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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

die Schul-Turnhalle ein recht unglücklicher und
sehr unzweckmäßiger Notbehelf. Eigene Hallen
oder womöglich besondere Volksheime, die
jederzeit und jedermann zugänglich wären,
sind die einzig solide Grundlage, auf der diese
eminent wichtige Arbeit sich allein gedeihlich
entwickeln kann. DerVorbilder gibt es genug --
man brauchte seine Phantasie noch nicht bis
in die Luftschlösser amerikanischer Wirklichkeiten
fliegen zu lassen. Bescheidene Baracken würden
auch schon ein ganz hoffnungsvoller Anfang sein:
denn was bedeutet die Million des Januar-
Erlasses, was bedeutet die Freigebigkeit unserer
Kommunen und unserer privaten Millionäre
neben der volksfreundlichen Verschwendungs¬
sucht der Amerikaner? -- Baracken, neben Luft¬
schlössern!

Aber man frage nicht mehr: "Wozu sind
denn nun die hohen Beträge Wohl bewilligt
worden?"

Dr. Lrnst Guggenheim
statistisches über die Häufigkeit des

Ministerwcchsels i" Preußen.

Vor einigen
Jahren wurde in der politischen Debatte häufig
getadelt, daß unter der Regierung des jetzigen
Kaisers die Stabilität in den Personen der
Minister so sehr viel geringer geworden sei.
Man wies dabei hin auf das Anwachsen der
auszuzahlenden Pensionen, man fürchtete, daß
ein so häufiger Wechsel der gleichmäßigen Aus¬
übung der Unter hinderlich sei, daß die Macht
der Räte im selben Maße wachse, wie sich die
Minister in ihrem Amt fremd fühlten, und
schließlich, daß dieses häufige Wechseln auf
einen bedauerlichen Mangel an Personal¬
kenntnis oder -- was fast dasselbe ist -- an
Fähigkeit der Personalbeurteilung hindeute.

In den letzten Jahren find solche Vorwürfe
weniger laut geworden, aber offenbar nicht
so sehr deshalb, weil man eine Änderung der
bitter beklagten Übelstände feststellte, als weil
man sich an diesen Zustand des Wechselns ge¬
wöhnt hatte und einsah, daß derartige Klagen
keine große Wirkung -- es sei denn bei der
Agitation -- haben konnten.

Falls die Vorwürfe berechtigt sind, so sind
die daran geknüpften Betrachtungen es sicherlich
zum größten Teil auch. Freilich: das An¬
wachsen der Pensionen macht in Preußens
Millionenetat nicht so sehr viel aus, um so

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weniger, als ja ein Teil der Minister als
Oberpräsidenten oder in anderen Stellungen
weiter verwandt wird; aber besonders die
Steigerung der Macht der Ministerialräte tritt
bei allzu häufigem Wechsel sicherlich ein, wenn
der Minister nicht eine außergewöhnlich kräftige
und arbeitsfrohe Natur hat. Und er kann
auch im allgemeinen nur schädlich sein, wenn
die der Öffentlichkeit und den Parlamenten
unverantwortlichen und ungreifbaren Räte
einen beherrschenden Einfluß auf ihren Chef
haben. Vorgänge der letzten Jahre im
Kultusministerium zeigen das mit großer
Deutlichkeit.

