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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Gin Später Derer van Doorn
Von Lari Hauptmann
Drittes Kapitel

Am Hause des Herrn Kroen kroch die Herbstsonne über Dachwerk und
Giebel und legte den großen Zackenschatten mitten hinein in braunes, raschelndes
Laub und blaue Astern. Aus dem fein durchbrochenen Eisengestänge des Tores
fuhr jetzt oft der tief gesenkte Wagen, darin Herr Kroen wieder mit heiteren
Lebemienen und zur Rechten neben ihm Frau Hartje saß, jung und mit neu
aus Leiden aufgewandten Augen die Welt der spinnenden Herbstfäden und der
weißen, schreienden Meervögel und die weiten, blauen Himmel darüber gespannt
einsaugend. Oder Frau Hartje trat mit sanften Schritten, von Herrn Kroen
oder von der pflegenden Nonne am Arm gehalten, ans die Kieswege im Garten
und lachte leise die bunten Astern an und die Möve, die über den Garten
hinstreichend in Lüften hing und sie mit einem hochhallenden Rufe grüßte. Oder
Frau Hartje saß auch, weil der Herbst warm und froh war, oft Stunden im
Garten allein, und ihre Gedanken waren ungebunden, und ihre Sinne flatterten
sorglos wie junge Vögel, die zum ersten Male wieder aus dem Neste fliegen.
Ein wenig hilflos noch war alles an ihr jetzt. Ihre Hände waren noch schwach.
Und wenn sie Rosen griff, die Herr Kroen brachte, so mußte sie den vollen
Strauß im Schoße stützen. Und sie zerpflückte dann langsam und mit Augen,
die halb offen standen und hell glänzten, die Schleifen und Bänder, daß die
Fülle der blühenden Blumen ihr gelöst im Schoße lag. Bis die zärtliche Hand
jedes einzige, volle Blumengesicht aufhob und alle ihre Sinne ewig darein
staunen konnten.

Aber sie war im Genesen. Das sang ihr das fröhliche Herbstgeläute aus
der Ferne, wenn der Wind vom Lande stand und die Glockenklange der Dorf¬
kirche bis zu ihr durch die Lüfte sich schwangen. Das hing hoch in den weißen
Wolkenschiffen, die in langen Scharen bis zum Horizont sich verloren im blauen
Himmel. Das sang ihr das helle Brausen des fernen, silbernen Meerstreifs,
wenn sie auf dem Steinaltar ihres Hauses den letzten Abendschein grüßte und
nicht begriff, daß diese wonnigen, sonnigen Tage und die sorgenfreien, dunklen
Schlummerstunden wieder ihr Leben geworden. O, sie begriff es doch. Sie
dünkte sich fröhlicher noch, als sie je gewesen. Oft, daß sie, wenn sie so lange
gelegen und in die spinnenden Lüste gestarrt, sich selber wie der einsame Reiher
hoch und fern und frei zu schweben schien.




Gin Später Derer van Doorn
Von Lari Hauptmann
Drittes Kapitel

Am Hause des Herrn Kroen kroch die Herbstsonne über Dachwerk und
Giebel und legte den großen Zackenschatten mitten hinein in braunes, raschelndes
Laub und blaue Astern. Aus dem fein durchbrochenen Eisengestänge des Tores
fuhr jetzt oft der tief gesenkte Wagen, darin Herr Kroen wieder mit heiteren
Lebemienen und zur Rechten neben ihm Frau Hartje saß, jung und mit neu
aus Leiden aufgewandten Augen die Welt der spinnenden Herbstfäden und der
weißen, schreienden Meervögel und die weiten, blauen Himmel darüber gespannt
einsaugend. Oder Frau Hartje trat mit sanften Schritten, von Herrn Kroen
oder von der pflegenden Nonne am Arm gehalten, ans die Kieswege im Garten
und lachte leise die bunten Astern an und die Möve, die über den Garten
hinstreichend in Lüften hing und sie mit einem hochhallenden Rufe grüßte. Oder
Frau Hartje saß auch, weil der Herbst warm und froh war, oft Stunden im
Garten allein, und ihre Gedanken waren ungebunden, und ihre Sinne flatterten
sorglos wie junge Vögel, die zum ersten Male wieder aus dem Neste fliegen.
Ein wenig hilflos noch war alles an ihr jetzt. Ihre Hände waren noch schwach.
Und wenn sie Rosen griff, die Herr Kroen brachte, so mußte sie den vollen
Strauß im Schoße stützen. Und sie zerpflückte dann langsam und mit Augen,
die halb offen standen und hell glänzten, die Schleifen und Bänder, daß die
Fülle der blühenden Blumen ihr gelöst im Schoße lag. Bis die zärtliche Hand
jedes einzige, volle Blumengesicht aufhob und alle ihre Sinne ewig darein
staunen konnten.

