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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

aus einer Zeit, wo man dadurch dem Lehrermangel abhelfen mußte; rechtlich
ist es längst überlebt.

Die Zeit ist vorüber, da junge Leute sich nur schwer entschlossen, den
Lehrerberuf zu wählen, weil die Bezahlung der Lehrer eine ungenügende war.
Heute sind die Angehörigen dieses Standes derart günstig gestellt, daß sich junge
Leute in steigendem Maße dieser aussichtsvollen Laufbahn widmen, und deshalb
liegt heute keinerlei Grund mehr vor, in dem Augenblicke, wo das Vorrecht der
Wehrpflichtigen mit höherer Schulbildung auf nur einjährige Dienstzeit ver¬
schwindet, nicht auch das Privileg der Lehrer aufzuheben. Auch diese würden
sich deshalb in Zukunft der zweijährigen Dienstzeit zu unterziehen haben.


4. Der einjährige Dienst beim Train und bei den Fußtruppen als
Wohltat für arbeitsunfähige Eltern

Eine weitere Frage grundsätzlicher Art ist, ob an dem Privileg der ein¬
jährigen Dienstzeit beim Train gerüttelt werden soll. Mag die Folgerichtigkeit
immerhin fordern, daß auch bei dieser Waffe der Grundsatz einer mindestens
zweijährigen Dienstzeit zur Anwendung kommen sollte, so spricht gegen dieses
Verlangen neben der Tatsache, daß ein Jahr schließlich zur Ausbildung des
Trainsoldaten ausreicht, die Erwägung, daß es zahlreiche Fälle gibt, wo der
ländliche Haussohn in solch dringender Weise zu Hause nötig ist, daß eine Ver¬
kürzung der Dienstzeit auf ein Jahr in solchen Fällen nicht unberechtigt erscheint.

Erfolgen heute schon völlige Befreiungen vom Heerdienst, wenn es sich um
den Sohn einer bedürftigen Witwe oder eines bedürftigen arbeitsunfähigen
Vaters handelt, so wäre es in miserer Zeit der Leutenot und des Überflusses
an Militärpflichtiger eine Forderung der Gerechtigkeit, diesen Begriff der
Bedürftigkeit -- so weit es die Bedürfnisse des Heeres irgend zulassen -- etwas
freier in dem Sinne zu fassen, daß auch Söhnen wohlhabender Eltern die
Möglichkeit gegeben würde, ohne Nachweis einer höheren Schulbildung mit
einem Jahre wegzukommen, sofern sie sich im ersten Dienstjahre gut geführt
haben und den Nachweis führen, daß sie zu Hause dringend nötig sind.

Diesem Zweck dient für die Kreise der Landwirte der einjährige Dienst
beim Train; er sollte aber dadurch auch für weitere Kreise Anwendung finden
können, daß auch bei der Infanterie derartigen wohlhabenden, aber schwer ab¬
kömmlichen Dienstpflichtigen die Entlassung zur Disposition in größerem Umfange
nach einem Jahre gestattet würde, als das heute der Fall ist. Ein derartiges
Vorrecht der Bedürftigkeit, vollends wenn es bei zahlungsfähigen Eltern mit
einem materiellen Opfer verbunden würde, wäre sicher in keiner Weise odios
und auch vom militärischen Standpunkte aus keineswegs bedenklich, wenn es
auf einen ganz bestimmten Prozentsatz -- etwa 5 Prozent -- beschränkt würde,
und eine derartige soziale Maßregel wäre sicherlich ein gesundes Stück Mittel¬
standspolitik.


Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

aus einer Zeit, wo man dadurch dem Lehrermangel abhelfen mußte; rechtlich
ist es längst überlebt.

Die Zeit ist vorüber, da junge Leute sich nur schwer entschlossen, den
Lehrerberuf zu wählen, weil die Bezahlung der Lehrer eine ungenügende war.
Heute sind die Angehörigen dieses Standes derart günstig gestellt, daß sich junge
Leute in steigendem Maße dieser aussichtsvollen Laufbahn widmen, und deshalb
liegt heute keinerlei Grund mehr vor, in dem Augenblicke, wo das Vorrecht der
Wehrpflichtigen mit höherer Schulbildung auf nur einjährige Dienstzeit ver¬
schwindet, nicht auch das Privileg der Lehrer aufzuheben. Auch diese würden
sich deshalb in Zukunft der zweijährigen Dienstzeit zu unterziehen haben.


4. Der einjährige Dienst beim Train und bei den Fußtruppen als
Wohltat für arbeitsunfähige Eltern

Eine weitere Frage grundsätzlicher Art ist, ob an dem Privileg der ein¬
jährigen Dienstzeit beim Train gerüttelt werden soll. Mag die Folgerichtigkeit
immerhin fordern, daß auch bei dieser Waffe der Grundsatz einer mindestens
zweijährigen Dienstzeit zur Anwendung kommen sollte, so spricht gegen dieses
Verlangen neben der Tatsache, daß ein Jahr schließlich zur Ausbildung des
Trainsoldaten ausreicht, die Erwägung, daß es zahlreiche Fälle gibt, wo der
ländliche Haussohn in solch dringender Weise zu Hause nötig ist, daß eine Ver¬
kürzung der Dienstzeit auf ein Jahr in solchen Fällen nicht unberechtigt erscheint.

