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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Schmuck besteht aus Figurengruppen, die
ganze Geschichten erzählen. Die Figuren sind
schlecht Proportioniert, viel zu kurz und breit,
aber voll Leben; die Gesichter haben indivi¬
duellen Charakter, und die Erfindung offen¬
bart jenen derben Humor, der (was nicht
gerade von diesen Kapitellen, aber von anderen
Bildwerken Clermonts gilt) auch vor dem
Grotesken und vor Obszönitäten in der Kirche
nicht zurückschreckte. Eins der Kapitelle stellt
den Sündenfall dar. Die verbotene Frucht
ist nicht ein Apfel, sondern, wie eS sich für
Frankreich gehört, eine Weintraube; der Engel,
der den Adam aus dem Paradiese treibt,
zerrt ihn an seinem Barte hinaus, und Adam
versetzt, wütend, der hier nicht gerade sehr
holden Gattin, die ihn verführt hat, einen
Fußtritt. Die Darstellung unserer Autoren
folgt der Wandlung der Baustile, die mit dein
ganzen Abendlande auch die Auvergne durch¬
gemacht hat. Die Renaissance zog in Cler-
mont ein mit deur lebenslustigen Bischof
Jacques d'Amboise (1S0S bis 1616); sein
Wahlspruch war: bello vivere se laetan;
und daß er so wenig wie die meisten Prälaten
jener Zeit an Prüderie gelitten hat, beweisen
die vier Menneken-Pis des von ihm gestifteten
Brunnens. Von dem mancherlei Schmuck,
mit dem er die Kathedrale ausgestattet hat,
erwähne ich den Glockentnrm, weil mir die
Deutlichkeit und Schärfe des filigranartigen
reichen Zierwerks als daS Meisterstück der
Jllustrationskunst erscheint, die den Autoren
des Bandes zur Verfügung gestanden hat.

Die letzten Kapitel behandeln die modernen
Bauten der Stadt Clermont, die sich den
Anforderungen der Zeit gemäß kräftig ent¬
wickelt, die auvcrgnatische Holzbildhauerei
und die Schwesterstadt Montferrand, die zu
einer dorfähnlichen Borstadt herabgesunken
ist und nur noch durch ihre Planvolle Straßen¬
anlage und durch stattliche alte Wohnhäuser
an ihre ehemalige Bedeutung erinnert. Die
Gegenwartsbestrebungen der Architekten jener
Gegend charakterisiert folgender Ausspruch
eines jungen Künstlers, der beweist, daß nicht
bloß bei uns n< Deutschland die Losung
"Heimatkunst" lautet. "Welche Art Kunst
unserem Lande angemessen ist, das muß durch
Studium an Ort und Stelle ermittelt werden.
In unseren Tälern, auf unseren Bergen, bei

[Spaltenumbruch]

unseren Bauern, Arveitern, Stadtbürgern
müssen wir die Formen, Farben, Charakter-
züge, Typen suchen, die uns eigentümlich
sind, suchen, was gut ist, nicht für andere,
sondern für uns. Das alles zu sammeln,
festzustellen, ihm Geltung zu verschaffen, ist
die Aufgabe, an deren Lösung wir ohne
Unterlaß zu arbeiten haben, wenn wir Ur¬
eignes und Nützliches schaffen wollen."

Acirl Jentsch
Religionswissenschaft

Edo. Lebana: Der Buddhismus als
indische Sekte, als Weltreligion. 1911
Tübingen. I. C. B. Mohr (Paul Siebeck).
274 S.