Aber sie war im Genesen. Das sang ihr das fröhliche Herbstgeläute aus
der Ferne, wenn der Wind vom Lande stand und die Glockenklange der Dorf¬
kirche bis zu ihr durch die Lüfte sich schwangen. Das hing hoch in den weißen
Wolkenschiffen, die in langen Scharen bis zum Horizont sich verloren im blauen
Himmel. Das sang ihr das helle Brausen des fernen, silbernen Meerstreifs,
wenn sie auf dem Steinaltar ihres Hauses den letzten Abendschein grüßte und
nicht begriff, daß diese wonnigen, sonnigen Tage und die sorgenfreien, dunklen
Schlummerstunden wieder ihr Leben geworden. O, sie begriff es doch. Sie
dünkte sich fröhlicher noch, als sie je gewesen. Oft, daß sie, wenn sie so lange
gelegen und in die spinnenden Lüste gestarrt, sich selber wie der einsame Reiher
hoch und fern und frei zu schweben schien.


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[0191] [Abbildung] Gin Später Derer van Doorn Von Lari Hauptmann Drittes Kapitel Am Hause des Herrn Kroen kroch die Herbstsonne über Dachwerk und Giebel und legte den großen Zackenschatten mitten hinein in braunes, raschelndes Laub und blaue Astern. Aus dem fein durchbrochenen Eisengestänge des Tores fuhr jetzt oft der tief gesenkte Wagen, darin Herr Kroen wieder mit heiteren Lebemienen und zur Rechten neben ihm Frau Hartje saß, jung und mit neu aus Leiden aufgewandten Augen die Welt der spinnenden Herbstfäden und der weißen, schreienden Meervögel und die weiten, blauen Himmel darüber gespannt einsaugend. Oder Frau Hartje trat mit sanften Schritten, von Herrn Kroen oder von der pflegenden Nonne am Arm gehalten, ans die Kieswege im Garten und lachte leise die bunten Astern an und die Möve, die über den Garten hinstreichend in Lüften hing und sie mit einem hochhallenden Rufe grüßte. Oder Frau Hartje saß auch, weil der Herbst warm und froh war, oft Stunden im Garten allein, und ihre Gedanken waren ungebunden, und ihre Sinne flatterten sorglos wie junge Vögel, die zum ersten Male wieder aus dem Neste fliegen. Ein wenig hilflos noch war alles an ihr jetzt. Ihre Hände waren noch schwach. Und wenn sie Rosen griff, die Herr Kroen brachte, so mußte sie den vollen Strauß im Schoße stützen. Und sie zerpflückte dann langsam und mit Augen, die halb offen standen und hell glänzten, die Schleifen und Bänder, daß die Fülle der blühenden Blumen ihr gelöst im Schoße lag. Bis die zärtliche Hand jedes einzige, volle Blumengesicht aufhob und alle ihre Sinne ewig darein staunen konnten. Aber sie war im Genesen. Das sang ihr das fröhliche Herbstgeläute aus der Ferne, wenn der Wind vom Lande stand und die Glockenklange der Dorf¬ kirche bis zu ihr durch die Lüfte sich schwangen. Das hing hoch in den weißen Wolkenschiffen, die in langen Scharen bis zum Horizont sich verloren im blauen Himmel. Das sang ihr das helle Brausen des fernen, silbernen Meerstreifs, wenn sie auf dem Steinaltar ihres Hauses den letzten Abendschein grüßte und nicht begriff, daß diese wonnigen, sonnigen Tage und die sorgenfreien, dunklen Schlummerstunden wieder ihr Leben geworden. O, sie begriff es doch. Sie dünkte sich fröhlicher noch, als sie je gewesen. Oft, daß sie, wenn sie so lange gelegen und in die spinnenden Lüste gestarrt, sich selber wie der einsame Reiher hoch und fern und frei zu schweben schien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/191>, abgerufen am 29.04.2024.