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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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der inneren Gestaltung seines Tertes willen
aber verdient das Buch über seine Heimat
hinaus bekannt zu werden, denn hierin hat
es vorbildliche Bedeutung für alle verwandten
Museumsbestrebungen. Die Art, wie dn
etwa die Technik der einzelnen graphischen
Künste an der Hand des gegebenen An¬
schauungsmaterials entwickelt und ihr Ver¬
ständnis für die Betrachtung fruchtbar gemacht
wird, ist schlechthin mustergültig. Und das
Ganze bedeutet nichts Geringeres als eine
ans lauter lebendiger Anschauung aufgebaute
heimatliche Kulturgeschichte und eine Hin-
leitung zu vollem Erfassen und klarem Durch-
dringen all der Lebenswirklichkcit und all des
Geistesregeus, das jeden einzelnen in der
Gemeinschaft von Stadt und Stamm umfängt,
Prof, Tb. Hänlein-lvertlieim a, lU,

Geschichte

In einer Göttinger Dissertation des Bremer
Referendars Dr. Otto Grambow, die den Titel
trägt: "Das GefnngniswescnBremcils" (Ver¬
lag der Buchdruckerei Robert Roste zu Borna-
Leipzig), finden wir folgende Bemerkung: Nach
dem im Jahre 1650 erfolgten Neubau des
Bremer Zuchthauses beschwerten "sich die Amts¬
meister der Naßnmcher (Wollenweber), das; die
Zuchthausinsassen ihnen Konkurrenz machten,
und hatten in einer flehentlichen Supplikntiou
vom 14, Januar 1648 die Wiederherstellung
des Zuchthauses zu hintertreiben versucht, Ihre
Beschwerde aber ist vom Rat (derheuligeSenat)
durch Dekret abschlägig beschieden worden; es
ist gleichzeitig beschlossen worden, daß man sich
nach einem günstigen Platze für das Werkhnus
umsehen wolle. Die Raßmacheriunung hat sich
bei diesem Bescheide nicht beruhigt, sondern
einen Prozeß gegen den ZuchthauSvursteher
angestrengt, der bis zur höchsten Instanz, dem
Reichskammergericht in Wetzlar, gegangen ist,
da sich in den Bremer Alten mehrere allerdings
nicht die Sache selbst, sondern nur die Aor-
malien betreffende Schriftsätze finden. Bei
denZuchthausakten findet sich ferner ein Schrift¬
stück des Neichskainmergerichts von 1671, das
der Inspektoren und Vorsteher des Zuchthauses
Erwähnung tut, und wodurch der Rat der
Stadt Bremen ans Grund kaiserlicher Macht¬
vollkommenheit ,""d bei Poen zehen Mark
lötiges Goldes' aufgefordert wird, die be¬

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treffenden Vorakten einzusenden und selbst beim
Termin zu erscheinen oder sich vertreten zu
lassen," Also hat Ben Allda wieder einmal
recht. Die Frage nach der Konkurrenz der
Gefängnisarbeit ist demnach keine moderne
Erscheinung, sondern kann bald ihr dreihundert¬
jähriges Jubiläum feiern. Gramvow schweigt,
was aus den Akten des Wetzlarer Reichs¬
kammergerichts geworden ist. Die Justiz¬
ministerien der deutschen Bundesstaaten haben
ganze Aktenstöße über dieses Problem an¬
gesammelt. Aber etwas Gescheiteres als aus
den Akten des alten ReichSkannnergerichtS
scheint auch heute ans der Geschichte nicht
herauszukommen. Übrigens sei dem Verfasser
für seine höchst wertvolle nud für die Rechts¬
geschichte eines kleinen KülturstaateS sehr inter¬
essante Doktordissertation, die sich einmal mit
etwas Konkreterem als der Eregese irgend¬
einer Pandcktenkonjektur beschäftigt, herzlicher
Dank gesagt.

Eine zweite, auch für die heutigen Straf-
rechtSPolitiker recht beachtenswerte Notiz ist
die nachahmenswerte Stellung der kühnen
Hanseaten zur Deportation: "Über die eigent¬
liche Deportation findet sich in den Akten des
Bremer Archivs wenig bemerkt: daß sie aber
gehandhabt ist, zeigt ein Aktenstück ans dem
Jahre 1852, in dem eS in einem Protokoll
über eine Senatssitznng vom 12. Mai heißt:
"Schon vor längerer Zeit sei im Senate der
Wunsch zu erkennen gegeben, daß verschiedene
unnütze Subjekte, welche sich im Zuchthause
und im Arbeitshause in Haft befinden, bei
sich darbietender Gelegenheit in einen anderen
Weltteil geschafft werden möchten. Es finde
sich jetzt eine solche Gelegenheit, indem daS
hiesige Handlungshaus I, C. und W, Bley sich
erboten habe, nenn solche Individuen, aber
nicht weniger, mit seinem Schiffe ,Anna° "ach
Bnhia überzuführen, für eine Passage von
55 Taler Pro Kopf und gegen Ausstellung
eines Reverses, daß, wenn der Kapitän ge¬
nötigt sein sollte, dieLcule wieder mitzubringen,
von feiten des Staates auch die Rückpassage
bezahlt werden sollte, OieseMaßnahme wurde
bewilligt, jedoch aus Kosten der Polizeikasse,
die außerdem noch für die Ausrüstung eines
jeden 25 Reichstaler zahlen sollte,"

O wären wir erst wieder so weit!

