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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ein Mort für den Ertcmporcile-Erlaß dos Kultusministers

die feine, magere Haut auf den hohlen Wangen ein wenig wie ein Kind zum
Lächeln verzog.

Er war fast schon nur in sich beschäftigt. Als wenn er ganz abwesend
und für sich allein wäre, und als wenn er den Heimweg nach seinem Fischer¬
dorfe schon einsam durch die Nacht angetreten.

Dann schritt er durch die Dünen im Nachtsturme, uniflüstert und umtost
von den Strandgewalten, die heransprangen wie weiße Gesichter und ihn aus
seinen Himmeln ein paarmal aufschreckten.

Er war voll Entrücktheit.

Er trug die feine, weiße Gestalt jetzt in seine Arme gebettet, in den
Mantel der göttlichen Liebe tief eingehüllt, daß nicht der harsche, finstere See¬
wind, der an seinen Mantelfalten herum riß, und nicht die zischenden Meer-
wogendränge, die ihn mit Gischt aus der Düsternis anwarfen, der von Gott
Erflehten ein Leid taten. Er war jung, kaum viel über die Mitte der Zwanzig,
und er hatte die Welt nie gesehen. (Fortsetzung folgt)




Wintermarsch
Ein Wort für den Extemporale - (Lrlaß
des Aultusministers
von Dr. "Lducird Havenstein

! er neue Ministerialerlaß über die Einschränkung der Bedeutung des
sogenannten Extemporales hat schon, bevor er praktisches Gesetz
wurde, viele Besprechungen erfahren. Teils ist ihm freudig zugestimmt,
^von der Mehrzahl aber ist er heftig abgelehnt worden. Allerdings
wird sich die Zahl seiner Gegner mit der Zeit erheblich vermindern:
denn die Gegnerschaft vieler ist nicht eigentlich sachlicher Natur, sondern aus anderen
Ursachen zu erklären.

Da gibt es solche, die von vornherein jede Neuerung verwerfen, mag sie
von oben oder von unten kommen; das sind die lauäatores temporig avei. Diese
Männer sind nur auf eine Weise zu bekehren und zu überzeugen, nämlich durch
die Zeit. Je länger ein Verfahren im Gebrauch ist, desto richtiger erscheint es
ihnen-, mit den Jahren wächst die Güte und der Wert eines Dinges; und wenn
der augenblicklich neue Zustand sich einmal überlebt hat und neue Verhältnisse
und Bedingungen wieder neue Methoden erfordern, dann werden diese Anhänger
des Satzes von der Absolutheit der einzelnen Zeitabschnitte dasselbe verteidigen,
was ihre Gesinnungsgenossen bekämpft haben.

Mehr Bedeutung und wirkliche Berechtigung hat die Gegnerschaft derer, die
sich nicht an dem Inhalt des Erlasses, sondern an seiner Begründung ärgern.
Und es ist in der Tat bedauerlich, daß das, was durch so gute Gründe hätte


Ein Mort für den Ertcmporcile-Erlaß dos Kultusministers

die feine, magere Haut auf den hohlen Wangen ein wenig wie ein Kind zum
Lächeln verzog.

Er war fast schon nur in sich beschäftigt. Als wenn er ganz abwesend
und für sich allein wäre, und als wenn er den Heimweg nach seinem Fischer¬
dorfe schon einsam durch die Nacht angetreten.

Dann schritt er durch die Dünen im Nachtsturme, uniflüstert und umtost
von den Strandgewalten, die heransprangen wie weiße Gesichter und ihn aus
seinen Himmeln ein paarmal aufschreckten.

Er war voll Entrücktheit.

Er trug die feine, weiße Gestalt jetzt in seine Arme gebettet, in den
Mantel der göttlichen Liebe tief eingehüllt, daß nicht der harsche, finstere See¬
wind, der an seinen Mantelfalten herum riß, und nicht die zischenden Meer-
wogendränge, die ihn mit Gischt aus der Düsternis anwarfen, der von Gott
Erflehten ein Leid taten. Er war jung, kaum viel über die Mitte der Zwanzig,
und er hatte die Welt nie gesehen. (Fortsetzung folgt)




Wintermarsch
Ein Wort für den Extemporale - (Lrlaß
des Aultusministers
von Dr. «Lducird Havenstein

! er neue Ministerialerlaß über die Einschränkung der Bedeutung des
sogenannten Extemporales hat schon, bevor er praktisches Gesetz
wurde, viele Besprechungen erfahren. Teils ist ihm freudig zugestimmt,
^von der Mehrzahl aber ist er heftig abgelehnt worden. Allerdings
wird sich die Zahl seiner Gegner mit der Zeit erheblich vermindern:
denn die Gegnerschaft vieler ist nicht eigentlich sachlicher Natur, sondern aus anderen
Ursachen zu erklären.

