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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

voll tiefster Innigkeit, voll Wohllaut. Und
wie ist seine Welt doch groß, wie immer
mit Göttlichen erfüllt (die "Stadt auf dem
Hügel", die "Landschaft") oder bezogen auf
Göttliches ("Erlösungen"); wie wird sie ganz
Gedicht im "Schlaflied auf einen kleinen
Faun", im "Todesengel", in den vier Balladen
der Jahreszeiten, den bedeutendsten Stücken
des Buches I Manchen mögen die Gedichte
aus dem täglichen und gegenwärtigen Leben
wie das "Abendessen", das "Vierhändig¬
spielen", "noeuds zur Harfe", das "Herz ist
wieder wach" oder die entfernteren: "Die
Alpennacht", die "Mutter der drei Kinder",
die sanfte Elegie der Susette Goulard, der
prachtvolle "Milde Herbst von Anno 4S"
tiefer ergreifen. Kaum eines aber, das keine
Schönheit in sich hat, das man überschlägt,
von dem einem nicht wenigstens Zeilen im
Sinne bleiben. Und so hat man wieder das
reine Gefühl wahrhafter Kunst, wie damals
in unserer Jugend, als wir zum erstenmal
einen Dichter lasen. Denn so sahen wir ja
den Dichter: als einen, der gleich diesem das
Jahr mit Liedern bekränzte, wofür man
ihm hinwieder ein schönes Laub zum
Kranz wand und als Sinnbild verlieh.

Dr. Felix Braun
Strfim Zweig: Erstes Erlebnis. Vier
Geschichten aus Kinderland. Leipzig, 1911,
Jnselverlng.

Stefan Zweigs neues Prosawerk, das
zweite des bekannten Wiener Dichters, ist ein
in sich geschlossenes Kunstwerk. Schon dadurch
unterscheidet es sich von einer Menge anderer
Sammelbände, In unserer Zeit literarischer
Überproduktion ist nämlich ein Typus von
Novellenbänden immer häufiger geworden,
die nicht künstlerisch aufbauenden Willen,
sondern nur der Buchbinderarbeit ihre Gestalt
zu verdanken scheinen: Werke, die stofflich
Wesensfremdes aneinander reihen, durch nichts
anderes Gemeinsames zusammengehalten
werden als durch den Namen ihres Autors
und, bei besonders starken Talenten, durch
jene immanente Verwandtschaft, die sich aus
der Persönlichkeit des Schaffenden ergibt.
Stil -- sofern er nicht Manier werden soll
-- bildet und formt sich aus der Materie
des Dargestellten. Wenn also zu der

[Spaltenumbruch]

Einheit des Bildners noch eine stoffliche Ver¬
bindung der Einzelwerke tritt, muß sich von
selbst das Ganze zu stärkerer Geschlossenheit
vereinen. Diese künstlerische Rundung hat
Zweigs neues Buch. Die "vier Geschichten
aus Kinderland" sind einem gemeinsamen
Grundproblem entwachsen; der Titel nennt
eS: "Erstes Erlebnis". Das erste Wachwerden
dämmernder Erkenntnis, der erste Zusammen¬
stoß mit jener noch fremden Macht, die
Kampf und Verschwisterung zugleich ist, das
erste Aufflammen sexueller Leidenschaft ist in
diesen Novellen tendenziös und in künstlerischer'
Reinheit geschildert. Nicht Variationen des¬
selben Themas sind die vier Geschichten, aber
vier verschiedene Wege, auf denen Psycholo¬
gischer Scharfsinn dem Verständnis eines der
wichtigsten Probleme unseres Seins nachspürt,
Stefan ZweigS Prosa hat -- denkt man an
sein erstes Nvvellenbuch "Die Liebe der Erica
Ewald" -- an Festigkeit, an Männlichkeit
gewonnen. Seine Lyrik, das Hauptelement
seiner dichterischen Kraft, gibt dieser Prosa
ihren besonderen Reiz: musikalischen, rhyth¬
mischen Klang lob eine seltene Farbigkeit,
die mit den ersten Zeilen gedämpft einsetzen,
die Stimmung des Buches geben und fest¬
halten. Seine Art des Erzählens ist durch¬
aus episch und doch frei von jener artistischen
Nachahmung Kleistscher Prosa, mit der heute
mancher den "Novellenstil" wiederzufinden
versucht; eine eigene Stimme, voll Wärme
und Lebendigkeit, klingt in den Worten. Sie
ist aller Modulationen fähig und eindringlich.
Darum tönt sie auch über das letzte Wort
hinaus wie der verschwebende Schall einer
Glocke, dem man noch horcht, wenn er nur
mehr Erinnerung ist und die Glocke schweigt.
Daß aber die Stimmung des Buches im
Leser anhält, auch wenn die Geschichten zu
Ende sind, daß man den Band hinlegt und
darüber nachsinnt -- ist hoher Ruhm für
v, L, ein Dichterwerk,

