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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Es ist sehr bezeichnend für Menschen, ob
und welche Tiere sie lieben, namentlich welche
Rasse von Hunden sie um sich sehen mögen.
Zu Bismarck passen nur die Doggen; denn
unter allen Hunden ist nur die Dogge, was
Vismarck war: stark und nervös, treu und
gefährlich, nur sie hat in der Tat eine
Problematische Natur. So gehören denn die
Doggen an seine Seite und bahnen sich bei
den parlamentarischen Abenden zu ihm den
Weg durch hundert Berühmtheiten (über
"Sultans" Tod findet man die bekannte
rührende Schilderung Tiedemanns bei Ludwig
S. 107 f.). Mit dem größten preußischen
Könige, dessen letzte ganz deutlich vernehmbare
Worte der Sorge für das frierende Windspiel
galten, hat der größte Preußische Staatsmann
auch das gemeinsam, daß er im hohen Alter
oft ganz allein mit den Hunden sitzt und sie
streichelt: "Sie lassen es einem nie entgelten,
wenn man ihnen Übles getan."

Das sind einige Züge aus dein Problema¬
tischen in Bismarcks Natur, mit den: jede Be¬
urteilung rechnen muß. Eine Persönlichkeit,
die der Weltgeschichte einen Ruck vorwärts
gibt, ist nicht so einfach gestaltet, daß ihre
innere Entwicklung bis in die letzten Psycho¬
logischen Bedingungen und Voraussetzungen
hinein verfolgt werden könnte, sie ist vielmehr,
im ganzen genommen, ein unbegreiflich hohes
Wunder, ein Eigenwesen, das alles Fremd¬
artige entschieden ablehnt und niemals etwas
vom eigenen Selbst aufgibt. Das Wesen des
Genius läßt sich nicht völlig erklären, im
Gegenteil: es ist undurchdringlich. Die Fähig¬
keiten und Schicksale genialer Persönlichkeiten
zeigen indes manches Gemeinsame. Auf dein
Gebiete der großen Politik können das Friedrich

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der Zweite und Bismarck beweisen, die unter
den deutschen Staatsmännern wie einsame
Riesen unter Zwergen hervorragen. Blitz¬
artige Schnelligkeit des Entschlusses, bewun¬
derungswürdige Mäßigung, vollständige Ver¬
schlossenheit über die Mittel bei verblüffender
Offenheit über die Ziele -- diese ihre Fähig¬
keiten hängen mit der Problematischen Natur
des Genius ebenso zusammen, wie ihr Schicksal
der Einsamkeit bei dem steten Kampfe mit der
Welt. Denn gerade vom Genius gilt das
Wort:

Mensch sein, heißt Kämpfer sein. Gymnasialdirektor Prof. L. Stutzer-
Annst

Karl Scheffler: Die Nationalgaleric zu
Berlin. Ein kritischer Führer. Berlin 1912,
Bruno Cassirer.

Dem stetig wachsenden Interesse des Publi¬
kums für bildende Kunst entspricht die Tat¬
sache, daß Bädeker und summarische Fremden¬
führer für den Besuch der Gemäldegalerien
nicht mehr ausreichen. Das die bedeutenderen
Werke heraushebende Sternchen genügt dem
Besucher nicht mehr, er möchte die Bedeutung
des Werkes auch erkennen, und nebenher inter¬
essiert es ihn, wie das Werk historisch ein¬
zuordnen sei, nicht nur um es zu wissen, son¬
dern weil für manchen der Eindruck länger
haften bleibt, wenn er ihn in einen festen
Zusammenhang eingefügt hat. All das ist
nun freilich nicht naiver Kunstgenuß. Von
rechtswegen sollte der Beschauer ja nur seine
Augen aufmachen, um von der Schönheit des
Kunstwerks überwältigt zu werden. Aber Prak¬
tisch kommen wir doch über die Tatsache nicht
hinweg, daß die meisten, wenigstens heut¬
zutage, die Natur nicht kennen und infolgedessen
gar nicht ahnen können, wo der Künstler hinaus
will, und anderseits zu wenig gebildet sind,
um ein Wollen gelten zu lassen, dessen Be¬
rechtigung von ihrem durch schlechte Bilder
und Photographien verbildeten Anschauungs¬
vermögen nicht gebilligt werden kann. Ein
Führer, noch dazu einer, der kein Vormund,
sondern nur ein gebildeter Freund sein will,
ist also durchaus am Platze, und was die
Naivität des Kunstgenusses betrifft, so glaube
ich, daß sie, wenn wir nur nicht immer so
laut nach ihr riefen, sich mit einemmal ganz

