Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Briefe aus Persien
3.

chah Mehemed Ali verhielt sich diesen Regierungskünsten des
Parlaments gegenüber zunächst ziemlich passiv. Vielleicht hat er
wirklich zeitweise gehofft, mit einer konstitutionellen Regierungs-
niethode nach englischem Muster weilerzukommen. Bald mußte
er sich vom Gegenteil überzeugen. Die Verwirrung im Lande
wurde immer größer, die Lage der Dynastie immer schwieriger.

Um das Unglück voll zu machen, kam am 31. August 1907 der Abschluß des
russisch-englischen Vertrages, der Persiens Stellung zu seinen großen Nachbarn
von Grund auf veränderte. Das Erscheinen der Engländer als Rivalen der Russen
hatte seinerzeit die einseitige russische Gefahr bedeutend abgeschwächt. Unbequemen
Forderungen des einen Nachbars hatte man sich seitdem stets dadurch entziehen
können, daß man den anderen Nachbar uni Unterstützung anging. Nun stand aller¬
dings in dem russisch-englischen Vertrag ein Paragraph, in dem beide Vertrag¬
schließenden ausdrücklich die Unabhängigkeit Persiens garantierten. Das in
seiner Selbständigkeit gefährdete Land schien dadurch etwas zu gewinnen, was
es vorher nicht besessen hatte. Aber schon die in demselben Atemzug aus¬
gesprochene Teilung des Landes in zwei Interessensphären und eine neutrale
Zone klang wie ein Hohn auf die schön klingenden Garantien. Das Schlimmste
aber war, daß das bisher so bequeme Ausspielen des einen Rivalen gegen den
anderen -- die ultima ratio eines von zwei Starken eingekeilten Schwachen --
sich nicht mehr weiterführen ließ. Während man früher stets sicher sein konnte,
wohlwollendes Verständnis zu finden, wenn man bei dem einen Konkurrenten
gegen den anderen Klage führte, konnte es sich jetzt sogar ereignen, daß die
früheren grimmigen Feinde gemeinsam unbequeme Vorstellungen und Be¬
schwerden erhoben, vor denen es kein Ausweichen gab.

Für Persien war der Abschluß des russisch-englischen Vertrages somit gerade
keine angenehme Überraschung. Zwar war in den letzten Jahren der russische Einfluß
in Teheran der vorherrschende geworden, da man den geldbedürftigen Schah
durch Gewährung von Anleihen (nebenbei zu 16 Prozent) in finanzielle Ab¬
hängigkeit von Petersburg gebracht hatte; dieser Umstand hatte aber nicht die
Fortsetzung einer geschickten Schaukelpolitik hindern können, so daß Persien trotz




Briefe aus Persien
3.

chah Mehemed Ali verhielt sich diesen Regierungskünsten des
Parlaments gegenüber zunächst ziemlich passiv. Vielleicht hat er
wirklich zeitweise gehofft, mit einer konstitutionellen Regierungs-
niethode nach englischem Muster weilerzukommen. Bald mußte
er sich vom Gegenteil überzeugen. Die Verwirrung im Lande
wurde immer größer, die Lage der Dynastie immer schwieriger.

Um das Unglück voll zu machen, kam am 31. August 1907 der Abschluß des
russisch-englischen Vertrages, der Persiens Stellung zu seinen großen Nachbarn
von Grund auf veränderte. Das Erscheinen der Engländer als Rivalen der Russen
hatte seinerzeit die einseitige russische Gefahr bedeutend abgeschwächt. Unbequemen
Forderungen des einen Nachbars hatte man sich seitdem stets dadurch entziehen
können, daß man den anderen Nachbar uni Unterstützung anging. Nun stand aller¬
dings in dem russisch-englischen Vertrag ein Paragraph, in dem beide Vertrag¬
schließenden ausdrücklich die Unabhängigkeit Persiens garantierten. Das in
seiner Selbständigkeit gefährdete Land schien dadurch etwas zu gewinnen, was
es vorher nicht besessen hatte. Aber schon die in demselben Atemzug aus¬
gesprochene Teilung des Landes in zwei Interessensphären und eine neutrale
Zone klang wie ein Hohn auf die schön klingenden Garantien. Das Schlimmste
aber war, daß das bisher so bequeme Ausspielen des einen Rivalen gegen den
anderen — die ultima ratio eines von zwei Starken eingekeilten Schwachen —
sich nicht mehr weiterführen ließ. Während man früher stets sicher sein konnte,
wohlwollendes Verständnis zu finden, wenn man bei dem einen Konkurrenten
gegen den anderen Klage führte, konnte es sich jetzt sogar ereignen, daß die
früheren grimmigen Feinde gemeinsam unbequeme Vorstellungen und Be¬
schwerden erhoben, vor denen es kein Ausweichen gab.

