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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

fünfzehn bis zwanzig Jahren aktuell, wenn die
"Verbesserte Auflage" zum Abschluß käme?! --
"

Es solle kein Kundenfang durch Schleuder-
Preise betrieben werden! Sonst reichen die
Mitgliedsbeiträge nicht hin, die Portospesen
der Geschäftsstelle zu decken. Hut ab vor
dem guten Willen ähnlicher schon bestehender
Institutionen; die Ausbeute reicht aber nicht
hin. Jetzt tritt es zutage: Wenige kennen die
eine Quelle, wenige die andere, die meisten
kennen keine Quelle; es mehren sich die Klagen
über Hereinfälle auf trügerische Stellenange¬
bote. Eine Firma, die sich in größerem Stile
einführen will, muß ausgebreitete Propaganda
machen; von Zufnllskundschaft kann sie nicht
bestehen.

Und gnr die Idee einer Hals-über-KoPf-
Versmnmlung im gegenwärtigen GäruugS-
stndium?! -- Soll man vertrauensseligen
Kameraden eine Reise zumuten, die eine
Monatspension verschlingt? Die aber dem
Rufe folgen: tot cspita -- tot sensusl
Alles spricht dafür, daß die Sache vertiefe
wie das Hornberger Schießen, und damit
wäre die Bewegung kompromittiert.

Anhänger werden durch Hausierer und
Kleimnärkte gewonnen. Dann komme man
ihnen aber nicht mit vollen Phrasen und
leeren Händen. Das Programm stehe und
falle mit der Geldfrage. Um sie zu lösen,
dazu gehören Nerven, Technik und -- Zeit.
-- Lili of piano, va ssno. --

Nun zur dankenswerten Warnung vor
Zersplitterung. Ohne Zweifel: der alte Herr¬
gott ist nach wie vor bei mit großen Bataillonen.
Für junge Leute, die in einer Branche, wo
starke Nachfrage ist, sich auftun wollen, will
es nichts heißen, daß in dem Artikel schon
andere Firmen am Platze arbeiten. Ob sie
sich vereinigen, eine Interessengemeinschaft
eingehen oder sich getrennt etablieren, hängt
bon Bilanzen ab. Ob man davon Einsicht gibt,
hängt wieder von der bestehenden Konkurrenz ab.

Wir ziehen leidlichen Kompromiß unbe¬
dingt dem Kampfe vor, aber vorwärts wollen
und müssen wir!

Major a. v. v. Brixen-
Tagesfragen

psnem et circenses. "Sie freuen sich
doch auch auf den Blumcntag?" Ich wagte

[Spaltenumbruch]

ein schüchternes "Nein!" -- "Wie engherzig!"
Darauf wußte ich nichts zu sagen. Das Für
und Wider ist durch den Blätterwald gerauscht,
da ist es schwer, einen Gesichtspunkt geltend
zu machen, von dem ans die Frage noch
nicht betrachtet worden wäre. Zu bedauern
ist dabei, daß die Parteien sich gegenseitig
verunglimpft haben. Wozu der Lärm? Ich
meine, auch die Gegner haben den Blumcn-
tagen etwas zu danken.

