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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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William James und das deutsche Geistesleben*)
von Privatdozent Dr. Günther I acoby

> me kurze Darstellung des deutschen Geisteslebens nach der Zeichnung,
vielmehr Verzerrung durch James möge dem ersten, lediglich
berichtenden Aufsatz in Heft 3 dieser Zeitschrift folgen. "Wäre
Bismarck in der Wiege gestorben," so schreibt James in seinen
Reden an Lehrer und Studenten, "dann würden die Deutschen
noch immer damit zufrieden sein, als eine Rasse von bebrillten Gelehrten und
Politischen Pflanzenfressern aufzutreten und den Franzosen als "diese gutmütigen",
oder "diese einfältigen" Deutschen zu erscheinen. Bismarcks Wille zeigte ihnen
zu ihrem eigenen großen Erstaunen, daß sie ein viel lebhafteres Spiel treiben
konnten. Die Lehre wird nicht vergessen werden."

Ich lasse es dahingestellt, ob Deutschland je das märchenhafte Volk von
bebrillten Gelehrten gewesen ist. Jedenfalls sollte man nach den Worten von
William James annehmen, daß selbst für ihn diese Zeiten längst vorüber sind.
-- Weit gefehlt! -- Für James ist Deutschland nach wie vor der sagenhafte
Brutkasten für ein Brillengelehrtentum. "In Deutschland," so schreibt er, sei
es "das ausdrücklich eingestandene Ziel der höheren Erziehung, den Studenten
in ein Handwerkszeug zum wissenschaftlichen Fortschritt zu verwandeln. Die
deutschen Universitäten sind stolz auf die Zahl junger Fachleute, die sie jedes
Jahr erzeugen -- nicht notwendigerweise Leute von irgendwelcher selbständiger
Kraft des Denkens, aber so geübt in wissenschaftlicher Facharbeit, daß, wenn
ihnen ihr Professor eine geschichtliche oder philologische Arbeit oder ein Stückchen
Laboratoriumswerk aufgibt, mit einem allgemeinen Hinweis betreffs der besten
Verfahrungsweise, sie dann von selbst darauf losgehen, die Apparate brauchen
und die Quellen so benutzen können, daß sie nach einigen Monaten irgendein
winziges Pfefferkörnchen von neuer Wahrheit auszuklauben vermögen, das
dann wert ist, in dem Speicher des noch fehlenden menschlichen Wissens über
den Gegenstand aufgestapelt zu werden. Kaum etwas anderes wird in Deutsch¬
land als akademischer Befähigungsnachweis anerkannt, als die Fähigkeit, sich
auf diese Weise als ein wirksames Handwerkszeug zu wissenschaftlicher Unter¬
suchung zu zeigen."



*) Ein Aufsatz zu dein gleichen Thema befindet sich in Heft 3.


William James und das deutsche Geistesleben*)
von Privatdozent Dr. Günther I acoby

> me kurze Darstellung des deutschen Geisteslebens nach der Zeichnung,
vielmehr Verzerrung durch James möge dem ersten, lediglich
berichtenden Aufsatz in Heft 3 dieser Zeitschrift folgen. „Wäre
Bismarck in der Wiege gestorben," so schreibt James in seinen
Reden an Lehrer und Studenten, „dann würden die Deutschen
noch immer damit zufrieden sein, als eine Rasse von bebrillten Gelehrten und
Politischen Pflanzenfressern aufzutreten und den Franzosen als „diese gutmütigen",
oder „diese einfältigen" Deutschen zu erscheinen. Bismarcks Wille zeigte ihnen
zu ihrem eigenen großen Erstaunen, daß sie ein viel lebhafteres Spiel treiben
konnten. Die Lehre wird nicht vergessen werden."