Für Persien war der Abschluß des russisch-englischen Vertrages somit gerade
keine angenehme Überraschung. Zwar war in den letzten Jahren der russische Einfluß
in Teheran der vorherrschende geworden, da man den geldbedürftigen Schah
durch Gewährung von Anleihen (nebenbei zu 16 Prozent) in finanzielle Ab¬
hängigkeit von Petersburg gebracht hatte; dieser Umstand hatte aber nicht die
Fortsetzung einer geschickten Schaukelpolitik hindern können, so daß Persien trotz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320598"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_320416/figures/grenzboten_341895_320416_320598_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Briefe aus Persien<lb/>
3. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_668"> chah Mehemed Ali verhielt sich diesen Regierungskünsten des<lb/>
Parlaments gegenüber zunächst ziemlich passiv. Vielleicht hat er<lb/>
wirklich zeitweise gehofft, mit einer konstitutionellen Regierungs-<lb/>
niethode nach englischem Muster weilerzukommen. Bald mußte<lb/>
er sich vom Gegenteil überzeugen. Die Verwirrung im Lande<lb/>
wurde immer größer, die Lage der Dynastie immer schwieriger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_669"> Um das Unglück voll zu machen, kam am 31. August 1907 der Abschluß des<lb/>
russisch-englischen Vertrages, der Persiens Stellung zu seinen großen Nachbarn<lb/>
von Grund auf veränderte. Das Erscheinen der Engländer als Rivalen der Russen<lb/>
hatte seinerzeit die einseitige russische Gefahr bedeutend abgeschwächt. Unbequemen<lb/>
Forderungen des einen Nachbars hatte man sich seitdem stets dadurch entziehen<lb/>
können, daß man den anderen Nachbar uni Unterstützung anging. Nun stand aller¬<lb/>
dings in dem russisch-englischen Vertrag ein Paragraph, in dem beide Vertrag¬<lb/>
schließenden ausdrücklich die Unabhängigkeit Persiens garantierten. Das in<lb/>
seiner Selbständigkeit gefährdete Land schien dadurch etwas zu gewinnen, was<lb/>
es vorher nicht besessen hatte. Aber schon die in demselben Atemzug aus¬<lb/>
gesprochene Teilung des Landes in zwei Interessensphären und eine neutrale<lb/>
Zone klang wie ein Hohn auf die schön klingenden Garantien. Das Schlimmste<lb/>
aber war, daß das bisher so bequeme Ausspielen des einen Rivalen gegen den<lb/>
anderen &#x2014; die ultima ratio eines von zwei Starken eingekeilten Schwachen &#x2014;<lb/>
sich nicht mehr weiterführen ließ. Während man früher stets sicher sein konnte,<lb/>
wohlwollendes Verständnis zu finden, wenn man bei dem einen Konkurrenten<lb/>
gegen den anderen Klage führte, konnte es sich jetzt sogar ereignen, daß die<lb/>
früheren grimmigen Feinde gemeinsam unbequeme Vorstellungen und Be¬<lb/>
schwerden erhoben, vor denen es kein Ausweichen gab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_670" next="#ID_671"> Für Persien war der Abschluß des russisch-englischen Vertrages somit gerade<lb/>
keine angenehme Überraschung. Zwar war in den letzten Jahren der russische Einfluß<lb/>
in Teheran der vorherrschende geworden, da man den geldbedürftigen Schah<lb/>
durch Gewährung von Anleihen (nebenbei zu 16 Prozent) in finanzielle Ab¬<lb/>
hängigkeit von Petersburg gebracht hatte; dieser Umstand hatte aber nicht die<lb/>
Fortsetzung einer geschickten Schaukelpolitik hindern können, so daß Persien trotz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0181] [Abbildung] Briefe aus Persien 3. chah Mehemed Ali verhielt sich diesen Regierungskünsten des Parlaments gegenüber zunächst ziemlich passiv. Vielleicht hat er wirklich zeitweise gehofft, mit einer konstitutionellen Regierungs- niethode nach englischem Muster weilerzukommen. Bald mußte er sich vom Gegenteil überzeugen. Die Verwirrung im Lande wurde immer größer, die Lage der Dynastie immer schwieriger. Um das Unglück voll zu machen, kam am 31. August 1907 der Abschluß des russisch-englischen Vertrages, der Persiens Stellung zu seinen großen Nachbarn von Grund auf veränderte. Das Erscheinen der Engländer als Rivalen der Russen hatte seinerzeit die einseitige russische Gefahr bedeutend abgeschwächt. Unbequemen Forderungen des einen Nachbars hatte man sich seitdem stets dadurch entziehen können, daß man den anderen Nachbar uni Unterstützung anging. Nun stand aller¬ dings in dem russisch-englischen Vertrag ein Paragraph, in dem beide Vertrag¬ schließenden ausdrücklich die Unabhängigkeit Persiens garantierten. Das in seiner Selbständigkeit gefährdete Land schien dadurch etwas zu gewinnen, was es vorher nicht besessen hatte. Aber schon die in demselben Atemzug aus¬ gesprochene Teilung des Landes in zwei Interessensphären und eine neutrale Zone klang wie ein Hohn auf die schön klingenden Garantien. Das Schlimmste aber war, daß das bisher so bequeme Ausspielen des einen Rivalen gegen den anderen — die ultima ratio eines von zwei Starken eingekeilten Schwachen — sich nicht mehr weiterführen ließ. Während man früher stets sicher sein konnte, wohlwollendes Verständnis zu finden, wenn man bei dem einen Konkurrenten gegen den anderen Klage führte, konnte es sich jetzt sogar ereignen, daß die früheren grimmigen Feinde gemeinsam unbequeme Vorstellungen und Be¬ schwerden erhoben, vor denen es kein Ausweichen gab. Für Persien war der Abschluß des russisch-englischen Vertrages somit gerade keine angenehme Überraschung. Zwar war in den letzten Jahren der russische Einfluß in Teheran der vorherrschende geworden, da man den geldbedürftigen Schah durch Gewährung von Anleihen (nebenbei zu 16 Prozent) in finanzielle Ab¬ hängigkeit von Petersburg gebracht hatte; dieser Umstand hatte aber nicht die Fortsetzung einer geschickten Schaukelpolitik hindern können, so daß Persien trotz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/181
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/181>, abgerufen am 29.04.2024.