[Ende Spaltensatz]
Fnnstnatur den größten Eindruck gemacht.
Näheres darüber bei Böhtlingk, "Bismarck
"ut Shakespeare" (Stuttgart und Berlin 1908,
Cotta) S. 60 ff. und 87 ff. Diese von wahrer
Begeisterung getragene Schrift schießt im all¬
gemeinen viel zu weit übers Ziel hinaus;
man liest sogar: "Bei der Zusammenstellung
Bismarcks und Shakespeares handelt es sich
in der Tat um nichts Geringeres als um Auf¬
hellung des Werdeganges unserer gesamten (I)
Geisteskultur, aus ihrer Wurzel heraus bis in
ihre höchsten Kronen hinein."
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Es ist sehr bezeichnend für Menschen, ob
und welche Tiere sie lieben, namentlich welche
Rasse von Hunden sie um sich sehen mögen.
Zu Bismarck passen nur die Doggen; denn
unter allen Hunden ist nur die Dogge, was
Vismarck war: stark und nervös, treu und
gefährlich, nur sie hat in der Tat eine
Problematische Natur. So gehören denn die
Doggen an seine Seite und bahnen sich bei
den parlamentarischen Abenden zu ihm den
Weg durch hundert Berühmtheiten (über
„Sultans" Tod findet man die bekannte
rührende Schilderung Tiedemanns bei Ludwig
S. 107 f.). Mit dem größten preußischen
Könige, dessen letzte ganz deutlich vernehmbare
Worte der Sorge für das frierende Windspiel
galten, hat der größte Preußische Staatsmann
auch das gemeinsam, daß er im hohen Alter
oft ganz allein mit den Hunden sitzt und sie
streichelt: „Sie lassen es einem nie entgelten,
wenn man ihnen Übles getan."

Das sind einige Züge aus dein Problema¬
tischen in Bismarcks Natur, mit den: jede Be¬
urteilung rechnen muß. Eine Persönlichkeit,
die der Weltgeschichte einen Ruck vorwärts
gibt, ist nicht so einfach gestaltet, daß ihre
innere Entwicklung bis in die letzten Psycho¬
logischen Bedingungen und Voraussetzungen
hinein verfolgt werden könnte, sie ist vielmehr,
im ganzen genommen, ein unbegreiflich hohes
Wunder, ein Eigenwesen, das alles Fremd¬
artige entschieden ablehnt und niemals etwas
vom eigenen Selbst aufgibt. Das Wesen des
Genius läßt sich nicht völlig erklären, im
Gegenteil: es ist undurchdringlich. Die Fähig¬
keiten und Schicksale genialer Persönlichkeiten
zeigen indes manches Gemeinsame. Auf dein
Gebiete der großen Politik können das Friedrich

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der Zweite und Bismarck beweisen, die unter
den deutschen Staatsmännern wie einsame
Riesen unter Zwergen hervorragen. Blitz¬
artige Schnelligkeit des Entschlusses, bewun¬
derungswürdige Mäßigung, vollständige Ver¬
schlossenheit über die Mittel bei verblüffender
Offenheit über die Ziele — diese ihre Fähig¬
keiten hängen mit der Problematischen Natur
des Genius ebenso zusammen, wie ihr Schicksal
der Einsamkeit bei dem steten Kampfe mit der
Welt. Denn gerade vom Genius gilt das
Wort:

Mensch sein, heißt Kämpfer sein. Gymnasialdirektor Prof. L. Stutzer-
Annst

Karl Scheffler: Die Nationalgaleric zu
Berlin. Ein kritischer Führer. Berlin 1912,
Bruno Cassirer.