Erfolgen heute schon völlige Befreiungen vom Heerdienst, wenn es sich um
den Sohn einer bedürftigen Witwe oder eines bedürftigen arbeitsunfähigen
Vaters handelt, so wäre es in miserer Zeit der Leutenot und des Überflusses
an Militärpflichtiger eine Forderung der Gerechtigkeit, diesen Begriff der
Bedürftigkeit — so weit es die Bedürfnisse des Heeres irgend zulassen — etwas
freier in dem Sinne zu fassen, daß auch Söhnen wohlhabender Eltern die
Möglichkeit gegeben würde, ohne Nachweis einer höheren Schulbildung mit
einem Jahre wegzukommen, sofern sie sich im ersten Dienstjahre gut geführt
haben und den Nachweis führen, daß sie zu Hause dringend nötig sind.

Diesem Zweck dient für die Kreise der Landwirte der einjährige Dienst
beim Train; er sollte aber dadurch auch für weitere Kreise Anwendung finden
können, daß auch bei der Infanterie derartigen wohlhabenden, aber schwer ab¬
kömmlichen Dienstpflichtigen die Entlassung zur Disposition in größerem Umfange
nach einem Jahre gestattet würde, als das heute der Fall ist. Ein derartiges
Vorrecht der Bedürftigkeit, vollends wenn es bei zahlungsfähigen Eltern mit
einem materiellen Opfer verbunden würde, wäre sicher in keiner Weise odios
und auch vom militärischen Standpunkte aus keineswegs bedenklich, wenn es
auf einen ganz bestimmten Prozentsatz — etwa 5 Prozent — beschränkt würde,
und eine derartige soziale Maßregel wäre sicherlich ein gesundes Stück Mittel¬
standspolitik.


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[0325] Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke aus einer Zeit, wo man dadurch dem Lehrermangel abhelfen mußte; rechtlich ist es längst überlebt. Die Zeit ist vorüber, da junge Leute sich nur schwer entschlossen, den Lehrerberuf zu wählen, weil die Bezahlung der Lehrer eine ungenügende war. Heute sind die Angehörigen dieses Standes derart günstig gestellt, daß sich junge Leute in steigendem Maße dieser aussichtsvollen Laufbahn widmen, und deshalb liegt heute keinerlei Grund mehr vor, in dem Augenblicke, wo das Vorrecht der Wehrpflichtigen mit höherer Schulbildung auf nur einjährige Dienstzeit ver¬ schwindet, nicht auch das Privileg der Lehrer aufzuheben. Auch diese würden sich deshalb in Zukunft der zweijährigen Dienstzeit zu unterziehen haben. 4. Der einjährige Dienst beim Train und bei den Fußtruppen als Wohltat für arbeitsunfähige Eltern Eine weitere Frage grundsätzlicher Art ist, ob an dem Privileg der ein¬ jährigen Dienstzeit beim Train gerüttelt werden soll. Mag die Folgerichtigkeit immerhin fordern, daß auch bei dieser Waffe der Grundsatz einer mindestens zweijährigen Dienstzeit zur Anwendung kommen sollte, so spricht gegen dieses Verlangen neben der Tatsache, daß ein Jahr schließlich zur Ausbildung des Trainsoldaten ausreicht, die Erwägung, daß es zahlreiche Fälle gibt, wo der ländliche Haussohn in solch dringender Weise zu Hause nötig ist, daß eine Ver¬ kürzung der Dienstzeit auf ein Jahr in solchen Fällen nicht unberechtigt erscheint. Erfolgen heute schon völlige Befreiungen vom Heerdienst, wenn es sich um den Sohn einer bedürftigen Witwe oder eines bedürftigen arbeitsunfähigen Vaters handelt, so wäre es in miserer Zeit der Leutenot und des Überflusses an Militärpflichtiger eine Forderung der Gerechtigkeit, diesen Begriff der Bedürftigkeit — so weit es die Bedürfnisse des Heeres irgend zulassen — etwas freier in dem Sinne zu fassen, daß auch Söhnen wohlhabender Eltern die Möglichkeit gegeben würde, ohne Nachweis einer höheren Schulbildung mit einem Jahre wegzukommen, sofern sie sich im ersten Dienstjahre gut geführt haben und den Nachweis führen, daß sie zu Hause dringend nötig sind. Diesem Zweck dient für die Kreise der Landwirte der einjährige Dienst beim Train; er sollte aber dadurch auch für weitere Kreise Anwendung finden können, daß auch bei der Infanterie derartigen wohlhabenden, aber schwer ab¬ kömmlichen Dienstpflichtigen die Entlassung zur Disposition in größerem Umfange nach einem Jahre gestattet würde, als das heute der Fall ist. Ein derartiges Vorrecht der Bedürftigkeit, vollends wenn es bei zahlungsfähigen Eltern mit einem materiellen Opfer verbunden würde, wäre sicher in keiner Weise odios und auch vom militärischen Standpunkte aus keineswegs bedenklich, wenn es auf einen ganz bestimmten Prozentsatz — etwa 5 Prozent — beschränkt würde, und eine derartige soziale Maßregel wäre sicherlich ein gesundes Stück Mittel¬ standspolitik.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/325>, abgerufen am 29.04.2024.