Mein Weg führte mich auf eine belebte
Straße. Da gab eS leuchtende Kornblumen
in Fülle. Alle Paar Schritt erging an mich
die höfliche Bitte, zu kaufe". Ich lehnte ab
-- von Mal zu Mal scheuer und bedruckter.
Das Straßenbild stellte zwei feindliche Lager
dar. Die Blumengcschmücktcn waren in der
Überzahl. Stolz und selbstzufrieden trugen
sie ihre Blumen und Sträuße an der Brust
-- sie sollen sich zur Hilfsbereitschaft bekannt,
während von uns Blumenlosen gar mancher
von der Abstumpfung des sozialen Gewissens
durch eine verkehrte Wohltätigkeit geredet und
sich dabei beruhigt hatte. Nun aber gellte
in jeder dargereichten Blume die soziale Not
an unser Ohr. Eine seltsame Ironie, wenn
sie sich gerade eine blaue Blume zum Symbol
erkor! "Kunst, kauft!" Ich beschleunigte
meine Schritte -- die schreiende Dissonanz
wurde zur unerträglichen Qual. Allerlei Ge¬
danken schwirrten durch meinen Kopf, immer
schneller wurde der Lauf, ich sah schon den
rettenden.Hafen meiner Behausung, da machte
ich atemlos Halt und -- kaufte eine Blume.
Warum ich das tat, weiß ich nicht -- ein
kleines, häßliches Mädchen bot sie mir. Die
Blume aber brannte in meiner Hand, scham¬
los dünkte es mich, sie an die Brust zu stecken
-- dieses leuchtende Zeichen meines Wohl¬
tätigkeitssinnes. Ich verbarg sie, schämte mich
trotzdem und -- wußte nun, was ich zu tun
hatte.

Vielleicht ist es anderen wie mir ergangen,
vielleicht hat der Blumenregen den Keim einer
tatkräftigen sozialen Gesinnung in ihnen zum
Sprießen gebracht. Was tnuseud Papierne
Argumente nicht zu wirken vermögen, das
schafft das reale, warme Leben in einem
einzigen Augenblick. Erlebt die Blumentage,
laßt die Scham einziehen in euer Herz, dann
?ax mögt ihr ihnen eine Erweckung danken.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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fünfzehn bis zwanzig Jahren aktuell, wenn die
„Verbesserte Auflage" zum Abschluß käme?! —
"

Es solle kein Kundenfang durch Schleuder-
Preise betrieben werden! Sonst reichen die
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der Geschäftsstelle zu decken. Hut ab vor
dem guten Willen ähnlicher schon bestehender
Institutionen; die Ausbeute reicht aber nicht
hin. Jetzt tritt es zutage: Wenige kennen die
eine Quelle, wenige die andere, die meisten
kennen keine Quelle; es mehren sich die Klagen
über Hereinfälle auf trügerische Stellenange¬
bote. Eine Firma, die sich in größerem Stile
einführen will, muß ausgebreitete Propaganda
machen; von Zufnllskundschaft kann sie nicht
bestehen.

Und gnr die Idee einer Hals-über-KoPf-
Versmnmlung im gegenwärtigen GäruugS-
stndium?! — Soll man vertrauensseligen
Kameraden eine Reise zumuten, die eine
Monatspension verschlingt? Die aber dem
Rufe folgen: tot cspita — tot sensusl
Alles spricht dafür, daß die Sache vertiefe
wie das Hornberger Schießen, und damit
wäre die Bewegung kompromittiert.

Anhänger werden durch Hausierer und
Kleimnärkte gewonnen. Dann komme man
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leeren Händen. Das Programm stehe und
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dazu gehören Nerven, Technik und — Zeit.
— Lili of piano, va ssno. —

Nun zur dankenswerten Warnung vor
Zersplitterung. Ohne Zweifel: der alte Herr¬
gott ist nach wie vor bei mit großen Bataillonen.
Für junge Leute, die in einer Branche, wo
starke Nachfrage ist, sich auftun wollen, will
es nichts heißen, daß in dem Artikel schon
andere Firmen am Platze arbeiten. Ob sie
sich vereinigen, eine Interessengemeinschaft
eingehen oder sich getrennt etablieren, hängt
bon Bilanzen ab. Ob man davon Einsicht gibt,
hängt wieder von der bestehenden Konkurrenz ab.

Wir ziehen leidlichen Kompromiß unbe¬
dingt dem Kampfe vor, aber vorwärts wollen
und müssen wir!

