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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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sträuben. Der Gedanke, daß das bürgerliche Parlament durch einen Ver¬
treter der republikanischen Umsturzpartei geleitet und sowohl der Krone wie
der sonstigen Außenwelt gegenüber repräsentiert werden könnte, ist in der Tat
unerträglich, seine Durchführung in die Praxis bedeutete das Eingeständnis
einer völligen Niederlage, ein Armutszeichen sondergleichen. Um das wahr¬
zunehmen, bedarf es nicht erst der Rücksichtnahme auf die Gefühle des Monarchen.
Die Parteiführer brauchen uur ihren eigenen Gefühlen zu folgen, so werden
sie sich mit den Empfindungen sowohl des Monarchen wie ihrer Wähler in
Gleichklang befinden. Erst möge die gegenwärtig stärkste Partei durch ihr
Verhalten und Auftreten zeigen, daß sie würdig des Vertrauens ist, das ihr
über vier Millionen deutsche Wähler entgegengebracht haben. Möge sie an die
Stelle der Revolutions- die Evolutionstheorie setzen, dann werden auch die
bürgerlichen Parteien imstande sein, ihre Stellung zur Sozialdemokratie von
Grund aus zu revidieren.

Schwieriger liegt die Sache schon bezüglich der Zubilligung eines der
Vizepräsidenten an die Sozialdemokraten. Hier läßt sich die Frage nicht
so ohne weiteres verneinen. Wenn man bemüht bleiben will, die Sozialdemokraten
zu ehrlicher positiver Arbeit heranzuziehen, darf man das Gerechtigkeitsgefühl
der Masse nicht verletzen, darf man den sozialoemokratischcn Abgeordneten den
Weg zu verantwortungsvoller Arbeit nicht ohne weiteres verlegen. Die Unter¬
frage bedarf also gründlicherer Erwägung. Zu ihrer Bejahung wird man
kommen können, sofern man sich vergegenwärtigt, daß der deutsche Reichstag
kein geschlossenes "Präsidium" hat, sondern lediglich einen "Präsidenten", der
aus praktischen Gründen Vertreter, die Vizepräsidenten, haben muß. Die
Vertreter haben keinerlei Sonderfunktionen über die vom Präsidenten vertretungs¬
weise übernommenen hinaus. Sie repräsentieren somit auch nur "in Vertretung",
"im Auftrage". Sie sind z. B. nicht gehalten, mit dem Präsidenten zusammen
zum Monarchen zu gehen. Ein sozialdemokratischer Vizepräsident braucht
somit, solange er nicht gezwungen ist den Präsidenten zu vertreten, in keinerlei
Berührung mit der Krone zu kommen. Es würde somit auch viel an dem
Geschick des Präsidenten liegen, heikle Situationen zu vermeiden. Natürlich
wird es bei der Entscheidung der Fragen sehr auf die Person ankommen, die
G, <Li, die Sozialdemokraten selbst als Vizepräsidenten in Vorschlag bringen.


"Marokko vor Gericht"

In der Verhandlung gegen mich in Essen operierte Herr Reißmann-Crome,
Verleger der Rheinisch-Westfälischen Zeitung, besonders stark mit Mitteilungen
des Vorsitzenden des Altdeutschen Verbandes, Herrn Dr. Heinrich Claß, um die
Angaben des Staatssekretärs von Kiderlen-Waechter in, Reichstage unglaubwürdig
erscheinen zu lassen. Jetzt lese ich in der Deutschen Tageszeitung:

"Bekanntlich wurde in den verschiedenen Marokkoprozesscn, die
der Heransgevcr der " Grenzvoten", Herr Cleinow zu führen hatte,


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sträuben. Der Gedanke, daß das bürgerliche Parlament durch einen Ver¬
treter der republikanischen Umsturzpartei geleitet und sowohl der Krone wie
der sonstigen Außenwelt gegenüber repräsentiert werden könnte, ist in der Tat
unerträglich, seine Durchführung in die Praxis bedeutete das Eingeständnis
einer völligen Niederlage, ein Armutszeichen sondergleichen. Um das wahr¬
zunehmen, bedarf es nicht erst der Rücksichtnahme auf die Gefühle des Monarchen.
Die Parteiführer brauchen uur ihren eigenen Gefühlen zu folgen, so werden
sie sich mit den Empfindungen sowohl des Monarchen wie ihrer Wähler in
Gleichklang befinden. Erst möge die gegenwärtig stärkste Partei durch ihr
Verhalten und Auftreten zeigen, daß sie würdig des Vertrauens ist, das ihr
über vier Millionen deutsche Wähler entgegengebracht haben. Möge sie an die
Stelle der Revolutions- die Evolutionstheorie setzen, dann werden auch die
bürgerlichen Parteien imstande sein, ihre Stellung zur Sozialdemokratie von
Grund aus zu revidieren.

