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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

als in dem prächtigen, wunderbar eindring¬
lichen und klaren Aufsatz "Waldverwüstung
und Waldschutz in Bayern" (1876), der in
die Sammlung leider nicht aufgenommen ist.
Die Textbehandlung möchte einheitlicher
sein. Wir haben gegen die Einführung der
modernen Rechtschreibung nichts einzuwenden.
Wenn aber die Fassung des ältesten Textes
nicht bewahrt werden soll, darf nicht gegen
die Vorlage z. B. bayrisch mit bcnerisch,
wechseln. Auch andere Änderungen bedürften
der Rechtfertigung (S. 74 ist zersetzend in
zerstörend.verändert). Nähere Angaben über
Quellen und Erstdrucke sind noch zu wünschen.
Das alles kann noch nachgeholt werden;
denn hoffentlich beschert uns der rührige
Verlag auch noch einmal mit Stielers sämt¬
lichen Werken auch alle seine Prosaschriften.

Dr. Karl Polhcim
Das bekränzte Jahr. Gedichte von Max
Meil. Berlin-Charlottenburg, Axel Juncker
Verlag.

Unter den jungen österreichischen Autoren,
die seit Hofmannsthal hervorgetreten sind, ge¬
bührt keinem der Name eines Dichters so ganz
und so rein wie Max Meil. Schon, als die
"Lateinischen Erzählungen" des blutjungen
Studenten erschienen, war daS klar. Es folgten
noch zwei Novellenbände: "Die drei Grazien
des Traumes" (im Inselverlag zu Leipzig)
und "Jägerhaussage" (bei Gebrüder Paetel
zu Berlin), in welch letzterer der ganze
Umfang dieser Begabung sich erst enthüllte.
Hatten die beiden früheren Bücher eine
außerordentliche, kaum mehr überbietbare
formale Reife erwiesen, so gab sich jetzt
eine -- um so überraschender kommende --
Kenntnis und Beherrschung des Lebens kund,
zog sich der große Kreis einer Kraft, den
unzählige Möglichkeiten dichterischer Erfindung
und Betrachtung erfüllen können. Während
all der Jahre konnte man in Zeitschriften
auch Gedichten von Max Meil begegnen,
Versen, von denen man mit höchstem Ent¬
zücken oder in tiefster Ergriffenheit schied.
Sie einmal als Buch gesammelt zu besitzen,
mag manchem eine Sehnsucht gewesen sein.
Nun ist dieser Wunsch erfüllt: das Buch liegt
vor, und es darf gleich -- als eine Be¬
stätigung der früheren Einzeleindrücke -- ge¬

[Spaltenumbruch]

sagt werden, daß es von einer seltenen Schön¬
heit ist.

Die Gedichte von Max Meil haben --
das soll an der Spitze ihrer Würdigung
stehen -- den meisten unserer Zeit dies vor¬
aus, daß man sie braucht, daß sie einem
helfen können. Das Lob, das man ihnen
bringt, umgreift nicht nur Bewunderung:
wie hier Stücke Leben, Gefühle, Bilder,
Träume festgehalten, aus Fernen herbeigeholt
sind, die uns anderen ewig verschlossen
bleiben; nicht nur die Beglückung durch Musik
und diesen eigenartigen, oft herben, eckigen
Rythmus; nicht nur die adelige Distanz von
der Welt und dem eigenen Herzen --: eS ist
in dieser Lyrik ein wahrhaftiger, großer
Schicksalsspiegel, der uns alle angeht. Das
heißt aber: daß dies Gedichte von derselben
Art sind, wie die große deutsche Tradition,
von der Art Goethes, Mörikes, Hebbels;
Gedichte, die noch weite Konturen haben,
deren Raum die Phantasie des Lesers durch¬
schwingen mag, wenn das Gefühl, das in
ihnen sichert, sie anglüht und bewegt. Die
Kunst Max Melis ist keine beschreibende, sie
ist noch die ahnungsvolle, träumende. Gefühl
ist ihr Tiefstes. Aber den vielleicht am
stärksten anziehenden Reiz dieser Verse bildet
eine unverkennbare Schulung der Form und
eine geradezu sachliche Treue und Treffsicher¬
heit des Vergleichs, der alles, auch hie und
da die äußere Glätte, geopfert wird. Gewiß
hat Meil von Hofmannsthal gelernt, aber er
hat auch die Linie der alten österreichischen
Lyrik, die von Grillparzer zu Ferdinand
von Saar geht, nicht ganz verlassen: das
Reiche und das Schlichte vermählen sich in
ihm. Der Grundzug seines Wesens scheint
auch Melancholie: eine im Tiefsten tragische
Ansicht der Welt zu sein. Und zudem besitzt
dieser junge Mensch eine Seele von einem
Stoff, wie ihn nur die allerseltensten
Menschen -- auch unter den Dichtern --
besitzen, und wenn wir uns über das kaum
Begreifliche, Überraschende mancher seiner
Wendungen verwundern, sollen wir bedenken,
welch ein feuriges und lauteres inneres Leben
von der Kunst dieser Verse gespiegelt wird.
Hier ist vor allem der Liebesgedichte Er¬
wähnung zu tun: der "kleinen Kerze", der
beiden Sonette, der "Reinheit aller Gefühle":

