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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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artige Verirrung, besser gesagt: Irreführung
des deutschen Kunstgewerbes keinen Platz haben;
in ihrerglänzendenReproduktionstechnik wirken
diese technisch hervorragenden, künstlerisch mehr
als minderwertigen Möbel usf. mit einer diabo¬
lischen Versührungskraft. Dein kann nicht scharf
genug entgegengetreten werden.

Dr. Paul Ferd. Schmidt
Schöne Literatur

Le oxspoct". Roman eines Priesters. Von
Eugen Artho. Im Verlage von H, Bachmann-
Gruner zu Zürich 1911. Preis geb. 6 M.

Der Kampf des französischen Modernismus
gegen Rom Hot den Stoff hergegeben zu einem
großzügig angelegten Seelengemälde, das vor¬
liegender Roman vor unseren Augen entrollt.
Der Tendenzroman mich notwendigerweise
unter dem Vorurteil leiden, daß ihm die Poesie
Nebensache und die Tendenz aufdringliche
Hauptsache wird; dafür kommt ihm unter
Uniständen zugute, daß er den Herzschlag einer
Zeit kann fühlen lassen, wenn zur Tendenz
sich Tüchtigkeit, Herzlichkeit und grandiose Ur¬
sprünglichkeit der dichterischen Empfindung ge¬
sellen. In Konrad Ferdinand Meyers Jürg
Jenatsch hat z. B. die selbständige Poetische
Schönheit unter der überwältigenden Tendenz¬
malerei des Dichters nicht im mindesten ge¬
litten. Als einen Typus solcher Tüchtigkeit
und hochgespannter, Poetischer Gestaltungskraft
möchten wir auch diesen französischen Roman,
hinstellen. Eugen Artho hat in ihm einen
jungen, französischen Priester geschildert, der
sich zur Loslösung von Rom durchgearbeitet
hat. Wie überall in der Welt, sucht auch in
Frankreich die römische Kirche nicht nur den
Staat, sondern das ganze, geistige Leben zu
beherrschen. Deshalb scheiden sich in Frank¬
reich wie bei uns die in diese Auseinander¬
setzung verwickelten Geister in zwei Lager.
Dadurch aber erhalten die in unseren: Roman
auftretenden Personen etwas Symbolisches,
d. h. ihre Schicksale erinnern an solche ganzer
Reihen menschlicher Gestalten. Trotzdem aber
tragen die Persönlichen Schicksale Josö Ber¬
trams etwas wie singulären Charakter an sich.
Es klingt einem wirklichen Leben nacherzählt,
wie der junge Priester aschfahl bis in die
innerste Seele erschrickt, als er in seiner Mutter
die freisinnige Protestantin entdeckt, die nun

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hilfreich schützend und bewahrend, aber doch
leise vorwärtsführend ihren Sohn den Bauden
entreißt, die ihn an den Klerikalismus und
Rom ketten. Im Kaufmann Graner und
seiner Familie werden uns jene literarisch fein
gebildeten Kaufmannskreise der modernen Zeit
geschildert, die in der Welt sich umgesehen und
erkannt haben, daß die auf das Vatikcmum
festgelegte römische Kirche kein Prinzip des
Fortschritts in sich trägt und deshalb trotz
aller Massenbeherrschung doch keine Führerin
der Kulturwelt ist. Wie diese Erkenntnis die
gebildetenKrcise des französischen Volkes durch¬
dringt, wie die Werke Emanuel Swedenborgs
den nachhaltigsten Eindruck auf Laien und
Priester machen, die Sehnsucht nach einer ganz
neuen Kirche wecken, das alles beschreibt uns
diese Erzählung mit einer Lebendigkeit, die
man selbst empfunden haben muß, Sie im
Zusammenhang gelesen zu haben und Einzel¬
heiten ans ihr anführen, verhält sich wie Selbst-
schauen zu dem Sagenhören. Und dennoch
kann ich es mir nicht versagen, auf die lieb¬
liche Gestalt Helene Graniers hinzuweisen.
Ihr schlichtes, reines Wesen, Vas ohne allen
Schein gut, edel, fromm und schön ist, erweckt
in John Bertram, dem ehemaligen römischen
Priester, dem jetzigen Pfarrer der neuen Kirche,
den Wunsch, sie zu besitzen. Was der Roman
über die christliche Ehe, über den Gegensatz
von Mann und Weib zu sagen hat, ehrt als
beste und lauterste Charakteristik den Dichter
selbst. In der ganzen Erzählung begegnen
wir keiner Spur irgendwelcher Reformwut.
Alles fäugt so schlicht und sacht um, als wenn
es sich nur gar nichts Besonderes handle, und
doch, je näher wir Hinsehen, um so mehr drängt
sich einem der Lebenskampf auf, bei dein es
sich um Sein und Nichtsein handelt. Manchem
werden die Schilderungen wie moderne fran¬
zösische Theologie im Gewände des Romans
vorkommen -- leine leichte Lektüre wird dem
Leser zugemutet. Manches tiefe Wort über
Religion und ihre Bedeutung für das staat¬
liche und soziale Leben will durchdacht sein.
Die Vertreter der neuen Kirche sind ebenso¬
wenig unbedingte Ideale, wie die der alten
Kirche etwa Heuchler und Pharisäer. Mensch¬
lich fein und ergreifend weiß A. auch diese
zu schildern. Auch sie wirken nicht rein sym¬
bolisch, sondern sind Menschen abgelauscht,

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artige Verirrung, besser gesagt: Irreführung
des deutschen Kunstgewerbes keinen Platz haben;
in ihrerglänzendenReproduktionstechnik wirken
diese technisch hervorragenden, künstlerisch mehr
als minderwertigen Möbel usf. mit einer diabo¬
lischen Versührungskraft. Dein kann nicht scharf
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Dr. Paul Ferd. Schmidt
Schöne Literatur

Le oxspoct». Roman eines Priesters. Von
Eugen Artho. Im Verlage von H, Bachmann-
Gruner zu Zürich 1911. Preis geb. 6 M.