Heinrich Reuse- [Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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der inneren Gestaltung seines Tertes willen
aber verdient das Buch über seine Heimat
hinaus bekannt zu werden, denn hierin hat
es vorbildliche Bedeutung für alle verwandten
Museumsbestrebungen. Die Art, wie dn
etwa die Technik der einzelnen graphischen
Künste an der Hand des gegebenen An¬
schauungsmaterials entwickelt und ihr Ver¬
ständnis für die Betrachtung fruchtbar gemacht
wird, ist schlechthin mustergültig. Und das
Ganze bedeutet nichts Geringeres als eine
ans lauter lebendiger Anschauung aufgebaute
heimatliche Kulturgeschichte und eine Hin-
leitung zu vollem Erfassen und klarem Durch-
dringen all der Lebenswirklichkcit und all des
Geistesregeus, das jeden einzelnen in der
Gemeinschaft von Stadt und Stamm umfängt,
Prof, Tb. Hänlein-lvertlieim a, lU,

Geschichte

In einer Göttinger Dissertation des Bremer
Referendars Dr. Otto Grambow, die den Titel
trägt: „Das GefnngniswescnBremcils" (Ver¬
lag der Buchdruckerei Robert Roste zu Borna-
Leipzig), finden wir folgende Bemerkung: Nach
dem im Jahre 1650 erfolgten Neubau des
Bremer Zuchthauses beschwerten „sich die Amts¬
meister der Naßnmcher (Wollenweber), das; die
Zuchthausinsassen ihnen Konkurrenz machten,
und hatten in einer flehentlichen Supplikntiou
vom 14, Januar 1648 die Wiederherstellung
des Zuchthauses zu hintertreiben versucht, Ihre
Beschwerde aber ist vom Rat (derheuligeSenat)
durch Dekret abschlägig beschieden worden; es
ist gleichzeitig beschlossen worden, daß man sich
nach einem günstigen Platze für das Werkhnus
umsehen wolle. Die Raßmacheriunung hat sich
bei diesem Bescheide nicht beruhigt, sondern
einen Prozeß gegen den ZuchthauSvursteher
angestrengt, der bis zur höchsten Instanz, dem
Reichskammergericht in Wetzlar, gegangen ist,
da sich in den Bremer Alten mehrere allerdings
nicht die Sache selbst, sondern nur die Aor-
malien betreffende Schriftsätze finden. Bei
denZuchthausakten findet sich ferner ein Schrift¬
stück des Neichskainmergerichts von 1671, das
der Inspektoren und Vorsteher des Zuchthauses
Erwähnung tut, und wodurch der Rat der
Stadt Bremen ans Grund kaiserlicher Macht¬
vollkommenheit ,»»d bei Poen zehen Mark
lötiges Goldes' aufgefordert wird, die be¬

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treffenden Vorakten einzusenden und selbst beim
Termin zu erscheinen oder sich vertreten zu
lassen," Also hat Ben Allda wieder einmal
recht. Die Frage nach der Konkurrenz der
Gefängnisarbeit ist demnach keine moderne
Erscheinung, sondern kann bald ihr dreihundert¬
jähriges Jubiläum feiern. Gramvow schweigt,
was aus den Akten des Wetzlarer Reichs¬
kammergerichts geworden ist. Die Justiz¬
ministerien der deutschen Bundesstaaten haben
ganze Aktenstöße über dieses Problem an¬
gesammelt. Aber etwas Gescheiteres als aus
den Akten des alten ReichSkannnergerichtS
scheint auch heute ans der Geschichte nicht
herauszukommen. Übrigens sei dem Verfasser
für seine höchst wertvolle nud für die Rechts¬
geschichte eines kleinen KülturstaateS sehr inter¬
essante Doktordissertation, die sich einmal mit
etwas Konkreterem als der Eregese irgend¬
einer Pandcktenkonjektur beschäftigt, herzlicher
Dank gesagt.

Eine zweite, auch für die heutigen Straf-
rechtSPolitiker recht beachtenswerte Notiz ist
die nachahmenswerte Stellung der kühnen
Hanseaten zur Deportation: „Über die eigent¬
liche Deportation findet sich in den Akten des
Bremer Archivs wenig bemerkt: daß sie aber
gehandhabt ist, zeigt ein Aktenstück ans dem
Jahre 1852, in dem eS in einem Protokoll
über eine Senatssitznng vom 12. Mai heißt:
„Schon vor längerer Zeit sei im Senate der
Wunsch zu erkennen gegeben, daß verschiedene
unnütze Subjekte, welche sich im Zuchthause
und im Arbeitshause in Haft befinden, bei
sich darbietender Gelegenheit in einen anderen
Weltteil geschafft werden möchten. Es finde
sich jetzt eine solche Gelegenheit, indem daS
hiesige Handlungshaus I, C. und W, Bley sich
erboten habe, nenn solche Individuen, aber
nicht weniger, mit seinem Schiffe ,Anna° »ach
Bnhia überzuführen, für eine Passage von
55 Taler Pro Kopf und gegen Ausstellung
eines Reverses, daß, wenn der Kapitän ge¬
nötigt sein sollte, dieLcule wieder mitzubringen,
von feiten des Staates auch die Rückpassage
bezahlt werden sollte, OieseMaßnahme wurde
bewilligt, jedoch aus Kosten der Polizeikasse,
die außerdem noch für die Ausrüstung eines
jeden 25 Reichstaler zahlen sollte,"

O wären wir erst wieder so weit!

Heinrich Reuse- [Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/644>, abgerufen am 26.05.2024.