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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Und daß die Furcht bor Strafe im Eltern¬
hause mitgespielt hat, scheint aus den näheren
Umstanden der Tat deutlich Herborzugehen.
Nach jetzigem weisen Brauch, der gerade in
Kiel schon längst eingeführt war, sollen die
Eltern von jeder Arreststunde Mitteilung be¬
kommen. Der Arrest wurde dem Knaben
am Donnerstag angekündigt; am Freitag
nachmittag sollte er abgesessen werden. Die
Mitteilung mußte -- das wußte der Junge --
am Freitag um 12 Uhr im Elternhause an¬
kommen, und sie ist um diese Zeit angekommen.
Und zur selben Stunde hat sich der Junge
erschossen, in der letzten Stunde vor dem
Hennweg. Wen fürchtete er mehr, Schule
oder Elternhaus?

Mag sein, daß der Knabe die strenge Be¬
handlung verdient hat, die ihn etwa zu Hause
erwartete; es handelt sich gar nicht um die
Beurteilung der Erziehungsgrundsätze des
Vaters. Nur das eine muß festgestellt werden:
Nachdem der Täter als der Hauptschuldige
(siehe oben Hoches Bemerkungen) ermittelt ist,
muß zur Entscheidung gebracht werden, ob
Schule, ob Elternhaus mitschuldig sind. Das
ist aber nur möglich, wenn das Elternhaus
derselben Untersuchung unterzogen wird wie
die Schule. Wenn es hierzu kein gesetzliches
Mittel gibt, so muß die Schule oder der
einzelne Lehrer in Wahrnehmung eigenen
Interesses irgendwie ein öffentliches Verfahren
heraufbeschwören. Dies nicht allein zur Ehren¬
rettung der Schule und um der Gerechtigkeit
willen, sondern damit durch den Zwang zur
Vorsicht die sensationelle Ausbeutung der
Knabenselbstmorde abnimmt. Man wird
sehen, wie schnell die Zahl der jugendlichen
Selbstmörder zurückgeht, wenn sich die öffent¬
liche Meinung nicht mehr bedingungslos ihrer
annimmt, sondern auch mal eine derbe
Stimme dazwischen tönt: "So'n dummer
Junge, was hat der mit einem Schießgewehr
zu spielen."

Oberlehrer Fritz Tychow
Die christliche" JünglingSverenic in die
Front der Jugendpflege! (Entgegnung.)

Professor Schurig - Lemgo beklagt sich in
Ur. 7 der Grenzboten darüber, daß "von
evangelischer Seite mehrfach runde Absagen
gegeben sind, wenn man die Jüngliugsvercine

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aufforderte, an diesem nationalen Werke --
nämlich der Jugendpflege -- mitzuarbeiten."

Dies Verhalten der evangelischen Jüng¬
lingsvereine ist, gleichviel welchen dogmatischen
Standpunkt mau einnimmt, sehr Wohl zu
verstehen. Ich betone, daß ich nur von den
evangelischen Jünglingsvereinen rede. Die
evangelische Kirche ist national. Man werfe
nur einen Blick in die Ostmark, wo evan¬
gelisch und deutsch fast identisch erscheinen.
So weit es die evangelischen Jünglings-
vereiue anging, lag gar kein Bedürfnis zur
Gründung einer besonderen nationalen Jüug-
lingspflege vor. Wenn man linn aber schon
zu einer solchen Gründung geschritten ist, so
kann man die evangelischen Jünglingsvereiue
ruhig sich selbst überlassen, da sie jn bereits
tun, was jene Ncugründung will.