Was Edo. Lehmnnns Darstellung des
Buddhismus auszeichnet, ist, äußerlich besehen,
daß sie uns ein Bild seiner gesamten Ent¬
wicklung gibt, vom Buddhismus als indischer
Sekte bis zum Buddhismus als Weltreligion,
während uns so manches andere an sich treff¬
liche Werk über Buddhismus nicht über seiue
erste, die klassische Zeit hinausführt. Aber
was wichtiger ist, und was ich an Lehmanns
Darstellung vor allein bewundere, das ist die
Klarheit, mit der die treibende religiöse Kraft
solcher Entwicklung herausgearbeitet ist: daß
eine Religion zur Weltreligion wird, ist nicht
Sache äußerer Umstände, sondern liegt in
ihrem eigensten und ursprünglichsten Wesen
begründet. "Dadurch wird eine Religion
Weltreligion, daß sie das Allgemeine und das
Absolute zu sein behauptet. . ., und diese
Wahrheit ist persönliche Wahrheit. Ihr Wahr¬
heitswert beruht darauf, daß wer sie bringt,
sie als seine Persönliche Wahrheit empfindet.
Dumm geht eine Weltreligion auch stets von
einer Persönlichkeit aus. . . So lange Wahr¬
heit nur Philosophie ist, gewinnt sie nur
Philosophen. Erst wo sie als Mensch auftritt,
gewinnt sie Menschen."

Nur zu lange hat es sich der Buddhismus
gefallen lassen müssen, eine "Philosophie"
genannt zu werden. Dergleichen Vorstellungen
müssen wir fahren lassen, wenn wir Buddha
recht betrachten wollen, -- das hebt Lehmann
mit vollem Recht hervor. "Nur einen Menschen,
der den Weg der Erlösung suchte, dürfen wir
in ihm sehen, und der, da er ihn gefunden,
ihn anderen verkündigt und dann diejenigen,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Schmuck besteht aus Figurengruppen, die
ganze Geschichten erzählen. Die Figuren sind
schlecht Proportioniert, viel zu kurz und breit,
aber voll Leben; die Gesichter haben indivi¬
duellen Charakter, und die Erfindung offen¬
bart jenen derben Humor, der (was nicht
gerade von diesen Kapitellen, aber von anderen
Bildwerken Clermonts gilt) auch vor dem
Grotesken und vor Obszönitäten in der Kirche
nicht zurückschreckte. Eins der Kapitelle stellt
den Sündenfall dar. Die verbotene Frucht
ist nicht ein Apfel, sondern, wie eS sich für
Frankreich gehört, eine Weintraube; der Engel,
der den Adam aus dem Paradiese treibt,
zerrt ihn an seinem Barte hinaus, und Adam
versetzt, wütend, der hier nicht gerade sehr
holden Gattin, die ihn verführt hat, einen
Fußtritt. Die Darstellung unserer Autoren
folgt der Wandlung der Baustile, die mit dein
ganzen Abendlande auch die Auvergne durch¬
gemacht hat. Die Renaissance zog in Cler-
mont ein mit deur lebenslustigen Bischof
Jacques d'Amboise (1S0S bis 1616); sein
Wahlspruch war: bello vivere se laetan;
und daß er so wenig wie die meisten Prälaten
jener Zeit an Prüderie gelitten hat, beweisen
die vier Menneken-Pis des von ihm gestifteten
Brunnens. Von dem mancherlei Schmuck,
mit dem er die Kathedrale ausgestattet hat,
erwähne ich den Glockentnrm, weil mir die
Deutlichkeit und Schärfe des filigranartigen
reichen Zierwerks als daS Meisterstück der
Jllustrationskunst erscheint, die den Autoren
des Bandes zur Verfügung gestanden hat.

Die letzten Kapitel behandeln die modernen
Bauten der Stadt Clermont, die sich den
Anforderungen der Zeit gemäß kräftig ent¬
wickelt, die auvcrgnatische Holzbildhauerei
und die Schwesterstadt Montferrand, die zu
einer dorfähnlichen Borstadt herabgesunken
ist und nur noch durch ihre Planvolle Straßen¬
anlage und durch stattliche alte Wohnhäuser
an ihre ehemalige Bedeutung erinnert. Die
Gegenwartsbestrebungen der Architekten jener
Gegend charakterisiert folgender Ausspruch
eines jungen Künstlers, der beweist, daß nicht
bloß bei uns n< Deutschland die Losung
„Heimatkunst" lautet. „Welche Art Kunst
unserem Lande angemessen ist, das muß durch
Studium an Ort und Stelle ermittelt werden.
In unseren Tälern, auf unseren Bergen, bei