Major a. v. v. Brixen-
Tagesfragen

psnem et circenses. „Sie freuen sich
doch auch auf den Blumcntag?" Ich wagte

[Spaltenumbruch]

ein schüchternes „Nein!" — „Wie engherzig!"
Darauf wußte ich nichts zu sagen. Das Für
und Wider ist durch den Blätterwald gerauscht,
da ist es schwer, einen Gesichtspunkt geltend
zu machen, von dem ans die Frage noch
nicht betrachtet worden wäre. Zu bedauern
ist dabei, daß die Parteien sich gegenseitig
verunglimpft haben. Wozu der Lärm? Ich
meine, auch die Gegner haben den Blumcn-
tagen etwas zu danken.

Mein Weg führte mich auf eine belebte
Straße. Da gab eS leuchtende Kornblumen
in Fülle. Alle Paar Schritt erging an mich
die höfliche Bitte, zu kaufe». Ich lehnte ab
— von Mal zu Mal scheuer und bedruckter.
Das Straßenbild stellte zwei feindliche Lager
dar. Die Blumengcschmücktcn waren in der
Überzahl. Stolz und selbstzufrieden trugen
sie ihre Blumen und Sträuße an der Brust
— sie sollen sich zur Hilfsbereitschaft bekannt,
während von uns Blumenlosen gar mancher
von der Abstumpfung des sozialen Gewissens
durch eine verkehrte Wohltätigkeit geredet und
sich dabei beruhigt hatte. Nun aber gellte
in jeder dargereichten Blume die soziale Not
an unser Ohr. Eine seltsame Ironie, wenn
sie sich gerade eine blaue Blume zum Symbol
erkor! „Kunst, kauft!" Ich beschleunigte
meine Schritte — die schreiende Dissonanz
wurde zur unerträglichen Qual. Allerlei Ge¬
danken schwirrten durch meinen Kopf, immer
schneller wurde der Lauf, ich sah schon den
rettenden.Hafen meiner Behausung, da machte
ich atemlos Halt und — kaufte eine Blume.
Warum ich das tat, weiß ich nicht — ein
kleines, häßliches Mädchen bot sie mir. Die
Blume aber brannte in meiner Hand, scham¬
los dünkte es mich, sie an die Brust zu stecken
— dieses leuchtende Zeichen meines Wohl¬
tätigkeitssinnes. Ich verbarg sie, schämte mich
trotzdem und — wußte nun, was ich zu tun
hatte.

Vielleicht ist es anderen wie mir ergangen,
vielleicht hat der Blumenregen den Keim einer
tatkräftigen sozialen Gesinnung in ihnen zum
Sprießen gebracht. Was tnuseud Papierne
Argumente nicht zu wirken vermögen, das
schafft das reale, warme Leben in einem
einzigen Augenblick. Erlebt die Blumentage,
laßt die Scham einziehen in euer Herz, dann
?ax mögt ihr ihnen eine Erweckung danken.