Dem stetig wachsenden Interesse des Publi¬
kums für bildende Kunst entspricht die Tat¬
sache, daß Bädeker und summarische Fremden¬
führer für den Besuch der Gemäldegalerien
nicht mehr ausreichen. Das die bedeutenderen
Werke heraushebende Sternchen genügt dem
Besucher nicht mehr, er möchte die Bedeutung
des Werkes auch erkennen, und nebenher inter¬
essiert es ihn, wie das Werk historisch ein¬
zuordnen sei, nicht nur um es zu wissen, son¬
dern weil für manchen der Eindruck länger
haften bleibt, wenn er ihn in einen festen
Zusammenhang eingefügt hat. All das ist
nun freilich nicht naiver Kunstgenuß. Von
rechtswegen sollte der Beschauer ja nur seine
Augen aufmachen, um von der Schönheit des
Kunstwerks überwältigt zu werden. Aber Prak¬
tisch kommen wir doch über die Tatsache nicht
hinweg, daß die meisten, wenigstens heut¬
zutage, die Natur nicht kennen und infolgedessen
gar nicht ahnen können, wo der Künstler hinaus
will, und anderseits zu wenig gebildet sind,
um ein Wollen gelten zu lassen, dessen Be¬
rechtigung von ihrem durch schlechte Bilder
und Photographien verbildeten Anschauungs¬
vermögen nicht gebilligt werden kann. Ein
Führer, noch dazu einer, der kein Vormund,
sondern nur ein gebildeter Freund sein will,
ist also durchaus am Platze, und was die
Naivität des Kunstgenusses betrifft, so glaube
ich, daß sie, wenn wir nur nicht immer so
laut nach ihr riefen, sich mit einemmal ganz