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unseren Bauern, Arveitern, Stadtbürgern
müssen wir die Formen, Farben, Charakter-
züge, Typen suchen, die uns eigentümlich
sind, suchen, was gut ist, nicht für andere,
sondern für uns. Das alles zu sammeln,
festzustellen, ihm Geltung zu verschaffen, ist
die Aufgabe, an deren Lösung wir ohne
Unterlaß zu arbeiten haben, wenn wir Ur¬
eignes und Nützliches schaffen wollen."

Acirl Jentsch
Religionswissenschaft

Edo. Lebana: Der Buddhismus als
indische Sekte, als Weltreligion. 1911
Tübingen. I. C. B. Mohr (Paul Siebeck).
274 S.

Was Edo. Lehmnnns Darstellung des
Buddhismus auszeichnet, ist, äußerlich besehen,
daß sie uns ein Bild seiner gesamten Ent¬
wicklung gibt, vom Buddhismus als indischer
Sekte bis zum Buddhismus als Weltreligion,
während uns so manches andere an sich treff¬
liche Werk über Buddhismus nicht über seiue
erste, die klassische Zeit hinausführt. Aber
was wichtiger ist, und was ich an Lehmanns
Darstellung vor allein bewundere, das ist die
Klarheit, mit der die treibende religiöse Kraft
solcher Entwicklung herausgearbeitet ist: daß
eine Religion zur Weltreligion wird, ist nicht
Sache äußerer Umstände, sondern liegt in
ihrem eigensten und ursprünglichsten Wesen
begründet. „Dadurch wird eine Religion
Weltreligion, daß sie das Allgemeine und das
Absolute zu sein behauptet. . ., und diese
Wahrheit ist persönliche Wahrheit. Ihr Wahr¬
heitswert beruht darauf, daß wer sie bringt,
sie als seine Persönliche Wahrheit empfindet.
Dumm geht eine Weltreligion auch stets von
einer Persönlichkeit aus. . . So lange Wahr¬
heit nur Philosophie ist, gewinnt sie nur
Philosophen. Erst wo sie als Mensch auftritt,
gewinnt sie Menschen."

Nur zu lange hat es sich der Buddhismus
gefallen lassen müssen, eine „Philosophie"
genannt zu werden. Dergleichen Vorstellungen
müssen wir fahren lassen, wenn wir Buddha
recht betrachten wollen, — das hebt Lehmann
mit vollem Recht hervor. „Nur einen Menschen,
der den Weg der Erlösung suchte, dürfen wir
in ihm sehen, und der, da er ihn gefunden,
ihn anderen verkündigt und dann diejenigen,