Da gibt es solche, die von vornherein jede Neuerung verwerfen, mag sie
von oben oder von unten kommen; das sind die lauäatores temporig avei. Diese
Männer sind nur auf eine Weise zu bekehren und zu überzeugen, nämlich durch
die Zeit. Je länger ein Verfahren im Gebrauch ist, desto richtiger erscheint es
ihnen-, mit den Jahren wächst die Güte und der Wert eines Dinges; und wenn
der augenblicklich neue Zustand sich einmal überlebt hat und neue Verhältnisse
und Bedingungen wieder neue Methoden erfordern, dann werden diese Anhänger
des Satzes von der Absolutheit der einzelnen Zeitabschnitte dasselbe verteidigen,
was ihre Gesinnungsgenossen bekämpft haben.

Mehr Bedeutung und wirkliche Berechtigung hat die Gegnerschaft derer, die
sich nicht an dem Inhalt des Erlasses, sondern an seiner Begründung ärgern.
Und es ist in der Tat bedauerlich, daß das, was durch so gute Gründe hätte


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[0143] Ein Mort für den Ertcmporcile-Erlaß dos Kultusministers die feine, magere Haut auf den hohlen Wangen ein wenig wie ein Kind zum Lächeln verzog. Er war fast schon nur in sich beschäftigt. Als wenn er ganz abwesend und für sich allein wäre, und als wenn er den Heimweg nach seinem Fischer¬ dorfe schon einsam durch die Nacht angetreten. Dann schritt er durch die Dünen im Nachtsturme, uniflüstert und umtost von den Strandgewalten, die heransprangen wie weiße Gesichter und ihn aus seinen Himmeln ein paarmal aufschreckten. Er war voll Entrücktheit. Er trug die feine, weiße Gestalt jetzt in seine Arme gebettet, in den Mantel der göttlichen Liebe tief eingehüllt, daß nicht der harsche, finstere See¬ wind, der an seinen Mantelfalten herum riß, und nicht die zischenden Meer- wogendränge, die ihn mit Gischt aus der Düsternis anwarfen, der von Gott Erflehten ein Leid taten. Er war jung, kaum viel über die Mitte der Zwanzig, und er hatte die Welt nie gesehen. (Fortsetzung folgt) Wintermarsch Ein Wort für den Extemporale - (Lrlaß des Aultusministers von Dr. «Lducird Havenstein ! er neue Ministerialerlaß über die Einschränkung der Bedeutung des sogenannten Extemporales hat schon, bevor er praktisches Gesetz wurde, viele Besprechungen erfahren. Teils ist ihm freudig zugestimmt, ^von der Mehrzahl aber ist er heftig abgelehnt worden. Allerdings wird sich die Zahl seiner Gegner mit der Zeit erheblich vermindern: denn die Gegnerschaft vieler ist nicht eigentlich sachlicher Natur, sondern aus anderen Ursachen zu erklären. Da gibt es solche, die von vornherein jede Neuerung verwerfen, mag sie von oben oder von unten kommen; das sind die lauäatores temporig avei. Diese Männer sind nur auf eine Weise zu bekehren und zu überzeugen, nämlich durch die Zeit. Je länger ein Verfahren im Gebrauch ist, desto richtiger erscheint es ihnen-, mit den Jahren wächst die Güte und der Wert eines Dinges; und wenn der augenblicklich neue Zustand sich einmal überlebt hat und neue Verhältnisse und Bedingungen wieder neue Methoden erfordern, dann werden diese Anhänger des Satzes von der Absolutheit der einzelnen Zeitabschnitte dasselbe verteidigen, was ihre Gesinnungsgenossen bekämpft haben. Mehr Bedeutung und wirkliche Berechtigung hat die Gegnerschaft derer, die sich nicht an dem Inhalt des Erlasses, sondern an seiner Begründung ärgern. Und es ist in der Tat bedauerlich, daß das, was durch so gute Gründe hätte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/143>, abgerufen am 29.04.2024.