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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lin Später Derer van Doorn

anzuzünden. Und nun quoll Lied um Lied aus versunkenen Mienen und ihren
feuchtglänzender Lippen sehnsüchtig in die unheimlich tosende Düsternacht. Fromme
Gesänge, die von heiliger Inbrunst sprachen. Und die Herr Kroen lobte.

Hieronymus van Doorn sogen sie Blut aus Hirn und Schläfen, wie
Vampyre saugen. Der bleiche Priester saß in einer Ecke des Kroenschen Musil-
saales, in sich eingesunken. . Die nervige, ruhelose Hand jetzt ganz aufs Gesicht
gepreßt. Und durch einen Fingerspalt sah er Frau Hartjes vom Kerzenschein
vergoldetes, junges, inbrünstiges, singendes Gesicht. Und hörte ihre glockenreine
Stimme und war nicht bei sich.

Er wußte dann auch nicht, wie er ins Pfarrhaus und in sein Bett gekommen
war, als er sich am anderen Morgen daheim entdeckte. Er war ganz zerfahren
und völlig unschlüssig, ob er in die Welt seiner heiligen oder unheiligen Pflichten,
was galten sie ihm noch? je zurückkehren sollte.

Frau Hartje und Herr Kroen fuhren an diesem Morgen in die Hauptstadt zurück.

Und der Winter kam.

Und Frau Hartje saß in der großen Gesellschaft. Ging in fließenden
Schleppkleidern, schlank und lustig und vornehm durch die Salons. Sie saß im
Königsschlosse neben Generalen und Kavalieren, die mit ihr lachten und scherzten.

Und sie dachte von ferne auch manchmal des Hieronymus van Doorn, der
in seiner armen Pfarre saß, doch wieder ganz eingeschnürt in seine heiligen
Pflichten. Der durch die Dünen verwettert zu Sterbenden und Kranken lief
und dann einsam ins Pfarrhaus zurückkehrte, darin die Wände ihn arm und
leer anstarrten, und die heiligen Figuren, die nur Holzpuppen waren, ihm seine
Hoffnungslosigkeit ins Gesicht schrien.


Achtes Kapitel

Nach der Weihnachtszeit hatte Hieronymus van Doorn vom Bischof einen
kurzen Urlaub in die Hauptstadt erhalten. Und er war im Treppenhaus Derer
van Doorn, und dann gleich im Treppenhaus der Kroens gewesen. In beiden
Häusern hatte er niemand angetroffen als Diener.

Aber draußen auf der Straße im Menschengewühl war ihm der vornehme
Hängewageu mit Herrn und Frau Kroen in Staatskleidern hinter spiegelnden
Glasscheiben, offenbar von Hofe kommend, entgegengefahren.

Frau Kroen hatte erst ganz förmlich mit kaum fühlbaren, gnädigen Kopf¬
nicken gegrüßt, hatte dann doch Hieronymus erkannt und lächelnd ein wenig
zurückgeblickt gerade, als auch der junge, verhärmte Priester sich nach dem
Wagen noch einmal umgesehen, um jetzt auch seinerseits den Rundhut noch
einmal tiefer und ergebener herabzuziehen.

Aber schon diese erste Begegnung hatte Hieronymus sehr erschüttert.

Wie der an sich eingeschüchterte, unschlüssige Heilige vom Lande in dem
Hoteleingang erschien, machte der abgeschabte Portier eine Miene voll heim¬
lichen Mitleids.


Grenzboten I 1912 36
Lin Später Derer van Doorn

anzuzünden. Und nun quoll Lied um Lied aus versunkenen Mienen und ihren
feuchtglänzender Lippen sehnsüchtig in die unheimlich tosende Düsternacht. Fromme
Gesänge, die von heiliger Inbrunst sprachen. Und die Herr Kroen lobte.

Hieronymus van Doorn sogen sie Blut aus Hirn und Schläfen, wie
Vampyre saugen. Der bleiche Priester saß in einer Ecke des Kroenschen Musil-
saales, in sich eingesunken. . Die nervige, ruhelose Hand jetzt ganz aufs Gesicht
gepreßt. Und durch einen Fingerspalt sah er Frau Hartjes vom Kerzenschein
vergoldetes, junges, inbrünstiges, singendes Gesicht. Und hörte ihre glockenreine
Stimme und war nicht bei sich.

Er wußte dann auch nicht, wie er ins Pfarrhaus und in sein Bett gekommen
war, als er sich am anderen Morgen daheim entdeckte. Er war ganz zerfahren
und völlig unschlüssig, ob er in die Welt seiner heiligen oder unheiligen Pflichten,
was galten sie ihm noch? je zurückkehren sollte.

Frau Hartje und Herr Kroen fuhren an diesem Morgen in die Hauptstadt zurück.

Und der Winter kam.

Und Frau Hartje saß in der großen Gesellschaft. Ging in fließenden
Schleppkleidern, schlank und lustig und vornehm durch die Salons. Sie saß im
Königsschlosse neben Generalen und Kavalieren, die mit ihr lachten und scherzten.

