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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Malerei der Gegenwart

Brücke zu einer praktischen Verständigung finden. Diese Brücke ist das
Genossenschaftswesen.

In der Genossenschaft bleiben die Individuen verantwortlich, sie wissen, daß
ihre Tätigkeit maßgebend bleibt für ihr Wohlergehen. Sie verfallen nicht in
jene Erschlaffung, die der Kommunismus notwendig erzeugen muß und die sich
heute schon bei Krankenversicherungen usw. bemerkbar macht. Die Genossen¬
schaft muß den Einzelnen stark machen, ohne ihn seines Charakters und seiner
Selbstverantwortlichkeit zu entkleiden.

Das Genossenschaftswesen ist das Instrument sozialer Organisation, in dem
sich selbst die Antipoden sozialer Reformbestrebungen von den Konservativen bis
zu den Anarchisten vollkommen einig sind.

Es ermöglicht, bei demselben Areal im Osten viel mehr Deutsche anzusiedeln
als bisher. Während selbst bei Hohcnsalza zu einer spannfähigen Bauern¬
wirtschaft dreißig bis vierzig Morgen nötig sind, gehören in den Gegenden
Westpreußens mit leichterem Boden sechzig bis achtzig Morgen dazu. Wird aber
statt des extensiven Körner- und Kartoffelbaues mehr intensivere Gemüse-, Garten-
und Kleinviehkultur betrieben, mit genossenschaftlicher Produktion und genossen¬
schaftlichem Vertrieb, so lassen sich auf demselben Areal dreimal soviel Kolonisten
unterbringen, namentlich wenn man es verstände, auch Industrien dazwischen zu
setzen, die mit periodischer Betriebszeit arbeiten, und wenn weiter eine Ergänzung
der Betriebszeiten in Landwirtschaft und Industrie einzurichten wäre.




Die deutsche Malerei der Gegenwart
<Lin Überblick über ihre Grundlagen, Führer und Strömungen
Von Dr. Paul Ferdinand Sschmidt-
II.

Zwei große Künstler sind es gewesen, die einer Auffassung in Deutschland
Bahn gebrochen haben, nach welcher nicht der Gegenstand das Bild interessant
und wertvoll macht, nicht der darin niedergelegte Geist von literarischer Herkunft,
sondern einzig und allein die gute Malerei. Leiht im Süden und Liebermann
im Norden sind die Angelpunkte, um die sich unsere ganze neuere Malerei dreht.
Wie hoch man ihr Wirken heute schätzt, erkennt man schon daraus, daß die
Vaterstadt Leibls, Köln, jüngst die letzte Sammlung von einigen seiner Gemälde,
die noch zu haben war, für mehr als eine Million angekauft hat. Und das
von demselben Leiht, über dessen "Dummheit und Denkfaulheit" Böcklin so
"furchtbar gelacht" hat, wie Floerke berichtet, weil er nicht begriff, wie man an


Die deutsche Malerei der Gegenwart

Brücke zu einer praktischen Verständigung finden. Diese Brücke ist das
Genossenschaftswesen.

In der Genossenschaft bleiben die Individuen verantwortlich, sie wissen, daß
ihre Tätigkeit maßgebend bleibt für ihr Wohlergehen. Sie verfallen nicht in
jene Erschlaffung, die der Kommunismus notwendig erzeugen muß und die sich
heute schon bei Krankenversicherungen usw. bemerkbar macht. Die Genossen¬
schaft muß den Einzelnen stark machen, ohne ihn seines Charakters und seiner
Selbstverantwortlichkeit zu entkleiden.

Das Genossenschaftswesen ist das Instrument sozialer Organisation, in dem
sich selbst die Antipoden sozialer Reformbestrebungen von den Konservativen bis
zu den Anarchisten vollkommen einig sind.

Es ermöglicht, bei demselben Areal im Osten viel mehr Deutsche anzusiedeln
als bisher. Während selbst bei Hohcnsalza zu einer spannfähigen Bauern¬
wirtschaft dreißig bis vierzig Morgen nötig sind, gehören in den Gegenden
Westpreußens mit leichterem Boden sechzig bis achtzig Morgen dazu. Wird aber
statt des extensiven Körner- und Kartoffelbaues mehr intensivere Gemüse-, Garten-
und Kleinviehkultur betrieben, mit genossenschaftlicher Produktion und genossen¬
schaftlichem Vertrieb, so lassen sich auf demselben Areal dreimal soviel Kolonisten
unterbringen, namentlich wenn man es verstände, auch Industrien dazwischen zu
setzen, die mit periodischer Betriebszeit arbeiten, und wenn weiter eine Ergänzung
der Betriebszeiten in Landwirtschaft und Industrie einzurichten wäre.