Der Kampf des französischen Modernismus
gegen Rom Hot den Stoff hergegeben zu einem
großzügig angelegten Seelengemälde, das vor¬
liegender Roman vor unseren Augen entrollt.
Der Tendenzroman mich notwendigerweise
unter dem Vorurteil leiden, daß ihm die Poesie
Nebensache und die Tendenz aufdringliche
Hauptsache wird; dafür kommt ihm unter
Uniständen zugute, daß er den Herzschlag einer
Zeit kann fühlen lassen, wenn zur Tendenz
sich Tüchtigkeit, Herzlichkeit und grandiose Ur¬
sprünglichkeit der dichterischen Empfindung ge¬
sellen. In Konrad Ferdinand Meyers Jürg
Jenatsch hat z. B. die selbständige Poetische
Schönheit unter der überwältigenden Tendenz¬
malerei des Dichters nicht im mindesten ge¬
litten. Als einen Typus solcher Tüchtigkeit
und hochgespannter, Poetischer Gestaltungskraft
möchten wir auch diesen französischen Roman,
hinstellen. Eugen Artho hat in ihm einen
jungen, französischen Priester geschildert, der
sich zur Loslösung von Rom durchgearbeitet
hat. Wie überall in der Welt, sucht auch in
Frankreich die römische Kirche nicht nur den
Staat, sondern das ganze, geistige Leben zu
beherrschen. Deshalb scheiden sich in Frank¬
reich wie bei uns die in diese Auseinander¬
setzung verwickelten Geister in zwei Lager.
Dadurch aber erhalten die in unseren: Roman
auftretenden Personen etwas Symbolisches,
d. h. ihre Schicksale erinnern an solche ganzer
Reihen menschlicher Gestalten. Trotzdem aber
tragen die Persönlichen Schicksale Josö Ber¬
trams etwas wie singulären Charakter an sich.
Es klingt einem wirklichen Leben nacherzählt,
wie der junge Priester aschfahl bis in die
innerste Seele erschrickt, als er in seiner Mutter
die freisinnige Protestantin entdeckt, die nun

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hilfreich schützend und bewahrend, aber doch
leise vorwärtsführend ihren Sohn den Bauden
entreißt, die ihn an den Klerikalismus und
Rom ketten. Im Kaufmann Graner und
seiner Familie werden uns jene literarisch fein
gebildeten Kaufmannskreise der modernen Zeit
geschildert, die in der Welt sich umgesehen und
erkannt haben, daß die auf das Vatikcmum
festgelegte römische Kirche kein Prinzip des
Fortschritts in sich trägt und deshalb trotz
aller Massenbeherrschung doch keine Führerin
der Kulturwelt ist. Wie diese Erkenntnis die
gebildetenKrcise des französischen Volkes durch¬
dringt, wie die Werke Emanuel Swedenborgs
den nachhaltigsten Eindruck auf Laien und
Priester machen, die Sehnsucht nach einer ganz
neuen Kirche wecken, das alles beschreibt uns
diese Erzählung mit einer Lebendigkeit, die
man selbst empfunden haben muß, Sie im
Zusammenhang gelesen zu haben und Einzel¬
heiten ans ihr anführen, verhält sich wie Selbst-
schauen zu dem Sagenhören. Und dennoch
kann ich es mir nicht versagen, auf die lieb¬
liche Gestalt Helene Graniers hinzuweisen.
Ihr schlichtes, reines Wesen, Vas ohne allen
Schein gut, edel, fromm und schön ist, erweckt
in John Bertram, dem ehemaligen römischen
Priester, dem jetzigen Pfarrer der neuen Kirche,
den Wunsch, sie zu besitzen. Was der Roman
über die christliche Ehe, über den Gegensatz
von Mann und Weib zu sagen hat, ehrt als
beste und lauterste Charakteristik den Dichter
selbst. In der ganzen Erzählung begegnen
wir keiner Spur irgendwelcher Reformwut.
Alles fäugt so schlicht und sacht um, als wenn
es sich nur gar nichts Besonderes handle, und
doch, je näher wir Hinsehen, um so mehr drängt
sich einem der Lebenskampf auf, bei dein es
sich um Sein und Nichtsein handelt. Manchem
werden die Schilderungen wie moderne fran¬
zösische Theologie im Gewände des Romans
vorkommen — leine leichte Lektüre wird dem
Leser zugemutet. Manches tiefe Wort über
Religion und ihre Bedeutung für das staat¬
liche und soziale Leben will durchdacht sein.
Die Vertreter der neuen Kirche sind ebenso¬
wenig unbedingte Ideale, wie die der alten
Kirche etwa Heuchler und Pharisäer. Mensch¬
lich fein und ergreifend weiß A. auch diese
zu schildern. Auch sie wirken nicht rein sym¬
bolisch, sondern sind Menschen abgelauscht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/50>, abgerufen am 29.04.2024.