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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Naturwissenschaften fand auch in der Psycho¬
logischen Forschung Widerhall. Sie bildeten
den Ausgangspunkt für Malebranche, der je¬
doch die Gefahren jener Annäherung zu um¬
schiffen wußte und die Beziehungen des see¬
lischen Geschehens zum Leib und zur Außen¬
welt als methodologische Notwendigkeit er¬
kannte; ein Parallelismus zwischen seelischen
und körperlichen Vorgängen, so sagt er, ist
nicht metaphysisch zu begründen, sondern er
besteht als ein in der Psychologie unentbehr¬
liches Hilfsprinzip. Auch eine Auflösung der
psychologischen Probleme in eine zur Meta¬
physik erweiterten Erkenntnislehre hat Male¬
branche vermieden. Nunmehr waren die trag¬
fähigen Grundlagen für die psychologische
Wissenschaft gewonnen. In der Folgezeit geht
manches wieder verloren, und somit wieder¬
holt sich das bekannte Spiel geschichtlicher Ent¬
wicklung -- ein ewiger Wechsel von Fortschritt
und Rückschritt, aber zuletzt das unaufhaltsame
Durchdrungen fruchtbarer Aussaat. In der
Schilderung dieses Prozesses, wie er sich auch
weiterhin bis an die Schwelle der Gegenwart
verfolgen läßt, ist Dessoir Meister. Sicher
weist er uns die Stufen siegreicher Erkenntnis
und in der Durchsichtigkeit der Darstellung
greifen wir die ganze Schwere der Aufgabe,
die der Mensch sich stellte, als er seine Seele
zu erforschen unternahm.


M. llclchne

Wer als Laie einmal den Wunsch gehegt
hat, sich von der modernen Psychologischen
Forschung in gröbsten Umrissen ein Bild zu
gestalten, dem dürfte Hermann Ebbinghaus
nicht fremd sein, stammen doch aus seiner
Feder der geschickte Überblick über die Psycho¬
logie in der "Kultur der Gegenwart" und
ein "Abriß der Psychologie", der für eine all¬
gemeine Orientierung gute Dienste zu leisten
vermag. Daß dieser verdienstvolle Forscher
im besten Mannesalter hinweggerafft wurde,
ohne sein Hauptwerk, "Grundzüge der Psycho¬
logie", vollendet zu haben, wird jeder aufs
tiefste bedauern, der sich seiner Führung je
anvertraut hat. Wenn wir hier zur Anzeige
bringen, daß Ernst Dürr die dritte Auflage
des hinterlassenen ersten Bandes in einer Neu¬
bearbeitung besorgt ("Grundziige der Psycho¬
logie^ von Hermann Ebbinghaus. Erster


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Band, dritte Auflage, bearbeitet von Ernst
Dürr. Leipzig, Verlag von Veit u. Co., 1911.
Preis 18 M.) und die Fortführung des Werks
begonnen hat (der zweite Band gelangt in
ieben bis acht Lieferungen zur Ausgabe. Bis
etzt erschienen: erste Lieferung-- von Ebbing¬
haus -- 1908, zweite Lieferung -- Fortfüh¬
rung von Dürr -- 1911 Ä 1,80 M), so muß
gleich bemerkt werden, daß es sich hier nicht
um eine für weite Kreise bestimmte Arbeit
handelt. Das Buch ist allerdings als eine
Einleitung gedacht, aber als eine Einleitung
n das Studium der Psychologischen Dinge
und nicht bloß in eine erste und all¬
gemeine Kenntnis von ihnen. Daß es sich
hierfür vorzüglich eignet und zu den besten
Darstellungen der Psychologie gehört, die wir
besitzen, ist in Fachkreisen längst anerkannt
worden und wir werden eS Ernst Dürr Dank
wissen, daß er sich der schwierigen Aufgabe
unterzogen hat, das wertvolle Vermächtnis
zu verwalten und zu mehren. Eingriffe in
den wissenschaftlich gesicherten Bestand des ab¬
geschlossenen ersten Bandes hat Dürr selbst¬
verständlich unterlassen, aber dem Fortschritt
der Forschung hat er Rechnung getragen, in¬
dem er neue Feststellungen der letzten fünf
Jahre zu Berichtigungen und Ergänzungen
benutzt hat. Natürlich haben seine eigenen,
von Ebbinghaus gelegentlich abweichenden
Grundanschauungen mancher Problemlösung
eine neue Fassung gegeben. Es ist hier nicht
der Ort, die von Dürr vorgenommenen Um¬
gestaltungen im Einzelnen anzuführen und
ritisch zu betrachten, dies muß der Fachpresse
vorbehalten bleiben, wir möchten jedoch nicht
versäumen, das Ergebnis sachkundiger, gründ¬
icher Vertiefung in mühseliger Arbeit der
Beachtung aller derer zu empfehlen, denen
die wissenschaftliche Psychologie an? Herzen
"* iegt.