Vor allem betont aber Professor Schurig,
daß gerade in den kleinen Städten ein großer
Mangel bestehe an jungen Männern, die fähig
und geneigt seien, als Führer in die Arbeit
der Jugendpflege einzutreten, und daß daher
der suchende Blick sich auf die Kirche und
ihre Organisationen richtet. Professor Schurig
will also, daß die befähigten Elemente aus
den JünglingSvereincn führende Stellungen
in der Jugendpflege einnehmen und sozusagen
erst einmal die nationale Jugendpflege in den
Sattel heben. Das ist sehr schön gedacht,
aber Wohl mit nicht ausreichendem Einblick
in die wirklichen Verhältnisse. Besteht wirklich
in den christlichen Jünglingsvereiucn in den
kleinen Städten ein solcher Überfluß von
jungen Männern, die sähig und geneigt sind,
als Führer in die Arbeit der Jugendpflege
einzutreten?

Ich bin wenigstens immer sehr froh
gewesen, wenn ich für den Jünglingsverein
selbst die geeigneten Kräfte in ihm fand, und
ich glaube, daß andere Pastoren auch kaum
in der Lage sein werden, noch für andere
Bestrebungen Kräfte abzugeben. Zweitens
ist doch auch nicht zu übersehen, daß diese
jungen Leute viel freie Zeit haben müßten, die
also zween Herren dienen sollten. Seite 346
sagt Professor Schurig: "Freilich die spezifisch
kirchliche Form ihrer Betätigung müßten die
Jünglingsvereiue dabei zu Hause lassen bzw.
auf ihre Vereinsamende beschränken." Also
diese führenden jungen Leute hätten danach

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Und daß die Furcht bor Strafe im Eltern¬
hause mitgespielt hat, scheint aus den näheren
Umstanden der Tat deutlich Herborzugehen.
Nach jetzigem weisen Brauch, der gerade in
Kiel schon längst eingeführt war, sollen die
Eltern von jeder Arreststunde Mitteilung be¬
kommen. Der Arrest wurde dem Knaben
am Donnerstag angekündigt; am Freitag
nachmittag sollte er abgesessen werden. Die
Mitteilung mußte — das wußte der Junge —
am Freitag um 12 Uhr im Elternhause an¬
kommen, und sie ist um diese Zeit angekommen.
Und zur selben Stunde hat sich der Junge
erschossen, in der letzten Stunde vor dem
Hennweg. Wen fürchtete er mehr, Schule
oder Elternhaus?

Mag sein, daß der Knabe die strenge Be¬
handlung verdient hat, die ihn etwa zu Hause
erwartete; es handelt sich gar nicht um die
Beurteilung der Erziehungsgrundsätze des
Vaters. Nur das eine muß festgestellt werden:
Nachdem der Täter als der Hauptschuldige
(siehe oben Hoches Bemerkungen) ermittelt ist,
muß zur Entscheidung gebracht werden, ob
Schule, ob Elternhaus mitschuldig sind. Das
ist aber nur möglich, wenn das Elternhaus
derselben Untersuchung unterzogen wird wie
die Schule. Wenn es hierzu kein gesetzliches
Mittel gibt, so muß die Schule oder der
einzelne Lehrer in Wahrnehmung eigenen
Interesses irgendwie ein öffentliches Verfahren
heraufbeschwören. Dies nicht allein zur Ehren¬
rettung der Schule und um der Gerechtigkeit
willen, sondern damit durch den Zwang zur
Vorsicht die sensationelle Ausbeutung der
Knabenselbstmorde abnimmt. Man wird
sehen, wie schnell die Zahl der jugendlichen
Selbstmörder zurückgeht, wenn sich die öffent¬
liche Meinung nicht mehr bedingungslos ihrer
annimmt, sondern auch mal eine derbe
Stimme dazwischen tönt: „So'n dummer
Junge, was hat der mit einem Schießgewehr
zu spielen."

Oberlehrer Fritz Tychow
Die christliche» JünglingSverenic in die
Front der Jugendpflege! (Entgegnung.)