Ich lasse es dahingestellt, ob Deutschland je das märchenhafte Volk von
bebrillten Gelehrten gewesen ist. Jedenfalls sollte man nach den Worten von
William James annehmen, daß selbst für ihn diese Zeiten längst vorüber sind.
— Weit gefehlt! — Für James ist Deutschland nach wie vor der sagenhafte
Brutkasten für ein Brillengelehrtentum. „In Deutschland," so schreibt er, sei
es „das ausdrücklich eingestandene Ziel der höheren Erziehung, den Studenten
in ein Handwerkszeug zum wissenschaftlichen Fortschritt zu verwandeln. Die
deutschen Universitäten sind stolz auf die Zahl junger Fachleute, die sie jedes
Jahr erzeugen — nicht notwendigerweise Leute von irgendwelcher selbständiger
Kraft des Denkens, aber so geübt in wissenschaftlicher Facharbeit, daß, wenn
ihnen ihr Professor eine geschichtliche oder philologische Arbeit oder ein Stückchen
Laboratoriumswerk aufgibt, mit einem allgemeinen Hinweis betreffs der besten
Verfahrungsweise, sie dann von selbst darauf losgehen, die Apparate brauchen
und die Quellen so benutzen können, daß sie nach einigen Monaten irgendein
winziges Pfefferkörnchen von neuer Wahrheit auszuklauben vermögen, das
dann wert ist, in dem Speicher des noch fehlenden menschlichen Wissens über
den Gegenstand aufgestapelt zu werden. Kaum etwas anderes wird in Deutsch¬
land als akademischer Befähigungsnachweis anerkannt, als die Fähigkeit, sich
auf diese Weise als ein wirksames Handwerkszeug zu wissenschaftlicher Unter¬
suchung zu zeigen."



*) Ein Aufsatz zu dein gleichen Thema befindet sich in Heft 3.
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[0224] [Abbildung] William James und das deutsche Geistesleben*) von Privatdozent Dr. Günther I acoby > me kurze Darstellung des deutschen Geisteslebens nach der Zeichnung, vielmehr Verzerrung durch James möge dem ersten, lediglich berichtenden Aufsatz in Heft 3 dieser Zeitschrift folgen. „Wäre Bismarck in der Wiege gestorben," so schreibt James in seinen Reden an Lehrer und Studenten, „dann würden die Deutschen noch immer damit zufrieden sein, als eine Rasse von bebrillten Gelehrten und Politischen Pflanzenfressern aufzutreten und den Franzosen als „diese gutmütigen", oder „diese einfältigen" Deutschen zu erscheinen. Bismarcks Wille zeigte ihnen zu ihrem eigenen großen Erstaunen, daß sie ein viel lebhafteres Spiel treiben konnten. Die Lehre wird nicht vergessen werden." Ich lasse es dahingestellt, ob Deutschland je das märchenhafte Volk von bebrillten Gelehrten gewesen ist. Jedenfalls sollte man nach den Worten von William James annehmen, daß selbst für ihn diese Zeiten längst vorüber sind. — Weit gefehlt! — Für James ist Deutschland nach wie vor der sagenhafte Brutkasten für ein Brillengelehrtentum. „In Deutschland," so schreibt er, sei es „das ausdrücklich eingestandene Ziel der höheren Erziehung, den Studenten in ein Handwerkszeug zum wissenschaftlichen Fortschritt zu verwandeln. Die deutschen Universitäten sind stolz auf die Zahl junger Fachleute, die sie jedes Jahr erzeugen — nicht notwendigerweise Leute von irgendwelcher selbständiger Kraft des Denkens, aber so geübt in wissenschaftlicher Facharbeit, daß, wenn ihnen ihr Professor eine geschichtliche oder philologische Arbeit oder ein Stückchen Laboratoriumswerk aufgibt, mit einem allgemeinen Hinweis betreffs der besten Verfahrungsweise, sie dann von selbst darauf losgehen, die Apparate brauchen und die Quellen so benutzen können, daß sie nach einigen Monaten irgendein winziges Pfefferkörnchen von neuer Wahrheit auszuklauben vermögen, das dann wert ist, in dem Speicher des noch fehlenden menschlichen Wissens über den Gegenstand aufgestapelt zu werden. Kaum etwas anderes wird in Deutsch¬ land als akademischer Befähigungsnachweis anerkannt, als die Fähigkeit, sich auf diese Weise als ein wirksames Handwerkszeug zu wissenschaftlicher Unter¬ suchung zu zeigen." *) Ein Aufsatz zu dein gleichen Thema befindet sich in Heft 3.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/224>, abgerufen am 29.04.2024.