Bildungsfragen

Dr. Adolf Matthias, Wirt. Geheimer Re¬
gierungsrat: Wie werden wir Kinder des
Glücks? 3. Aufl. München, C. H. Beck.

Die dritte, "stark veränderte und er¬
weiterte" Auflage des Gegenstücks zum wohl-
berufeuen "Benjamin" erschien just zu einer
Zeit, da der Verfasser stolz dem Geheimrats¬
essel den Rücken kehrte, während er doch

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Naturwissenschaften fand auch in der Psycho¬
logischen Forschung Widerhall. Sie bildeten
den Ausgangspunkt für Malebranche, der je¬
doch die Gefahren jener Annäherung zu um¬
schiffen wußte und die Beziehungen des see¬
lischen Geschehens zum Leib und zur Außen¬
welt als methodologische Notwendigkeit er¬
kannte; ein Parallelismus zwischen seelischen
und körperlichen Vorgängen, so sagt er, ist
nicht metaphysisch zu begründen, sondern er
besteht als ein in der Psychologie unentbehr¬
liches Hilfsprinzip. Auch eine Auflösung der
psychologischen Probleme in eine zur Meta¬
physik erweiterten Erkenntnislehre hat Male¬
branche vermieden. Nunmehr waren die trag¬
fähigen Grundlagen für die psychologische
Wissenschaft gewonnen. In der Folgezeit geht
manches wieder verloren, und somit wieder¬
holt sich das bekannte Spiel geschichtlicher Ent¬
wicklung — ein ewiger Wechsel von Fortschritt
und Rückschritt, aber zuletzt das unaufhaltsame
Durchdrungen fruchtbarer Aussaat. In der
Schilderung dieses Prozesses, wie er sich auch
weiterhin bis an die Schwelle der Gegenwart
verfolgen läßt, ist Dessoir Meister. Sicher
weist er uns die Stufen siegreicher Erkenntnis
und in der Durchsichtigkeit der Darstellung
greifen wir die ganze Schwere der Aufgabe,
die der Mensch sich stellte, als er seine Seele
zu erforschen unternahm.


M. llclchne

Wer als Laie einmal den Wunsch gehegt
hat, sich von der modernen Psychologischen
Forschung in gröbsten Umrissen ein Bild zu
gestalten, dem dürfte Hermann Ebbinghaus
nicht fremd sein, stammen doch aus seiner
Feder der geschickte Überblick über die Psycho¬
logie in der „Kultur der Gegenwart" und
ein „Abriß der Psychologie", der für eine all¬
gemeine Orientierung gute Dienste zu leisten
vermag. Daß dieser verdienstvolle Forscher
im besten Mannesalter hinweggerafft wurde,
ohne sein Hauptwerk, „Grundzüge der Psycho¬
logie", vollendet zu haben, wird jeder aufs
tiefste bedauern, der sich seiner Führung je
anvertraut hat. Wenn wir hier zur Anzeige
bringen, daß Ernst Dürr die dritte Auflage
des hinterlassenen ersten Bandes in einer Neu¬
bearbeitung besorgt („Grundziige der Psycho¬
logie^ von Hermann Ebbinghaus. Erster


