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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Gottfried Haberkorfs Irrtum
von Bernhard Flemes

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UM
AsMach dem Adagio sah Herr Gottfried Haberkorf rasch nach der Wanduhr,
ob er noch Zeit habe, seine Sonate zu Ende zu spielen, und ließ
dann das ^Ilogro sssai wie einen Gewitterregen über die Tasten
prasseln, ließ den Donner noch einmal verhalten grollen, ein paar
> ferne Blitze über die Landschaft zucken und erstickte die ausjubelnden
Vogelkehlen im Tropfenfall, der aus dichten Baumkronen kam. Nach dem letzten
Donnergrummeln des Schlußsatzes schmolz er das Calando so weich und tröstlich
ins Zimmer, als hätte aus irgendeinem offenen Fenster liebevoll eine Geige
dazu gesungen.

Und bann schwieg die Frühlingssonate auf dem Klaviere, und die da draußen
vor den Fenstern war gleichfalls im Verklingen. Die Luft war noch schwül und
prall mit Blütenduft gesättigt. Aus den Obstbäumen tropfte es in den Rasen,
und die Drossel sang im Birnbaum.

Herr Gottfried Haberkorf meinte, es sei nun wohl an der Zeit, sich zur Sing¬
übung fertig zu machen, griff seinen Geigenkasten, stülpte den Hut auf und stieg
die Treppe hinunter. Unten fiel ihm ein, daß er die Fenster der Schulstube
wieder öffnen könne, damit die heiße, trockene Staubluft entweiche. Dann schloß
er ab und ging die Dorfstraße hinunter. Das war ihm der liebste Weg, wenn
er des Abends seine Straße entlang stapfte und bei der Schmiede in den Heckenweg
bog, der ihn nach dem Weißen Roß führte. Er ging ihn Abend für Abend.
Natürlich nicht immer zur Singübung. Denn so singwütig waren selbst die Herren-
dorfer nicht, die doch als sangeslustige Gesellen auf allen Sängerfesten im Umkreis
von einigen Stunden bekannt waren. So singwütig war auch Herr Gottfried
Haberkorf nicht, trotzdem ihm erst Gesang und Saitenspiel das Leben wertvoll
machten. Aber diese wöchentliche Singübung am Freitag Abend war doch die
Veranlassung geworden, daß er seit dem letzten Winter fast jeden Abend ins Weiße
Roß wanderte. Und das kam so. Eines Abends, als Haberkorf mit seinen
Sängern wie gewöhnlich nach der Übung in die Gaststube biegen wollte, um bei
Bier und Zigarren so lange in der Gesellschaft seiner Herkendorfer zu verbleiben,
bis die Pointen ihrer Witze einen Stich ins Saftige bekamen, stand Mutter Neutter,
die Krügersche, vor ihrer Wohnstube und bat ihn, doch einen Augenblick mit in
die Stube zu kommen, sie habe ihn schon immer mal etwas fragen wollen. Das




Gottfried Haberkorfs Irrtum
von Bernhard Flemes

^xZNsMZ^
UM
AsMach dem Adagio sah Herr Gottfried Haberkorf rasch nach der Wanduhr,
ob er noch Zeit habe, seine Sonate zu Ende zu spielen, und ließ
dann das ^Ilogro sssai wie einen Gewitterregen über die Tasten
prasseln, ließ den Donner noch einmal verhalten grollen, ein paar
> ferne Blitze über die Landschaft zucken und erstickte die ausjubelnden
Vogelkehlen im Tropfenfall, der aus dichten Baumkronen kam. Nach dem letzten
Donnergrummeln des Schlußsatzes schmolz er das Calando so weich und tröstlich
ins Zimmer, als hätte aus irgendeinem offenen Fenster liebevoll eine Geige
dazu gesungen.

Und bann schwieg die Frühlingssonate auf dem Klaviere, und die da draußen
vor den Fenstern war gleichfalls im Verklingen. Die Luft war noch schwül und
prall mit Blütenduft gesättigt. Aus den Obstbäumen tropfte es in den Rasen,
und die Drossel sang im Birnbaum.