Indessen ist nun doch erst einmal zu unter¬
suchen, inwiefern diese Vorwürfe berechtigt
sind. Auf die mehr gefühlsmäßig aufgestellte
Behauptung, die meist nur an die allerjüngste
Vergangenheit denkt, wird man sich auch hier
nicht verlassen dürfen. Schwierigkeiten macht
bei solcher Untersuchung allerdings die Wahl
des terminus s, c>no. Auf die Zustände vor
1848 wird man nicht zurückgreifen dürfen:
sie sind zu wenig vergleichbar, denn wenn es
auch mit der Reformperiode ein Ministerium
gab, das der heutigen Anschauung ziemlich
entspricht -- auch nicht durchaus, gab eS doch
z. B. noch lange Zeit ein "rheinisches" Justiz¬
ministerium --, so waren doch die Geschäfte
vielfach ganz anders auf die Ministerien ver¬
teilt, und die Verteilung war sehr viel weniger
stabil als nach 1843, und schließlich fehlte vor
allem der Gegendruck des Parlaments. Eine
öffentliche Meinung -- mag sie noch so
oppositionell sein --, die nicht organisiert ist,
hat naturgemäß viel weniger Einfluß als ein
Parlament, das ein wie immer geartetes Recht
der Kontrolle hat. Das ist für das nicht
parlamentarisch regierte Preußen genau so
wahr wie für die eigentlichen Musterstaaten
des Parlamentarismus.

Das Jahr 1848 selber darf natürlich auch
nicht als Anfangstermin gewählt werden, dies
Jahr, daß außer dem vorrevolutionären Mi¬
nisterium noch fünf andere gesehen hat.
Außerdem hat es überhaupt sein Mißliches,
die Regierungszeit eines Herrschers zu durch¬
schneiden, und da dies Bedenken auch für die
Negierung Wilhelms des Ersten gilt, so ver¬
gleichen wir zuerst seine dreißigjährige Re¬
gierungszeit mit der bisher dreiundzwanzig-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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die Schul-Turnhalle ein recht unglücklicher und
sehr unzweckmäßiger Notbehelf. Eigene Hallen
oder womöglich besondere Volksheime, die
jederzeit und jedermann zugänglich wären,
sind die einzig solide Grundlage, auf der diese
eminent wichtige Arbeit sich allein gedeihlich
entwickeln kann. DerVorbilder gibt es genug —
man brauchte seine Phantasie noch nicht bis
in die Luftschlösser amerikanischer Wirklichkeiten
fliegen zu lassen. Bescheidene Baracken würden
auch schon ein ganz hoffnungsvoller Anfang sein:
denn was bedeutet die Million des Januar-
Erlasses, was bedeutet die Freigebigkeit unserer
Kommunen und unserer privaten Millionäre
neben der volksfreundlichen Verschwendungs¬
sucht der Amerikaner? — Baracken, neben Luft¬
schlössern!

Aber man frage nicht mehr: „Wozu sind
denn nun die hohen Beträge Wohl bewilligt
worden?"

Dr. Lrnst Guggenheim
statistisches über die Häufigkeit des

Ministerwcchsels i» Preußen.

Vor einigen
Jahren wurde in der politischen Debatte häufig
getadelt, daß unter der Regierung des jetzigen
Kaisers die Stabilität in den Personen der
Minister so sehr viel geringer geworden sei.
Man wies dabei hin auf das Anwachsen der
auszuzahlenden Pensionen, man fürchtete, daß
ein so häufiger Wechsel der gleichmäßigen Aus¬
übung der Unter hinderlich sei, daß die Macht
der Räte im selben Maße wachse, wie sich die
Minister in ihrem Amt fremd fühlten, und
schließlich, daß dieses häufige Wechseln auf
einen bedauerlichen Mangel an Personal¬
kenntnis oder — was fast dasselbe ist — an
Fähigkeit der Personalbeurteilung hindeute.

In den letzten Jahren find solche Vorwürfe
weniger laut geworden, aber offenbar nicht
so sehr deshalb, weil man eine Änderung der
bitter beklagten Übelstände feststellte, als weil
man sich an diesen Zustand des Wechselns ge¬
wöhnt hatte und einsah, daß derartige Klagen
keine große Wirkung — es sei denn bei der
Agitation — haben konnten.