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Fnnstnatur den größten Eindruck gemacht.
Näheres darüber bei Böhtlingk, „Bismarck
"ut Shakespeare" (Stuttgart und Berlin 1908,
Cotta) S. 60 ff. und 87 ff. Diese von wahrer
Begeisterung getragene Schrift schießt im all¬
gemeinen viel zu weit übers Ziel hinaus;
man liest sogar: „Bei der Zusammenstellung
Bismarcks und Shakespeares handelt es sich
in der Tat um nichts Geringeres als um Auf¬
hellung des Werdeganges unserer gesamten (I)
Geisteskultur, aus ihrer Wurzel heraus bis in
ihre höchsten Kronen hinein."
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[0401] Maßgebliches und Unmaßgebliches Es ist sehr bezeichnend für Menschen, ob und welche Tiere sie lieben, namentlich welche Rasse von Hunden sie um sich sehen mögen. Zu Bismarck passen nur die Doggen; denn unter allen Hunden ist nur die Dogge, was Vismarck war: stark und nervös, treu und gefährlich, nur sie hat in der Tat eine Problematische Natur. So gehören denn die Doggen an seine Seite und bahnen sich bei den parlamentarischen Abenden zu ihm den Weg durch hundert Berühmtheiten (über „Sultans" Tod findet man die bekannte rührende Schilderung Tiedemanns bei Ludwig S. 107 f.). Mit dem größten preußischen Könige, dessen letzte ganz deutlich vernehmbare Worte der Sorge für das frierende Windspiel galten, hat der größte Preußische Staatsmann auch das gemeinsam, daß er im hohen Alter oft ganz allein mit den Hunden sitzt und sie streichelt: „Sie lassen es einem nie entgelten, wenn man ihnen Übles getan." Das sind einige Züge aus dein Problema¬ tischen in Bismarcks Natur, mit den: jede Be¬ urteilung rechnen muß. Eine Persönlichkeit, die der Weltgeschichte einen Ruck vorwärts gibt, ist nicht so einfach gestaltet, daß ihre innere Entwicklung bis in die letzten Psycho¬ logischen Bedingungen und Voraussetzungen hinein verfolgt werden könnte, sie ist vielmehr, im ganzen genommen, ein unbegreiflich hohes Wunder, ein Eigenwesen, das alles Fremd¬ artige entschieden ablehnt und niemals etwas vom eigenen Selbst aufgibt. Das Wesen des Genius läßt sich nicht völlig erklären, im Gegenteil: es ist undurchdringlich. Die Fähig¬ keiten und Schicksale genialer Persönlichkeiten zeigen indes manches Gemeinsame. Auf dein Gebiete der großen Politik können das Friedrich der Zweite und Bismarck beweisen, die unter den deutschen Staatsmännern wie einsame Riesen unter Zwergen hervorragen. Blitz¬ artige Schnelligkeit des Entschlusses, bewun¬ derungswürdige Mäßigung, vollständige Ver¬ schlossenheit über die Mittel bei verblüffender Offenheit über die Ziele — diese ihre Fähig¬ keiten hängen mit der Problematischen Natur des Genius ebenso zusammen, wie ihr Schicksal der Einsamkeit bei dem steten Kampfe mit der Welt. Denn gerade vom Genius gilt das Wort: Mensch sein, heißt Kämpfer sein. Gymnasialdirektor Prof. L. Stutzer- Annst Karl Scheffler: Die Nationalgaleric zu Berlin. Ein kritischer Führer. Berlin 1912, Bruno Cassirer. Dem stetig wachsenden Interesse des Publi¬ kums für bildende Kunst entspricht die Tat¬ sache, daß Bädeker und summarische Fremden¬ führer für den Besuch der Gemäldegalerien nicht mehr ausreichen. Das die bedeutenderen Werke heraushebende Sternchen genügt dem Besucher nicht mehr, er möchte die Bedeutung des Werkes auch erkennen, und nebenher inter¬ essiert es ihn, wie das Werk historisch ein¬ zuordnen sei, nicht nur um es zu wissen, son¬ dern weil für manchen der Eindruck länger haften bleibt, wenn er ihn in einen festen Zusammenhang eingefügt hat. All das ist nun freilich nicht naiver Kunstgenuß. Von rechtswegen sollte der Beschauer ja nur seine Augen aufmachen, um von der Schönheit des Kunstwerks überwältigt zu werden. Aber Prak¬ tisch kommen wir doch über die Tatsache nicht hinweg, daß die meisten, wenigstens heut¬ zutage, die Natur nicht kennen und infolgedessen gar nicht ahnen können, wo der Künstler hinaus will, und anderseits zu wenig gebildet sind, um ein Wollen gelten zu lassen, dessen Be¬ rechtigung von ihrem durch schlechte Bilder und Photographien verbildeten Anschauungs¬ vermögen nicht gebilligt werden kann. Ein Führer, noch dazu einer, der kein Vormund, sondern nur ein gebildeter Freund sein will, ist also durchaus am Platze, und was die Naivität des Kunstgenusses betrifft, so glaube ich, daß sie, wenn wir nur nicht immer so laut nach ihr riefen, sich mit einemmal ganz Fnnstnatur den größten Eindruck gemacht. Näheres darüber bei Böhtlingk, „Bismarck "ut Shakespeare" (Stuttgart und Berlin 1908, Cotta) S. 60 ff. und 87 ff. Diese von wahrer Begeisterung getragene Schrift schießt im all¬ gemeinen viel zu weit übers Ziel hinaus; man liest sogar: „Bei der Zusammenstellung Bismarcks und Shakespeares handelt es sich in der Tat um nichts Geringeres als um Auf¬ hellung des Werdeganges unserer gesamten (I) Geisteskultur, aus ihrer Wurzel heraus bis in ihre höchsten Kronen hinein."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/401>, abgerufen am 29.04.2024.