Professor Schurig - Lemgo beklagt sich in
Ur. 7 der Grenzboten darüber, daß „von
evangelischer Seite mehrfach runde Absagen
gegeben sind, wenn man die Jüngliugsvercine

[Spaltenumbruch]

aufforderte, an diesem nationalen Werke —
nämlich der Jugendpflege — mitzuarbeiten."

Dies Verhalten der evangelischen Jüng¬
lingsvereine ist, gleichviel welchen dogmatischen
Standpunkt mau einnimmt, sehr Wohl zu
verstehen. Ich betone, daß ich nur von den
evangelischen Jünglingsvereinen rede. Die
evangelische Kirche ist national. Man werfe
nur einen Blick in die Ostmark, wo evan¬
gelisch und deutsch fast identisch erscheinen.
So weit es die evangelischen Jünglings-
vereiue anging, lag gar kein Bedürfnis zur
Gründung einer besonderen nationalen Jüug-
lingspflege vor. Wenn man linn aber schon
zu einer solchen Gründung geschritten ist, so
kann man die evangelischen Jünglingsvereiue
ruhig sich selbst überlassen, da sie jn bereits
tun, was jene Ncugründung will.

Vor allem betont aber Professor Schurig,
daß gerade in den kleinen Städten ein großer
Mangel bestehe an jungen Männern, die fähig
und geneigt seien, als Führer in die Arbeit
der Jugendpflege einzutreten, und daß daher
der suchende Blick sich auf die Kirche und
ihre Organisationen richtet. Professor Schurig
will also, daß die befähigten Elemente aus
den JünglingSvereincn führende Stellungen
in der Jugendpflege einnehmen und sozusagen
erst einmal die nationale Jugendpflege in den
Sattel heben. Das ist sehr schön gedacht,
aber Wohl mit nicht ausreichendem Einblick
in die wirklichen Verhältnisse. Besteht wirklich
in den christlichen Jünglingsvereiucn in den
kleinen Städten ein solcher Überfluß von
jungen Männern, die sähig und geneigt sind,
als Führer in die Arbeit der Jugendpflege
einzutreten?

Ich bin wenigstens immer sehr froh
gewesen, wenn ich für den Jünglingsverein
selbst die geeigneten Kräfte in ihm fand, und
ich glaube, daß andere Pastoren auch kaum
in der Lage sein werden, noch für andere
Bestrebungen Kräfte abzugeben. Zweitens
ist doch auch nicht zu übersehen, daß diese
jungen Leute viel freie Zeit haben müßten, die
also zween Herren dienen sollten. Seite 346
sagt Professor Schurig: „Freilich die spezifisch
kirchliche Form ihrer Betätigung müßten die
Jünglingsvereiue dabei zu Hause lassen bzw.
auf ihre Vereinsamende beschränken." Also
diese führenden jungen Leute hätten danach