Falls die Vorwürfe berechtigt sind, so sind
die daran geknüpften Betrachtungen es sicherlich
zum größten Teil auch. Freilich: das An¬
wachsen der Pensionen macht in Preußens
Millionenetat nicht so sehr viel aus, um so

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weniger, als ja ein Teil der Minister als
Oberpräsidenten oder in anderen Stellungen
weiter verwandt wird; aber besonders die
Steigerung der Macht der Ministerialräte tritt
bei allzu häufigem Wechsel sicherlich ein, wenn
der Minister nicht eine außergewöhnlich kräftige
und arbeitsfrohe Natur hat. Und er kann
auch im allgemeinen nur schädlich sein, wenn
die der Öffentlichkeit und den Parlamenten
unverantwortlichen und ungreifbaren Räte
einen beherrschenden Einfluß auf ihren Chef
haben. Vorgänge der letzten Jahre im
Kultusministerium zeigen das mit großer
Deutlichkeit.

Indessen ist nun doch erst einmal zu unter¬
suchen, inwiefern diese Vorwürfe berechtigt
sind. Auf die mehr gefühlsmäßig aufgestellte
Behauptung, die meist nur an die allerjüngste
Vergangenheit denkt, wird man sich auch hier
nicht verlassen dürfen. Schwierigkeiten macht
bei solcher Untersuchung allerdings die Wahl
des terminus s, c>no. Auf die Zustände vor
1848 wird man nicht zurückgreifen dürfen:
sie sind zu wenig vergleichbar, denn wenn es
auch mit der Reformperiode ein Ministerium
gab, das der heutigen Anschauung ziemlich
entspricht — auch nicht durchaus, gab eS doch
z. B. noch lange Zeit ein „rheinisches" Justiz¬
ministerium —, so waren doch die Geschäfte
vielfach ganz anders auf die Ministerien ver¬
teilt, und die Verteilung war sehr viel weniger
stabil als nach 1843, und schließlich fehlte vor
allem der Gegendruck des Parlaments. Eine
öffentliche Meinung — mag sie noch so
oppositionell sein —, die nicht organisiert ist,
hat naturgemäß viel weniger Einfluß als ein
Parlament, das ein wie immer geartetes Recht
der Kontrolle hat. Das ist für das nicht
parlamentarisch regierte Preußen genau so
wahr wie für die eigentlichen Musterstaaten
des Parlamentarismus.

Das Jahr 1848 selber darf natürlich auch
nicht als Anfangstermin gewählt werden, dies
Jahr, daß außer dem vorrevolutionären Mi¬
nisterium noch fünf andere gesehen hat.
Außerdem hat es überhaupt sein Mißliches,
die Regierungszeit eines Herrschers zu durch¬
schneiden, und da dies Bedenken auch für die
Negierung Wilhelms des Ersten gilt, so ver¬
gleichen wir zuerst seine dreißigjährige Re¬
gierungszeit mit der bisher dreiundzwanzig-

