Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


W2

Nimm Hack und Spaten, grabe selber,
Die Bauernarbeit macht dich groß
Und eine Herde goldner Kälber,
Sie reißen sich bon Boden los.
Gunst II)
-'''
">i!.i^

!iZÄ /Z
inter uns eine Epoche harter Prüfungen, die das greifbar Erreichte
völlig verschleiern, -- vor uns Ungewißheit: Ungewißheit auf natio¬
nalem, politischem, wirtschaftlichem Gebiet. Dazu in wachsendem
Maße Mißtrauen nicht nur gegen die Regierenden, sondern, was
noch schlimmer, gegen die eignen Volksgenossen. Was Wunder,
wenn unsere Gedanken in der Silvesterwoche rückschweifend nicht willig an den
glänzenden Punkten unserer Geschichte haften bleiben, sondern leichter dort ver¬
weilen, wohin verwandte oder auch nur ähnelnde Art sie zieht. Was Wunder,
wenn sich weiterer Kreise auch im Hinblick auf die Zukunft ein Pessimismus
bemächtigt, anscheinend berechtigt aus den Ersahrungen eines von Enttäuschungen
der letzten Jahre verdunkelten Jahrhunderts.

Enttäuschungen sind beim Einzelmenschen sowohl wie bei ganzen Na¬
tionen das Ergebnis jener seelischen Spannung, die entsteht aus dem Mi߬
verhältnis zwischen Wollen und Können. Ruhiges, besonnenes Wollen wird
geringere Spannungen hinterlassen als das ungeduldige Drängen, das sich leicht
vom Schwerpunkt entfernt. Jenes die Zierde des Mannes, dieses ein Vorrecht
strebender Jugend; jenes sauere Pflicht der Führer, dieses das aufregende Spiel
für die faule, der Verantwortung bare Masse. Je energischer in einem Volke das
Leben pulsiert und je empfänglicher für Anregungen von außen eine Nation ist, um
so leichter werden himmelstürmender Optimismus und tiefste Niedergeschlagenheit
miteinander abwechseln, und aus den kurz aufeinander folgenden Enttäuschungen
bleibt als Bodensatz eine Bitterkeit und Unzufriedenheit übrig, die sich gegen
alle richtet, die man glaubt für die Enttäuschungen verantwortlich machen
zu dürfen. In: Leben des Einzelnen sind es meist die besten Freunde, die wir


Grenzboten I 1912 1


W2

Nimm Hack und Spaten, grabe selber,
Die Bauernarbeit macht dich groß
Und eine Herde goldner Kälber,
Sie reißen sich bon Boden los.
Gunst II)
-'''
«>i!.i^

!iZÄ /Z
inter uns eine Epoche harter Prüfungen, die das greifbar Erreichte
völlig verschleiern, — vor uns Ungewißheit: Ungewißheit auf natio¬
nalem, politischem, wirtschaftlichem Gebiet. Dazu in wachsendem
Maße Mißtrauen nicht nur gegen die Regierenden, sondern, was
noch schlimmer, gegen die eignen Volksgenossen. Was Wunder,
wenn unsere Gedanken in der Silvesterwoche rückschweifend nicht willig an den
glänzenden Punkten unserer Geschichte haften bleiben, sondern leichter dort ver¬
weilen, wohin verwandte oder auch nur ähnelnde Art sie zieht. Was Wunder,
wenn sich weiterer Kreise auch im Hinblick auf die Zukunft ein Pessimismus
bemächtigt, anscheinend berechtigt aus den Ersahrungen eines von Enttäuschungen
der letzten Jahre verdunkelten Jahrhunderts.

Enttäuschungen sind beim Einzelmenschen sowohl wie bei ganzen Na¬
tionen das Ergebnis jener seelischen Spannung, die entsteht aus dem Mi߬
verhältnis zwischen Wollen und Können. Ruhiges, besonnenes Wollen wird
geringere Spannungen hinterlassen als das ungeduldige Drängen, das sich leicht
vom Schwerpunkt entfernt. Jenes die Zierde des Mannes, dieses ein Vorrecht
strebender Jugend; jenes sauere Pflicht der Führer, dieses das aufregende Spiel
für die faule, der Verantwortung bare Masse. Je energischer in einem Volke das
Leben pulsiert und je empfänglicher für Anregungen von außen eine Nation ist, um
so leichter werden himmelstürmender Optimismus und tiefste Niedergeschlagenheit
miteinander abwechseln, und aus den kurz aufeinander folgenden Enttäuschungen
bleibt als Bodensatz eine Bitterkeit und Unzufriedenheit übrig, die sich gegen
alle richtet, die man glaubt für die Enttäuschungen verantwortlich machen
zu dürfen. In: Leben des Einzelnen sind es meist die besten Freunde, die wir