[Spaltenumbruch]

Band, dritte Auflage, bearbeitet von Ernst
Dürr. Leipzig, Verlag von Veit u. Co., 1911.
Preis 18 M.) und die Fortführung des Werks
begonnen hat (der zweite Band gelangt in
ieben bis acht Lieferungen zur Ausgabe. Bis
etzt erschienen: erste Lieferung— von Ebbing¬
haus — 1908, zweite Lieferung — Fortfüh¬
rung von Dürr — 1911 Ä 1,80 M), so muß
gleich bemerkt werden, daß es sich hier nicht
um eine für weite Kreise bestimmte Arbeit
handelt. Das Buch ist allerdings als eine
Einleitung gedacht, aber als eine Einleitung
n das Studium der Psychologischen Dinge
und nicht bloß in eine erste und all¬
gemeine Kenntnis von ihnen. Daß es sich
hierfür vorzüglich eignet und zu den besten
Darstellungen der Psychologie gehört, die wir
besitzen, ist in Fachkreisen längst anerkannt
worden und wir werden eS Ernst Dürr Dank
wissen, daß er sich der schwierigen Aufgabe
unterzogen hat, das wertvolle Vermächtnis
zu verwalten und zu mehren. Eingriffe in
den wissenschaftlich gesicherten Bestand des ab¬
geschlossenen ersten Bandes hat Dürr selbst¬
verständlich unterlassen, aber dem Fortschritt
der Forschung hat er Rechnung getragen, in¬
dem er neue Feststellungen der letzten fünf
Jahre zu Berichtigungen und Ergänzungen
benutzt hat. Natürlich haben seine eigenen,
von Ebbinghaus gelegentlich abweichenden
Grundanschauungen mancher Problemlösung
eine neue Fassung gegeben. Es ist hier nicht
der Ort, die von Dürr vorgenommenen Um¬
gestaltungen im Einzelnen anzuführen und
ritisch zu betrachten, dies muß der Fachpresse
vorbehalten bleiben, wir möchten jedoch nicht
versäumen, das Ergebnis sachkundiger, gründ¬
icher Vertiefung in mühseliger Arbeit der
Beachtung aller derer zu empfehlen, denen
die wissenschaftliche Psychologie an? Herzen
«* iegt.

Bildungsfragen

Dr. Adolf Matthias, Wirt. Geheimer Re¬
gierungsrat: Wie werden wir Kinder des
Glücks? 3. Aufl. München, C. H. Beck.

Die dritte, „stark veränderte und er¬
weiterte" Auflage des Gegenstücks zum wohl-
berufeuen „Benjamin" erschien just zu einer
Zeit, da der Verfasser stolz dem Geheimrats¬
essel den Rücken kehrte, während er doch