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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als in dem prächtigen, wunderbar eindring¬
lichen und klaren Aufsatz „Waldverwüstung
und Waldschutz in Bayern" (1876), der in
die Sammlung leider nicht aufgenommen ist.
Die Textbehandlung möchte einheitlicher
sein. Wir haben gegen die Einführung der
modernen Rechtschreibung nichts einzuwenden.
Wenn aber die Fassung des ältesten Textes
nicht bewahrt werden soll, darf nicht gegen
die Vorlage z. B. bayrisch mit bcnerisch,
wechseln. Auch andere Änderungen bedürften
der Rechtfertigung (S. 74 ist zersetzend in
zerstörend.verändert). Nähere Angaben über
Quellen und Erstdrucke sind noch zu wünschen.
Das alles kann noch nachgeholt werden;
denn hoffentlich beschert uns der rührige
Verlag auch noch einmal mit Stielers sämt¬
lichen Werken auch alle seine Prosaschriften.

Dr. Karl Polhcim
Das bekränzte Jahr. Gedichte von Max
Meil. Berlin-Charlottenburg, Axel Juncker
Verlag.

Unter den jungen österreichischen Autoren,
die seit Hofmannsthal hervorgetreten sind, ge¬
bührt keinem der Name eines Dichters so ganz
und so rein wie Max Meil. Schon, als die
„Lateinischen Erzählungen" des blutjungen
Studenten erschienen, war daS klar. Es folgten
noch zwei Novellenbände: „Die drei Grazien
des Traumes" (im Inselverlag zu Leipzig)
und „Jägerhaussage" (bei Gebrüder Paetel
zu Berlin), in welch letzterer der ganze
Umfang dieser Begabung sich erst enthüllte.
Hatten die beiden früheren Bücher eine
außerordentliche, kaum mehr überbietbare
formale Reife erwiesen, so gab sich jetzt
eine — um so überraschender kommende —
Kenntnis und Beherrschung des Lebens kund,
zog sich der große Kreis einer Kraft, den
unzählige Möglichkeiten dichterischer Erfindung
und Betrachtung erfüllen können. Während
all der Jahre konnte man in Zeitschriften
auch Gedichten von Max Meil begegnen,
Versen, von denen man mit höchstem Ent¬
zücken oder in tiefster Ergriffenheit schied.
Sie einmal als Buch gesammelt zu besitzen,
mag manchem eine Sehnsucht gewesen sein.
Nun ist dieser Wunsch erfüllt: das Buch liegt
vor, und es darf gleich — als eine Be¬
stätigung der früheren Einzeleindrücke — ge¬

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sagt werden, daß es von einer seltenen Schön¬
heit ist.

Die Gedichte von Max Meil haben —
das soll an der Spitze ihrer Würdigung
stehen — den meisten unserer Zeit dies vor¬
aus, daß man sie braucht, daß sie einem
helfen können. Das Lob, das man ihnen
bringt, umgreift nicht nur Bewunderung:
wie hier Stücke Leben, Gefühle, Bilder,
Träume festgehalten, aus Fernen herbeigeholt
sind, die uns anderen ewig verschlossen
bleiben; nicht nur die Beglückung durch Musik
und diesen eigenartigen, oft herben, eckigen
Rythmus; nicht nur die adelige Distanz von
der Welt und dem eigenen Herzen —: eS ist
in dieser Lyrik ein wahrhaftiger, großer
Schicksalsspiegel, der uns alle angeht. Das
heißt aber: daß dies Gedichte von derselben
Art sind, wie die große deutsche Tradition,
von der Art Goethes, Mörikes, Hebbels;
Gedichte, die noch weite Konturen haben,
deren Raum die Phantasie des Lesers durch¬
schwingen mag, wenn das Gefühl, das in
ihnen sichert, sie anglüht und bewegt. Die
Kunst Max Melis ist keine beschreibende, sie
ist noch die ahnungsvolle, träumende. Gefühl
ist ihr Tiefstes. Aber den vielleicht am
stärksten anziehenden Reiz dieser Verse bildet
eine unverkennbare Schulung der Form und
eine geradezu sachliche Treue und Treffsicher¬
heit des Vergleichs, der alles, auch hie und
da die äußere Glätte, geopfert wird. Gewiß
hat Meil von Hofmannsthal gelernt, aber er
hat auch die Linie der alten österreichischen
Lyrik, die von Grillparzer zu Ferdinand
von Saar geht, nicht ganz verlassen: das
Reiche und das Schlichte vermählen sich in
ihm. Der Grundzug seines Wesens scheint
auch Melancholie: eine im Tiefsten tragische
Ansicht der Welt zu sein. Und zudem besitzt
dieser junge Mensch eine Seele von einem
Stoff, wie ihn nur die allerseltensten
Menschen — auch unter den Dichtern —
besitzen, und wenn wir uns über das kaum
Begreifliche, Überraschende mancher seiner
Wendungen verwundern, sollen wir bedenken,
welch ein feuriges und lauteres inneres Leben
von der Kunst dieser Verse gespiegelt wird.
Hier ist vor allem der Liebesgedichte Er¬
wähnung zu tun: der „kleinen Kerze", der
beiden Sonette, der „Reinheit aller Gefühle":

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/546>, abgerufen am 29.04.2024.