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[0641] Maßgebliches und Unmaßgebliches Schmuck besteht aus Figurengruppen, die ganze Geschichten erzählen. Die Figuren sind schlecht Proportioniert, viel zu kurz und breit, aber voll Leben; die Gesichter haben indivi¬ duellen Charakter, und die Erfindung offen¬ bart jenen derben Humor, der (was nicht gerade von diesen Kapitellen, aber von anderen Bildwerken Clermonts gilt) auch vor dem Grotesken und vor Obszönitäten in der Kirche nicht zurückschreckte. Eins der Kapitelle stellt den Sündenfall dar. Die verbotene Frucht ist nicht ein Apfel, sondern, wie eS sich für Frankreich gehört, eine Weintraube; der Engel, der den Adam aus dem Paradiese treibt, zerrt ihn an seinem Barte hinaus, und Adam versetzt, wütend, der hier nicht gerade sehr holden Gattin, die ihn verführt hat, einen Fußtritt. Die Darstellung unserer Autoren folgt der Wandlung der Baustile, die mit dein ganzen Abendlande auch die Auvergne durch¬ gemacht hat. Die Renaissance zog in Cler- mont ein mit deur lebenslustigen Bischof Jacques d'Amboise (1S0S bis 1616); sein Wahlspruch war: bello vivere se laetan; und daß er so wenig wie die meisten Prälaten jener Zeit an Prüderie gelitten hat, beweisen die vier Menneken-Pis des von ihm gestifteten Brunnens. Von dem mancherlei Schmuck, mit dem er die Kathedrale ausgestattet hat, erwähne ich den Glockentnrm, weil mir die Deutlichkeit und Schärfe des filigranartigen reichen Zierwerks als daS Meisterstück der Jllustrationskunst erscheint, die den Autoren des Bandes zur Verfügung gestanden hat. Die letzten Kapitel behandeln die modernen Bauten der Stadt Clermont, die sich den Anforderungen der Zeit gemäß kräftig ent¬ wickelt, die auvcrgnatische Holzbildhauerei und die Schwesterstadt Montferrand, die zu einer dorfähnlichen Borstadt herabgesunken ist und nur noch durch ihre Planvolle Straßen¬ anlage und durch stattliche alte Wohnhäuser an ihre ehemalige Bedeutung erinnert. Die Gegenwartsbestrebungen der Architekten jener Gegend charakterisiert folgender Ausspruch eines jungen Künstlers, der beweist, daß nicht bloß bei uns n< Deutschland die Losung „Heimatkunst" lautet. „Welche Art Kunst unserem Lande angemessen ist, das muß durch Studium an Ort und Stelle ermittelt werden. In unseren Tälern, auf unseren Bergen, bei unseren Bauern, Arveitern, Stadtbürgern müssen wir die Formen, Farben, Charakter- züge, Typen suchen, die uns eigentümlich sind, suchen, was gut ist, nicht für andere, sondern für uns. Das alles zu sammeln, festzustellen, ihm Geltung zu verschaffen, ist die Aufgabe, an deren Lösung wir ohne Unterlaß zu arbeiten haben, wenn wir Ur¬ eignes und Nützliches schaffen wollen." Acirl Jentsch Religionswissenschaft Edo. Lebana: Der Buddhismus als indische Sekte, als Weltreligion. 1911 Tübingen. I. C. B. Mohr (Paul Siebeck). 274 S. Was Edo. Lehmnnns Darstellung des Buddhismus auszeichnet, ist, äußerlich besehen, daß sie uns ein Bild seiner gesamten Ent¬ wicklung gibt, vom Buddhismus als indischer Sekte bis zum Buddhismus als Weltreligion, während uns so manches andere an sich treff¬ liche Werk über Buddhismus nicht über seiue erste, die klassische Zeit hinausführt. Aber was wichtiger ist, und was ich an Lehmanns Darstellung vor allein bewundere, das ist die Klarheit, mit der die treibende religiöse Kraft solcher Entwicklung herausgearbeitet ist: daß eine Religion zur Weltreligion wird, ist nicht Sache äußerer Umstände, sondern liegt in ihrem eigensten und ursprünglichsten Wesen begründet. „Dadurch wird eine Religion Weltreligion, daß sie das Allgemeine und das Absolute zu sein behauptet. . ., und diese Wahrheit ist persönliche Wahrheit. Ihr Wahr¬ heitswert beruht darauf, daß wer sie bringt, sie als seine Persönliche Wahrheit empfindet. Dumm geht eine Weltreligion auch stets von einer Persönlichkeit aus. . . So lange Wahr¬ heit nur Philosophie ist, gewinnt sie nur Philosophen. Erst wo sie als Mensch auftritt, gewinnt sie Menschen." Nur zu lange hat es sich der Buddhismus gefallen lassen müssen, eine „Philosophie" genannt zu werden. Dergleichen Vorstellungen müssen wir fahren lassen, wenn wir Buddha recht betrachten wollen, — das hebt Lehmann mit vollem Recht hervor. „Nur einen Menschen, der den Weg der Erlösung suchte, dürfen wir in ihm sehen, und der, da er ihn gefunden, ihn anderen verkündigt und dann diejenigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/641>, abgerufen am 29.04.2024.