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[0599] Maßgebliches und Unmaßgebliches fünfzehn bis zwanzig Jahren aktuell, wenn die „Verbesserte Auflage" zum Abschluß käme?! — " Es solle kein Kundenfang durch Schleuder- Preise betrieben werden! Sonst reichen die Mitgliedsbeiträge nicht hin, die Portospesen der Geschäftsstelle zu decken. Hut ab vor dem guten Willen ähnlicher schon bestehender Institutionen; die Ausbeute reicht aber nicht hin. Jetzt tritt es zutage: Wenige kennen die eine Quelle, wenige die andere, die meisten kennen keine Quelle; es mehren sich die Klagen über Hereinfälle auf trügerische Stellenange¬ bote. Eine Firma, die sich in größerem Stile einführen will, muß ausgebreitete Propaganda machen; von Zufnllskundschaft kann sie nicht bestehen. Und gnr die Idee einer Hals-über-KoPf- Versmnmlung im gegenwärtigen GäruugS- stndium?! — Soll man vertrauensseligen Kameraden eine Reise zumuten, die eine Monatspension verschlingt? Die aber dem Rufe folgen: tot cspita — tot sensusl Alles spricht dafür, daß die Sache vertiefe wie das Hornberger Schießen, und damit wäre die Bewegung kompromittiert. Anhänger werden durch Hausierer und Kleimnärkte gewonnen. Dann komme man ihnen aber nicht mit vollen Phrasen und leeren Händen. Das Programm stehe und falle mit der Geldfrage. Um sie zu lösen, dazu gehören Nerven, Technik und — Zeit. — Lili of piano, va ssno. — Nun zur dankenswerten Warnung vor Zersplitterung. Ohne Zweifel: der alte Herr¬ gott ist nach wie vor bei mit großen Bataillonen. Für junge Leute, die in einer Branche, wo starke Nachfrage ist, sich auftun wollen, will es nichts heißen, daß in dem Artikel schon andere Firmen am Platze arbeiten. Ob sie sich vereinigen, eine Interessengemeinschaft eingehen oder sich getrennt etablieren, hängt bon Bilanzen ab. Ob man davon Einsicht gibt, hängt wieder von der bestehenden Konkurrenz ab. Wir ziehen leidlichen Kompromiß unbe¬ dingt dem Kampfe vor, aber vorwärts wollen und müssen wir! Major a. v. v. Brixen- Tagesfragen psnem et circenses. „Sie freuen sich doch auch auf den Blumcntag?" Ich wagte ein schüchternes „Nein!" — „Wie engherzig!" Darauf wußte ich nichts zu sagen. Das Für und Wider ist durch den Blätterwald gerauscht, da ist es schwer, einen Gesichtspunkt geltend zu machen, von dem ans die Frage noch nicht betrachtet worden wäre. Zu bedauern ist dabei, daß die Parteien sich gegenseitig verunglimpft haben. Wozu der Lärm? Ich meine, auch die Gegner haben den Blumcn- tagen etwas zu danken. Mein Weg führte mich auf eine belebte Straße. Da gab eS leuchtende Kornblumen in Fülle. Alle Paar Schritt erging an mich die höfliche Bitte, zu kaufe». Ich lehnte ab — von Mal zu Mal scheuer und bedruckter. Das Straßenbild stellte zwei feindliche Lager dar. Die Blumengcschmücktcn waren in der Überzahl. Stolz und selbstzufrieden trugen sie ihre Blumen und Sträuße an der Brust — sie sollen sich zur Hilfsbereitschaft bekannt, während von uns Blumenlosen gar mancher von der Abstumpfung des sozialen Gewissens durch eine verkehrte Wohltätigkeit geredet und sich dabei beruhigt hatte. Nun aber gellte in jeder dargereichten Blume die soziale Not an unser Ohr. Eine seltsame Ironie, wenn sie sich gerade eine blaue Blume zum Symbol erkor! „Kunst, kauft!" Ich beschleunigte meine Schritte — die schreiende Dissonanz wurde zur unerträglichen Qual. Allerlei Ge¬ danken schwirrten durch meinen Kopf, immer schneller wurde der Lauf, ich sah schon den rettenden.Hafen meiner Behausung, da machte ich atemlos Halt und — kaufte eine Blume. Warum ich das tat, weiß ich nicht — ein kleines, häßliches Mädchen bot sie mir. Die Blume aber brannte in meiner Hand, scham¬ los dünkte es mich, sie an die Brust zu stecken — dieses leuchtende Zeichen meines Wohl¬ tätigkeitssinnes. Ich verbarg sie, schämte mich trotzdem und — wußte nun, was ich zu tun hatte. Vielleicht ist es anderen wie mir ergangen, vielleicht hat der Blumenregen den Keim einer tatkräftigen sozialen Gesinnung in ihnen zum Sprießen gebracht. Was tnuseud Papierne Argumente nicht zu wirken vermögen, das schafft das reale, warme Leben in einem einzigen Augenblick. Erlebt die Blumentage, laßt die Scham einziehen in euer Herz, dann ?ax mögt ihr ihnen eine Erweckung danken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/599>, abgerufen am 19.05.2024.