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[0148] Maßgebliches und Unmaßgebliches Naturwissenschaften fand auch in der Psycho¬ logischen Forschung Widerhall. Sie bildeten den Ausgangspunkt für Malebranche, der je¬ doch die Gefahren jener Annäherung zu um¬ schiffen wußte und die Beziehungen des see¬ lischen Geschehens zum Leib und zur Außen¬ welt als methodologische Notwendigkeit er¬ kannte; ein Parallelismus zwischen seelischen und körperlichen Vorgängen, so sagt er, ist nicht metaphysisch zu begründen, sondern er besteht als ein in der Psychologie unentbehr¬ liches Hilfsprinzip. Auch eine Auflösung der psychologischen Probleme in eine zur Meta¬ physik erweiterten Erkenntnislehre hat Male¬ branche vermieden. Nunmehr waren die trag¬ fähigen Grundlagen für die psychologische Wissenschaft gewonnen. In der Folgezeit geht manches wieder verloren, und somit wieder¬ holt sich das bekannte Spiel geschichtlicher Ent¬ wicklung — ein ewiger Wechsel von Fortschritt und Rückschritt, aber zuletzt das unaufhaltsame Durchdrungen fruchtbarer Aussaat. In der Schilderung dieses Prozesses, wie er sich auch weiterhin bis an die Schwelle der Gegenwart verfolgen läßt, ist Dessoir Meister. Sicher weist er uns die Stufen siegreicher Erkenntnis und in der Durchsichtigkeit der Darstellung greifen wir die ganze Schwere der Aufgabe, die der Mensch sich stellte, als er seine Seele zu erforschen unternahm. M. llclchne Wer als Laie einmal den Wunsch gehegt hat, sich von der modernen Psychologischen Forschung in gröbsten Umrissen ein Bild zu gestalten, dem dürfte Hermann Ebbinghaus nicht fremd sein, stammen doch aus seiner Feder der geschickte Überblick über die Psycho¬ logie in der „Kultur der Gegenwart" und ein „Abriß der Psychologie", der für eine all¬ gemeine Orientierung gute Dienste zu leisten vermag. Daß dieser verdienstvolle Forscher im besten Mannesalter hinweggerafft wurde, ohne sein Hauptwerk, „Grundzüge der Psycho¬ logie", vollendet zu haben, wird jeder aufs tiefste bedauern, der sich seiner Führung je anvertraut hat. Wenn wir hier zur Anzeige bringen, daß Ernst Dürr die dritte Auflage des hinterlassenen ersten Bandes in einer Neu¬ bearbeitung besorgt („Grundziige der Psycho¬ logie^ von Hermann Ebbinghaus. Erster Band, dritte Auflage, bearbeitet von Ernst Dürr. Leipzig, Verlag von Veit u. Co., 1911. Preis 18 M.) und die Fortführung des Werks begonnen hat (der zweite Band gelangt in ieben bis acht Lieferungen zur Ausgabe. Bis etzt erschienen: erste Lieferung— von Ebbing¬ haus — 1908, zweite Lieferung — Fortfüh¬ rung von Dürr — 1911 Ä 1,80 M), so muß gleich bemerkt werden, daß es sich hier nicht um eine für weite Kreise bestimmte Arbeit handelt. Das Buch ist allerdings als eine Einleitung gedacht, aber als eine Einleitung n das Studium der Psychologischen Dinge und nicht bloß in eine erste und all¬ gemeine Kenntnis von ihnen. Daß es sich hierfür vorzüglich eignet und zu den besten Darstellungen der Psychologie gehört, die wir besitzen, ist in Fachkreisen längst anerkannt worden und wir werden eS Ernst Dürr Dank wissen, daß er sich der schwierigen Aufgabe unterzogen hat, das wertvolle Vermächtnis zu verwalten und zu mehren. Eingriffe in den wissenschaftlich gesicherten Bestand des ab¬ geschlossenen ersten Bandes hat Dürr selbst¬ verständlich unterlassen, aber dem Fortschritt der Forschung hat er Rechnung getragen, in¬ dem er neue Feststellungen der letzten fünf Jahre zu Berichtigungen und Ergänzungen benutzt hat. Natürlich haben seine eigenen, von Ebbinghaus gelegentlich abweichenden Grundanschauungen mancher Problemlösung eine neue Fassung gegeben. Es ist hier nicht der Ort, die von Dürr vorgenommenen Um¬ gestaltungen im Einzelnen anzuführen und ritisch zu betrachten, dies muß der Fachpresse vorbehalten bleiben, wir möchten jedoch nicht versäumen, das Ergebnis sachkundiger, gründ¬ icher Vertiefung in mühseliger Arbeit der Beachtung aller derer zu empfehlen, denen die wissenschaftliche Psychologie an? Herzen «* iegt. Bildungsfragen Dr. Adolf Matthias, Wirt. Geheimer Re¬ gierungsrat: Wie werden wir Kinder des Glücks? 3. Aufl. München, C. H. Beck. Die dritte, „stark veränderte und er¬ weiterte" Auflage des Gegenstücks zum wohl- berufeuen „Benjamin" erschien just zu einer Zeit, da der Verfasser stolz dem Geheimrats¬ essel den Rücken kehrte, während er doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/148>, abgerufen am 06.05.2024.