Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Ständegliederung und Ständeverfassung
von Dr. p. l^andrer

eher den wirtschaftlichen uudpolitischenGestaltungenuudWaudlnngen
der jüngsten Vergangenheit und nächsten Zukunft, deu wirtschafts-,
sozial- und parteipolitischer Kämpfen von gestern und morgen verliert
man leicht den Maßstab objektiver, vom eigenen Empfinden und
Wollen ungetrübter Betrachtung der Dinge. Größere Gewähr
rechter Erkenntnis und richtiger Schlüsse verspricht in manchen Fragen der
ökonomischen und politischen Entwicklung eine isolierende Betrachtung, die sich
auf eine Hauptseite des Gegenstandes beschränkt und ihn, von dieser
besonderen Seite aus, zugleich rückschauend mit früheren Zeiten und
Entwicklungsstufen in Vergleich setzt. Als ein Gesichtspunkt, der zu einer der¬
artigen isolierenden und rnckschauenden Betrachtung der gegenwärtigen wirtschaft¬
lichen und innerpolitischen Entwicklung Deutschlands in besonderen: Grade
einlädt, erscheint mir die Gliederung des Volkes in Stände und deren politische
Betätigung und Verfassung.

Im Anfang des germanischen Mittelalters sind Stände im allgemeinen,
als typische Erscheinung -- auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden --
noch nicht vorhanden. Die Stammesgenossen sind freie Ackerbauer, deren jeder
mit den Seinigen in eiuer in sich abgeschlossenen und selbständigen Wirtschaft
alles zur Deckung des eigenen Bedarfes Erforderliche gewinnt und erzeugt"), und
stehen wirtschaftlich, sozial und politisch auf einer Stufe, verbunden durch wesentlich
gleichen Anteil an dem einfachen Gemeinwesen, Grund und Boden, Krieg
und Recht.

Eine Gliederung in Stände beginnt, indem sich die geschlossene Haus¬
wirtschaft einzelner allmählich zur feudalen Grundherrschaft auswüchst, die die



*) Bücher, "Die Entstehung der Volkswirtschaft".
Grenzboten II 1911 "5


Ständegliederung und Ständeverfassung
von Dr. p. l^andrer

eher den wirtschaftlichen uudpolitischenGestaltungenuudWaudlnngen
der jüngsten Vergangenheit und nächsten Zukunft, deu wirtschafts-,
sozial- und parteipolitischer Kämpfen von gestern und morgen verliert
man leicht den Maßstab objektiver, vom eigenen Empfinden und
Wollen ungetrübter Betrachtung der Dinge. Größere Gewähr
rechter Erkenntnis und richtiger Schlüsse verspricht in manchen Fragen der
ökonomischen und politischen Entwicklung eine isolierende Betrachtung, die sich
auf eine Hauptseite des Gegenstandes beschränkt und ihn, von dieser
besonderen Seite aus, zugleich rückschauend mit früheren Zeiten und
Entwicklungsstufen in Vergleich setzt. Als ein Gesichtspunkt, der zu einer der¬
artigen isolierenden und rnckschauenden Betrachtung der gegenwärtigen wirtschaft¬
lichen und innerpolitischen Entwicklung Deutschlands in besonderen: Grade
einlädt, erscheint mir die Gliederung des Volkes in Stände und deren politische
Betätigung und Verfassung.

Im Anfang des germanischen Mittelalters sind Stände im allgemeinen,
als typische Erscheinung — auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden —
noch nicht vorhanden. Die Stammesgenossen sind freie Ackerbauer, deren jeder
mit den Seinigen in eiuer in sich abgeschlossenen und selbständigen Wirtschaft
alles zur Deckung des eigenen Bedarfes Erforderliche gewinnt und erzeugt"), und
stehen wirtschaftlich, sozial und politisch auf einer Stufe, verbunden durch wesentlich
gleichen Anteil an dem einfachen Gemeinwesen, Grund und Boden, Krieg
und Recht.