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[0646] Maßgebliches und Unmaßgebliches Und daß die Furcht bor Strafe im Eltern¬ hause mitgespielt hat, scheint aus den näheren Umstanden der Tat deutlich Herborzugehen. Nach jetzigem weisen Brauch, der gerade in Kiel schon längst eingeführt war, sollen die Eltern von jeder Arreststunde Mitteilung be¬ kommen. Der Arrest wurde dem Knaben am Donnerstag angekündigt; am Freitag nachmittag sollte er abgesessen werden. Die Mitteilung mußte — das wußte der Junge — am Freitag um 12 Uhr im Elternhause an¬ kommen, und sie ist um diese Zeit angekommen. Und zur selben Stunde hat sich der Junge erschossen, in der letzten Stunde vor dem Hennweg. Wen fürchtete er mehr, Schule oder Elternhaus? Mag sein, daß der Knabe die strenge Be¬ handlung verdient hat, die ihn etwa zu Hause erwartete; es handelt sich gar nicht um die Beurteilung der Erziehungsgrundsätze des Vaters. Nur das eine muß festgestellt werden: Nachdem der Täter als der Hauptschuldige (siehe oben Hoches Bemerkungen) ermittelt ist, muß zur Entscheidung gebracht werden, ob Schule, ob Elternhaus mitschuldig sind. Das ist aber nur möglich, wenn das Elternhaus derselben Untersuchung unterzogen wird wie die Schule. Wenn es hierzu kein gesetzliches Mittel gibt, so muß die Schule oder der einzelne Lehrer in Wahrnehmung eigenen Interesses irgendwie ein öffentliches Verfahren heraufbeschwören. Dies nicht allein zur Ehren¬ rettung der Schule und um der Gerechtigkeit willen, sondern damit durch den Zwang zur Vorsicht die sensationelle Ausbeutung der Knabenselbstmorde abnimmt. Man wird sehen, wie schnell die Zahl der jugendlichen Selbstmörder zurückgeht, wenn sich die öffent¬ liche Meinung nicht mehr bedingungslos ihrer annimmt, sondern auch mal eine derbe Stimme dazwischen tönt: „So'n dummer Junge, was hat der mit einem Schießgewehr zu spielen." Oberlehrer Fritz Tychow Die christliche» JünglingSverenic in die Front der Jugendpflege! (Entgegnung.) Professor Schurig - Lemgo beklagt sich in Ur. 7 der Grenzboten darüber, daß „von evangelischer Seite mehrfach runde Absagen gegeben sind, wenn man die Jüngliugsvercine aufforderte, an diesem nationalen Werke — nämlich der Jugendpflege — mitzuarbeiten." Dies Verhalten der evangelischen Jüng¬ lingsvereine ist, gleichviel welchen dogmatischen Standpunkt mau einnimmt, sehr Wohl zu verstehen. Ich betone, daß ich nur von den evangelischen Jünglingsvereinen rede. Die evangelische Kirche ist national. Man werfe nur einen Blick in die Ostmark, wo evan¬ gelisch und deutsch fast identisch erscheinen. So weit es die evangelischen Jünglings- vereiue anging, lag gar kein Bedürfnis zur Gründung einer besonderen nationalen Jüug- lingspflege vor. Wenn man linn aber schon zu einer solchen Gründung geschritten ist, so kann man die evangelischen Jünglingsvereiue ruhig sich selbst überlassen, da sie jn bereits tun, was jene Ncugründung will. Vor allem betont aber Professor Schurig, daß gerade in den kleinen Städten ein großer Mangel bestehe an jungen Männern, die fähig und geneigt seien, als Führer in die Arbeit der Jugendpflege einzutreten, und daß daher der suchende Blick sich auf die Kirche und ihre Organisationen richtet. Professor Schurig will also, daß die befähigten Elemente aus den JünglingSvereincn führende Stellungen in der Jugendpflege einnehmen und sozusagen erst einmal die nationale Jugendpflege in den Sattel heben. Das ist sehr schön gedacht, aber Wohl mit nicht ausreichendem Einblick in die wirklichen Verhältnisse. Besteht wirklich in den christlichen Jünglingsvereiucn in den kleinen Städten ein solcher Überfluß von jungen Männern, die sähig und geneigt sind, als Führer in die Arbeit der Jugendpflege einzutreten? Ich bin wenigstens immer sehr froh gewesen, wenn ich für den Jünglingsverein selbst die geeigneten Kräfte in ihm fand, und ich glaube, daß andere Pastoren auch kaum in der Lage sein werden, noch für andere Bestrebungen Kräfte abzugeben. Zweitens ist doch auch nicht zu übersehen, daß diese jungen Leute viel freie Zeit haben müßten, die also zween Herren dienen sollten. Seite 346 sagt Professor Schurig: „Freilich die spezifisch kirchliche Form ihrer Betätigung müßten die Jünglingsvereiue dabei zu Hause lassen bzw. auf ihre Vereinsamende beschränken." Also diese führenden jungen Leute hätten danach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/646>, abgerufen am 29.04.2024.