führern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/550>, abgerufen am 26.05.2024.