Und sie dachte von ferne auch manchmal des Hieronymus van Doorn, der
in seiner armen Pfarre saß, doch wieder ganz eingeschnürt in seine heiligen
Pflichten. Der durch die Dünen verwettert zu Sterbenden und Kranken lief
und dann einsam ins Pfarrhaus zurückkehrte, darin die Wände ihn arm und
leer anstarrten, und die heiligen Figuren, die nur Holzpuppen waren, ihm seine
Hoffnungslosigkeit ins Gesicht schrien.


Achtes Kapitel

Nach der Weihnachtszeit hatte Hieronymus van Doorn vom Bischof einen
kurzen Urlaub in die Hauptstadt erhalten. Und er war im Treppenhaus Derer
van Doorn, und dann gleich im Treppenhaus der Kroens gewesen. In beiden
Häusern hatte er niemand angetroffen als Diener.

Aber draußen auf der Straße im Menschengewühl war ihm der vornehme
Hängewageu mit Herrn und Frau Kroen in Staatskleidern hinter spiegelnden
Glasscheiben, offenbar von Hofe kommend, entgegengefahren.

Frau Kroen hatte erst ganz förmlich mit kaum fühlbaren, gnädigen Kopf¬
nicken gegrüßt, hatte dann doch Hieronymus erkannt und lächelnd ein wenig
zurückgeblickt gerade, als auch der junge, verhärmte Priester sich nach dem
Wagen noch einmal umgesehen, um jetzt auch seinerseits den Rundhut noch
einmal tiefer und ergebener herabzuziehen.

Aber schon diese erste Begegnung hatte Hieronymus sehr erschüttert.

Wie der an sich eingeschüchterte, unschlüssige Heilige vom Lande in dem
Hoteleingang erschien, machte der abgeschabte Portier eine Miene voll heim¬
lichen Mitleids.


Grenzboten I 1912 36
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[0289] Lin Später Derer van Doorn anzuzünden. Und nun quoll Lied um Lied aus versunkenen Mienen und ihren feuchtglänzender Lippen sehnsüchtig in die unheimlich tosende Düsternacht. Fromme Gesänge, die von heiliger Inbrunst sprachen. Und die Herr Kroen lobte. Hieronymus van Doorn sogen sie Blut aus Hirn und Schläfen, wie Vampyre saugen. Der bleiche Priester saß in einer Ecke des Kroenschen Musil- saales, in sich eingesunken. . Die nervige, ruhelose Hand jetzt ganz aufs Gesicht gepreßt. Und durch einen Fingerspalt sah er Frau Hartjes vom Kerzenschein vergoldetes, junges, inbrünstiges, singendes Gesicht. Und hörte ihre glockenreine Stimme und war nicht bei sich. Er wußte dann auch nicht, wie er ins Pfarrhaus und in sein Bett gekommen war, als er sich am anderen Morgen daheim entdeckte. Er war ganz zerfahren und völlig unschlüssig, ob er in die Welt seiner heiligen oder unheiligen Pflichten, was galten sie ihm noch? je zurückkehren sollte. Frau Hartje und Herr Kroen fuhren an diesem Morgen in die Hauptstadt zurück. Und der Winter kam. Und Frau Hartje saß in der großen Gesellschaft. Ging in fließenden Schleppkleidern, schlank und lustig und vornehm durch die Salons. Sie saß im Königsschlosse neben Generalen und Kavalieren, die mit ihr lachten und scherzten. Und sie dachte von ferne auch manchmal des Hieronymus van Doorn, der in seiner armen Pfarre saß, doch wieder ganz eingeschnürt in seine heiligen Pflichten. Der durch die Dünen verwettert zu Sterbenden und Kranken lief und dann einsam ins Pfarrhaus zurückkehrte, darin die Wände ihn arm und leer anstarrten, und die heiligen Figuren, die nur Holzpuppen waren, ihm seine Hoffnungslosigkeit ins Gesicht schrien. Achtes Kapitel Nach der Weihnachtszeit hatte Hieronymus van Doorn vom Bischof einen kurzen Urlaub in die Hauptstadt erhalten. Und er war im Treppenhaus Derer van Doorn, und dann gleich im Treppenhaus der Kroens gewesen. In beiden Häusern hatte er niemand angetroffen als Diener. Aber draußen auf der Straße im Menschengewühl war ihm der vornehme Hängewageu mit Herrn und Frau Kroen in Staatskleidern hinter spiegelnden Glasscheiben, offenbar von Hofe kommend, entgegengefahren. Frau Kroen hatte erst ganz förmlich mit kaum fühlbaren, gnädigen Kopf¬ nicken gegrüßt, hatte dann doch Hieronymus erkannt und lächelnd ein wenig zurückgeblickt gerade, als auch der junge, verhärmte Priester sich nach dem Wagen noch einmal umgesehen, um jetzt auch seinerseits den Rundhut noch einmal tiefer und ergebener herabzuziehen. Aber schon diese erste Begegnung hatte Hieronymus sehr erschüttert. Wie der an sich eingeschüchterte, unschlüssige Heilige vom Lande in dem Hoteleingang erschien, machte der abgeschabte Portier eine Miene voll heim¬ lichen Mitleids. Grenzboten I 1912 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/289>, abgerufen am 29.04.2024.