Eine Gliederung in Stände beginnt, indem sich die geschlossene Haus¬
wirtschaft einzelner allmählich zur feudalen Grundherrschaft auswüchst, die die



*) Bücher, „Die Entstehung der Volkswirtschaft".
Grenzboten II 1911 "5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0605" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318888"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341893_318282/figures/grenzboten_341893_318282_318888_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ständegliederung und Ständeverfassung<lb/><note type="byline"> von Dr. p. l^andrer</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_4133"> eher den wirtschaftlichen uudpolitischenGestaltungenuudWaudlnngen<lb/>
der jüngsten Vergangenheit und nächsten Zukunft, deu wirtschafts-,<lb/>
sozial- und parteipolitischer Kämpfen von gestern und morgen verliert<lb/>
man leicht den Maßstab objektiver, vom eigenen Empfinden und<lb/>
Wollen ungetrübter Betrachtung der Dinge. Größere Gewähr<lb/>
rechter Erkenntnis und richtiger Schlüsse verspricht in manchen Fragen der<lb/>
ökonomischen und politischen Entwicklung eine isolierende Betrachtung, die sich<lb/>
auf eine Hauptseite des Gegenstandes beschränkt und ihn, von dieser<lb/>
besonderen Seite aus, zugleich rückschauend mit früheren Zeiten und<lb/>
Entwicklungsstufen in Vergleich setzt. Als ein Gesichtspunkt, der zu einer der¬<lb/>
artigen isolierenden und rnckschauenden Betrachtung der gegenwärtigen wirtschaft¬<lb/>
lichen und innerpolitischen Entwicklung Deutschlands in besonderen: Grade<lb/>
einlädt, erscheint mir die Gliederung des Volkes in Stände und deren politische<lb/>
Betätigung und Verfassung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4134"> Im Anfang des germanischen Mittelalters sind Stände im allgemeinen,<lb/>
als typische Erscheinung &#x2014; auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden &#x2014;<lb/>
noch nicht vorhanden. Die Stammesgenossen sind freie Ackerbauer, deren jeder<lb/>
mit den Seinigen in eiuer in sich abgeschlossenen und selbständigen Wirtschaft<lb/>
alles zur Deckung des eigenen Bedarfes Erforderliche gewinnt und erzeugt"), und<lb/>
stehen wirtschaftlich, sozial und politisch auf einer Stufe, verbunden durch wesentlich<lb/>
gleichen Anteil an dem einfachen Gemeinwesen, Grund und Boden, Krieg<lb/>
und Recht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4135" next="#ID_4136"> Eine Gliederung in Stände beginnt, indem sich die geschlossene Haus¬<lb/>
wirtschaft einzelner allmählich zur feudalen Grundherrschaft auswüchst, die die</p><lb/>
          <note xml:id="FID_30" place="foot"> *) Bücher, &#x201E;Die Entstehung der Volkswirtschaft".</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1911 "5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0605] [Abbildung] Ständegliederung und Ständeverfassung von Dr. p. l^andrer eher den wirtschaftlichen uudpolitischenGestaltungenuudWaudlnngen der jüngsten Vergangenheit und nächsten Zukunft, deu wirtschafts-, sozial- und parteipolitischer Kämpfen von gestern und morgen verliert man leicht den Maßstab objektiver, vom eigenen Empfinden und Wollen ungetrübter Betrachtung der Dinge. Größere Gewähr rechter Erkenntnis und richtiger Schlüsse verspricht in manchen Fragen der ökonomischen und politischen Entwicklung eine isolierende Betrachtung, die sich auf eine Hauptseite des Gegenstandes beschränkt und ihn, von dieser besonderen Seite aus, zugleich rückschauend mit früheren Zeiten und Entwicklungsstufen in Vergleich setzt. Als ein Gesichtspunkt, der zu einer der¬ artigen isolierenden und rnckschauenden Betrachtung der gegenwärtigen wirtschaft¬ lichen und innerpolitischen Entwicklung Deutschlands in besonderen: Grade einlädt, erscheint mir die Gliederung des Volkes in Stände und deren politische Betätigung und Verfassung. Im Anfang des germanischen Mittelalters sind Stände im allgemeinen, als typische Erscheinung — auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden — noch nicht vorhanden. Die Stammesgenossen sind freie Ackerbauer, deren jeder mit den Seinigen in eiuer in sich abgeschlossenen und selbständigen Wirtschaft alles zur Deckung des eigenen Bedarfes Erforderliche gewinnt und erzeugt"), und stehen wirtschaftlich, sozial und politisch auf einer Stufe, verbunden durch wesentlich gleichen Anteil an dem einfachen Gemeinwesen, Grund und Boden, Krieg und Recht. Eine Gliederung in Stände beginnt, indem sich die geschlossene Haus¬ wirtschaft einzelner allmählich zur feudalen Grundherrschaft auswüchst, die die *) Bücher, „Die Entstehung der Volkswirtschaft". Grenzboten II 1911 "5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/605
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/605>, abgerufen am 19.05.2024.