Herr Gottfried Haberkorf meinte, es sei nun wohl an der Zeit, sich zur Sing¬
übung fertig zu machen, griff seinen Geigenkasten, stülpte den Hut auf und stieg
die Treppe hinunter. Unten fiel ihm ein, daß er die Fenster der Schulstube
wieder öffnen könne, damit die heiße, trockene Staubluft entweiche. Dann schloß
er ab und ging die Dorfstraße hinunter. Das war ihm der liebste Weg, wenn
er des Abends seine Straße entlang stapfte und bei der Schmiede in den Heckenweg
bog, der ihn nach dem Weißen Roß führte. Er ging ihn Abend für Abend.
Natürlich nicht immer zur Singübung. Denn so singwütig waren selbst die Herren-
dorfer nicht, die doch als sangeslustige Gesellen auf allen Sängerfesten im Umkreis
von einigen Stunden bekannt waren. So singwütig war auch Herr Gottfried
Haberkorf nicht, trotzdem ihm erst Gesang und Saitenspiel das Leben wertvoll
machten. Aber diese wöchentliche Singübung am Freitag Abend war doch die
Veranlassung geworden, daß er seit dem letzten Winter fast jeden Abend ins Weiße
Roß wanderte. Und das kam so. Eines Abends, als Haberkorf mit seinen
Sängern wie gewöhnlich nach der Übung in die Gaststube biegen wollte, um bei
Bier und Zigarren so lange in der Gesellschaft seiner Herkendorfer zu verbleiben,
bis die Pointen ihrer Witze einen Stich ins Saftige bekamen, stand Mutter Neutter,
die Krügersche, vor ihrer Wohnstube und bat ihn, doch einen Augenblick mit in
die Stube zu kommen, sie habe ihn schon immer mal etwas fragen wollen. Das


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[0605] [Abbildung] Gottfried Haberkorfs Irrtum von Bernhard Flemes ^xZNsMZ^ UM AsMach dem Adagio sah Herr Gottfried Haberkorf rasch nach der Wanduhr, ob er noch Zeit habe, seine Sonate zu Ende zu spielen, und ließ dann das ^Ilogro sssai wie einen Gewitterregen über die Tasten prasseln, ließ den Donner noch einmal verhalten grollen, ein paar > ferne Blitze über die Landschaft zucken und erstickte die ausjubelnden Vogelkehlen im Tropfenfall, der aus dichten Baumkronen kam. Nach dem letzten Donnergrummeln des Schlußsatzes schmolz er das Calando so weich und tröstlich ins Zimmer, als hätte aus irgendeinem offenen Fenster liebevoll eine Geige dazu gesungen. Und bann schwieg die Frühlingssonate auf dem Klaviere, und die da draußen vor den Fenstern war gleichfalls im Verklingen. Die Luft war noch schwül und prall mit Blütenduft gesättigt. Aus den Obstbäumen tropfte es in den Rasen, und die Drossel sang im Birnbaum. Herr Gottfried Haberkorf meinte, es sei nun wohl an der Zeit, sich zur Sing¬ übung fertig zu machen, griff seinen Geigenkasten, stülpte den Hut auf und stieg die Treppe hinunter. Unten fiel ihm ein, daß er die Fenster der Schulstube wieder öffnen könne, damit die heiße, trockene Staubluft entweiche. Dann schloß er ab und ging die Dorfstraße hinunter. Das war ihm der liebste Weg, wenn er des Abends seine Straße entlang stapfte und bei der Schmiede in den Heckenweg bog, der ihn nach dem Weißen Roß führte. Er ging ihn Abend für Abend. Natürlich nicht immer zur Singübung. Denn so singwütig waren selbst die Herren- dorfer nicht, die doch als sangeslustige Gesellen auf allen Sängerfesten im Umkreis von einigen Stunden bekannt waren. So singwütig war auch Herr Gottfried Haberkorf nicht, trotzdem ihm erst Gesang und Saitenspiel das Leben wertvoll machten. Aber diese wöchentliche Singübung am Freitag Abend war doch die Veranlassung geworden, daß er seit dem letzten Winter fast jeden Abend ins Weiße Roß wanderte. Und das kam so. Eines Abends, als Haberkorf mit seinen Sängern wie gewöhnlich nach der Übung in die Gaststube biegen wollte, um bei Bier und Zigarren so lange in der Gesellschaft seiner Herkendorfer zu verbleiben, bis die Pointen ihrer Witze einen Stich ins Saftige bekamen, stand Mutter Neutter, die Krügersche, vor ihrer Wohnstube und bat ihn, doch einen Augenblick mit in die Stube zu kommen, sie habe ihn schon immer mal etwas fragen wollen. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/605>, abgerufen am 05.05.2024.