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[0258] Maßgebliches und Unmaßgebliches die Schul-Turnhalle ein recht unglücklicher und sehr unzweckmäßiger Notbehelf. Eigene Hallen oder womöglich besondere Volksheime, die jederzeit und jedermann zugänglich wären, sind die einzig solide Grundlage, auf der diese eminent wichtige Arbeit sich allein gedeihlich entwickeln kann. DerVorbilder gibt es genug — man brauchte seine Phantasie noch nicht bis in die Luftschlösser amerikanischer Wirklichkeiten fliegen zu lassen. Bescheidene Baracken würden auch schon ein ganz hoffnungsvoller Anfang sein: denn was bedeutet die Million des Januar- Erlasses, was bedeutet die Freigebigkeit unserer Kommunen und unserer privaten Millionäre neben der volksfreundlichen Verschwendungs¬ sucht der Amerikaner? — Baracken, neben Luft¬ schlössern! Aber man frage nicht mehr: „Wozu sind denn nun die hohen Beträge Wohl bewilligt worden?" Dr. Lrnst Guggenheim statistisches über die Häufigkeit des Ministerwcchsels i» Preußen. Vor einigen Jahren wurde in der politischen Debatte häufig getadelt, daß unter der Regierung des jetzigen Kaisers die Stabilität in den Personen der Minister so sehr viel geringer geworden sei. Man wies dabei hin auf das Anwachsen der auszuzahlenden Pensionen, man fürchtete, daß ein so häufiger Wechsel der gleichmäßigen Aus¬ übung der Unter hinderlich sei, daß die Macht der Räte im selben Maße wachse, wie sich die Minister in ihrem Amt fremd fühlten, und schließlich, daß dieses häufige Wechseln auf einen bedauerlichen Mangel an Personal¬ kenntnis oder — was fast dasselbe ist — an Fähigkeit der Personalbeurteilung hindeute. In den letzten Jahren find solche Vorwürfe weniger laut geworden, aber offenbar nicht so sehr deshalb, weil man eine Änderung der bitter beklagten Übelstände feststellte, als weil man sich an diesen Zustand des Wechselns ge¬ wöhnt hatte und einsah, daß derartige Klagen keine große Wirkung — es sei denn bei der Agitation — haben konnten. Falls die Vorwürfe berechtigt sind, so sind die daran geknüpften Betrachtungen es sicherlich zum größten Teil auch. Freilich: das An¬ wachsen der Pensionen macht in Preußens Millionenetat nicht so sehr viel aus, um so weniger, als ja ein Teil der Minister als Oberpräsidenten oder in anderen Stellungen weiter verwandt wird; aber besonders die Steigerung der Macht der Ministerialräte tritt bei allzu häufigem Wechsel sicherlich ein, wenn der Minister nicht eine außergewöhnlich kräftige und arbeitsfrohe Natur hat. Und er kann auch im allgemeinen nur schädlich sein, wenn die der Öffentlichkeit und den Parlamenten unverantwortlichen und ungreifbaren Räte einen beherrschenden Einfluß auf ihren Chef haben. Vorgänge der letzten Jahre im Kultusministerium zeigen das mit großer Deutlichkeit. Indessen ist nun doch erst einmal zu unter¬ suchen, inwiefern diese Vorwürfe berechtigt sind. Auf die mehr gefühlsmäßig aufgestellte Behauptung, die meist nur an die allerjüngste Vergangenheit denkt, wird man sich auch hier nicht verlassen dürfen. Schwierigkeiten macht bei solcher Untersuchung allerdings die Wahl des terminus s, c>no. Auf die Zustände vor 1848 wird man nicht zurückgreifen dürfen: sie sind zu wenig vergleichbar, denn wenn es auch mit der Reformperiode ein Ministerium gab, das der heutigen Anschauung ziemlich entspricht — auch nicht durchaus, gab eS doch z. B. noch lange Zeit ein „rheinisches" Justiz¬ ministerium —, so waren doch die Geschäfte vielfach ganz anders auf die Ministerien ver¬ teilt, und die Verteilung war sehr viel weniger stabil als nach 1843, und schließlich fehlte vor allem der Gegendruck des Parlaments. Eine öffentliche Meinung — mag sie noch so oppositionell sein —, die nicht organisiert ist, hat naturgemäß viel weniger Einfluß als ein Parlament, das ein wie immer geartetes Recht der Kontrolle hat. Das ist für das nicht parlamentarisch regierte Preußen genau so wahr wie für die eigentlichen Musterstaaten des Parlamentarismus. Das Jahr 1848 selber darf natürlich auch nicht als Anfangstermin gewählt werden, dies Jahr, daß außer dem vorrevolutionären Mi¬ nisterium noch fünf andere gesehen hat. Außerdem hat es überhaupt sein Mißliches, die Regierungszeit eines Herrschers zu durch¬ schneiden, und da dies Bedenken auch für die Negierung Wilhelms des Ersten gilt, so ver¬ gleichen wir zuerst seine dreißigjährige Re¬ gierungszeit mit der bisher dreiundzwanzig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/258>, abgerufen am 29.04.2024.