Die deutsche Malerei der Gegenwart
<Lin Überblick über ihre Grundlagen, Führer und Strömungen
Von Dr. Paul Ferdinand Sschmidt-
II.

Zwei große Künstler sind es gewesen, die einer Auffassung in Deutschland
Bahn gebrochen haben, nach welcher nicht der Gegenstand das Bild interessant
und wertvoll macht, nicht der darin niedergelegte Geist von literarischer Herkunft,
sondern einzig und allein die gute Malerei. Leiht im Süden und Liebermann
im Norden sind die Angelpunkte, um die sich unsere ganze neuere Malerei dreht.
Wie hoch man ihr Wirken heute schätzt, erkennt man schon daraus, daß die
Vaterstadt Leibls, Köln, jüngst die letzte Sammlung von einigen seiner Gemälde,
die noch zu haben war, für mehr als eine Million angekauft hat. Und das
von demselben Leiht, über dessen „Dummheit und Denkfaulheit" Böcklin so
„furchtbar gelacht" hat, wie Floerke berichtet, weil er nicht begriff, wie man an


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[0562] Die deutsche Malerei der Gegenwart Brücke zu einer praktischen Verständigung finden. Diese Brücke ist das Genossenschaftswesen. In der Genossenschaft bleiben die Individuen verantwortlich, sie wissen, daß ihre Tätigkeit maßgebend bleibt für ihr Wohlergehen. Sie verfallen nicht in jene Erschlaffung, die der Kommunismus notwendig erzeugen muß und die sich heute schon bei Krankenversicherungen usw. bemerkbar macht. Die Genossen¬ schaft muß den Einzelnen stark machen, ohne ihn seines Charakters und seiner Selbstverantwortlichkeit zu entkleiden. Das Genossenschaftswesen ist das Instrument sozialer Organisation, in dem sich selbst die Antipoden sozialer Reformbestrebungen von den Konservativen bis zu den Anarchisten vollkommen einig sind. Es ermöglicht, bei demselben Areal im Osten viel mehr Deutsche anzusiedeln als bisher. Während selbst bei Hohcnsalza zu einer spannfähigen Bauern¬ wirtschaft dreißig bis vierzig Morgen nötig sind, gehören in den Gegenden Westpreußens mit leichterem Boden sechzig bis achtzig Morgen dazu. Wird aber statt des extensiven Körner- und Kartoffelbaues mehr intensivere Gemüse-, Garten- und Kleinviehkultur betrieben, mit genossenschaftlicher Produktion und genossen¬ schaftlichem Vertrieb, so lassen sich auf demselben Areal dreimal soviel Kolonisten unterbringen, namentlich wenn man es verstände, auch Industrien dazwischen zu setzen, die mit periodischer Betriebszeit arbeiten, und wenn weiter eine Ergänzung der Betriebszeiten in Landwirtschaft und Industrie einzurichten wäre. Die deutsche Malerei der Gegenwart <Lin Überblick über ihre Grundlagen, Führer und Strömungen Von Dr. Paul Ferdinand Sschmidt- II. Zwei große Künstler sind es gewesen, die einer Auffassung in Deutschland Bahn gebrochen haben, nach welcher nicht der Gegenstand das Bild interessant und wertvoll macht, nicht der darin niedergelegte Geist von literarischer Herkunft, sondern einzig und allein die gute Malerei. Leiht im Süden und Liebermann im Norden sind die Angelpunkte, um die sich unsere ganze neuere Malerei dreht. Wie hoch man ihr Wirken heute schätzt, erkennt man schon daraus, daß die Vaterstadt Leibls, Köln, jüngst die letzte Sammlung von einigen seiner Gemälde, die noch zu haben war, für mehr als eine Million angekauft hat. Und das von demselben Leiht, über dessen „Dummheit und Denkfaulheit" Böcklin so „furchtbar gelacht" hat, wie Floerke berichtet, weil er nicht begriff, wie man an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/562>, abgerufen am 29.04.2024.