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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

briefumlauf von etiva 10 Milliarden Mark habe", und daß diesem eine Hypo-
thckenanlage fast ausschließlich auf städtischen Grundstücken entspricht. Und von
dieser Anlage absorbiert Berlin den Löwenanteil,' haben doch selbst süddeutsche
Hyporhekenbnnken fast ein Drittel ihres Bestandes in Berliner Hypotheken angelegt.
Als Geldgeber treten ferner ans die Versicherungsgesellschaften, zum Teil mit
sehr erheblichen Kapitalien (so weist beispielsweise die Viktoria allein nahezu
700 Millionen Hypothekenbestand aus), und die Sparkassen, die von ihren
1<> Milliarden Beständen über ein Drittel in städtischen Hypotheken besitzen.
In keinem anderen Lande finden sich Verhältnisse, die sich auch mir annähernd
mit diesen Zahlen vergleichen lassen könnten. Wir leiden also unter einer wahren
ilberfütteruug mit Hypothekarkredit. Es kann mithin nicht die Aufgabe sein,
dem Ncalkredit noch neue Quellen zu erschließen. Es kommt vielmehr darauf
a", den vorhandenen Kredit zweckmäßiger zu verteilen, ihn nicht dem Spekulanten
in den Schoß zu werfen, sondern dein Erbauer zugute kommeu zu lassen. Zu
diesem Ende wäre eine Änderung der Beleihungsgrnndsätze der Hypo¬
thekenbanken erforderlich. Diese könnte aber nicht erfolgen, ohne daß man
zugleich in einige Grundsätze des gegenwärtigen Hypothekenrechts Bresche legte.
Man könnte etwa daran denken, den altrömischen Grundsatz ,superkiLie8 8vio
ceelit/ abzuschaffen und eine selbständige Beleihung des Hauses ohne Grund
und Boden zu ermöglichen, und zwar mit der Maßgabe, daß die Hypothek auf
das Hans, die zur Erbauung desselben gewährt ist, den Vorrang vor einer
Belastung von Grund und Boden hätte. Der Gedanke ist nicht so ungeheuerlich,
wie er dem in römisch-rechtlichen Anschauungen befangenen Juristen erscheinen
mag. Es würde damit zugleich eine gewisse Parallele zum Erbbaurecht geschaffen
werden, dessen heutige Ausgestaltung sich ja auch von: römischen Recht sehr weit
entfernt. Den Gedanken näher auszuführen und zu begründen, mag späterer
Gelegenheit vorbehalten bleiben. Worauf es einstweilen ankommt, ist: die
Ursachen wirtschaftlicher Schäden klar zu erkennen und auf neue Entwicklungs¬
Sxecwwr möglichkeiten hinzuweisen.


Wiener Brief

Die Niederlage der Christlichsozialen -- Eine Bauernpartei -- Die Lage Bienerths --
Entscheidung im Herbst -- Parlament und Regierung -- Steucrguelle -- Erhöhung
der Tabakpreise -- Verwaltungsreform

Das Ergebnis der österreichischen Reichsratswahlen, insbesondere die
Niederlage der Christlichsozialen in Wie", wird von der tonangebenden
und im Auslande als die maßgebende Vertretung des österreichischen Deutschtums
angesehenen Wiener Presse als ein Wendepunkt österreichischer Geschichte behandelt.
Dem gegenüber wird man gut tun, sich an die Tatsachen zu halten. Daß die
christlichsoziale Partei nach dem Tode ihres Führers Lneger nicht auf der Höhe
der Macht bleiben würde, war vorauszusehen: man hatte damit gerechnet, daß


Reichsspiegel

briefumlauf von etiva 10 Milliarden Mark habe», und daß diesem eine Hypo-
thckenanlage fast ausschließlich auf städtischen Grundstücken entspricht. Und von
dieser Anlage absorbiert Berlin den Löwenanteil,' haben doch selbst süddeutsche
Hyporhekenbnnken fast ein Drittel ihres Bestandes in Berliner Hypotheken angelegt.
Als Geldgeber treten ferner ans die Versicherungsgesellschaften, zum Teil mit
sehr erheblichen Kapitalien (so weist beispielsweise die Viktoria allein nahezu
700 Millionen Hypothekenbestand aus), und die Sparkassen, die von ihren
1<> Milliarden Beständen über ein Drittel in städtischen Hypotheken besitzen.
In keinem anderen Lande finden sich Verhältnisse, die sich auch mir annähernd
mit diesen Zahlen vergleichen lassen könnten. Wir leiden also unter einer wahren
ilberfütteruug mit Hypothekarkredit. Es kann mithin nicht die Aufgabe sein,
dem Ncalkredit noch neue Quellen zu erschließen. Es kommt vielmehr darauf
a», den vorhandenen Kredit zweckmäßiger zu verteilen, ihn nicht dem Spekulanten
in den Schoß zu werfen, sondern dein Erbauer zugute kommeu zu lassen. Zu
diesem Ende wäre eine Änderung der Beleihungsgrnndsätze der Hypo¬
thekenbanken erforderlich. Diese könnte aber nicht erfolgen, ohne daß man
zugleich in einige Grundsätze des gegenwärtigen Hypothekenrechts Bresche legte.
Man könnte etwa daran denken, den altrömischen Grundsatz ,superkiLie8 8vio
ceelit/ abzuschaffen und eine selbständige Beleihung des Hauses ohne Grund
und Boden zu ermöglichen, und zwar mit der Maßgabe, daß die Hypothek auf
das Hans, die zur Erbauung desselben gewährt ist, den Vorrang vor einer
Belastung von Grund und Boden hätte. Der Gedanke ist nicht so ungeheuerlich,
wie er dem in römisch-rechtlichen Anschauungen befangenen Juristen erscheinen
mag. Es würde damit zugleich eine gewisse Parallele zum Erbbaurecht geschaffen
werden, dessen heutige Ausgestaltung sich ja auch von: römischen Recht sehr weit
entfernt. Den Gedanken näher auszuführen und zu begründen, mag späterer
Gelegenheit vorbehalten bleiben. Worauf es einstweilen ankommt, ist: die
Ursachen wirtschaftlicher Schäden klar zu erkennen und auf neue Entwicklungs¬
Sxecwwr möglichkeiten hinzuweisen.