Biographien und Briefwechsel
Arthur Schopenhauers Briefwechsel und

andere Dokumente seines Lebens.

Ausge¬
wählt und herausgegeben von Max Brahm,
Leipzig, Inselverlag 1911. XXVIII und
339 S. In Leinen 3 M,, in Leder 5 M.
Mit der zunehmenden Feinheit der Selbst-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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voll tiefster Innigkeit, voll Wohllaut. Und
wie ist seine Welt doch groß, wie immer
mit Göttlichen erfüllt (die „Stadt auf dem
Hügel", die „Landschaft") oder bezogen auf
Göttliches („Erlösungen"); wie wird sie ganz
Gedicht im „Schlaflied auf einen kleinen
Faun", im „Todesengel", in den vier Balladen
der Jahreszeiten, den bedeutendsten Stücken
des Buches I Manchen mögen die Gedichte
aus dem täglichen und gegenwärtigen Leben
wie das „Abendessen", das „Vierhändig¬
spielen", „noeuds zur Harfe", das „Herz ist
wieder wach" oder die entfernteren: „Die
Alpennacht", die „Mutter der drei Kinder",
die sanfte Elegie der Susette Goulard, der
prachtvolle „Milde Herbst von Anno 4S"
tiefer ergreifen. Kaum eines aber, das keine
Schönheit in sich hat, das man überschlägt,
von dem einem nicht wenigstens Zeilen im
Sinne bleiben. Und so hat man wieder das
reine Gefühl wahrhafter Kunst, wie damals
in unserer Jugend, als wir zum erstenmal
einen Dichter lasen. Denn so sahen wir ja
den Dichter: als einen, der gleich diesem das
Jahr mit Liedern bekränzte, wofür man
ihm hinwieder ein schönes Laub zum
Kranz wand und als Sinnbild verlieh.

Dr. Felix Braun
Strfim Zweig: Erstes Erlebnis. Vier
Geschichten aus Kinderland. Leipzig, 1911,
Jnselverlng.

Stefan Zweigs neues Prosawerk, das
zweite des bekannten Wiener Dichters, ist ein
in sich geschlossenes Kunstwerk. Schon dadurch
unterscheidet es sich von einer Menge anderer
Sammelbände, In unserer Zeit literarischer
Überproduktion ist nämlich ein Typus von
Novellenbänden immer häufiger geworden,
die nicht künstlerisch aufbauenden Willen,
sondern nur der Buchbinderarbeit ihre Gestalt
zu verdanken scheinen: Werke, die stofflich
Wesensfremdes aneinander reihen, durch nichts
anderes Gemeinsames zusammengehalten
werden als durch den Namen ihres Autors
und, bei besonders starken Talenten, durch
jene immanente Verwandtschaft, die sich aus
der Persönlichkeit des Schaffenden ergibt.
Stil — sofern er nicht Manier werden soll
— bildet und formt sich aus der Materie
des Dargestellten. Wenn also zu der