Grenzboten I 1912 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320430"/>
              <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_320416/figures/grenzboten_341895_320416_320430_000.jpg"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> W2</head><lb/>
          <quote type="epigraph"> Nimm Hack und Spaten, grabe selber,<lb/>
Die Bauernarbeit macht dich groß<lb/>
Und eine Herde goldner Kälber,<lb/>
Sie reißen sich bon Boden los.<lb/><bibl> Gunst II)<lb/>
-'''</bibl> «&gt;i!.i^</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_7"> !iZÄ /Z<lb/>
inter uns eine Epoche harter Prüfungen, die das greifbar Erreichte<lb/>
völlig verschleiern, &#x2014; vor uns Ungewißheit: Ungewißheit auf natio¬<lb/>
nalem, politischem, wirtschaftlichem Gebiet. Dazu in wachsendem<lb/>
Maße Mißtrauen nicht nur gegen die Regierenden, sondern, was<lb/>
noch schlimmer, gegen die eignen Volksgenossen. Was Wunder,<lb/>
wenn unsere Gedanken in der Silvesterwoche rückschweifend nicht willig an den<lb/>
glänzenden Punkten unserer Geschichte haften bleiben, sondern leichter dort ver¬<lb/>
weilen, wohin verwandte oder auch nur ähnelnde Art sie zieht. Was Wunder,<lb/>
wenn sich weiterer Kreise auch im Hinblick auf die Zukunft ein Pessimismus<lb/>
bemächtigt, anscheinend berechtigt aus den Ersahrungen eines von Enttäuschungen<lb/>
der letzten Jahre verdunkelten Jahrhunderts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8" next="#ID_9"> Enttäuschungen sind beim Einzelmenschen sowohl wie bei ganzen Na¬<lb/>
tionen das Ergebnis jener seelischen Spannung, die entsteht aus dem Mi߬<lb/>
verhältnis zwischen Wollen und Können. Ruhiges, besonnenes Wollen wird<lb/>
geringere Spannungen hinterlassen als das ungeduldige Drängen, das sich leicht<lb/>
vom Schwerpunkt entfernt. Jenes die Zierde des Mannes, dieses ein Vorrecht<lb/>
strebender Jugend; jenes sauere Pflicht der Führer, dieses das aufregende Spiel<lb/>
für die faule, der Verantwortung bare Masse. Je energischer in einem Volke das<lb/>
Leben pulsiert und je empfänglicher für Anregungen von außen eine Nation ist, um<lb/>
so leichter werden himmelstürmender Optimismus und tiefste Niedergeschlagenheit<lb/>
miteinander abwechseln, und aus den kurz aufeinander folgenden Enttäuschungen<lb/>
bleibt als Bodensatz eine Bitterkeit und Unzufriedenheit übrig, die sich gegen<lb/>
alle richtet, die man glaubt für die Enttäuschungen verantwortlich machen<lb/>
zu dürfen. In: Leben des Einzelnen sind es meist die besten Freunde, die wir</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1912 1</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] [Abbildung] W2 Nimm Hack und Spaten, grabe selber, Die Bauernarbeit macht dich groß Und eine Herde goldner Kälber, Sie reißen sich bon Boden los. Gunst II) -''' «>i!.i^ !iZÄ /Z inter uns eine Epoche harter Prüfungen, die das greifbar Erreichte völlig verschleiern, — vor uns Ungewißheit: Ungewißheit auf natio¬ nalem, politischem, wirtschaftlichem Gebiet. Dazu in wachsendem Maße Mißtrauen nicht nur gegen die Regierenden, sondern, was noch schlimmer, gegen die eignen Volksgenossen. Was Wunder, wenn unsere Gedanken in der Silvesterwoche rückschweifend nicht willig an den glänzenden Punkten unserer Geschichte haften bleiben, sondern leichter dort ver¬ weilen, wohin verwandte oder auch nur ähnelnde Art sie zieht. Was Wunder, wenn sich weiterer Kreise auch im Hinblick auf die Zukunft ein Pessimismus bemächtigt, anscheinend berechtigt aus den Ersahrungen eines von Enttäuschungen der letzten Jahre verdunkelten Jahrhunderts. Enttäuschungen sind beim Einzelmenschen sowohl wie bei ganzen Na¬ tionen das Ergebnis jener seelischen Spannung, die entsteht aus dem Mi߬ verhältnis zwischen Wollen und Können. Ruhiges, besonnenes Wollen wird geringere Spannungen hinterlassen als das ungeduldige Drängen, das sich leicht vom Schwerpunkt entfernt. Jenes die Zierde des Mannes, dieses ein Vorrecht strebender Jugend; jenes sauere Pflicht der Führer, dieses das aufregende Spiel für die faule, der Verantwortung bare Masse. Je energischer in einem Volke das Leben pulsiert und je empfänglicher für Anregungen von außen eine Nation ist, um so leichter werden himmelstürmender Optimismus und tiefste Niedergeschlagenheit miteinander abwechseln, und aus den kurz aufeinander folgenden Enttäuschungen bleibt als Bodensatz eine Bitterkeit und Unzufriedenheit übrig, die sich gegen alle richtet, die man glaubt für die Enttäuschungen verantwortlich machen zu dürfen. In: Leben des Einzelnen sind es meist die besten Freunde, die wir Grenzboten I 1912 1

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/13>, abgerufen am 29.04.2024.