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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich 5pielhagen
von Victor Alemperer

s ist jetzt ein Jahr vergangen, seit der Tod als allzu später Erlöser
>zu Friedrich Spielhagen kam. Sein letztes Jahrzehnt hatte sich
doppelt qualvoll gestaltet', neben schwerem beruflichen Unglück
! lastete rein menschliches Leid auf ihm; er litt unter peinvoller
! Krankheit, er verlor die liebsten Angehörigen. Dem trug die
Unzahl der Zeitungsnekrologe Rechnung, alle waren sie auf einen pietätvollen und
mitleidigen Ton gestimmt. Aber gerade durch dieses Mitleid wirkten sie auch alle
mehr oder weniger grausam. ... Es ist nun heute nicht mehr nötig, die kritische
Gerechtigkeit mit solcher grausamen Höflichkeit der Pietät zu vermischen; so sei
eine sachliche Skizzierung dieser nach hohem Anstieg tief hinabführenden Lebens¬
bahn versucht.

Die natürlichen Leiden des werdenden Dichters quälten Spielhagen heftiger und
länger als sonst wohl üblich. Er galt seiner Familie, in bösen Stunden auch sich selber,
als verlorener Sohn. Die poetischen Allotria, hieß es, würden ihn niemals sättigen,
und zum nährenden bürgerlichen Beruf schien ihm jegliche Begabung zu fehlen,
wo nicht gar der gute Wille. Nach langem Schwanken zum juristischen Fach ent¬
schlossen, sattelte er nach wenigen Semestern um und trieb philosophische, ästhetische
und sprachliche Studien, vor allem an seinen vielgeliebten Spinoza hingegeben
und an die englische Literatur. Aber irgendein Examen zu bestehen, einen Titel
zu erringen vermochte er nicht; selbst die Doktor-Dissertation blieb unvollendet
liegen. Als Hauslehrer suchte er sein Brot zu erwerben; aber das ist nur ein
Durchgangsposten für junge Leute. Er trat als Schauspieler auf und wurde aus¬
gelacht. Schließlich fand er einen bescheidenen Platz als Lehrer des Englischen
an einem Leipziger Institut, aber wohlgemerkt: als ein Lehrer ohne staatlichen
Rang und Titel, als ein Lehrer, dem man ohne besondere psychologische Kenntnis
voraussagen konnte, daß er sich in seinem Amt nicht lange wohlfühlen werde.'

Der alternde Vater, ein Regierungs- und Baurat in Stralsund, war mit
tiefer Besorgnis um den glänzend begabten Sohn erfüllt, und diesem wurde das
hochstrebende Herz doppelt schwer, wenn er des bekümmerten Vaters gedachte. Er
schickte ihm einen ersten gedruckten Aufsatz; der alte Herr trug die kleine Arbeit
wochenlang mit sich herum und zeigte sie allen Freunden. Ob sie nicht glaubten,
es könnte aus seinem Friedrich doch noch etwas Gescheites werden? Vater Spiel-
Hagen jedenfalls erlebte das nur noch zaghaft Erhoffte nicht mehr. Der Sohn




Friedrich 5pielhagen
von Victor Alemperer

s ist jetzt ein Jahr vergangen, seit der Tod als allzu später Erlöser
>zu Friedrich Spielhagen kam. Sein letztes Jahrzehnt hatte sich
doppelt qualvoll gestaltet', neben schwerem beruflichen Unglück
! lastete rein menschliches Leid auf ihm; er litt unter peinvoller
! Krankheit, er verlor die liebsten Angehörigen. Dem trug die
Unzahl der Zeitungsnekrologe Rechnung, alle waren sie auf einen pietätvollen und
mitleidigen Ton gestimmt. Aber gerade durch dieses Mitleid wirkten sie auch alle
mehr oder weniger grausam. ... Es ist nun heute nicht mehr nötig, die kritische
Gerechtigkeit mit solcher grausamen Höflichkeit der Pietät zu vermischen; so sei
eine sachliche Skizzierung dieser nach hohem Anstieg tief hinabführenden Lebens¬
bahn versucht.

Die natürlichen Leiden des werdenden Dichters quälten Spielhagen heftiger und
länger als sonst wohl üblich. Er galt seiner Familie, in bösen Stunden auch sich selber,
als verlorener Sohn. Die poetischen Allotria, hieß es, würden ihn niemals sättigen,
und zum nährenden bürgerlichen Beruf schien ihm jegliche Begabung zu fehlen,
wo nicht gar der gute Wille. Nach langem Schwanken zum juristischen Fach ent¬
schlossen, sattelte er nach wenigen Semestern um und trieb philosophische, ästhetische
und sprachliche Studien, vor allem an seinen vielgeliebten Spinoza hingegeben
und an die englische Literatur. Aber irgendein Examen zu bestehen, einen Titel
zu erringen vermochte er nicht; selbst die Doktor-Dissertation blieb unvollendet
liegen. Als Hauslehrer suchte er sein Brot zu erwerben; aber das ist nur ein
Durchgangsposten für junge Leute. Er trat als Schauspieler auf und wurde aus¬
gelacht. Schließlich fand er einen bescheidenen Platz als Lehrer des Englischen
an einem Leipziger Institut, aber wohlgemerkt: als ein Lehrer ohne staatlichen
Rang und Titel, als ein Lehrer, dem man ohne besondere psychologische Kenntnis
voraussagen konnte, daß er sich in seinem Amt nicht lange wohlfühlen werde.'

Der alternde Vater, ein Regierungs- und Baurat in Stralsund, war mit
tiefer Besorgnis um den glänzend begabten Sohn erfüllt, und diesem wurde das
hochstrebende Herz doppelt schwer, wenn er des bekümmerten Vaters gedachte. Er
schickte ihm einen ersten gedruckten Aufsatz; der alte Herr trug die kleine Arbeit
wochenlang mit sich herum und zeigte sie allen Freunden. Ob sie nicht glaubten,
es könnte aus seinem Friedrich doch noch etwas Gescheites werden? Vater Spiel-
Hagen jedenfalls erlebte das nur noch zaghaft Erhoffte nicht mehr. Der Sohn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/250>, abgerufen am 29.04.2024.