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Einheit des Bildners noch eine stoffliche Ver¬
bindung der Einzelwerke tritt, muß sich von
selbst das Ganze zu stärkerer Geschlossenheit
vereinen. Diese künstlerische Rundung hat
Zweigs neues Buch. Die „vier Geschichten
aus Kinderland" sind einem gemeinsamen
Grundproblem entwachsen; der Titel nennt
eS: „Erstes Erlebnis". Das erste Wachwerden
dämmernder Erkenntnis, der erste Zusammen¬
stoß mit jener noch fremden Macht, die
Kampf und Verschwisterung zugleich ist, das
erste Aufflammen sexueller Leidenschaft ist in
diesen Novellen tendenziös und in künstlerischer'
Reinheit geschildert. Nicht Variationen des¬
selben Themas sind die vier Geschichten, aber
vier verschiedene Wege, auf denen Psycholo¬
gischer Scharfsinn dem Verständnis eines der
wichtigsten Probleme unseres Seins nachspürt,
Stefan ZweigS Prosa hat — denkt man an
sein erstes Nvvellenbuch „Die Liebe der Erica
Ewald" — an Festigkeit, an Männlichkeit
gewonnen. Seine Lyrik, das Hauptelement
seiner dichterischen Kraft, gibt dieser Prosa
ihren besonderen Reiz: musikalischen, rhyth¬
mischen Klang lob eine seltene Farbigkeit,
die mit den ersten Zeilen gedämpft einsetzen,
die Stimmung des Buches geben und fest¬
halten. Seine Art des Erzählens ist durch¬
aus episch und doch frei von jener artistischen
Nachahmung Kleistscher Prosa, mit der heute
mancher den „Novellenstil" wiederzufinden
versucht; eine eigene Stimme, voll Wärme
und Lebendigkeit, klingt in den Worten. Sie
ist aller Modulationen fähig und eindringlich.
Darum tönt sie auch über das letzte Wort
hinaus wie der verschwebende Schall einer
Glocke, dem man noch horcht, wenn er nur
mehr Erinnerung ist und die Glocke schweigt.
Daß aber die Stimmung des Buches im
Leser anhält, auch wenn die Geschichten zu
Ende sind, daß man den Band hinlegt und
darüber nachsinnt — ist hoher Ruhm für
v, L, ein Dichterwerk,

Biographien und Briefwechsel
Arthur Schopenhauers Briefwechsel und

andere Dokumente seines Lebens.

Ausge¬
wählt und herausgegeben von Max Brahm,
Leipzig, Inselverlag 1911. XXVIII und
339 S. In Leinen 3 M,, in Leder 5 M.
Mit der zunehmenden Feinheit der Selbst-