Schwieriger liegt die Sache schon bezüglich der Zubilligung eines der
Vizepräsidenten an die Sozialdemokraten. Hier läßt sich die Frage nicht
so ohne weiteres verneinen. Wenn man bemüht bleiben will, die Sozialdemokraten
zu ehrlicher positiver Arbeit heranzuziehen, darf man das Gerechtigkeitsgefühl
der Masse nicht verletzen, darf man den sozialoemokratischcn Abgeordneten den
Weg zu verantwortungsvoller Arbeit nicht ohne weiteres verlegen. Die Unter¬
frage bedarf also gründlicherer Erwägung. Zu ihrer Bejahung wird man
kommen können, sofern man sich vergegenwärtigt, daß der deutsche Reichstag
kein geschlossenes „Präsidium" hat, sondern lediglich einen „Präsidenten", der
aus praktischen Gründen Vertreter, die Vizepräsidenten, haben muß. Die
Vertreter haben keinerlei Sonderfunktionen über die vom Präsidenten vertretungs¬
weise übernommenen hinaus. Sie repräsentieren somit auch nur „in Vertretung",
„im Auftrage". Sie sind z. B. nicht gehalten, mit dem Präsidenten zusammen
zum Monarchen zu gehen. Ein sozialdemokratischer Vizepräsident braucht
somit, solange er nicht gezwungen ist den Präsidenten zu vertreten, in keinerlei
Berührung mit der Krone zu kommen. Es würde somit auch viel an dem
Geschick des Präsidenten liegen, heikle Situationen zu vermeiden. Natürlich
wird es bei der Entscheidung der Fragen sehr auf die Person ankommen, die
G, <Li, die Sozialdemokraten selbst als Vizepräsidenten in Vorschlag bringen.


„Marokko vor Gericht"

In der Verhandlung gegen mich in Essen operierte Herr Reißmann-Crome,
Verleger der Rheinisch-Westfälischen Zeitung, besonders stark mit Mitteilungen
des Vorsitzenden des Altdeutschen Verbandes, Herrn Dr. Heinrich Claß, um die
Angaben des Staatssekretärs von Kiderlen-Waechter in, Reichstage unglaubwürdig
erscheinen zu lassen. Jetzt lese ich in der Deutschen Tageszeitung:

„Bekanntlich wurde in den verschiedenen Marokkoprozesscn, die
der Heransgevcr der „ Grenzvoten", Herr Cleinow zu führen hatte,


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[0307] Rcichsspiegcl sträuben. Der Gedanke, daß das bürgerliche Parlament durch einen Ver¬ treter der republikanischen Umsturzpartei geleitet und sowohl der Krone wie der sonstigen Außenwelt gegenüber repräsentiert werden könnte, ist in der Tat unerträglich, seine Durchführung in die Praxis bedeutete das Eingeständnis einer völligen Niederlage, ein Armutszeichen sondergleichen. Um das wahr¬ zunehmen, bedarf es nicht erst der Rücksichtnahme auf die Gefühle des Monarchen. Die Parteiführer brauchen uur ihren eigenen Gefühlen zu folgen, so werden sie sich mit den Empfindungen sowohl des Monarchen wie ihrer Wähler in Gleichklang befinden. Erst möge die gegenwärtig stärkste Partei durch ihr Verhalten und Auftreten zeigen, daß sie würdig des Vertrauens ist, das ihr über vier Millionen deutsche Wähler entgegengebracht haben. Möge sie an die Stelle der Revolutions- die Evolutionstheorie setzen, dann werden auch die bürgerlichen Parteien imstande sein, ihre Stellung zur Sozialdemokratie von Grund aus zu revidieren. Schwieriger liegt die Sache schon bezüglich der Zubilligung eines der Vizepräsidenten an die Sozialdemokraten. Hier läßt sich die Frage nicht so ohne weiteres verneinen. Wenn man bemüht bleiben will, die Sozialdemokraten zu ehrlicher positiver Arbeit heranzuziehen, darf man das Gerechtigkeitsgefühl der Masse nicht verletzen, darf man den sozialoemokratischcn Abgeordneten den Weg zu verantwortungsvoller Arbeit nicht ohne weiteres verlegen. Die Unter¬ frage bedarf also gründlicherer Erwägung. Zu ihrer Bejahung wird man kommen können, sofern man sich vergegenwärtigt, daß der deutsche Reichstag kein geschlossenes „Präsidium" hat, sondern lediglich einen „Präsidenten", der aus praktischen Gründen Vertreter, die Vizepräsidenten, haben muß. Die Vertreter haben keinerlei Sonderfunktionen über die vom Präsidenten vertretungs¬ weise übernommenen hinaus. Sie repräsentieren somit auch nur „in Vertretung", „im Auftrage". Sie sind z. B. nicht gehalten, mit dem Präsidenten zusammen zum Monarchen zu gehen. Ein sozialdemokratischer Vizepräsident braucht somit, solange er nicht gezwungen ist den Präsidenten zu vertreten, in keinerlei Berührung mit der Krone zu kommen. Es würde somit auch viel an dem Geschick des Präsidenten liegen, heikle Situationen zu vermeiden. Natürlich wird es bei der Entscheidung der Fragen sehr auf die Person ankommen, die G, <Li, die Sozialdemokraten selbst als Vizepräsidenten in Vorschlag bringen. „Marokko vor Gericht" In der Verhandlung gegen mich in Essen operierte Herr Reißmann-Crome, Verleger der Rheinisch-Westfälischen Zeitung, besonders stark mit Mitteilungen des Vorsitzenden des Altdeutschen Verbandes, Herrn Dr. Heinrich Claß, um die Angaben des Staatssekretärs von Kiderlen-Waechter in, Reichstage unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Jetzt lese ich in der Deutschen Tageszeitung: „Bekanntlich wurde in den verschiedenen Marokkoprozesscn, die der Heransgevcr der „ Grenzvoten", Herr Cleinow zu führen hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/307>, abgerufen am 29.04.2024.