Wiener Brief

Die Niederlage der Christlichsozialen — Eine Bauernpartei — Die Lage Bienerths —
Entscheidung im Herbst — Parlament und Regierung — Steucrguelle — Erhöhung
der Tabakpreise — Verwaltungsreform

Das Ergebnis der österreichischen Reichsratswahlen, insbesondere die
Niederlage der Christlichsozialen in Wie», wird von der tonangebenden
und im Auslande als die maßgebende Vertretung des österreichischen Deutschtums
angesehenen Wiener Presse als ein Wendepunkt österreichischer Geschichte behandelt.
Dem gegenüber wird man gut tun, sich an die Tatsachen zu halten. Daß die
christlichsoziale Partei nach dem Tode ihres Führers Lneger nicht auf der Höhe
der Macht bleiben würde, war vorauszusehen: man hatte damit gerechnet, daß


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[0651] Reichsspiegel briefumlauf von etiva 10 Milliarden Mark habe», und daß diesem eine Hypo- thckenanlage fast ausschließlich auf städtischen Grundstücken entspricht. Und von dieser Anlage absorbiert Berlin den Löwenanteil,' haben doch selbst süddeutsche Hyporhekenbnnken fast ein Drittel ihres Bestandes in Berliner Hypotheken angelegt. Als Geldgeber treten ferner ans die Versicherungsgesellschaften, zum Teil mit sehr erheblichen Kapitalien (so weist beispielsweise die Viktoria allein nahezu 700 Millionen Hypothekenbestand aus), und die Sparkassen, die von ihren 1<> Milliarden Beständen über ein Drittel in städtischen Hypotheken besitzen. In keinem anderen Lande finden sich Verhältnisse, die sich auch mir annähernd mit diesen Zahlen vergleichen lassen könnten. Wir leiden also unter einer wahren ilberfütteruug mit Hypothekarkredit. Es kann mithin nicht die Aufgabe sein, dem Ncalkredit noch neue Quellen zu erschließen. Es kommt vielmehr darauf a», den vorhandenen Kredit zweckmäßiger zu verteilen, ihn nicht dem Spekulanten in den Schoß zu werfen, sondern dein Erbauer zugute kommeu zu lassen. Zu diesem Ende wäre eine Änderung der Beleihungsgrnndsätze der Hypo¬ thekenbanken erforderlich. Diese könnte aber nicht erfolgen, ohne daß man zugleich in einige Grundsätze des gegenwärtigen Hypothekenrechts Bresche legte. Man könnte etwa daran denken, den altrömischen Grundsatz ,superkiLie8 8vio ceelit/ abzuschaffen und eine selbständige Beleihung des Hauses ohne Grund und Boden zu ermöglichen, und zwar mit der Maßgabe, daß die Hypothek auf das Hans, die zur Erbauung desselben gewährt ist, den Vorrang vor einer Belastung von Grund und Boden hätte. Der Gedanke ist nicht so ungeheuerlich, wie er dem in römisch-rechtlichen Anschauungen befangenen Juristen erscheinen mag. Es würde damit zugleich eine gewisse Parallele zum Erbbaurecht geschaffen werden, dessen heutige Ausgestaltung sich ja auch von: römischen Recht sehr weit entfernt. Den Gedanken näher auszuführen und zu begründen, mag späterer Gelegenheit vorbehalten bleiben. Worauf es einstweilen ankommt, ist: die Ursachen wirtschaftlicher Schäden klar zu erkennen und auf neue Entwicklungs¬ Sxecwwr möglichkeiten hinzuweisen. Wiener Brief Die Niederlage der Christlichsozialen — Eine Bauernpartei — Die Lage Bienerths — Entscheidung im Herbst — Parlament und Regierung — Steucrguelle — Erhöhung der Tabakpreise — Verwaltungsreform Das Ergebnis der österreichischen Reichsratswahlen, insbesondere die Niederlage der Christlichsozialen in Wie», wird von der tonangebenden und im Auslande als die maßgebende Vertretung des österreichischen Deutschtums angesehenen Wiener Presse als ein Wendepunkt österreichischer Geschichte behandelt. Dem gegenüber wird man gut tun, sich an die Tatsachen zu halten. Daß die christlichsoziale Partei nach dem Tode ihres Führers Lneger nicht auf der Höhe der Macht bleiben würde, war vorauszusehen: man hatte damit gerechnet, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/651>, abgerufen am 19.05.2024.