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[0547] Maßgebliches und Unmaßgebliches voll tiefster Innigkeit, voll Wohllaut. Und wie ist seine Welt doch groß, wie immer mit Göttlichen erfüllt (die „Stadt auf dem Hügel", die „Landschaft") oder bezogen auf Göttliches („Erlösungen"); wie wird sie ganz Gedicht im „Schlaflied auf einen kleinen Faun", im „Todesengel", in den vier Balladen der Jahreszeiten, den bedeutendsten Stücken des Buches I Manchen mögen die Gedichte aus dem täglichen und gegenwärtigen Leben wie das „Abendessen", das „Vierhändig¬ spielen", „noeuds zur Harfe", das „Herz ist wieder wach" oder die entfernteren: „Die Alpennacht", die „Mutter der drei Kinder", die sanfte Elegie der Susette Goulard, der prachtvolle „Milde Herbst von Anno 4S" tiefer ergreifen. Kaum eines aber, das keine Schönheit in sich hat, das man überschlägt, von dem einem nicht wenigstens Zeilen im Sinne bleiben. Und so hat man wieder das reine Gefühl wahrhafter Kunst, wie damals in unserer Jugend, als wir zum erstenmal einen Dichter lasen. Denn so sahen wir ja den Dichter: als einen, der gleich diesem das Jahr mit Liedern bekränzte, wofür man ihm hinwieder ein schönes Laub zum Kranz wand und als Sinnbild verlieh. Dr. Felix Braun Strfim Zweig: Erstes Erlebnis. Vier Geschichten aus Kinderland. Leipzig, 1911, Jnselverlng. Stefan Zweigs neues Prosawerk, das zweite des bekannten Wiener Dichters, ist ein in sich geschlossenes Kunstwerk. Schon dadurch unterscheidet es sich von einer Menge anderer Sammelbände, In unserer Zeit literarischer Überproduktion ist nämlich ein Typus von Novellenbänden immer häufiger geworden, die nicht künstlerisch aufbauenden Willen, sondern nur der Buchbinderarbeit ihre Gestalt zu verdanken scheinen: Werke, die stofflich Wesensfremdes aneinander reihen, durch nichts anderes Gemeinsames zusammengehalten werden als durch den Namen ihres Autors und, bei besonders starken Talenten, durch jene immanente Verwandtschaft, die sich aus der Persönlichkeit des Schaffenden ergibt. Stil — sofern er nicht Manier werden soll — bildet und formt sich aus der Materie des Dargestellten. Wenn also zu der Einheit des Bildners noch eine stoffliche Ver¬ bindung der Einzelwerke tritt, muß sich von selbst das Ganze zu stärkerer Geschlossenheit vereinen. Diese künstlerische Rundung hat Zweigs neues Buch. Die „vier Geschichten aus Kinderland" sind einem gemeinsamen Grundproblem entwachsen; der Titel nennt eS: „Erstes Erlebnis". Das erste Wachwerden dämmernder Erkenntnis, der erste Zusammen¬ stoß mit jener noch fremden Macht, die Kampf und Verschwisterung zugleich ist, das erste Aufflammen sexueller Leidenschaft ist in diesen Novellen tendenziös und in künstlerischer' Reinheit geschildert. Nicht Variationen des¬ selben Themas sind die vier Geschichten, aber vier verschiedene Wege, auf denen Psycholo¬ gischer Scharfsinn dem Verständnis eines der wichtigsten Probleme unseres Seins nachspürt, Stefan ZweigS Prosa hat — denkt man an sein erstes Nvvellenbuch „Die Liebe der Erica Ewald" — an Festigkeit, an Männlichkeit gewonnen. Seine Lyrik, das Hauptelement seiner dichterischen Kraft, gibt dieser Prosa ihren besonderen Reiz: musikalischen, rhyth¬ mischen Klang lob eine seltene Farbigkeit, die mit den ersten Zeilen gedämpft einsetzen, die Stimmung des Buches geben und fest¬ halten. Seine Art des Erzählens ist durch¬ aus episch und doch frei von jener artistischen Nachahmung Kleistscher Prosa, mit der heute mancher den „Novellenstil" wiederzufinden versucht; eine eigene Stimme, voll Wärme und Lebendigkeit, klingt in den Worten. Sie ist aller Modulationen fähig und eindringlich. Darum tönt sie auch über das letzte Wort hinaus wie der verschwebende Schall einer Glocke, dem man noch horcht, wenn er nur mehr Erinnerung ist und die Glocke schweigt. Daß aber die Stimmung des Buches im Leser anhält, auch wenn die Geschichten zu Ende sind, daß man den Band hinlegt und darüber nachsinnt — ist hoher Ruhm für v, L, ein Dichterwerk, Biographien und Briefwechsel Arthur Schopenhauers Briefwechsel und andere Dokumente seines Lebens. Ausge¬ wählt und herausgegeben von Max Brahm, Leipzig, Inselverlag 1911. XXVIII und 339 S. In Leinen 3 M,, in Leder 5 M. Mit der zunehmenden Feinheit der Selbst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/547>, abgerufen am 29.04.2024.